Oliver Hilmes - Das Verschwinden des Dr. Mühe

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    REZENSION – Die Wiederaufnahme ungelöster, wenn auch nur fiktiver Kriminalfälle stehen erst seit wenigen Jahren im Mittelpunkt der Kriminalliteratur und wurden als spezielles Genre vor allem durch die Bestseller des Dänen Jussi Adler-Olsen oder der Schottin Val McDermid, in Deutschland auch durch Inge Löhnig beliebt. Im August erschien nun im Penguin-Verlag mit dem Roman „Das Verschwinden des Dr. Mühe“ des Historikers Oliver Hilmes (49) die literarische Bearbeitung eines echten „Cold Case“. Darin verbindet der Berliner Autor auf elegante Weise Fakten und Fiktion eines ungelösten Falles aus dem Jahr 1932 und macht den geheimnisvollen Fall vor historischer Kulisse zur lesenswerten Lektüre.

    Im Juni 1932 bleibt der 34-jährige Berliner Hausarzt Dr. Erich Mühe nach einem nächtlichen Ausflug spurlos verschwunden. Sein Auto steht mit offenen Türen am Ufer des Sacrower Sees in Potsdam, der Schlüssel steckt. Zunächst vermutet auch Kommissar Ernst Keller einen Badeunfall, doch es findet sich keine Leiche. Bei seinen Befragungen von Mühes Ehefrau Charlotte und weiteren Zeugen stößt der in vielen Dienstjahren erfahrene Kommissar hinter der gepflegten Fassade eines gutbürgerlichen Haushalts auf Ungereimtheiten und Widersprüche. Woher kam das viele Bargeld, über das Mühe wohl verfügte? War er ein Engelmacher, der illegal Abtreibungen vornahm? Führte der Vermisste also ein Doppelleben? Warum löste er kurz vor dem Verschwinden sein Konto auf? Ging es um einen Versicherungsbetrug? Hat sich der Arzt, wie Zeugen andeuten, nach Barcelona abgesetzt, um ein neues Leben zu beginnen? Der Fall bleibt ungelöst. Als Keller drei Jahre später nach dem Tod von Charlotte Mühe diesen „Cold Case“ wieder aufnehmen will, wird er vom neuen Polizeipräsidenten, dem NS-Obergruppenführer Wolf-Heinrich Graf von Helldorff (1896-1944), gezwungen, die Akte zu schließen.

    Autor Oliver Hilmes schildert den Kriminalfall anhand der im Berliner Landesarchiv archivierten Akten. Kapitelweise baut er auf Grundlage der alten Vernehmungsprotokolle eine spannende Geschichte auf, in deren Verlauf er nicht nur die damaligen Zeugen wieder lebendig werden lässt, sondern er lässt uns zugleich in seiner fiktiven Rahmenhandlung durch nur wenige, fast beiläufig in die Kapitel eingestreute Beispielen die politische und gesellschaftliche Umwälzung im Übergang der ausgehenden Weimarer Republik zur Nazi-Diktatur miterleben. So bestellte Kommissar Keller noch 1932 den damaligen Gesangslehrer und möglichen Liebhaber von Mühes Ehefrau Charlotte, den Komponisten Hugo Rasch (18731947), zur Vernehmung ins Polizeipräsidium, wogegen er bei Wiederaufnahme des Falles im Jahr 1935 seinen Zeugen um einen Gesprächstermin in dessen Büro bitten muss, da SA-Mitglied Rasch inzwischen zum Präsidialrat der Reichsmusikkammer aufgestiegen ist. Rasch ist es auch, der mit seiner Beschwerde beim Polizeipräsidenten für die Einstellung der Ermittlungen sorgt.

    Autor Hilmes lässt in seiner Kriminalgeschichte erst 1946 die Schwester Mühes ihren Bruder allein weitersuchen. In diesem nun rein fiktiven Abschlusskapitel erlaubt sich der Autor die Andeutung einer möglichen Auflösung des Geheimnisses, womit er uns Lesern die Tür zu weiteren Gedankenspielen öffnet. So bleibt der Roman „Das Verschwinden des Dr. Mühe“ bis zur letzten Seite spannend, ohne allerdings stilistisch in reißerische Thriller-Manier abzugleiten. Im Gegenteil: Die ruhig gehaltene Erzählung bleibt trotz einiger geschickt platzierter Spannungselemente eine sachliche und deshalb glaubwürdige Darstellung mühsamer, wenn auch ergebnisloser kriminalistischer Ermittlungsarbeit. Gerade dies macht Oliver Hilmes' Buch so lesenswert.

  • Ein Cold Case neu aufgerollt


    Spät abends am 13. Juni 1932 verlässt Allgemeinmediziner Dr. Erich Mühe, 34, das Haus in der Oranienstraße, Berlin Kreuzberg, um einen Krankenbesuch zu machen - und taucht nicht wieder auf. Sein Auto steht am nächsten Tag verlassen mit offenen Türen und steckendem Autoschlüssel bei einer Gaststätte am Sacrower See. Ein Badeunfall? Am nächsten Tag ist es verschwunden, obwohl der Wirt den Schlüssel an sich genommen hatte. Erst nach 2 Tagen meldet ihn seine Frau Charlotte als vermisst.

    Kommissar Ernst Keller und sein Kollege, den er nur mit dessen Nachnamen anspricht, Schneider, beginnen mit den Ermittlungen. Die verschiedenen Aussagen über den Verlauf des Abends und den Grund, den Mühe angegeben hat, variieren stark. Polizeipräsident Wolf-Heinrich von Helldorff fordert 1935 die endgültige Aufklärung bzw. die Schließung der Akte Mühe zum Jahresende. Doch Mühes Schwester gibt die Suche nach ihrem Bruder nicht auf.


    Oliver Hilmes, der bei Recherchen auf diesen Cold Case gestoßen ist, hat eine sehr elegante Ausdrucksweise und so bildhafte Beschreibungen, mit denen ich mich schnell in die Zeit der 30er Jahre und der Weimarer Republik zurück versetzt fühle. Man kann erahnen, dass die Nazis bald das Zepter in der Hand halten werden. Ob das etwas mit Mühes Verschwinden zu tun hat?


    Sehr übersichtlich führt er jede Zeugenvernehmung beginnend mit der Angabe vom Datum der Aussage, dem Namen des Zeugen und der Funktion bzw. der Beziehung, in der dieser zu Dr. Mühe stand, auf. Die zentrale Frage, lebt Dr. Erich Mühe noch und hat sich ins Ausland abgesetzt, wird schlussendlich nicht absolut geklärt. So kann jeder Leser seine eigenen Gedanken weiterspinnen.


    Mir z.B. war Ehefrau Charlotte von Anfang an nicht recht sympathisch. Und auch die Nachbarschaft tratscht über die Diva. Hat sie wirklich ein Verhältnis mit ihrem Gesangslehrer oder doch etwa mit ihrer Freundin und Untermieterin? Durch ihren sehr fleißigen und sehr gut verdienenden Ehemann mit seiner sehr gut laufenden Praxis kann sie sich ihre ja Sperenzien leisten. Blöd nur, dass Erich bei seinem Verschwinden das Konto leer geräumt hat und die Versicherung nicht zahlt.


    Die Spannung hat in dieser äußerst interessanten Kriminalgeschichte keine so große Rolle, was mich aber überhaupt nicht gestört hat. Mich hat die Hinführung zu den Vermutungen und Erkenntnissen viel mehr gefesselt.


    Ich liebe True Crime und bei diesem Cold Case mit sehr gut recherchierten historischen Hintergrund hatte ich das Gefühl mittendrin dabei zu sein. Beste Unterhaltung, die ich nur empfehlen kann.


    5ratten