Jennifer duBois - Das Leben ist groß

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  • Das Leben ist groß

    Handlung in Kurzform:
    Alexander ist russischer Schachweltmeister, Irina Dozentin an einer amerikanischen Universität.
    Eigentlich haben die beiden nichts gemeinsam und dennoch kreuzen sich ihre Lebenswege.
    Alexanders Geschichte beginnt 1980, als er seine Ausbildung an der Schachakademie in St. Petersburg beginnt, und der Leser verfolgt seinen Werdegang mit Unterbrechungen bis 2006, als er verheiratet ist und für das Amt des Präsidenten gegen Putin kandidiert.
    Parallel dazu gibt es Irinas Geschichte. Im Alter von 22 erfährt sie, dass sie an Chorea Huntington leidet, derselben Krankheit, an der ihr Vater starb. Und ihr Vater ist es auch, durch den die Verbindung zu Alexander zustande kommt, denn zu Beginn von Alexanders Karriere schrieb er diesem einen Brief, auf den er allerdings nie eine Antwort erhielt. Nun macht sich Irina im Alter von 30 auf nach Russland, um Alexander zu suchen und endlich die Antwort einzufordern. Sie trifft ihn, beginnt, für ihn zu arbeiten und die Krankheit bricht aus...


    Zentrale Frage ist, ob es sich im Angesicht der Niederlage lohnt, weiter zu kämpfen. Diese Frage stellte einst Irinas Vater Alexander in seinem Brief, den dieser jedoch nie las. Gleichzeitig müssen sowohl Irina, die von ihrer Krankheit weiß und deren Verlauf kennt, als auch Alexander, der weiß, dass er die Präsidentenwahl nicht gewinnen wird und Angst vor Anschlägen hat, sich genau dieser Frage täglich stellen.

    Die beiden Erzählstränge wechseln sich Kapitel für Kapitel ab – wie die Kontrahenten beim Schachspiel mit ihren Zügen (es gibt auch noch mehr Analogien zum Schach) -, im zweiten Teil des Romans laufen sie dann zusammen, wenn die beiden Protagonisten aufeinandertreffen.
    Und auch wenn sich die Handlung weitgehend auf die beiden Protagonisten konzentriert, findet man
    dennoch interessante weitere Charaktere (z.B. Lars, mit dem Irina in den USA Schach spielte).

    Zuerst hatte ich Bedenken, weil das Thema zwar interessant klang, aber mich doch nicht so ansprach, aber ich wollte das Buch dennoch mal anlesen, um zu sehen, ob es mir gefällt. Und darüber bin ich froh, denn ich habe gleich in die Handlung gefunden und musste weiterlesen, weil ich wissen wollte, wie es zum Aufeinandertreffen der beiden kommt.


    „Das Leben ist groß“ ist ein tolles Buch und Jennifer duBois konnte mich mit ihrer klaren Sprache überzeugen. Trotz der durchweg traurigen Grundstimmung (nicht nur die Protagonisten sind ständig mit Aussichtslosigkeit konfrontiert, sondern auch viele der Menschen, mit denen sie zu tun haben) ist die Lektüre durchaus unterhaltsam und keineswegs nur deprimierend.


    Ein Buch, das mich sehr überrascht und schnell überzeugt hat
    Leseempfehlung!


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  • INHALT
    „Leningrad in den frühen 80er Jahren: Das Schachwunderkind Alexander Besetow gibt seine Ideale zugunsten des Luxus auf, den die Kommunisten ihm bieten. Cambridge, Massachusetts im Jahr 2006: Bei der jungen Dozentin Irina Ellison wird Chorea Huntington diagnostiziert eine Krankheit, die schon ihrem Vater den Verstand geraubt hat. Vor seinem Tod hat er dem Schachweltmeister Alexander Besetow eine alles entscheidende Frage gestellt: Wie kann man weitermachen, wenn die Niederlage nicht abwendbar ist? Um die Antwort zu erhalten, reist Irina zu Alexander. Dieser hat sich ebenfalls einer aussichtslosen Sache verschrieben: Er tritt bei den Wahlen gegen den russischen Präsidenten an. Irina unterstützt ihn dabei und sucht mit ihm die lebenswichtige Antwort auf die Frage: Wie weiterleben, wenn die Niederlage unausweichlich ist?“ (Klappentext Verlag)


    MEINE MEINUNG
    In dem Debütroman der jungen amerikanischen Autorin Jennifer DuBois begegnen sich zwei Menschen, die nicht unterschiedlicher sein könnten, die Amerikanerin Irina und der Russe Alexander zu einem sehr bedeutsamen Moment in ihrem Leben. Beide verbindet eine Gemeinsamkeit, denn sie stehen einem aussichtslosen Kampf gegenüber, den sie nicht gewinnen können.
    Beide befinden sich aus unterschiedlichen Gründen in einem unlösbaren Konflikt, sie hängen an ihrem Leben, sind mit ihren derzeitigen Lebensumständen unglücklich und unzufrieden, sehen sich aber zugleich nicht in der Lage, ihr Schicksal zu positiv beeinflussen und zu verändern.
    Die fesselnden Lebensgeschichten der beiden Hauptfiguren ziehen den Leser schon bald in ihren Bann.
    Der ständige Wechsel der Erzählperspektiven bringt Spannung in die Erzählung und man fragt sich, wie und wann die beiden Erzählstränge aufeinandertreffen werden. Gleich einer Schachpartie geht es Zug um Zug, die Abschnitte berichten wechselnd von der Lebensgeschichte Alexanders und Irinas, mal aus der Vergangenheit in Russland und mal aus der Gegenwart in den USA. So bewegen sich die Episoden der beiden Protagonisten auch zeitlich und räumlich immer mehr aufeinander zu, bis es schließlich zu einem persönlichen Treffen der beiden im Jahre 2006 kommt. Die beiden Erzählstränge sind nun ineinander verwoben, die nachfolgende Handlung wird aber weiterhin aus den Perspektiven beider Protagonisten erzählt.
    Der Autorin ist eine herausragende, tiefgründige Charakterzeichnung ihrer sehr interessanten Hauptfiguren gelungen. Die vielschichtigen Charaktere sind unglaublich authentisch und einfühlsam bis in kleine Details beschrieben.
    Sehr bewegend und eindringlich wird uns Irinas Lebensgeschichte und ihr Schicksal aus der Ich-Perspektive beschrieben. Sie muss sich der Gewissheit stellen, schon kurz vor Ausbruch einer tödlich verlaufenden Erbkrankheit zu stehen, zudem einer Krankheit, die einen über Jahrzehnte schleichend um den Verstand und seine gesamte Persönlichkeit bringt. Sie muss sich mit der Frage auseinandersetzten, wie sie ihr künftiges Leben angesichts ihrer Krankheitsgeschichte gestalten soll. Die Autorin spricht hier eine sehr komplexe, hochinteressante Thematik, über die man als Leser lange Zeit nachdenken wird und auf die es keine generelle Antwort geben kann. Irinas Entscheidung alle persönlichen Brücken abzubrechen und nach Russland ins Ungewisse zu flüchten, empfinde ich als sehr radikal aber auch verständlich. Hervorragend schildert die Autorin die facettenreiche Gefühlswelt Irinas, ihre Melancholie und Niedergeschlagenheit, ihre Zerrissenheit und ihren wütenden Trotz. Auch in die zunehmend sarkastische und fatalistische Haltung konnte ich mich nur zu gut hineinversetzen.
    Zu Alexanders Lebensgeschichte, durchgängig in der 3. Person verfasst, konnte ich anfangs wenig Zugang finden, da mir sein Handeln und seine Gefühle fremd und sehr distanziert erschienen. Seine Entwicklung vom jungen hochbegabten Schachspieler zum politischen Dissidenten konnte ich durch seine beschriebene Passivität wenig nachvollziehen. Erst allmählich beginnt sich durch intensivere Einblicke in sein späteres Leben als Schachgenie der UdSSR die schillernde Persönlichkeit Alexanders eindrucksvoll zu entfalten. Die Darstellung der russischen Geschichte, der maroden Gesellschaft und korrupten Politik nach dem kalten Krieg fand ich äußerst gelungen und aufschlussreich, um Alexanders Wandel und sein politisches Engagement gegen die Putin-Ära zu verstehen. Auch wenn das Schachspiel Alexanders Leben geprägt hat und für ihn allgegenwärtig ist, nimmt es im Roman nur eine Nebenrolle ein. So nehmen nur wenige Schachpartien wie beispielsweise Alexanders Niederlage gegen den IBM-Computer, eine historisch verbürgte Partie, größeren Raum ein und werden detaillierter beschrieben.
    Spannend an Alexanders Geschichte ist zudem, dass die Autorin Bezug auf eine reale Person und historische Geschehnisse nimmt, denn der Schachweltmeister Kasparow führte ebenfalls einen völlig aussichtslosen Wahlkampf als Präsidentschaftskandidat gegen Putin.
    Nach dem eher unspektakulären ersten Zusammentreffen von Irina und Alexander, bei dem sie auf die Frage ihres Vaters erwartungsgemäß keine befriedigende Antwort erhält, entsteht zwischen den beiden eine besondere, sehr vertrauensvolle Beziehung. Diese zeigt sich in sehr einfühlsamen, tiefgründigen Gesprächen über ihre Ängste und Geheimnisse, die mir sehr gut gefallen haben. Beiden ist die Aussichtslosigkeit ihres Kampfes klar und dieser vergebliche Kampf macht sie zu Seelenverwandten.
    Leider läuft die verbleibende Handlung nach diesem vermeintlichen Höhepunkt des Aufeinandertreffens einem recht unspektakulären Ende zu. Noch deutlich mehr dieser anregenden, philosophischen Gespräche und Betrachtungen der beiden hätte ich mir gewünscht.
    Insbesondere die prägnante, atmosphärisch dichte Schilderung vom desolaten Zustand Russlands und der Städte hat mich sehr beeindruckt und fängt sehr authentisch die desolate, politische Situation ein. Dies lässt auf umfangreiche Recherchearbeiten der Autorin schließen.
    „Das Leben ist groß“ ist ein berührender Roman, der sich mit existenziellen Themen des Lebens beschäftigt und den Leser nach Ende der Lektüre mit seinen Fragestellungen noch lange zum Nachdenken anregt.
    In diesem anspruchsvollen Roman geht es um die Auseinandersetzung mit Vergänglichkeit, Verlust und der eigenen Sterblichkeit und zugleich um Selbstfindung und die Suche nach dem Sinn des Lebens. Man nähert sich den Weisheiten des Lebens und findet doch keine klaren Antworten. Einzig die Gewissheit bleibt, dass der Tod für jeden von uns unausweichlich ist.
    Mit einer ungewöhnlich wortgewaltigen, bildreichen Sprache und einem außergewöhnlichen erzählerischen und kompositorischen Geschick ist der jungen Autorin ein wirklich beeindruckendes Debüt gelungen. Es konnte mich in jeder Hinsicht überzeugen und lässt mich auf weitere Werke aus der Feder dieses jungen vielversprechenden Talents hoffen.


    FAZIT
    Dieses außerordentlich faszinierende Debüt hat mich begeistert und sehr bewegt!
    Ein tiefgründiger und atmosphärisch dichter Roman, der erzählerisch ein Meisterwerk ist!
    Eine echte literarische Entdeckung!


    5ratten