Joseph Sheridan Le Fanu - Carmilla

Es gibt 30 Antworten in diesem Thema, welches 7.549 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von stefanie_j_h.

  • Ja, da habt ihr Recht - wie diese Beschreibungen am Anfang, wie sich Carmilla Laura nähert, ist es jetzt nicht mehr, jetzt stehen eher diese Gruseleffekte im Vordergrund.


    Ich glaube allerdings nicht, dass die Zeitschrift, in der Carmilla erschienen ist so eine Art Pornoheftchen war (dafür finde ich auch die Sexualität in Carmilla viel zu wenig explizit, auch für die damalige Zeit). Es gab ja für alle möglichen Zielgruppen Zeitschriften und auch die Sherlock-Holmes-Geschichten sind ja in einer Zeitschrift erschienen, wobei das Strand Magazine einfach eine ganz normale Literaturzeitschrift war. Im deutschsprachigen Raum gab es auch Die Gartenlaube, das war sogar ein Familienblatt. Hier gibt es übrigens ein paar Infos zu The Dark Blue, in dem Carmilla erschien.


    Ich bin mittlerweile übrigens mitten im 14. Kapitel, der General hat seine Geschichte fertig erzählt und Carmilla nähert sich mit einer Gouvernante - bin schon sehr gespannt, ob jetzt das Grande Finale kommt, ob der General Carmilla als das Monster identifiziert, das seine Nichte getötet hat und was noch mit Laura passiert.


    Aber einen ziemlichen Teenie-Horror-Film-Effekt hatte ich schon beim Lesen. Und zwar hat der General gerade lange erzählt, wie es seiner Nichte ergangen ist, wie sich Millarca (seeehr schweres Anagramm) verhalten hat, dieser Vorwand, dass die "Mutter" (bin ja gespannt, ob da auch noch eine Geschichte dahinter steckt, ob das wirklich die Mutter ist) schnell weg muss, weil es um Leben und Tod geht, usw. Carmilla beschleicht ja auch schon ein unangenehmes Gefühl, weil die Geschichte halt total gleich ist. Theoretisch müsste sie also, wenn sie halbwegs nachdenkt, zwei und zwei zusammenzählen können.
    Dennoch:

    Zitat

    The old General's eyes were fixed on the ground, as he leaned with his hand upon the basement of a shattered monument. Under a narrow, arched doorway, surmounted by one of those demoniacal grotesques in which the cynical and ghastly fancy of old Gothic carving delights, I saw very gladly the beautiful face and figure of Carmilla enter the shadowy chapel.


    :boahnee: Das ist genauso wie in diesen Horrorfilmen, wo die Highschoolschülerin gerade eine Leiche gefunden hat, oben am Dachboden hört sie Schritte und Klopfen und was macht sie? Nein, sie nimmt sich nicht das nächste Ding, das als Waffe fungieren kann, ruft nicht wen an (zB die Polizei) oder verschwindet schleunigst, nein, sie geht völlig unbewaffnet die Treppe nach oben und fragt: "Hallo? Ist da jemand? Wer ist denn da?" :rollen:


    Aber ist klar woher Laura das hat, ihr Vater scheint ja auch völlig ahnungslos, vertrauensselig und kein Freund von logischen Schlüssen zu sein. Interessant finde ich nämlich, dass der General sehr wohl betont, dass er Zweifel hatte Millarca einfach aufzunehmen, aber gut.. er kannte wohl die Mutter (bzw. meinte sie zu kennen) usw. Millarca selbst hat ja auch einen netten Eindruck auf ihn gemacht, aber zumindest war da noch ein Moment des Zweifelns. Lauras Vater hingegen scheint diesen Moment gar nicht gehabt zu haben, im Gegenteil, und auch sonst denkt sich der offenbar gar nichts über Carmilla oder einen Zusammenhang von Carmilla und der Geschichte des Generals. Doof, irgendwie...

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  • Ich bin heute fertig geworden. Ehrlich gesagt bin ich ein bisschen enttäuscht vom Ablauf der Geschichte. Es war alles ein bisschen zu theoretisch - viel Gerede und wenig Handlung. Ich fand es unpassend, dass Carmillas Geheimnis durch Erzählungen gelüftet wurde und nicht durch aktives Zutun der Betroffenen. Zu einem gewissen Teil hängt die Enttäuschung bestimmt auch damit zusammen, dass das englische Original doch etwas schwerer zu lesen war, als ich erwartet hatte. Mein Wörterbuch im Kindle wurde teilweise ganz schön strapaziert und das hemmt den Lesefluss ungemein.


    Ich warte noch ab, welche Eindrücke von euch noch kommen und schreibe dann weiter.


    Den passenden Schock bekam ich heute Morgen verpasst, als ich mich zwischen der "Abfertigung" meiner beiden Kinder für ein paar Minuten mit Carmilla hinsetzte und plötzlich meine Kleine neben mir stand, die alleine aufgestanden war, ohne dass ich sie gehört hatte. Das war, als ich gerade die Passage las, in der dieser Waldarbeiter erzählt, wie man Vampire tötet. Mich hätte fast der Schlag getroffen :entsetzt:

  • Ohje, durch die Feiertage ist bei mir ganz untergegangen, dass ich auch noch einen abschließenden Kommentar hier schreiben wollte, tut mir leid! :redface:


    Ich kannte die Geschichte ja schon, habe mich aber wieder ziemlich gegruselt. Diese Annäherung zwischen Laura und Carmilla, obwohl man ja eigentlich weiß, dass Carmilla gefährlich ist, das herumgeschleiche nachts im dunklen Schloss... Dass am Ende dann alles nur über Gespräche aufgeklärt wird, fand ich dann sehr beruhigend und weniger nervenaufreibend.


    Ich mochte Carmilla übrigens viel lieber als Dracula. Dracula fand ich stellenweise sehr langweilig, hier hat es mir besonders gut gefallen, dass in so einem kurzen Text diese Grusel-Atmosphäre erzeugt wurde.

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  • Dracula fand ich stellenweise sehr langweilig, hier hat es mir besonders gut gefallen, dass in so einem kurzen Text diese Grusel-Atmosphäre erzeugt wurde.


    Hätte man Dracula auf 100 Seiten komprimiert, wäre das bestimmt auch sehr spannend geworden :zwinker:. Da gab es ja auch einige Protagonisten mehr, die alle richtig zur Geltung kommen sollten, und das beansprucht natürlich Zeit. Außerdem stellten wir in der Leserunde fest, dass die diversen Übersetzungen nicht alle gleichermaßen gut sind. Ich hatte das Glück, eine richtig tolle zu erwischen, so dass das Buch eines meiner Highlights im letzten Jahr war.


    Hast du eigentlich auf Deutsch oder Englisch gelesen, Stefanie?

  • Ja... einen Kommentar insgesamt wollte ich ja auch noch schreiben, aber ich war in letzter Zeit etwas rezensionsfaul... :rollen:


    Zu Dracula aber: Ich finde es gab einige Ähnlichkeiten bezügl. Atmosphäre, aber im Endeffekt tu ich mir beim Vergleich etwas schwer. Dracula war viel multidimensionaler als Carmilla, finde ich, da gab es dann doch mehr interessante Dinge, auch mehr Storylines, was aber auch durch die Länge erklärbar ist. Mir hat an Dracula diese Briefform ganz gut gefallen, dann kommt diese idyllisch-düstere Landschaft (bei der Reise durch Ungarn und schließlich in Transsylvanien), das seltsame Schloss, dass ganz klassisch "gothic" ist, es gibt den Traum mit den 3 Grazien, auf der anderen Seite ist da aber auch noch England mit Lucy, diese Irrenhausgeschichte mit Renfield usw. Außerdem durchzieht den Roman dann doch eine sanfte Ironie, wie zB Lucys Verehrer anfangs geschildert werden oder wie Dracula nach England reist (das ist gruselig und komisch zugleich finde ich, der Alte in seiner Holzkiste *g*) oder dass er sich in London einfach auf dem Immobilienmarkt in ein Land einkauft. :zwinker:


    Kurzum: Carmilla ist und bleibt einfach eine Novelle, die (wie Goethe sagt) "ein seltsames, unerhörtes Erlebnis" beschreibt - nicht mehr und nicht weniger. Vielleicht aufgrund der Kürze, vielleicht durch Le Fanu bleiben einige Dinge in Ansätzen geschildert (zB erfährt der Leser nicht mehr was es mit Carmillas Begleitern auf sich hat), einige Stimmungseindrucke dann doch etwas flach, vielleicht auch weil gegen Schluss doch massiv mit Rückblende und Binnenerzählung gearbeitet wird.


    Das heißt ich halte Bram Stoker in dem Fall einfach für den fähigeren Schriftsteller, auch wenn Dracula sicherlich auch ein paar Längen hat. Mir hat er übrigens auch sprachlich besser gefallen, weil ich den Stil von Le Fanu an manchen Stellen doch ein wenig schnörkelig fand (mit dem er wohl das malerisch-idyllische des Ortes betonen wollte).


    Allerdings ist meine Dracula-Lektüre jetzt auch schon ein paar Järchen her, vielleicht sehe ich die beiden Erzählungen in ein paar Jahren wieder näher beieinander. :zwinker:


    Ich habe übrigens auch Dracula auf Englisch gelesen, in dieser wunderschönen Ausgabe inkl. dem Essay "Das Unheimliche" von Sigmund Freud (halt für uns Muttersprachler etwas widersinnig auf Englisch):

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  • In Bezug auf Dracula sprichst du mir aus der Seele, Isadora.


    Wäre Carmilla länger gewesen, dann würde es Dracula vielleicht in nichts nachstehen. Es wäre mehr Zeit gewesen, die Geschichte und auch die Charaktere weiterzuentwickeln. Ein weiblicher, lesbischer Vampir ist ja ziemlich einzigartig, wenn ich mich nicht irre. Auch in der letzten Zeit, da die Vampire wieder einen Aufschwung erleben, hat es das nicht nochmal gegeben, oder? Es wäre schon spannend gewesen, mehr über Carmilla zu lesen. Endlich mal so ein richtig böser weiblicher Hauptdarsteller neben den vielen anderen typischen Frauen.

  • Stimmt, man hätte mMn auch durchaus noch mehr von Carmillas Umfeld berichten können, von ihrer "Mutter" und den seltsamen Begleitern der Kutsche. Also wenn es statt einer Novelle ein Roman gewesen wäre, hätte das auf alle Fälle mehr Zund gegeben.


    Andererseits muss ich zugeben, dass mich die Ich-Erzählerin stellenweise mit ihrer Hypernaivität schon genervt hat. Klar, auch Jonathan Harker ist für den heutigen Leser vielleicht keine absolute Leuchte, aber er zieht schließlich seine Schlüsse, wird aktiv, usw. Laura bekommt die Lösung sowieso schon am Silbertablett serviert, blickt aber offenbar immer noch nicht ganz durch (wie ich mich ja schon weiter oben aufgeregt habe *g*).


    Aber bitte nicht falsch verstehen, weil ich jetzt so viel an Carmilla auszusetzen habe, manche Dinge sind einfach Feinschliff, insgesamt fand ich die Erzählung ja durchaus ansprechend und, wie du auch sagst, es gibt einige Elemente darin, die sie einzigartig (oder zumindest selten) machen - die lesbische Vampirin, der Schauplatz in der Steiermark usw.


    Ich könnte mir theoretisch auch gut eine Verfilmung davon vorstellen, gibt sicher kostümtechnisch was her, aber auch vom Landschaftsbild und die Schauspieler können sich an der Ambivalenz von Anziehung und Abstoßung probieren.. :zwinker:

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  • Aber bitte nicht falsch verstehen, weil ich jetzt so viel an Carmilla auszusetzen habe, manche Dinge sind einfach Feinschliff ...


    Feinschliff, von dem bei mir vielleicht einiges nicht angekommen ist, weil ich das Buch auf Englisch gelesen habe. Wir haben ja schon gemerkt, dass es nicht ganz so einfach war. Bestimmt ist dabei auch noch ein bisschen unter den Tisch gefallen. Ich hatte irgendwo die deutsche Übersetzung gefunden und mir dummerweise nicht gemerkt, wie die Seite hieß. Vielleicht suche ich sie irgendwann noch einmal und lese die Geschichte auf Deutsch.

  • Ich meinte eher umgekehrt, dass die Geschichte ganz gut war, aber Le Fanu bei einigen Dingen mMn der Feinschliff gefehlt hat. :zwinker:


    Sprachlich fand ich es - neben den neuen Vokabeln - wie gesagt etwas schnörkelig, aber ich nehme an, dass das einfach auch vom Gothic-Genre kommt. Dracula hatte ich da etwas weniger in diesem Stil in Erinnerung, aber ich kann mich auch irren.


    Ich werd mal bei Gelegenheit schauen wie die (mMn recht gute Übersetzung), die ich hier rumliegen hab, sprachlich auf mich wirkt...

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  • Hast du eigentlich auf Deutsch oder Englisch gelesen, Stefanie?


    Ich habe sowohl Dracula als auch Carmilla auf Englisch gelesen.



    Stimmt, man hätte mMn auch durchaus noch mehr von Carmillas Umfeld berichten können, von ihrer "Mutter" und den seltsamen Begleitern der Kutsche. Also wenn es statt einer Novelle ein Roman gewesen wäre, hätte das auf alle Fälle mehr Zund gegeben.


    Ich finde auch, dass da noch mehr drin gewesen wäre, gerade bezüglich Carmillas Umfeld, aber ich fand es auch ganz angenehm, dass die Geschichte so kurz ist und trotzdem diese Grusel-Atmosphäre aufkommt.

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