Marie-Aude Murail - Simpel

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  • Marie-Aude Murail – Simpel


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    Simpel, der in Wirklichkeit Barnabé heißt, ist 22 Jahre alt und geistig behindert. Ein I-di-ot, wie er selber immer richtigstellt. Genau genommen ist er auf dem mentalen Niveau eines 3-jährigen Kindes, an guten Tagen 3,5. Sein Plüschtier, Monsieur Hasehase, begleitet ihn überall hin und stiftet ihn zu so manchem Blödsinn an. Sein Bruder Colbert ist 17 Jahre alt und der beste Bruder, den man haben kann. Die Mutter der beiden ist gestorben, der Vater hat neu geheiratet und seine Frau erwartet ein Kind. Simpel ist ihm im Weg und wird in eine Anstalt/ ein Heim gebracht. Colbert aber nimmt seinen Bruder aus der Anstalt heraus und geht mit ihm nach Paris, wo die beiden in eine WG ziehen. Colbert geht noch zur Schule. Man kann sich vorstellen, dass das Leben alles andere als simpel für ihn ist. Und doch geht alles gut aus, denn es ist immerhin ein Jugendroman.


    Die Thematik ist natürlich ernst. Das Buch ist vor allem unheimlich lustig ohne dabei das Thema „geistige Behinderung“ ins Lächerliche zu ziehen. Die Charaktere sind sympathisch und es strotzt nur so vor Dialog- und Verwechslungskomik. Einige Passagen haben mich zu Tränen gerührt, vor allem aber habe ich seit langem nicht so oft beim Lesen laut aufgelacht. Romantik hat die Geschichte auch zu bieten und gegen Ende hin wird es zum spannenden Page-Turner. Ganz nebenbei regt es zum Nachdenken an, darüber, wie wir mit den schwachen in unserer Gesellschaft umgehen. Denen, die uns im Weg stehen wenn wir wichtigeres zu tun haben, wie Karriere, Freizeit, Spaß oder einfach unsere Ruhe haben wollen. Und darüber, ob diese Menschen nicht zuweilen eine Bereicherung für uns sein können, wenn wir sie in unser Leben integrieren.


    Natürlich ist das Bild, das hier gezeichnet wird romantisch verklärt und von der Realität meilenweit entfernt. Aber ich hatte nicht den Eindruck, dass die Absicht vorliegt, eine realistische Sozialstudie zu präsentieren. Es ist ein äußerst gelungener Unterhaltungsroman, der ein bisschen zum Denken anregt.


    Meiner Meinung nach ein :tipp: der auf jeden Fall 5ratten verdient hat.

    Ich bezeige, nach Hertzens-Aufrichtigkeit, dass ich mich glücklich schätze, mich mit Verehrung nennen zu dürfen und ersterbe,<br />Roulade<br /><br />[url=http://www.literaturschock.de/autoren/interviews/119-intervie

  • Oh, das liest sich ja ganz wunderbar! Damit hast Du meine Wunschliste erweitert, vielen Dank :klatschen: Diese Thematik bzw. der Umgang damit interessiert mich auch immer sehr.

    Rechtsextremismus ist wieder salonfähig gemacht worden, durch CDU/CSU und FDP.

  • Ich hatte mir das Buch vor ca. sechs Jahren gekauft, auf den heißen Tip der Verkäuferin einer Kinderbuchhandlung hin. Das sei ja ein so tolles Buch, sie könne es nur empfehlen.
    Daraufhin waren meine Erwartungen natürlich entsprechend hoch, aber sie wurden leider enttäuscht. Es ist schwer, nach so vielen Jahren noch einen Eindruck schildern zu müssen (naja, nicht müssen, sonst könnte ich es auch lassen :zwinker: ), aber ich habe das Buch als sehr nüchtern und unpersönlich in Erinnerung. Gelacht habe ich nicht, geweint schon gar nicht, und es stand auch nicht lange in meinem Regal. Ich habe es relativ kurz danach verkauft.


    Mag sein, dass ich zu der Zeit ein Eisklotz war und nicht wirklich zugänglich für die Thematik. Jedenfalls hatte ich ganz andere Erwartungen an die Geschichte, als es mir die Worte der Verkäuferin schmackhaft gemacht hatten. Als totalen Flop bezeichne ich es aber nicht, da ich es immerhin zu Ende gelesen und die Zeit auch nicht bereut habe. Es ist halt ein Jugendbuch, das sich sehr schnell und flüssig lesen lässt.


    Zu der Thematik habe ich heute auch ein anderen Zugang als damals, da ich heute mit einem Mann zusammen bin, der mit Menschen mit einer Behinderung (in allen Variationen) arbeitet und ich von seinem Berufsalltag sehr viel mitbekomme durch seine Erzählungen. Das macht mich heute etwas sensibler dafür, da ich viel mehr Einblicke in die Welt dieser Menschen bekomme als früher.

    "Verzicht bedeutet für Frauen die kurze Pause zwischen zwei Wünschen."

    ~ Mario Adorf

  • Da wäre es natürlich interessant zu wissen, wie Dir das Buch heutzutage gefallen würde, Schokomaus. Danke Dir für Deinen Eindruck :smile:

    Rechtsextremismus ist wieder salonfähig gemacht worden, durch CDU/CSU und FDP.

  • Schokomaus: Ich lese mir auch immer (vor allem die negativen) Rezensionen auf Amazon durch. Bei Simpel gibt es eine 3 Sterne Rezension, die das Buch ziemlich verreißt. Die Argumente dieser Rezension kann ich nachvollziehen. Die Geschichte ist einfach total unrealistisch und auch schmalzig. Auch wenn ich das nicht (oder nicht als schlimm) empfunden habe. Aber "nüchtern und unpersönlich" kann ich auf den ersten Blick nicht nachvollziehen.... Ob man den Sinn für Humor der Autorin teilt oder nicht ist dann ja auch eine individuelle Sache. Die Geschichte lebt von der Situationskomik. Wenn das nicht deinen Humor-Geschmack getroffen hat, ist das Buch natürlich blass.

    Ich bezeige, nach Hertzens-Aufrichtigkeit, dass ich mich glücklich schätze, mich mit Verehrung nennen zu dürfen und ersterbe,<br />Roulade<br /><br />[url=http://www.literaturschock.de/autoren/interviews/119-intervie

  • Ich bin fast geneigt, mir das Buch noch einmal auszuleihen, um vor dem heutigen "Wissensstand" einen re-Read zu starten. Ich möchte das Buch nämlich gar nicht verreißen, ich wurde mir, als ich diesen Thread las, bloß wieder der Tatsache bewusst, dass ich "Simpel" damals gar nicht so gut fand.


    Das Buch war damals eine der ersten Ausnahmen nach langen Jahren Fantasylektüre, und vielleicht war ich da noch nicht "geübt" drin. Insofern sollte man sich auf meine Meinung hier besser nicht verlassen. Das meine ich ernst, vielleicht hätte ich besser nichts schreiben sollen. Aber es heißt doch immer, dass die Buchdiskussionen florieren sollen! :breitgrins: Da habe ich meinen unqualifizierten Senf wohl zu schnell dazu getan.


    Also, an alle "Simpel"-Interessierten: Meinen Kommentar ignorieren und selbst eine Meinung bilden. Das meine ich wirklich ohne Provokation, das ist immer so verflixt schwer, es schriftlich auch verständlich rüber zu bringen, ohne, dass jemand Zynismus oder ähnlich böses zwischen den Zeilen vermutet. :winken:

    "Verzicht bedeutet für Frauen die kurze Pause zwischen zwei Wünschen."

    ~ Mario Adorf

  • Du musst dich ja nicht rechtfertigen. Es wird schon einen Grund gegeben haben, warum dich das Buch nicht erreicht hat. Und es gibt wohl kaum ein Buch, dass ausnahmslos jedem Leser gefällt. (OT - Wobei: ich werde nie verstehen, wie es sein kann, dass der Herr der Ringe nicht ein solches ist. :breitgrins: .... andererseits: ich zum Beispiel kann mit Winnie Pooh nichts anfangen, was mir von den Fans auch als blasphemisch und banausenhaft ausgelegt werden kann. - OT-Ende)


    Übrigens, meine Tochter (13 Jahre), die von jedem Buch zuverlässig 20 Seiten liest und es danach - mit Lesezeichen bei Seite 20 :breitgrins: - wieder ins Regal stellt, hat von Simpel 155 (!) Seiten gelesen. Das rechne ich Madame Murail hoch an!

    Ich bezeige, nach Hertzens-Aufrichtigkeit, dass ich mich glücklich schätze, mich mit Verehrung nennen zu dürfen und ersterbe,<br />Roulade<br /><br />[url=http://www.literaturschock.de/autoren/interviews/119-intervie

  • Ich kenne das Buch nicht, habe aber selbst auch in der Behindertenbetreuung gearbeitet. Ich denke für mich wäre es - der Beschreibung nach - nichts, ich würde das wohl zu sehr mit meinen Erfahrungen vergleichen :zwinker: (Das gilt auch für andere Bücher, die mit meinem Fachgebiet zu tun haben, ich bin da sehr kritisch.)


    Ich tue mir bei der Inhaltsangabe schon etwas schwer, mir vorzustellen, dass sich ein 17-jähriger Junge mehr oder weniger fast alleine um einen wohl doch schwerbehinderten Menschen kümmert.
    Ich kann auch gut nach vollziehen, weshalb sich Eltern oftmals nicht in der Lage sehen, sich selbst um ihr behindertes Kind zu kümmern. Natürlich ist es traurig, aber man sollte da nicht zu stark mit dem moralischen Zeigefinger ankommen. Ich kann nur von meinen eigenen Erfahrungen sagen, dass es wirklich ein Knochenjob sein kann und alles andere als einfach. Wenn auch eine sonst tolle Erfahrung.
    So, das jetzt etwas OT, aber bei dem Thema überkommts mich einfach :redface:

    “Grown-ups don't look like grown-ups on the inside either. Outside, they're big and thoughtless and they always know what they're doing. Inside, they look just like they always have. Like they did when they were your age. Truth is, there aren't any grown-ups. Not one, in the whole wide world.” N.G.

  • Inhalt: (Zitat von der Buchrückseite)


    Simpel spielt gern mit Playmobil. Er spricht mit seinem Stoffhasen. Er sagt: "Hier sind alle total blöd!", wenn hier alle total blöd sind, und er kann total schnell zählen. 7, 9, 12, B, tausend, hundert. Simpel ist zweiundzwanzig Jahre alt, doch mental ist er auf der Stufe eines dreijährigen Kindes. Gut, dass sich sein siebzehnjähriger Bruder um ihn kümmert. Doch Simpel zu betreuen ist alles andere als simpel. Und als die beiden Brüder in eine WG ziehen, da wird es erst recht kompliziert!


    Meine Meinung:


    In der Kritik kann ich mich roulade anschließen: Das Buch ist nicht realistisch. Es stellt einige Dinge tendenziös dar und verharmlost die Schwierigkeiten, die das Zusammenleben mit geistig behinderten Menschen mit sich bringt, und auch die Sichtweise auf Eltern und Heime hat mir nicht gefallen. Der Vater von Simpel und seinem 17jährigen Bruder Colbert gibt Simpel nicht weg, weil er überfordert ist, was man verstehen könnte. Nein, er will beide Söhne loswerden, weil sie nicht in sein neues Leben mit seiner neuen Frau passen. Und die Darstellung des Heimes, in dem geistig Behinderte wie Simpel gequält und weggesperrt werden, ist auch tendenziös. Das mag vorkommen, aber ich kenne z.B. Leute die in genau so einem Heim arbeiten und sehr engagiert diese anstrengende Arbeit auf sich nehmen, zum Wohl der Bewohner, sich kümmern und sie fördern. Da wird keiner weggesperrt.


    Trotzdem hat mir das Buch gefallen. Es greift Aspekte aus der Gesamtproblematik heraus, und diese schildert es grandios. Simpel ist im Prinzip ein großes Kind, kindlich ist seine Sicht auf die Welt. So mischt er die WG auf, in der es ein paar ziemlich eingefahrene Dinge gibt, mit denen einige nicht zufrieden sind, dies wird aber nicht angesprochen. Oft trifft dabei auf Simpel das Sprichwort zu "Kindermund tut Wahrheit kund". Schnell trennt sich die Spreu vom Weizen und es wird klar, wer aus der WG sich aus Bequemlichkeit oder Egoismus nicht auf Simpel einlassen kann. Wer es doch kann, hat zwar ein wenig mehr Stress, profitiert aber am Ende auch. Und genau hier liegt der Pluspunkt des Buches: es ist eine Anregung zum Nachdenken, ob und wie wir uns auf Menschen einlassen können, die besonders sind, sie auch als Bereicherung sehen, und dabei selber mal ein wenig zurückstecken können. Nicht immer nur die eigenen Bedürfnisse im Auge haben. Es gibt ja da eine ganze Bandbreite, auch Menschen, die nicht ganz so anstrengend sind wie Simpel.


    Mag sein, dass ein Siebzehnjähriger, der noch zur Schule geht, mit der Betreuung eines Simpel überfordert ist. Doch das Buch konzentriert sich wie schon gesagt nur auf Teilaspekte, und stellt diese sehr unterhaltsam dar. Von daher werte ich es als gelungen und für ein Jugendbuch gar nicht so schlecht, zumal es zu dem Thema nicht allzu viele Kinder/Jugendbücher gibt.


    4ratten + :marypipeshalbeprivatmaus::tipp:

    Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden (R. Luxemburg)

    Was A über B sagt, sagt mehr über A aus als über B.