[Kenia] Ngũgĩ wa Thiong'o – Herr der Krähen

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    Originaltitel: Wizard of the Crow


    Ausgangspunkt dieses geistreichen satirischen Romans ist das gigantische Bauvorhaben »Marching to Heaven«, ein moderner Turmbau zu Babel, das dem despotischen Herrscher der fiktiven Freien Republik Aburiria Weltgeltung verschaffen und ein monumentales Denkmal setzen soll.
    Der Herrscher ist umgeben von persönlichen Beratern, allen voran den Ministern Machokali und Sikiokuu, die ständig darum bemüht sind, dem gottgleichen Herrscher ihre Ergebenheit zu beweisen und sich eine vorteilhafte Position zu sichern.


    Das Buch hat mich in der Buchhandlung spontan angelächelt und nachdem ich mir von Aldawen das Okay abgeholt habe (ob der Autor generell empfehlenswert wäre) habe ich mir dieses Monster von Buch gekauft. Ein Monster ist es wirklich, knapp 1000 Seiten und noch mehr Gramm. Ich habe das "erste Buch" - rund 60 Seiten - auf dem Rücken liegend, mit dem Buch auf der Brust, gelesen und hatte danach Rippenprellungen :zwinker: Ansonsten ist der erste Eindruck sehr positiv, besonders nett fand ich die Karte / das Lesezeichen des Verlags, auf dem die wichtigsten Personen aufgeführt sind, so muss man nicht jedes mal zum Personenverzeichnis vor- oder zurückblättern.


    Bislang wurden die ersten Personen vorgestellt, sowie das im Klappentext erwähnte Bauvorhaben angekündigt. Dabei gibt es immer wieder kleine satirische Seitenhiebe, besonders an einer Stelle wüsste ich gerne, in wie weit wir das auch dem Übersetzer zu verdanken haben. Es geht um den Anzug des Herrschers, dessen [...] Nadelstreifen aus winzigen Buchstaben bestanden, die die Worte WER DIE MACHT HAT, HAT DAS RECHT bildeten. (S. 33). @Aldawen, könntest du mal nachschauen was da im Original steht, der Übersetzer hat hier nämlich wohl entweder Carl Orff oder Ton Steine Scherben zitiert. :breitgrins:


  • Originaltitel: Wizard of the Crow


    Um exakt zu sein, lautet der Originaltitel Mũrogi wa Kagogo, denn es ist, soviel ich weiß, zunächst in Einzelteilen auf Gikuyu erschienen und dann von Ngũgĩ selbst ins Englische übertragen worden. Aber das nur nebenbei ...



    Ich habe das "erste Buch" - rund 60 Seiten - auf dem Rücken liegend, mit dem Buch auf der Brust, gelesen und hatte danach Rippenprellungen :zwinker:


    Deshalb habe ich zusätzlich noch die digitale Variante erworben, sehr körperschonend :zwinker:



    Ansonsten ist der erste Eindruck sehr positiv, besonders nett fand ich die Karte / das Lesezeichen des Verlags, auf dem die wichtigsten Personen aufgeführt sind, so muss man nicht jedes mal zum Personenverzeichnis vor- oder zurückblättern.


    Vor allem, weil auch die sprechenden Namen dadurch aufgelöst werden, die den meisten Lesern sonst wohl entgingen. Das finde ich auch sehr nett gemacht.



    besonders an einer Stelle wüsste ich gerne, in wie weit wir das auch dem Übersetzer zu verdanken haben. Es geht um den Anzug des Herrschers, dessen [...] Nadelstreifen aus winzigen Buchstaben bestanden, die die Worte WER DIE MACHT HAT, HAT DAS RECHT bildeten. (S. 33). @Aldawen, könntest du mal nachschauen was da im Original steht, der Übersetzer hat hier nämlich wohl entweder Carl Orff oder Ton Steine Scherben zitiert. :breitgrins:


    In der englischen Fassung liest sich das so: „(...) but on careful examination one could see that the stripes were made of tiny letters that read MIGHT IS RIGHT.“ (S. 19) Das paßt also durchaus, auch wenn das Englische hier mal wieder kürzer und prägnanter ist.

  • In der englischen Fassung liest sich das so: „(...) but on careful examination one could see that the stripes were made of tiny letters that read MIGHT IS RIGHT.“ (S. 19) Das paßt also durchaus, auch wenn das Englische hier mal wieder kürzer und prägnanter ist.


    *recherchier* Wikipedia sagt: Might is Right oder The Survival of the Fittest ist ein erstmals im Jahre 1890 unter dem Pseudonym Ragnar Redbeard veröffentlichtes Buch, das sozialdarwinistische Ideen vertritt..
    Das macht die deutsche Übersetzung meiner Meinung nach ironischer, da die Quelle des Zitats reichlich machtkritisch ist (bei Orff geht es mit "wer das Recht hat, beugt es auch" weiter), während der englische, sozialdarwinistische, ursprüngliche Gedanke hinter dem Ausspruch ja durchaus im Sinne unseres Despoten sein dürfte.

  • Ich wollte ja eigentlich mal über das Cover mosern, was eine Elster da drauf zu suchen hat und ob Elstern wirklich auch in Kenia leben, aber ein Besuch bei Wikipedia belehrte mich darüber, dass das wohl eher einen Geierraben darstellt, der sehr wohl in Kenia und Co lebt. :breitgrins:


    Ich habe jedenfalls mittlerweile auch das zweite Buch gelesen, d.h. ich habe jetzt ca. ein Drittel des Romans gelesen. Bis auf die Dicke habe ich eigentlich nichts zu klagen :breitgrins:




    Vor allem, weil auch die sprechenden Namen dadurch aufgelöst werden, die den meisten Lesern sonst wohl entgingen. Das finde ich auch sehr nett gemacht.


    In wie weit ist es eigentlich von Bedeutung, dass ein Teil der Figuren Kikuyu-, die anderen (die mächtigeren) Swahili-Namen tragen?


    Auf S.113 zählt Nyawĩra, die weibliche, engagierte Hauptfigur Literatur von afrikanischen (und auch indischen) Frauen auf, das klingt teilweise recht interessant: Tsitsi Dangarembga - Der Preis der Freiheit, Buchi Emecheta - Zwanzig Säcke Muschelgeld , Mariama Bâ – Ein so langer Brief , ...
    Ich werde meine Wunschliste wohl mal aktualisieren müssen. Abgesehen von den anderen Büchern Ngũgĩs, die ich mir näher ansehen muss :rollen:


    Interessant finde ich übrigens die ständige Verbindung die zwischen der fiktiven Republik Aburĩria und Indien gezogen wird. Nicht nur was die Rolle der Frau betrifft, sondern auch was die Ausbildung des "Herren der Krähen" betrifft, der ja einige Zeit in Indien verbracht hat. Stehen sich Kenia (die Vorlage) und Indien wirklich so nahe?


    Ich habe leider keine echte Ahnung von Kenias Geschichte und ein Abstecher zur Wikipedia hat mich auch nicht eindeutig weitergebracht... In wie weit stimmt denn die Schilderung von der Machtergreifung des Herrschers (S.297) mit der echten Geschichte Kenias und vermutlich Jomo Kenyatta überein - so ganz passend scheint es mir nicht zu sein, oder hat der Autor da vielleicht diverse afrikanische Länder vermischt?


  • In wie weit ist es eigentlich von Bedeutung, dass ein Teil der Figuren Kikuyu-, die anderen (die mächtigeren) Swahili-Namen tragen?


    Es könnte einfach daran liegen, daß bei diesen Leuten der Name zur Charakterisierung eine wichtigere Rolle spielt und Ngũgĩ deshalb auf eine Sprache zurückgegriffen hat, die weiter verstanden wird.



    Auf S.113 zählt Nyawĩra, die weibliche, engagierte Hauptfigur Literatur von afrikanischen (und auch indischen) Frauen auf, das klingt teilweise recht interessant: Tsitsi Dangarembga - Der Preis der Freiheit, Buchi Emecheta - Zwanzig Säcke Muschelgeld , Mariama Bâ – Ein so langer Brief , ...
    Ich werde meine Wunschliste wohl mal aktualisieren müssen. Abgesehen von den anderen Büchern Ngũgĩs, die ich mir näher ansehen muss :rollen:


    Ein Vorhaben, das ich vorbehaltlos und in vollem Umfang unterstütze :zwinker:



    Interessant finde ich übrigens die ständige Verbindung die zwischen der fiktiven Republik Aburĩria und Indien gezogen wird. Nicht nur was die Rolle der Frau betrifft, sondern auch was die Ausbildung des "Herren der Krähen" betrifft, der ja einige Zeit in Indien verbracht hat. Stehen sich Kenia (die Vorlage) und Indien wirklich so nahe?


    Der Indische Ozean ist schon ein ausgebildeter Wirtschaftsraum gewesen, bevor die Portugiesen überhaupt ihre Nase hineingesteckt haben. Die Verbindungen zwischen Indien, der Arabischen Halbinsel und der ostafrikanischen Küste waren eng, fast jedes ostafrikanische Land hat eine indische Minderheit, die im Geschäftsleben nicht unwichtig ist. Das ging soweit, daß Idi Amin in Uganda sich mit der Vetreibung der Inder bei seinen Landsleuten, durchaus mit einigem Erfolg, beliebt zu machen suchte. Es ist tatsächlich nicht aus der Luft gegriffen, daß Kamĩtĩ in Indien ausgebildet wurde.



    Ich habe leider keine echte Ahnung von Kenias Geschichte und ein Abstecher zur Wikipedia hat mich auch nicht eindeutig weitergebracht... In wie weit stimmt denn die Schilderung von der Machtergreifung des Herrschers (S.297) mit der echten Geschichte Kenias und vermutlich Jomo Kenyatta überein - so ganz passend scheint es mir nicht zu sein, oder hat der Autor da vielleicht diverse afrikanische Länder vermischt?


    Eher wird hier auf den zweiten Präsidenten Daniel arap Moi angespielt, aber Ngũgĩ ging es, wie ich in einem Interview mal gehört habe, gar nicht um einen konkreten Diktator, sondern um die Quintessenz des Diktatoren, daher sind hier durchaus verschiedene Figuren mehr oder weniger verfremdet eingeflossen. Zu sehr auf ein Vorbild sollte man das ganze nicht zu beziehen versuchen.

  • Der Herrscher der Freien Republik Aburĩria läßt sich von seinem Volk ein Geburtstagsgeschenk machen: die Pläne für ein gigantisches Bauwerk, das der Welt beweisen soll, daß Afrikaner schaffen, was beim Turmbau zu Babel noch scheiterte. Zwar hätte das Volk selbst stattdessen lieber eine bessere Versorgung seiner selbst, aber schon bald bilden sich vor dem Büro der Baufirma lange Schlangen. Die einen hoffen auf einen Job bei dem Bauprojekt, die anderen auf ein gutes Geschäft als Subunternehmer. Während der Herrscher, seine Minister und Hofschranzen das Projekt verfolgen und dafür vor allem auch versuchen, die Global Bank an der Finanzierung zu beteiligen, breitet sich im Land eine Protestbewegung aus, deren Erkennungszeichen beim Ausnutzen der Warteschlangen„epidemie“ Plastikschlangen sind. Kamĩtĩ, einer von vielen arbeitslosen jungen Leuten in Eldares, muß bei einer Demonstration vor der Polizei fliehen und lernt so Nyawĩra kennen, die mit dieser Oppositionsbewegung in Verbindung steht. Um ihren Verfolger abzuschütteln, greift Kamĩtĩ auf eines seiner Kinderspiele zurück und macht dem Polizisten weis, er sei ein mächtiger Zauberer und Heiler, der Herr der Krähen. Schon bald verbreitet sich der Ruhm des Herrn der Krähen, aber damit werden Kamĩtĩ und Nyawĩra, die diese Rolle gemeinsam übernehmen, auch zu einem Machtfaktor, den man in höheren Kreisen beachtet. Eine rätselhafte Krankheit, die schließlich auch den Herrscher befällt, Hofintrigen, eine widerstrebende Global Bank und eine selbstbewußter werdende Oppositionsbewegung bringen „Seine Allmächtige Vortrefflichkeit“ in arge Schwierigkeiten ...


    Ngũgĩ wa Thiong'o hat hier sein opus magnus abgeliefert, das zudem von Thomas Brückner gewohnt souverän übersetzt wurde. Auch wenn an vielen Stellen die Bezüge zum Kenia Daniel arap Mois unverkennbar sind, so haben doch noch eine ganze Reihe weiterer, nicht nur afrikanischer Herrscher und Diktatoren hier Pate gestanden. Und Ngũgĩ gelingt es wunderbar, diese Spezies, einschließlich der sie umgebenden Speichellecker, lächerlich zu machen – auch wenn einem das Lachen manches Mal im Halse steckenzubleiben droht. Der ganze Roman wird von einem ironischen Grundton getragen, der auch vor den „Guten“ nicht völlig halt macht, denn schließlich haben auch diese ihre Schwächen. Aber natürlich bekommen der Herrscher und sein Hofstaat, der Chef der Baufirma usw. deutlich mehr Spott ab. Ich hatte anfänglich etwas Bedenken, ob dieser Tonfall tatsächlich über fast 1000 Seiten tragen würde, aber Ngũgĩ gelingt es durch die Perspektivwechsel und Seitenlinien der Erzählung immer wieder, den Leser hier mitzunehmen, ohne diesen sich im Geflecht der Personen und Handlungsstränge verirren zu lassen. Ein wesentlicher Aspekt der Geschichte ist der Glaube an Magie und Zauberei, als Leser sollte man sich einfach darauf einlassen, um sich des daraus resultierenden erzählerischen Vergnügens nicht zu berauben. Eine wunderbare Satire, die nicht nur viel über Afrika und seine Herrscher, sondern auch über Diktatoren allgemein, das internationale Finanzwesen und die doppelbödige Politik des „Westens“ diesen Ländern gegenüber zu sagen hat.



    5ratten + :tipp:


    Schönen Gruß
    Aldawen

    Einmal editiert, zuletzt von Aldawen ()

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    Ich habe immer noch kein abschließendes Urteil zu „Herr der Krähen“ abgegeben und das ist eigentlich eine Schande, der Roman hat mir nämlich ausnehmend gut gefallen. Eigentlich habe ich nur einen Kritikpunkt und der ist rein äußerlich, das Buch ist nämlich ein regelrechter Backstein, der sich praktisch unmöglich bequem lesen lässt. Im Januar soll die Taschenbuchausgabe (siehe oben) erscheinen, vom Gewicht her würde die empfehlen. Eine andere Variante wäre das E-Book, das hat meiner Meinung nach aber einen entscheidenden Nachteil, es fehlt das hervorragende Lesezeichen meiner Ausgabe, auf dem die wichtigsten Personen aufgeführt sind, so muss man nicht jedes Mal zu einem Personenverzeichnis vor- oder zurückblättern.


    Genug von den Äußerlichkeiten, mich hat ja schließlich der Inhalt begeistert bzw. der Stil des Autors. Er schafft es tatsächlich über 1000 Seiten hindurch den gleichen, immer leicht ironischen Tonfall beizubehalten und sich über alles und jeden lustig zu machen. Den Guten gegenüber mit einem freundlichen Lächeln, den Bösen gegenüber hingegen mit ätzendem Unterton. Die Leichtigkeit mit der er alles betrachtet, jagt einem dabei durchaus manchmal einen Schauder über den Rücken, wenn er beispielsweise von Folterung spricht und es fast schon nach gemütlichem Beisammensein mit Suppe, Braten, Dessert klingt: ein paar Elektroschocks oder Schläge dazu und zwischendurch ein paar Fragen…


    „Herr der Krähen“ ist ein afrikanischer Schelmenroman, den ich nur vorbehaltlos empfehlen kann und der nächste Roman des Autors ist bereits auf meinem Wunschzettel gelandet.


    5ratten