Beiträge von Valentine

    Es ist kein typischer historischer Roman, es gibt keine HeldInnen und keine großen Ereignisse, aber gerade der Realismus und die kleinen Details dieses Romans machen ihn so lesenswert.

    Ich lese gerade "Matrix" von Lauren Groff und es geht mir ganz ähnlich damit. Ich mag es ja, wenn historische Geschichten mal in untypischer Weise erzählt werden.

    Im Jahr 1885 macht sich Colonel Allen Forrester im Auftrag der US Army mit zwei Mitstreitern auf, um die Wildnis von Alaska zu erkunden und zu kartieren. Er soll unter anderem herausfinden, wann und wie gut die Flüsse befahrbar sind und wo die Ureinwohner zu Hause sind, damit man nötigenfalls zum Kampf gegen die Indigenen gerüstet ist.


    Geplant war auch, dass Forresters frisch angetraute Ehefrau Sophie die Gruppe zumindest ein Stück weit begleitet, doch aufgrund unvorhergesehener Umstände muss sie auf einem Militärstützpunkt in Washington State zurückbleiben und dort, wo sie niemanden wirklich kennt, warten und hoffen, dass ihr Gatte wohlbehalten von seiner gefahrvollen Mission zurückkehrt.


    Allen und seine Wegbegleiter kommen indessen oft mehr schlecht als recht voran in den eisigen Weiten Alaskas. Unüberwindlich scheinende Flüsse, gefährliche Tiere, Kälte und Hunger bedrohen permanent das kleine Grüppchen, und auch die Einheimischen sind nicht immer begeistert von diesen Eindringlingen aus dem Süden. Mehr als einmal scheint es unmöglich, dass sie jemals ihr Ziel, St. Michael an der Beringstraße, erreichen werden, und manchmal scheinen auch die Grenzen zwischen der Realität und einer seltsamen Legendenwelt zu verschwimmen.


    Allen und Sophie leiden überdies beide unter der langen Trennung und der quälend langsamen Kommunikation, Sophie macht zusätzlich die Einsamkeit zu schaffen, die sie in der Garnison empfindet. Unter den anderen Offiziersgattinnen, deren Lebensinhalt vorwiegend aus Klatsch und Kaffeekränzchen zu bestehen scheint, fühlt sich die freigeistige Sophie überhaupt nicht wohl und widmet sich, zu deren völligem Unverständnis, immer mehr ihren Leidenschaften, der Vogelbeobachtung und der Fotografie.


    Die Geschichte der Expedition erfahren wir aus Allens regelmäßigen Tagebucheinträgen, in denen er unsentimental und minutiös das Vorankommen und die Erlebnisse der Gruppe festhält. Parallel erleben wir auch Sophies Perspektive, wobei es schön mit anzusehen ist, wie sie sich immer mehr von den engstirnigen Konventionen freischwimmt und auf ihre ureigene leise, unauffällige, aber beharrliche und auf stille Weise unkonventionelle Art lernt, ihr eigenes Ding zu machen.


    Eingebettet sind die Geschehnisse von 1885 in eine Rahmenhandlung, in der ein entfernter Verwandter von Allen Forrester in der Gegenwart Kontakt zu einem Museumskurator in Alaska aufnimmt, weil er dem Museum einige von Forrester geerbte Artefakte schenken möchte. Die Korrespondenz zwischen Walt Forrester und dem Kurator ist immer wieder zwischendurch eingestreut und lockert die Erzählstruktur angenehm auf, ebenso kleine Illustrationen oder Fotos, die der Handlung eine besondere Authentizität verliehen. Ich war fast ein wenig enttäuscht, im Nachwort zu lesen, dass Allen und Sophie doch "nur" erfunden sind, so sehr haben mich beide Handlungsstränge gefesselt und fasziniert.


    Der kleine Touch des Übersinnlichen oder Legendenhaften hat mich wie schon bei Iveys Erstling "Das Schneemädchen" gar nicht gestört, obwohl ich so etwas in realistischen Romanen eigentlich nicht mag. Irgendwie passte es zu diesem ein wenig mystischen und undurchschaubaren Schauplatz, und man kann sich selbst seinen Teil darüber denken, was es mit den seltsamen Gestalten auf sich hat, denen Allen und seine Begleiter begegnen.


    Gefallen hat mir auch die Darstellung der indigenen Figuren, die weder mythisch überhöht noch karikiert werden, und dass die weißen Kundschafter und Eroberer nicht zu Helden stilisiert werden. Die Brutalität und Sinnlosigkeit der Kämpfe gegen die Indianer, wie sie damals noch genannt wurden, wird auch immer wieder thematisiert.


    Und was ich noch lobend erwähnen möchte: die hervorragende Übersetzung von Claudia Arlinghaus und Martina Tichy, die genau den richtigen Tonfall und die perfekten, oft ein wenig altmodischen Worte für diese ungewöhnliche Geschichte finden, so dass man das Buch auch auf deutsch nicht nur lesen, sondern auch genießen kann.


    "Das Schneemädchen" hatte im Vergleich noch ein wenig mehr Zauber, aber auch dieses Buch aus Eowyn Ivey Feder hat mir sehr gut gefallen.


    4ratten

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    Cushla Lavery wohnt mit 24 noch im Elternhaus, kümmert sich um ihre alkoholabhängige Mutter und arbeitet als Lehrerin an einer der wenigen katholischen Schulen in Belfast. Die "Troubles" sind in vollem Gange, kaum ein Tag vergeht ohne Meldungen über Anschläge und Morde und schon die Siebenjährigen in Cushlas Klasse sprechen routiniert über Sprengstoffanschläge und Schlägertrupps. Im familieneigenen Pub der Laverys, den Cushlas Bruder Eamonn nach dem Tod des Vaters weiter betreibt, treffen sich allerdings Stammgäste aller Couleur, um (nicht nur) abends einen zu heben.


    Als Cushla wieder einmal in der Kneipe aushilft, trifft sie erstmals auf Michael Agnew und ist spontan fasziniert von diesem Mann. Wenig später sind die beiden ein Paar, wenn auch nur heimlich. Michael ist in fast allem das krasse Gegenteil von Cushla: ungefähr doppelt so alt wie sie, ein angesehener Anwalt, der in gehobenen Kreisen verkehrt, Protestant - und verheiratet. Dennoch entspinnt sich eine leidenschaftliche Affäre zwischen den beiden, wobei Cushla deutlich spürt, dass Michael am längeren Hebel sitzt. Manchmal hat sie das Gefühl, er ließe sie am ausgestreckten Arm verhungern, doch sie kann sich nicht von ihm lösen.


    Gleichzeitig bewegt sie die Geschichte ihres kleinen Schülers Davy, dessen Familie als einzige Katholiken in einer stramm protestantischen Nachbarschaft lebt und permanent ausgegrenzt, beleidigt und diskriminiert wird und Gewalt erfahren muss. Cushla würde so gerne helfen, doch ihre Möglichkeiten sind begrenzt in diesem Umfeld, in dem die Fronten so verhärtet und die Vorurteile auf beiden Seiten festgefahren sind.


    Dass die Liebesgeschichte kein gutes Ende nehmen wird, erfahren wir bereits auf den allerersten Seiten des Buches. Doch wie es zu diesem Ausgang kommt, wird erst nach und nach aufgedeckt. Nach dem kurzen Prolog im Jahre 2015 springen wir zurück in die 70er Jahre in Belfast, eine furchtbare Zeit voller Zwietracht und blutiger Auseinandersetzungen zwischen den verfeindeten Parteien, mit viel Enge in den Köpfen und rigiden Moralvorstellungen. Dass eine katholische Lehrerin mit einem verheirateten Protestanten schläft, ist auf allen möglichen Ebenen undenkbar und böte heftigen Zündstoff, wenn es publik würde.


    Und so muss Cushla mit ihren Zweifeln und ihrem Kummer wie auch mit ihren glücklichen Momenten alleine zurechtkommen, kann sich niemandem wirklich anvertrauen und leidet gleichermaßen unter ihren eigenen Problemen wie unter der Gesamtsituation im Land.


    Auf den ersten Blick geschieht nur wenig Spektakuläres in diesem Buch und vieles wirkt wie ganz normaler, wenn auch belastender Alltag, aber dahinter ist die ständige Bedrohung und Belastung durch die explosive politische Lage sehr deutlich spürbar und vieles scheinbar Banale erhält dadurch eine ganz andere Färbung. Louise Kennedy schreibt gleichzeitig nüchtern und eindringlich und nimmt uns hautnah mit ins Nordirland der 70er, wo alles ideologisch aufgeladen und politisch ist. Gerade Menschen, die sich nicht hundertprozentig in die eine oder andere Schublade einsortieren lassen, haben es schwer, niemand kann einfach nur sein Leben nach seinen eigenen Vorstellungen leben und alles kann zur potentiell tödlichen Falle werden.


    Trotz alledem habe ich das Buch sehr gerne gelesen. Es entwickelt einen ganz eigenen Sog und ist nicht nur die Geschichte von Cushlas persönlicher Entwicklung, sondern auch ein eindrucksvolles Gesellschaftsporträt mit gelungenen Spannungselementen. Was ich etwas schwierig fand, war die wörtliche Rede ohne Anführungszeichen, das hat mich ab und an etwas verwirrt. Das ist aber auch mein einziger Kritikpunkt an diesem ansonsten sehr mitreißenden Roman aus einer düster-bewegten Zeit.


    4ratten

    Wie witzig - von Agnes Prus hatte ich bis zum Wochenende noch nichts gehört, aber dann habe ich zuerst in einer Ausgabe der "Flow" ein Rezept von ihr gelesen und dann die Rezi hier gesehen :)


    Das Buch klingt gut, danke für den Tip.

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    Rachel Carson ist heute wohl am bekanntesten als Pionierin des Umweltschutzes und als Verfasserin von "Der stumme Frühling", das schon 1962 vor den üblen Auswirkungen von Pestiziden gewarnt hat. Die größte Leidenschaft der Biologin galt allerdings dem Ökosystem Meer, dem sie sich in mehreren Büchern gewidmet hat. Leider habe ich von diesem Buch hier keine aktuelle deutsche Ausgabe zum Verlinken gefunden.


    Das Original wird aber glücklicherweise nach wie vor aufgelegt und ist auch fast 70 Jahre nach Erscheinen noch äußerst lesenswert. Der Titel "The Edge of the Sea" ist Programm. Rachel Carson widmet sich hier den verschiedenen Küstenformen und den damit verbundenen Lebensräumen entlang der US-amerikanischen Ostküste: Felsküsten im Norden, die südlich anschließenden Sandstrände und schließlich die Korallenriffe, die die Meereslandschaft der Florida Keys ausmachen. Mit viel Liebe zum Detail beschreibt sie die geologische Entstehung der Landschaften, das ewige Auf und Ab der Gezeiten und die von Ebbe und Flut geprägten Lebensräume zwischen Land und Meer mit all ihren faszinierenden Bewohnern. Mit Krabben, Korallen und Muscheln rechnet man natürlich, aber mindestens genauso interessant fand ich all die Schnecken, Würmer, Schwämme, Algen und andere Wasserpflanzen, die über die verrücktesten Eigenschaften und Anpassungen verfügen.


    Man spürt in jeder Zeile, wie hingerissen Rachel Carson von den Gezeitenzonen und ihren Bewohnern ist, die sie immer wieder auch selbst erforscht. Sie schreibt sehr lebendig und manchmal schon fast etwas poetisch, ohne aber schwülstig zu werden, und vermittelt dabei eine Unmenge an Wissen. Aufgrund der hohen Faktendichte habe ich für das nicht allzu dicke Buch dann auch recht lange gebraucht, was aber gar nicht negativ gemeint ist. Beim nächsten Abstecher ans Meer werde ich noch viel genauer hinschauen, was bei Ebbe am Strand los ist oder was sich alles in den kleinen Tümpeln tummelt, die beim Ablaufen der Flut auf den Felsen zurückbleiben.


    Meine Ausgabe ist ergänzt durch ein informatives Vorwort und viele wunderschöne, detaillierte Zeichnungen von Bob Hines, so dass man sich die beschriebenen Lebewesen besser vorstellen kann. Eine ganz dicke Empfehlung für Meeresliebhaber und alle, die Nature Writing mögen.


    5ratten

    Auf den ersten Blick hätte ich behauptet, dass mich das Buch nicht reizt, aber so wie Du es beschreibst, klingt es gar nicht übel. Wirklich ein bisschen wie Stephen King, den ich ja gerne mag, und dann auch noch mit Nostalgiefaktor. Also ab auf die Wunschliste damit!