Claude Simon - Die Akazie

Es gibt 9 Antworten in diesem Thema, welches 5.222 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Aldawen.

  • Klappentext


    Ein namenloser französischer Soldat ist im August 1939 mit dem Zug auf dem Weg zur Front. Während der Fahrt legt er sich Rechenschaft ab über sein - wie er glaubt nutzloses - Leben. An den Vater, der schon 1914 im Ersten Weltkrieg gefallen ist, hat er keine Erinnerungen mehr; nur der vergeblichen Suche nach dessen sterblichen Überresten, auf die er sich als Sechsjähriger mit seiner Mutter begeben hat, kann er sich erinnern. Ihm scheint, als habe er sein Leben lang nur von einer Uniform in die nächste gewechselt: von der seiner Schule in die Kluft der Anarchisten, von der Uniform des Spanienkämpfers zu der Tracht des avantgardistischen Malers. Jetzt, wo er den Tod vor Augen sieht, begreift er, dass er immer nur Rollen gespielt hat. Sein Leben droht zu enden, bevor es richtig begonnen hat. Doch er überlebt den Fronteinsatz und gerät zunächst in deutsche Gefangenschaft, aus der er schließlich fliehen kann. Das Erlebnis des Krieges aber lässt ihn nicht mehr los, und er beginnt, seine Erfahrungen aufzuzeichnen. Dabei beschreibt er nicht nur sein eigenes Schicksal, sondern erforscht auch das seines Vaters, der 30 Jahre vor ihm im Ersten Weltkrieg gekämpft hat und zu dessen Opfer geworden ist. So sind seine Aufzeichnungen eine literarische Annäherung an die Sinnlosigkeit der Gewalt, eine autobiografische Spurensuche, in der der Sohn stellvertretend für den Vater und für zwei Generationen das Trauma des Krieges vergegenwärtigt.


    Meine Meinung


    Bei diesem Buch wäre ich fast gekentert. Eigentlich bin ich gekentert :redface: . Für mich ist nicht "das drinnen, was außen draufsteht" :lol:, d.h. ich habe vom geschriebenen Inhalt nicht wirklich viel mitbekommen.
    Dieses Buch ist fraglos ein literarisches Meisterwerk in Sprache und Darstellung. Wenn aber Sätze derart verschachtelt sind, mit Nebensätzen und zu allem Überfluss noch Erklärungen in Klammern gespickt sind dass sie nicht selten den Umfang von 2 bis 3 Seiten einnehmen, bin ich leider unfähig, den Sinn zu erfassen. Dies übersteigt meinen Horizont.
    Zudem gibt es keine durchgehende Geschichte sondern vielmehr zusammenhanglose Mosaiksteine zweier Lebensgeschichten. Die Personen haben keinen Namen, was die Sache und das Verständnis zusätzlich erschwert, an vielen Stellen wusste ich defninitv nicht - auch nicht nach mehrmaligem Lesen - von wem nun die Rede ist.


    Wie gesagt, es handelt sich unbestritten um ein literarisches Meisterwerk, den Nobelpreis hat er sich verdient - aber meiner Meinung nach ungeeignet für den Durchschnittsleser.
    Mich würde ungeheuer interessieren wie es jenen ergangen ist, die das Buch schon mal zur Hand genommen haben!


    Claude Simon


    geb. 1913 in Tananarive auf Madagaskar, sein Vater fiel im Ersten Weltkrieg, er genoss eine ausgezeichnete Ausbildung, studierte in Paris, Cambridge und Oxford. Zunächst widmete er sich der Malerei, reiste viel und wurde 1939 zur Kavallerie eingezogen. er selber geriet im 2. Weltkrieg in deutsche Gefangenschaft, aus der sich nach Frankreich retten konnte. Dort war er als Schriftsteller tätig.
    Im Jahr 1985 erhielt er den Nobelpreis für Literatur.
    Er starb am 6. Juli 2005.


    Werke: (auszugsweise aus Wikipedia)


    L'herbe. Roman 1958 (deutsch Das Gras. 1970)
    La Route des Flandres. Roman 1959 (deutsch Die Straße in Flandern. 1960)
    Le Palace. Roman 1962 (deutsch Der Palast. 1966)
    La Bataille de Pharsale. Roman 1969 (deutsch Die Schlacht bei Pharsalos. 1972)
    Les Corps conducteurs. Roman 1971 (deutsch Die Leitkörper. 1974)
    Triptyque. Roman 1973 (deutsch Triptychon. 1986)
    L'Acacia. Roman 1989 (deutsch Die Akazie. 1989)
    Le Jardin des Plantes. Roman 1997 (deutsch Jardin des Plantes. 1998)
    Le Tramway. Erzählung 2001 (deutsch Die Trambahn. 2002)


    2ratten

    :blume:&nbsp; Herzliche Grüße!&nbsp; :blume: <br />creative

  • Ich konnte mich noch nicht ganz dazu durchringen anzufangen, aber ich habe es noch vor.

    Der Mensch erfährt, er sei auch wer er mag,
    <br />ein letztes Glück und einen letzten Tag.
    <br />
    <br />(Johann Wolfgang von Goethe)

  • Hallo creative,


    deine Besprechung hat mich neugierig gemacht. Das Buch stand schon einige Zeit noch verschweißt bei mir im Regal. Ein erstes Anlesen hat mich überzeugt, ich werde das Buch möglichst bald lesen. Gerade diese langen Sätze mag ich sehr, sofern diese strukturiert sind.


    Schöne Grüße,
    Thomas

  • Hallo Thomas!


    Na, dann bin ich wirklich schon sehr gespannt auf deine Meinung. Ich bin schier verzweifelt mit diesem Buch, aber vielleicht bin ich einfach falsch an die Sache rangegangen!

    :blume:&nbsp; Herzliche Grüße!&nbsp; :blume: <br />creative

  • In seitenlangen Sätzen, scheinbar ohne Luft zu holen, erzählt Simon auf beklemmende Weise von zwei namenlosen Figuren, Vater und Sohn, die am Krieg teilnehmen. Namenlos, weil der Krieg Namen durch Nummern ersetzt, gestanzt auf eine Messingplakette, die nach dem Ableben an die Familie geschickt wird, zusammen mit der wenigen Habe des Soldaten und vielleicht einem Orden, die von Angehörigen eingerahmt an die Wand gehängt werden dürfen. Die Chronologie der Ereignisse setzt der Autor außer Kraft, abwechselnd begleitet er den Vater im ersten, mal den Sohn im zweiten Weltkrieg. Der Vater, er ist süchtig nach den bestickten, bunten Bildchen auf seiner Uniform, den Epauletten und Sternen, die die Rangordnung kennzeichnen. Wir lernen seine Frau kennen, die von Faulheit und Krankheit gezeichnet ist und den Sohn austragen wird, bevor sie stirbt. Wir sehen zu, wie der Vater enthusiastisch in den Krieg zieht, begierig nach weiteren Medaillen, und stattdessen apathisch vom Pferd fällt mit einer Kugel im Kopf.


    Viel umfangreicher erfahren wir die Geschichte des 26jährigen Sohnes, die autobiographische Züge tragen soll. Die ersten Kapitel beschreiben sehr ausführlich die Gedanken, die Betrachtungen auf dem Schlachtfeld, bevor Simon die Zeit zurückdreht und die bedrückende, unheimliche Zugfahrt zur Front beschreibt, belastet mit dem Gedanken jetzt würde er sterben. Sie fahren dorthin, wo die entgegenfahrenden Züge herkommen - Züge gefüllt mit fliehenden Dorfbewohnern. Irgendwann findet er wieder den Anschluss an seine anfängliche Kampfplatzszene, der Sohn, der sich inmitten seiner Truppe befand, bevor sie von einem Hinterhalt überrascht und niedergestreckt wurden. Nun liegt er versteckt im Gebüsch umringt von reiterlosen Pferden …


    Die gesamte Szenerie ist umhüllt von Hoffnungslosigkeit, Beklemmung und getrocknetem Blut. Er kann im Kampf für das Vaterland nichts Würdevolles entdecken, wenn er zurückblickt über das leichengepflasterte Feld. Kurz angeschnitten werden Gefangenschaft und Flucht aus dem Arbeitslager. Die 14-monatige Hölle des Krieges erzählt er heute den gelangweilt lauschenden Nutten, bei denen er Trost zu finden scheint - und uns, die umso gefesselter zuhören werden.


    5ratten

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    Gruß,
    dumbler

    Einmal editiert, zuletzt von dumbler ()

  • Danke dumbler, das Buch steht bei mir noch auf der Wettbewerbsliste 2007.


    Schöne Grüße,
    Thomas

  • Hallo Thomas,
    Ich wollte versuchen, den Titel einmal aus dem Sumpf der schlechten Kritiken rauszuziehen, dieses göttliche Werk hat es nicht verdient. Amazon hat kein positives Licht drauf geworfen. Dabei habe ich es genossen. Sehr eindringlich erzählt, dass sich einem die Nackenhaare sträuben.

    Für mich ist nicht "das drinnen, was außen draufsteht"


    :lol: Doch, genau das stand drin.


    Zitat

    Wenn aber Sätze derart verschachtelt sind, ...


    Als "verschachtelt" würde ich sie nicht bezeichnen, vielmehr als Wurm, der sich stetig tiefer gräbt. Ich gebe zu, hat man einen Augenblick nicht aufgepasst, verliert man den Faden und muss eventuell von vorne anfangen.
    Das Verschachtelte hingegen ist sehr säuberlich in Klammern geräumt. Viel übersichtlicher gestaltet, als zBsp. Kleist. :zwinker:


    Zitat

    Zudem gibt es keine durchgehende Geschichte sondern vielmehr zusammenhanglose Mosaiksteine zweier Lebensgeschichten. Die Personen haben keinen Namen, was die Sache und das Verständnis zusätzlich erschwert, an vielen Stellen wusste ich defninitv nicht - auch nicht nach mehrmaligem Lesen - von wem nun die Rede ist.


    Stimmt, allerdings benutzt Simon für jede Figur und jede Szene markante Merkmale, er stellt sozusagen Pfähle auf, an denen sich der Leser orientieren kann. So erkennt man den Vater am eckigen Kinnbart und an den Fayence-Augen. Die Epoche, in der der Sohn agiert erkennt man auch an der fortschrittlicheren Kulisse, wie Autos und Leuchtreklamen.


    Gruß,
    dumbler


  • Hallo Thomas,
    Ich wollte versuchen, den Titel einmal aus dem Sumpf der schlechten Kritiken rauszuziehen, dieses göttliche Werk hat es nicht verdient. Amazon hat kein positives Licht drauf geworfen.


    Das geht anderen anspruchsvollen Titeln aus der SZ-Bibliothek genauso. Ich habe keinen Zweifel daran gehabt, dass es ein wichtiges Werk ist. Ob ich es als gut empfinde, werden wir sehen.


    Gruß, Thomas

  • Claude Simon: Die Akazie


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    Mal wieder ein Roman über den Krieg, diesmal wird der 1. und 2. Weltkrieg abwechselnd in den Kapiteln dargestellt. Das Erscheinungsdatum des Titels überrascht: 1989. Viele wichtige Romane über die Zeit der Weltkriege sind inzwischen erschienen, ich erwähne exemplarisch die sehr guten Romane Célines Reise ans Ende der Nacht, Grass' Blechtrommel und Lenz' Deutschstunde. Vierzig Jahre nach Ende des 2. Weltkrieges also ein weiteres Werk. Irgendjemand hat mal gesagt, dass Themen Zeit brauchen, bis man diese in künstlerischer Weise verarbeiten kann. Das mag zwar in der Allgemeinheit nicht zutreffen, da wie die Beispiele zeigen, auch bereits kurze Zeit nach dem Ende des Krieges künstlerisch wertvolle Prosa zum Thema veröffentlicht wurde, aber für den Franzosen Simon mag dieser Abstand nötig gewesen sein. Er verarbeitet hier seine eigenen Kriegserlebnisse. Er sagt: "Es ist alles autobiografisch, auch das Erfundene." Simon hat in seinem Roman einen Stil gefunden, der ihn als ganz großen Schriftsteller erkennen lässt. Schon 1985 hat er den Nobelpreis erhalten, ich bin neugierig auf Teile seine früheren Werks, insbesondere interessieren mich nun seine Beschreibungen zur Liebe und zu Frauen.


    Der Stil ist das herausragende Element in diesem Roman. Die Sätze mäandern über mehrere Seiten hinweg, die "gefühlten" Sätze dauern jedoch ein ganzes Kapitel lang. Ich kann verstehen, wenn man als Leser hieran scheitert. Lange Sätze findet man auch bei Sterne (Tristram Shandy), bei Proust, bei Javier Marias und vor allem bei Thomas Bernhard. Doch all diesen Autoren kann man im Vergleich zu Simon leicht folgen, bei ihm ist allerhöchste Konzentration notwendig. Diese langen Sätze sind jedoch kein Selbstzweck. Durch sie gelingt es dem Autor, sehr genaue Beobachtungen zu beschreiben, sich an Kleinigkeiten festzubeißen, die dann für das Ganze stehen. Diese Idee finde ich äußerst gelungen umgesetzt. Dieser Roman ist ein schweres Stück Arbeit, aber wenn man ihn bewältigt hat, blickt man stolz und beglückt zurück.


    5ratten


    Schöne Grüße,
    Thomas

    Einmal editiert, zuletzt von Klassikfreund ()

  • Simon wählt hier eine interessante Konstruktion, mit dem permanenten Wechsel zwischen dem Blick auf den Vater im Ersten und dem Sohn im Zweiten Weltkrieg, zumal auch diese beiden Stränge in sich nicht chronologisch aufgebaut sind. Aber die Rückblicke und Vorausschauen erläutern ganz gut den jeweils wichtigen Aspekt. Daß die Personen allesamt namenlos bleiben erleichtert das Lesen zwar nicht gerade, verdeutlicht aber die Allgemeingültigkeit der Erfahrungen jenseits individueller Schicksale. So weit, so gut.


    Die Bilder, die Simon hier heraufbeschwört, sind mächtig und unglaublich detailliert, in dieser Form auf jeden Fall bemerkenswert. Und man merkt ihm das ständige Ringen um jedes einzelne Wort, das jeweils allein treffende Wort auch an – nicht nur, aber an manchen Stellen auch, weil er sehr explizit mit sich (und dem Leser) diskutiert, wie etwas zu benennen ist. Das ist zwar ungewöhnlich, jedenfalls kann ich mich nicht daran erinnern, dergleichen schon einmal in dieser Form gelesen zu haben, und es nutzt sich als Stilelement über die Gesamtheit des Romans auch ein bißchen ab, aber das geht in Ordnung.


    Darüber hinaus ist der Stil aber für mein Empfinden eine ziemliche Katastrophe. Im Allgemeinen ist ein Satz nun mal eine „aus mehreren Wörtern bestehende, in sich geschlossene, eine Aussage, Frage od. Aufforderung enthaltende sprachliche Einheit“ (Duden Deutsches Universalwörterbuch). Auch wenn einem Schriftsteller gewisse Freiheiten in der Sprachverwendung zugestanden werden können, so wäre ich Simon doch ausgesprochen dankbar gewesen, wenn er das „in sich geschlossen“ wenigstens einigermaßen beachtet hätte. Seine Form der sich über zwei, drei Seiten windenden Wortaneinanderreihungen war ausgesprochen passend in den Abschnitten, wo der Sohn völlig erschöpft hinter den beiden Offizieren herreitet, die Apathie, in die dieser dort verfallen ist, macht derartiges „Denken“ oder eher Fühlen mehr als wahrscheinlich. Ich habe überhaupt nichts gegen lange Sätze, aber über diese Szene hinaus mußten sie nicht sein, denn dann passieren auch Konstruktionen wie mehrere mit Doppelpunkt eingeleitete Nebenschauplätze, obwohl die vorigen nicht einmal mit einem Semikolon so etwas ähnliches wie ein Ende gefunden haben oder Klammereinschübe in Klammereinschüben in Klammereinschüben, die irgendwann nicht mehr (nur) unübersichtlich, sondern lächerlich wirken. Schade, es hätte eine sehr gute Wertung werden können, aber nicht unter diesen Umständen.


    3ratten


    Schönen Gruß,
    Aldawen