Christina Henry - The Mermaid

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    Maine, irgendwann zu Beginn des 19. Jahrhunderts: Dem Fischer Jack Douglas geht eine Meerjungfrau ins Netz. Er ist sehr fasziniert von diesem Wesen, das gar nicht aussieht wie die Frau mit Fischschwanz, die man sich generell so vorstellt, und lässt sie nach einem kurzen Blickwechsel wieder frei.


    Einige Zeit später kehrt sie jedoch zurück, um ihn zu suchen, weil sie ihn nicht vergessen konnte. Sie geht an Land, und schließlich werden die beiden ein glückliches Paar, bis Jack Jahrzehnte später stirbt.


    Amelia, wie sie sich inzwischen nennt, weil ihren Meerjungfrauennamen kein Mensch aussprechen kann, bleibt alleine zurück, quasi alterslos, wie es bei ihren Artgenossen üblich ist. Sie vermisst Jack sehr, ist aber ansonsten nicht unglücklich in der Einsamkeit der Küste von Maine. Doch eines Tages taucht Levi Lyman im Dorf auf, ein Mitarbeiter des berühmt-berüchtigten P. T. Barnum, der von der waschechten Meerjungfrau gehört hat und diese Sensation nun unbedingt für sein New Yorker Kuriositätenkabinett haben will.


    Nach einigem Hin und Her willigt Amelia ein - allerdings zu ihren eigenen Bedingungen. Mit der "Fidschi-Meerjungfrau" hat Barnum für eine riesengroße Sensation gesorgt, die Kasse klingelt, doch wie es Amelia dabei geht, ist ihm herzlich egal ...


    Das Buch beginnt sehr gemächlich, fast unspektakulär, wenn man von der Existenz der Meerjungfrau selbst einmal absieht. Die schlichte und gleichzeitig pointierte Sprache hat mich jedoch von Anfang an in ihren Bann gezogen.


    Mit dem Auftauchen Levi Lymans in Amelias Fischerdörfchen kommt eine Welle in Bewegung, die mit Amelias Reise nach New York Fahrt aufnimmt und sich schließlich zu einer Woge von Ereignissen auftürmt, die ihre Protagonisten zu überrollen droht - aber auf subtile Weise, ohne Effekthascherei und übergroßes Drama.


    Wer eine schillernde Fantasygeschichte erwartet hat, wird womöglich enttäuscht sein; mir hat es aber gerade gefallen, dass die Meerjungfrau das einzige phantastische Element in der Geschichte bleibt, die ansonsten in einem ganz realen Umfeld angesiedelt ist und mit P. T. Barnum eine schillernde historische Gestalt beleuchtet (auch wenn Christina Henry im Nachwort erklärt, dass sie sich nicht in allem an die tatsächlich überlieferten Fakten gehalten hat).


    Der Sprung von einem kleinen Dorf am Meer in die brodelnde Großstadt wäre wohl nicht nur einer Meerjungfrau schwergefallen, doch Amelia hat den Kulturschock gleich in mehrfacher Hinsicht und (ver)zweifelt mehr als einmal an den Menschen, die so schwer zu verstehen sind, nie geradeheraus sagen, was sie denken, Frauen in unbequeme Kleiderschichten zwängen und zwar einerseits nach Sensationen gieren, andererseits aber keinerlei Verständnis für Andersartigkeit aufbringen.


    So kann man das Buch denn auch sowohl vordergründig als die Lebensgeschichte eines ungewöhnlichen Wesens als auch als Plädoyer für Toleranz und Gleichberechtigung und gegen Ausgrenzung, Fremdenfeindlichkeit und engstirnige Moralvorstellungen lesen. Mir haben beide Aspekte sehr viel Freude gemacht, und ich empfehle es gerne weiter, vor allem an Liebhaber der leiseren Töne.


    5ratten

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Dieser Teil der Chroniken ist anders als die anderen, die ich bis jetzt gelesen habe. Das liegt daran, dass Amelia ihr Schicksal selbst bestimmt. Auch wenn sie sich zeitweise in eine gewisse Abhängigkeit begibt, ist sie doch keine Gefangene der Umstände. Im Gegenteil: sie verändert das Leben der Menschen, denen sie begegnet. Was sie dagegen gefangen hält, ist die Trauer um Jack. Die hält sie mehr gefangen, als es der Vertrag von Barnum es kann.


    Mich hat überrascht, wie selbstverständlich das Publikum Amelias Verwandlung hingenommen hat. Auch wenn sie kommen, um sie zu sehen, ist sie doch nur eine weitere Sensation in einer Show. Die Erwachsenen glauben anscheinend nicht mehr an Magie.


    Auch wenn Amelia eine Gestalt aus dem Märchen ist, ist sie nur eine von vielen, die in Barnums Museum zur Schau gestellt werden. Anders als das Publikum versteht Amelia, wie es ist, wenn man angestarrt wird und hat Mitgefühl. Aber sie kann ihre Lebensumstände nicht ändern, sondern macht sich durch ihr Auftreten Feinde. Es ist nicht die richtige Zeit für seine selbstbewusste, unabhängige Frau.


    Auch wenn die Protagonistin eine Phantasiegestalt ist, ist es doch keine phantastische Geschichte. Es ist die Geschichte einer starken Frau, die nach dem Verlust ihrer großen Liebe ihr Leben nur langsam wieder in den Griff bekommt.

    4ratten

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.