Kylie Fitzpatrick - Am Horizont das rote Land

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  • Nachdem das Tuchgeschäft ihres Vaters Konkurs anmelden musste, reist Rhia Mahoney im Jahr 1840 von Dublin nach London, um sich dort Arbeit zu suchen. Als ihr Onkel Ryan stirbt, stellt Rhia Nachforschungen über seinen angeblichen Suizid an - und findet sich plötzlich, unschuldig wegen Diebstahls verurteilt, auf einem Gefangenenschiff in die britische Strafkolonie Australien wieder. Und Ryan wird nicht der einzige Tote bleiben...


    „Am Horizont das rote Land“ hat mir sehr gut gefallen. Trotz einiger Kritikpunkte:


    Mit dem ersten Teil der Geschichte hatte ich kleine Schwierigkeiten: ich hätte Rhia nie für 28 gehalten, sie wird zu kindlich geschildert. Weiterhin hätten hier und da Kürzungen nicht geschadet; manchmal erzählt Fitzpatrick zu ausführlich und es dauert, bis die eigentliche Geschichte beginnt. Die übersinnlichen Einsprengsel in dem Buch hätte es meiner Meinung nach nicht gebraucht, der Plot fasziniert auch so, allerdings haben sie mich nicht übermäßig gestört.


    Ist die Handlung erst einmal ins Rollen gekommen, wird es hochspannend: durch Andeutungen und durch verschiedene Handlungsstränge, die zuerst verwirren, dann aber logisch zusammengeführt werden. Fitzpatrick versteht es, Spannung nicht auf Kosten der Sprache zu erzeugen. Bildreich, fast lyrisch wird erzählt; was mich schon in der Leseprobe begeistert hatte, zieht sich durch das ganze Buch.


    Auch die Nebenfiguren sind interessant gestaltet: ob es die Quäkerin Mrs. Blake ist oder der Journalist Mr. Dillon, Rhias Mitgefangene oder die vielen anderen, sie erscheinen alle lebensecht und passen zum historischen Hintergrund.


    Zum Glück ist „Am Horizont das rote Land“ kein Liebesroman. Die Liebe spielt zwar eine gewisse Rolle in dem Buch, mehr aber ist es ein Entwicklungsroman:


    Rhia wird durch ihre abenteuerlichen Erfahrungen von einem Mädchen, das nur weiß, was es _nicht_ will, zu einer selbstbewußten Frau. Doch dabei ist sie kein Klischee: sie hat ihre Ängste und ihre Zweifel. Aber zugleich eine eigene Meinung, die sie meist herrlich „undamenhaft“ kundtut. Eine Heldin ganz nach meinem Geschmack.


    Und natürlich ist es auch eine fesselnde Kriminalgeschichte, deren Auflösung mich sehr überrascht hat.


    Das Cover finde ich wunderbar, nicht so gelungen hingegen die Übersetzung des Titels: der Originaltitel „The Silver Thread“ passt viel beser zu dem Buch, nicht nur, weil die Kapitel nach Stoffarten benannt sind, sondern auch als Symbol.


    Alles in allem ist „Am Horizont das rote Land“ ein herrlicher Schmöker (nicht nur) für kalte Wintertage. Nach dem Lesen der letzten Zeilen saß ich mit einem zufriedenen Lächeln auf meinem Lesesessel.


    4ratten

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    (Mein erstes vorablesen-Buch nach meiner Pause. :breitgrins:)

  • Inhalt


    Rhia Mahoney muss miterleben, wie der Textilbetrieb ihres Vaters, „Mahoney Linen“, in Flammen aufgeht und damit auch die wirtschaftliche Grundlage für den Reichtum ihrer Familie in Schutt und Asche liegt. Rhia, die sehr stark verankert ist in der keltischen Sagenwelt, reist von Irland nach London, um eine Stellung als Gouvernante zu suchen. Ihr Onkel Ryan bringt unter bei seiner Bekannten, Antonia Blake, die kürzlich ihren Mann verloren hat. Antonia ist Quäkerin und engagiert sich bei den Damen des Convict Ship Committees, das von Elizabeth Fry gegründet wurde als Folge der Gefängnisreform. Sie wohnt zusammen mit dem Cousin ihres Mannes, der Porträts erstellt mit Hilfe der neuen Technik der fotogenen Zeichnung.


    Kurz nach Rhias Ankunft in London findet man ihren Onkel Ryan tot in seinem Lagerhaus. Es handelt sich augenscheinlich um einen Selbstmord, aber es fällt Rhia sehr schwer, das zu akzeptieren. Ein befreundeter Journalist beginnt Fragen zu stellen, während Rhia beruflich Fuß fasst. Sie ist eine begabte Zeichnerin und hofft, einige Entwürfe an den Seidenhändler Montgomery verkaufen zu können. Dieser scheint ernsthaft interessiert zu sein und stellt Rhia vorerst als Verkäuferin in seinem Ladengeschäft ein.


    Schon bald wird Rhia von einem neuen Schicksalsschlag getroffen. Sie wird verdächtigt ein wertvolles Stück Stoff im Hause ihres Arbeitgebers entwendet zu haben und wird verurteilt. Sie soll für 7 Jahre nach Australien deportiert werden. Ihrer Freundin Antonia Blake gelingt es nicht, rechtzeitig Berufung einzulegen, so dass Rhia mit dem Gefangenenschiff „Rajah“ in Richtung Sydney ausläuft. Das Convict Ship Committee der Quäker engagiert sich sehr für die gefangenen Frauen und versorgt sie mit Stoffresten und Nähzeug, damit sie auf der Reise Quilts für den Verkauf anfertigen können. Dadurch können sie sich etwas Geld verdienen und durch die Näharbeit haben die Frauen eine Aufgabe, was sich beruhigend auf ihr Gemüt auswirkt.


    Auf der „Rajah“ beschließen die Frauen einen besonders schönen Quilt anzufertigen und ihn den Quäkerfrauen als Zeichen ihrer Dankbarkeit zu schenken. Dabei handelt es sich um den „Rajah Quilt“, die einzige noch erhaltene Arbeit der Gefangenenschiffe, der in der National Gallery of Australia in Canberra aufbewahrt wird.


    Die 10 Monate lange Überfahrt auf der „Rajah“ bildet das Herzstück des Buches und ist so ausführlich und anschaulich beschrieben, dass ich selber manchmal das Gefühl hatte, der Boden schwankte unter meinen Füßen.


    In Australien wird Rhia erwartet von Michael Kelly einem Mann aus ihrem Dorf in Irland, der seine siebenjährige Strafe abgeleistet hat und inzwischen frei ist, nach Hause zu reisen. Er betreibt eine geheime Druckerei und ist über viele Vorkommnisse im Hafen von Sydney bestens informiert. Es gelingt ihm, ein Komplott aufzudecken, an dem hoch angesehene Londoner Geschäftsleute beteiligt waren und das letztendlich dazu geführt hatte, dass Rhia aus London verschwinden musste.



    Meine Meinung


    Die Handlung wird langsam und sorgfältig aufgebaut und durch die abwechslungsreichen Beschreibungen der Orte und des Textilhandels, der beginnenden Industrialisierung, die die Handweber in Irland in ihrer Existenz bedrohen und nicht zuletzt der Technik der Kalotypie, einer Urform der heutigen Fotografie, wird die Spannung immer hoch gehalten. Sehr interessant sind auch die politischen Aspekte um den Opiumhandel, den England zwischen Indien und China betrieb.


    Das Buch besteht aus drei größeren Teilen, die wiederum in zahlreiche kürzere Kapitel unterteilt sind. Die Kapitelüberschriften tragen jeweils die Namen von Stoffarten, Farben oder Mustern, die im betreffenden Kapitel eine Rolle spielen. Ich wusste nicht, dass es für so viele Mischgewebe eigene Namen gibt.


    Vom Inhalt und von der Schreibweise her, hat mir das Buch ausgesprochen gut gefallen. Der Schreibstil ist flüssig. Die Geschichte wird aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt, was für Abwechslung sorgt. Rhia fühlt sich eng verbunden mit ihrer verstorbenen Großmutter, der sie Briefe in Form eines Tagebuches schreibt, was den Leser direkt in die Gedanken und Gefühlswelt von Rhia schauen lässt.


    In der deutschen Übersetzung habe ich einige wenige Fehler gefunden. So richtig übel fand ich nur einen „das-dass“ Verwechsler auf S. 563.


    Nicht so ganz einverstanden bin ich mit der Art und Weise, wie der Ullstein Verlag das Werk präsentiert. Vom Titel und vom Klappentext her würde ich einen typischen Auswandererroman erwarten mit dem Schwergewicht Liebesroman in Australien. Das ist es aber ganz und gar nicht. Zwar kommt die Liebe immer wieder vor, aber als Liebesgeschichte kann man diesen Roman nicht bezeichnen. Wenn man ihn in ein Genre einteilen möchte, dann würde ich ihn am ehesten als historischen Krimi oder als historischen Reiseroman sehen. Australien ist zwar Ziel der Reise, kommt aber am Ende nur in vergleichsweise wenigen Kapiteln zum Zuge.
    So wenig wie der Klappentext passt das Cover. Wir sehen eine junge Frau mit langem Haar in grünem Kleid mit Spaghettiträgern vor einem Sonnenuntergang. In der linken oberen Ecke ragt der für das Genre „Love&Landscape“ inzwischen typische Zweig ins Bild. Diesmal handelt es sich um eine braune Beere mit per Photoshop zusammengefügten Blättern, bei denen die Blattstiele nicht stimmen. Der Kleidungsstil der Dame passt überhaupt nicht ins Jahr 1840 und das würde ich bei einem Buch, das zum Großteil von der Geschichte der Textilindustrie handelt, doch erwarten. Ich finde die unglückliche Titelwahl ganz besonders schade, weil sich angesichts der Träume, die die Frauen in die wunderbar farbenfrohen Quilts genäht haben, bestimmt passende Titel gefunden hätten. Kaum ein Thema hat unsere Sprache mit soviel Vergleichen durchdrungen, wie Stoffe, Fäden, Stiche, verwebte Garne, versponnene Stränge und vieles mehr.



    Mein Fazit


    Das Buch – also der reine Inhalt zwischen den Buchdeckeln – erhält von mir 5 Sterne. Für die wenig geglückte Aufmachung müsste ich eigentlich Sterne abziehen. Aber ich denke, dieses wunderbare Buch hat es so schon schwer genug, aus der Menge an Love & Landscape Romanen heraus zu stechen. Es ist kein schnell zu lesendes Buch, noch handelt es von einem weltbewegenden Kapitel der Geschichte, aber wenn man sich darauf einlässt, kann es einem viel Freude bereiten.



    5ratten

    Einmal editiert, zuletzt von allegra ()

  • Inhaltlich klingt das wirklich toll, danke für die ausführliche Rezi!


    Den Titel finde ich übrigens auch gruselig, noch viel schlimmer als das zugegebenermaßen liebesromanige Cover.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen