Alice Schwarzer - Lebenslauf

Es gibt 142 Antworten in diesem Thema, welches 23.655 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Tammy1982.

  • Ich bin grad schon ein bissl entsetzt das hier Steuerhinterziehung so "positiv" gesehen wird...


    Was willst Du? Ich bin Schweizer. Für uns ist Steuerhinterziehung nach wie vor nur eine Übertretung, eine «strafbare Handlung geringfügiger Art» dar, die durch «Auferlegung einer Busse» sanktioniert wird.


    Aber im Ernst: Wenn Schwarzer oder Hoeneß aus Geldgier ihren Opa oder ihre Oma um die Ecke gebracht hätten - das wär' was anderes. Aber der Meinung zu sein, sein eigenes, mehr oder weniger sauer verdientes Geld mehr zu benötigen und besser brauchen zu können als der Staat, der damit eh nur Quatsch anbaut und den Beamtenapparat aufbläht ...


    Hat, nachdem Schwarzer und Hoeneß ihre Strafsteuern und Bussen bezahlt haben, irgendein Normal-Versteuerer auch nur einen Cent Rückerstattung mehr bekommen, weil der Staat ja nun plötzlich zu viel Geld hatte? Ich denke nicht. Das versinkt im schwarzen Loch des Staatsapparats wie nix. Und deshalb kann ich die Steuer-Optimierer schon verstehen ...

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Endlich habe ich "Lebenslauf" auch gelesen. Es ist leicht, in Alice Schwarzers Leben einzutauchen, denn sie erzählt in leichtem Plauderton, als säße man ihr persönlich gegenüber. Ihr Bericht beginnt bei ihrer Großmutter und Mutter, die auch nicht so ganz in das damalige Bild der Frau passten. Besonders ihre Mutter scherte sich wenig um Konventionen. Hätte sie mehr Mut und vor allem die Möglichkeiten gehabt, wäre Schwarzer vielleicht nicht die erste echte Feministin der Familie gewesen. Im Verlauf des Buches erkennt man, dass sie ihre Überzeugung wirklich lebt, denn sie ist rund um die Uhr mit ihrer Leidenschaft beschäftigt. Für sie ist es kein Beruf, sondern eine Berufung. Man erfährt auch viel über die private Alice Schwarzer, doch ihre Arbeit steht immer im Vordergrund.


    Wirklich geplant war ihre Laufbahn nicht; vielmehr rutschte sie allmählich hinein, weil der Weg einfach kein anderer sein konnte. Natürlich brachte sie viel Selbstbewusstsein und Durchsetzungsvermögen mit, aber hin und wieder ist es doch erstaunlich, wie ihr einige Positionen förmlich in den Schoß fielen. Erst später, als sie sich in der Journalistenbranche langsam einen Namen macht – man könnte auch sagen, einen gewissen Ruf erwirbt – wird es schwerer, ersehnte Posten zu erreichen. Doch für sie ist das kein Grund, zurückzustecken. Sie setzt sich für Frauen ein, deckt unangenehme Tatsachen auf und eckt damit sogar bei manchen liberalen Frauenvereinigungen an. Aus mancher wichtigen Bekanntschaft ergeben sich neue wertvolle Kontakte, die sie bei ihrem öffentlichen Einsatz unterstützen. Mit ihrer Hilfe, aber oft genug alleine kämpfte sie für die Rechte von Frauen, allem voran das Recht auf Abtreibung, und versuchte, den Frauen selbst auch die Augen zu öffnen und um Gleichstellung in einer von Männern dominierten Welt zu kämpfen. Mit den Anfängen der EMMA endet die Biografie von Alice Schwarzer. Im Grunde ist das kein schlechter Zeitpunkt, denn ihre weiteren Aktivitäten und Herzensthemen kann man in der Zeitschrift weiter verfolgen.


    Man mag über Alice Schwarzer schimpfen, weil man selbst anderer Meinung ist, aber es bleibt unbestritten, dass sie viel für Frauen erreicht hat und sich immer noch für sie einsetzt, wobei ihre Zeitschrift natürlich eine ausgezeichnete Plattform ist. Mit ihrer Steuerhinterziehungsaffäre gibt sie kein gutes Vorbild ab, aber sie hat zum Teil schon vor Jahrzehnten konkrete Änderungen gefordert, die inzwischen gesellschaftlich und politisch tatsächlich umgesetzt wurden, eben weil sie die Dinge erst publik machte. Das sollte man nicht vergessen.


    Zwischenzeitlich habe ich im Internet noch einige Kommentare über Alice Schwarzer gelesen und finde es bezeichnend, dass die meisten KritikerInnen offensichtlich wenig über Schwarzer wissen und sich trotzdem anmaßen, ein negatives Urteil zu fällen. Oft genug werden nur Vorurteile oder Gerüchte geschürt und als Wahrheit präsentiert.


    Über manche Kritik kann man nur den Kopf schütteln. Es ist fast schon verständlich, dass sich Menschen aufregen, wenn sie ihre Privilegien schwinden sehen, weil eine Frau (ausgerechnet!) öffentlich Missstände anprangert oder sich als Sprachrohr für diejenigen betätigt, die keine Lobby haben. Da wird nicht mehr sachlich begründet, sondern wegen der äußeren Erscheinung oder sexuellen Orientierung verrissen. Solchen Zeitgenossen kann ich nur empfehlen, sich erst einmal richtig schlau zu machen, bevor sie solch unqualifiziertes Gefasel von sich geben.

    4ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:

  • Hallo Doris,


    tolle Rezi! :klatschen: Gerade dein letzter Absatz bringt die Dinge richtig gut auf den Punkt. Beim Umgang mit Alice Schwarzer haben die meisten, die über sie schimpfen keine wirkliche Ahnung von ihr und es stimmt auch, dass bei vielen ihrer Themen einfach nicht mehr sachlich argumentiert wird, sondern sich die Leute angegriffen fühlen bzw. Angst haben und dann sehr unsachlich werden.


    Freut mich, dass dir das Buch auch so gut gefallen hat!


    Liebe Grüße
    Tammy :winken:

    &WCF_AMPERSAND"Jeder der sich die Fähigkeit erhält, Schönheit zu erkennen, wird nie alt werden.&WCF_AMPERSAND" (Franz Kafka)