Raoul Schrott - Die Erfindung der Poesie

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  • Raoul Schrott - Die Erfindung der Poesie. Ein Abend mit dem Autor in der Darmstädter Stadtkirche.


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    Als Kenner der antiken Lyrik schlechthin wird bereits am Abend zuvor der Autor Raoul Schrott als nächste Veranstaltung im Rahmen des Literarischen Herbstes der Darmstädter Stadtkirche angekündigt. Am gestrigen Abend saß er nun direkt vor mir. Über das Erscheinungsbild ist man zunächst überrascht, da erwartet man doch einen hageren, in sich gekehrten, intellektuell aussehenden Mann, wie sie an den Seminaren der universitären Sprachinstitute herumlaufen. Natürlich ist das ein Vorurteil. Schrott wirkt mit seiner sportlich, legeren Kleidung wie ein Autor, der gerade Nepal durchquert hat und nun seine Abenteuergeschichten zum Besten geben will. Und auch das ist ein Vorurteil.


    Die Kirche war nicht allzu voll, wenn auch mehr als 100 Personen anwesend waren. Lyrik erzeugt wohl immer noch nicht die ganz große Anziehungskraft. Und auch ich wäre nicht hingegangen, wenn nicht meine beiden Autorenbildbände ein unsigniertes Bild enthalten hätten. Um es vorwegzunehmen: Es war ein phänomenaler Abend! Schrott ist ein Unterhalter allererster Güte, die Lektüre kann das Live-Erlebnis nicht ersetzen.


    Schrott versteht es, auf einfache Weise in die Poesie der Antike einzuführen. Und er beginnt gleich mit dem ersten bekannten Gedicht der Menschheit überhaupt. Ein bewegender Moment. Zunächst liest er im Original, wobei man die genaue Aussprache heute nur ungenau rekonstruieren kann. Die Übersetzungen stammen aus der Feder von Schrott. Sehr elegant. Manches klingt überraschend modern. Schrott ordnet jederzeit ein und kann über all seine ausgewählten Gedichte der verschiedenen Jahrhunderte schöne Bonmots beisteuern. Viele der ausgewählten Gedichte sind äußerst freizügig. Geradezu obszön. Und immer wieder ordnet er historisch ein, erklärt Gesellschaft und Hintergründe der Entstehung. Eine Schulstunde ohne Belehrung erster Güte. Er weiß, wann neues in der Dichtung entstanden ist. Keinerlei Langeweile. Zum Schluss gibt es eine Schimpfrede eines Dichters über einen Kollegen. Der Kollege soll nach der Lektüre tot umgefallen sein. Schrott verwendet zur Übertragung aus dem Walisischen den bayrischen Dialekt und er fährt einen Schimpfwort-Wortschatz auf, wie ich ihn nie zuvor für möglich gehalten hätte. Riesiger Applaus.


    Es sind wohl nicht all seine ausgewählten Lesestücke im obigen Buch enthalten. Schrott kramt in seinen Unterlagen herum und liest aus verschiedenen Manuskripten.


    Man gehe zu ihm hin. Der Veranstalter hat versprochen, ihn in drei Jahren erneut nach Darmstadt einzuladen. Da bin ich dann wieder dabei.


    Gruß, Thomas