Ayòbámi Adébáyò - Das Glück hat seine Zeit/A Spell of Good Things

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    Ich habe das Buch im englischen Original unter dem Titel "A Spell of Good Things" gelesen.


    In einer Stadt in Nigeria leben zwei Familien sehr unterschiedliche Leben:


    Einerseits ist da die Familie des 15-jährigen Eniolá, die sich mehr schlecht als recht über Wasser hält, nachdem sein Vater einige Jahre zuvor seine Stelle als Lehrer verloren hatte und er daraufhin in eine schwere Depression fiel. Das Geld, das die Mutter mühselig zusammenkratzt reicht gerade so aus, die Familie vor dem Hungertod zu bewahren, aber Miete? Oje - so wichtig wie die Miete auch ist, Schulgeld ist wichtiger, denn die Kinder sollen später mal ein besseres, sicheres Leben als die Eltern führen können. So wird jeder Naira dafür gespart, fehlendes Geld wird zusammengebettelt, auch wenn das bedeutet, sich dafür vor dem grossen Bruder demütigen zu müssen, der kein Verständnis dafür hat, dass die Mutter weiterhin mit diesem nichtsnutzigen Faulpelz von Vater zusammen ist. Scheiden soll sie sich gefälligst, und sich einen besseren Ernährer suchen! Dieses Jahr allerdings hilft alles nicht mehr - das Geld reicht nur noch für ein Kind...


    Andererseits ist da Wúràolá, die aus einer wohlhabenden Mittelstandfamilie stammt. Sie hat ihr Medizinstudium erfolgreich absolviert und arbeitet jetzt als "Intern" in einem Krankenhaus. 28 ist sie mittlerweile und der Druck ihrer Familie, doch endlich zu heiraten, nimmt ständig zu. Während der Feier des 50. Geburtstags ihrer Mutter hält ihr Freund öffentlich um ihre Hand an. Ihr Leben wäre grossartig, wenn nur die Arbeitsbedingungen im Krankenhaus nicht so katastrofal wären und sie sich sicher sein könnte, dass ihr nun Verlobter wirklich eine gute Wahl ist...


    So unterschiedlich die Lebensbedingungen für Eniolá und Wúràolá auch aussehen, so gibt es doch einige Gemeinsamkeiten. Zum Beispiel ihre Stellung als "Kinder", über deren Leben die Eltern - auch wenn das Kind schon lange erwachsen ist - selbstverständlich nicht nur das Recht, sondern die Pflicht haben, zu bestimmen. Denn Eltern wissen eben grundsätzlich alles besser, und Kinder schulden ihnen Gehorsam und Dankbarkeit. So war es schon immer, und so wird es auch weiterhin bleiben. Gesprochen, oder gar diskutiert über die elterlichen Entscheidungen, die ja durchaus auch vernünftig sein können, wird mit den Kindern nicht. Dass von deren Seite dann wenig Verständnis kommt, überrascht nicht.


    Dann ist da die Gewalt, die die gesamte nigerianische Gesellschaft durchzieht. Ob das nun die Lehrer sind, die missliebige Schüler - deren Eltern z. B. nicht rechtzeitig das Schulgeld bezahlt haben, oder die sich legastheniebedingt schwer tun, lesen zu lernen - gnadenlos prügeln oder brutale Ehemänner, oder natürlich korrupte Politiker, die Konkurrenten mit Gewalt aus dem Weg räumen.


    Dieses Buch liess mich mal wieder dankbar dafür sein, im sicheren Westeuropa geboren zu sein. Auch wenn hierzulande lange nicht alles perfekt ist, ist es verglichen mit dem geschilderten Leben in Nigeria doch paradiesisch! Ob das nun die Arbeitsbedingungen im Krankenhaus sind, das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern, die grundlegende Unsicherheit der Lebensbedingungen, die sich rasant schnell ändern können, auch wenn man eigentlich relativ wohlhabend ist, oder auch so etwas wie Verständnis für Nicht-Können, aus welchen Gründen auch immer. Ein Kind, das nicht lesen lernen kann, ist faul. Ein Mann mit Depressionen ebenso. Depression - ein Wort, das im gesamten Buch nicht einmal fällt - scheint eine unbekannte Idee zu sein, Legasthenie ebenso.


    Kritik? Ja, die habe ich auch: So interessant das Buch auch in der Präsentation mir zum Glück weitgehend fremder Lebensbedingungen auch ist, so fehlte mir doch etwas die Nähe zu den Hauptfiguren. Normalerweise stört mich ein "Blick von aussen" ja nicht, aber hier war die Distanz trotz Innenperspektive vorhanden - etwas, das nicht richtig zusammenpasst.


    Ebenfalls fehlt mir ein Glossar für die vielen vorkommenden Ausdrücke auf Yoruba, deren grobe Bedeutung durch den Zusammenhang zwar meist erratbar ist, aber erstens nicht immer und zweitens möchte ich es doch gerne genauer wissen. Dabei habe ich grundsätzlich nichts gegen die Einschübe in einer mir vollkommen unbekannten Sprache einzuwenden - im Gegenteil, dadurch wird das Buch noch lebendiger. Auch dass die Autorin nicht wie manche andere SchiftstellerInnen jede fremdsprachige Redewendung direkt im Anschluss noch einmal in der Lesesprache wiederholt, stört mich nicht - im Gegenteil empfinde ich jene Sitte als bevormundend und die Unsitte, jedes fremde Wort kursiv zu schreiben eben als Unsitte. Nein, hier sehe ich den Verlag in der Pflicht, der ja kein nigerianischer sondern ein schottischer ist. Also her mit einem Glossar, Canongate! (Ob die deutsche Übersetzung ebenfalls kein Glossar hat, weiss ich nicht.)


    4ratten

    Wir sind irre, also lesen wir!