Andreas Drouve - Den Letzten beißt der Grottenolm

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    Andreas Drouve: Den Letzten beißt der Grottenolm. Aus dem Alltag eines furchtlosen Lokaljournalisten, Berlin 2016, Schwarzkopf & Schwarzkopf, ISBN 978-3-86265-589-2, Softcover, 269 Seiten, mit s/w-Illustrationen von Jana Moskito, Format: 12,3 x 2,5 x 19 cm, EUR 9,99.


    Was genau der namenlose Ich-Erzähler bei seiner Arbeit als Nachrichtenredakteur einer Tageszeitung verbockt hat, wissen wir nicht. Auf jeden Fall hat es seinen Chefs gereicht, um ihn zur Strafe für ein Jahr in die entlegenste Lokalredaktion des Verbreitungsgebiets zu versetzen – in die tiefste Provinz. Das bedeutet: 12 Monate lang Bauerntheater, Jahreshauptversammlungen, Gemeinderatssitzungen und Vereinszusammenkünfte. Also jede Menge unnütz verschwendete Lebenszeit, die man nicht einmal als Überstunden abrechnen kann.


    Strafversetzt in die Lokalredaktion
    Der Journalist ist zu Beginn seiner Karriere schon einmal durch die Hölle des Lokalen gegangen. Er weiß also schon bei der Urteilsverkündung, was ihm blüht: der Abgrund an deutscher Geselligkeit, Gemütlichkeit und Heiterkeit.


    Das Büro ist abgerockt, die Kollegen sind abgezockt und er ist das Mädchen für alles. Wichtigste Regel: Konflikte mit den örtlichen Institutionen und Würdenträgern sind unbedingt zu vermeiden! Kritische Artikel? Nicht, wenn diese einen wichtigen Anzeigenkunden verprellen können.


    Und was macht man, wenn der Lokalteil mit regionalen Veranstaltungen allein nicht zu füllen ist? Man denkt sich selber Aktionen aus: „Zum Valentinstag die Aktion ‚Da war einmal ein Kribbeln im Bauch’. Leser erzählen uns von ihrer letzten gescheiterten Beziehung. Der Lohn bei Erscheinen der besten Story: Gutschein für ein Speeddating bei der Volkshochschule.“ (Seite 50)


    Das ist nur eines von vielen Beispielen. Die sind natürlich alle ein klein wenig überspitzt dargestellt. ;) Aber wer den Lokalteil seiner Zeitung liest, der weiß, was gemeint ist. Kommt einmal nicht genügend Leserecho auf so einen Aufruf, dann hilft die Redaktion eben ein bisschen nach. Genau wie bei den Straßenumfragen oder der beliebten Rubrik „Leser fragen, Experten antworten“. Da kriegt man schon Mitleid mit den armen Menschen von der Lokalredaktion. Klingt ja alles nicht so prickelnd, was sie da zu beackern haben.


    Händeschüttelnde Anzugträger und andere Gurken
    Weil Zeitungen nicht nur vom Text leben, sondern auch von aufmerksamkeitsstarken Fotos, stellt sich die Frage: Wie bebildert man eigentlich solche faden Ereignisse? Antwort: Wahlweise mit händeschüttelnden Anzugträgern oder mit Leuten, die einen klobigen Telefonhörer ans Ohr halten. Dass man im Lokalteil immer dieselben Gesichter sieht, weil manche Provinzgrößen eben Multifunktionsträger sind, macht die Sache nicht aufregender. „Gurken“ nennen die Journalisten diese langweiligen Aufnahmen.


    Wenn es wirklich mal was Spannendes zu zeigen gäbe, kann man das Foto aus rechtlichen Gründen nicht veröffentlichen – oder aus Rücksichtnahme auf die Anzeigenkunden. Und man möchte auch nicht unbedingt den Leser beim Frühstück mit grauslichen Aufnahmen von unhygienischen Zuständen im Supermarkt verschrecken.


    Durchgeknallte Hobbykünstler, stinkfade Ausstellungen, unappetitliche Umweltschutzprojekte und pensionierte Studienräte, die mit kleinkariertem Gemecker nerven – nein, ein Lokalredakteur hat’s wirklich nicht leicht! Und kennt man ihn seinem Gebiet, dann hat er nicht einmal mehr auf dem Klo seine Ruhe, weil man ihm auf Schritt und Tritt auflauert um ihm vermeintlich interessante Themen für die Zeitung anzudienen. Ebenso untalentierte wie beratungsresistente Freie Mitarbeiter geben ihm den Rest.


    Die Sache mit Nicola, Annabell und Agnes
    Zu allem Übel wiederholt sich das ganze Themen-Elend auch noch im Jahresrhythmus – vom Neujahrsempfang über die Ausschusssitzung des Kleintierzuchtvereins und das Schützenfest bis hin zum Weihnachtsmarkt. In vielen Fällen würde es reichen, bei dem einmal verfassten Artikel nur ein paar Daten zu aktualisieren und den ganzen Schmonzes im nächsten Jahr wieder zu recyceln. Lausig bezahlt ist der Job ja ohnehin. Da klingt es doch nach einem echten Highlight, als Redaktionsleiter Glattmann unserem Journalisten eine dienstliche Begegnung mit Nicola, Annabelle, Agnes und der frühreifen Cilena in Aussicht stellt. Aber im Nachhinein muss unser Held zugeben: Irgendwie hat er sich diesen Auftrag anders vorgestellt ...


    Dass sich Zeitungsleute über diese Satire vor Lachen kringeln, das glaube ich aufs Wort. Jeder (ehemalige) Lokalredakteur dürfte ähnliche Geschichten zu erzählen haben und die wären vermutlich weit amüsanter als alles, was er/sie jemals darüber in der Zeitung schreiben durfte.


    Was die Zeitungsleute wirklich von uns denken
    Dem Leser, vor allem, wenn er selber aus der Provinz kommt, bleibt das Lachen manchmal im Halse stecken. Natürlich hat man sich dann und wann schon ähnliche Gedanken gemacht über das Vereinsleben, über Veranstaltungen mit langatmigen Festreden oder die über das, was auf dem platten Land so alles als Kultur durchgeht. Vielleicht musste man auch schon Pressevertreter zu mäßig spannenden Firmenveranstaltungen einladen. Oder man hat an irgendwelchen Aktionen der Regionalzeitung teilgenommen. Jahrzehnte lang war man Teil der zeitunglesenden Dorfbevölkerung – und auf einmal entdeckt man hier schwarz auf weiß, was die Leute dort wirklich über einen denken. Schmeichelhaft ist das nicht, selbst wenn man sich der Tatsache bewusst ist, dass man eine Satire nicht wortwörtlich nehmen darf, weil sie ja von der Übertreibung lebt.


    Keine Frage: Man kann über die saukomischen Abenteuer des strafversetzten Journalisten herzhaft lachen – vor allem, wenn Anspruch und Wirklichkeit hart aufeinanderprallen –, doch ein bisschen sät das Buch auch Selbstzweifel. Ich habe beruflich und privat immer einen guten Kontakt zur Lokalredaktion gepflegt, auch wenn ich natürlich nie jemanden bis auf die Toilette verfolgt habe. Hab ich mich jetzt 40 Jahre lang zum Affen gemacht? Ich dachte immer, ich liefere denen ausgefallene Themen und unterhaltsame Texte und die haben mich womöglich die ganze Zeit nur für eine bekloppte Landpomeranze gehalten! Meine Güte, wie peinlich!


    Aber so ist das mit Satiren: Sie sind nicht nur zum Amüsement da. Sie öffnen einem auch die Augen.


    Der Autor
    ANDREAS DROUVE, geboren 1964 in Düren, Dr. phil., distanziert sich hiermit ausdrücklich von dem Erzähler, einem anonymen Nestbeschmutzer der Journalistenbrut. Der Autor kennt den Erzähler persönlich, musste aber beim Leben seiner zwei Töchter geloben, Stillschweigen über dessen Identität zu bewahren. Dass manches Realsatire ist und bleibt, daran können weder Erzähler noch Autor etwas ändern.