Kirstin Valdez Quade - The Five Wounds/Die fünf Wunden

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    Als seine sechzehnjährige - und unübersehbar schwangere - Tochter Angel ausgerechnet in der Karwoche vor seiner Tür steht, weil sie sich mit ihrer Mutter überworfen hat, ist Amadeo Padilla überhaupt nicht begeistert. Er bereitet sich gerade auf seinen großen Auftritt am Karfreitag vor, denn die Büßerbruderschaft, der er auf Drängen seines Onkels vor einiger Zeit beigetreten ist, hat ihn zum diesjährigen Jesusdarsteller auserkoren. Und ausgerechnet jetzt ist seine Mutter Yolanda, die garantiert pragmatisch und klug mit Angel umzugehen wüsste, verreist.


    Angel hat ihre Gründe, weshalb sie von zu Hause weg will und Zuflucht bei ihrer Großmutter sucht. Mit großartiger Unterstützung ihres nichtsnutzigen Vaters hat sie gar nicht gerechnet, denn der ist schon damit überfordert, sein eigenes Leben auf die Reihe zu kriegen. Nicht von ungefähr wohnt er mit dreiunddreißig immer noch bei seiner Mutter. Die hat wiederum ganz andere Sorgen, denn eine Routineuntersuchung hat Beängstigendes ans Licht gebracht und sie weiß nicht, wie sie mit der Diagnose leben soll, geschweige denn, sie ihrer Familie beibringen.


    In einem ganz anderen Umfeld als die Padillas lebt die Sozialpädagogin Brianna, die Angel im Rahmen eines Betreuungsprojektes für Teenie-Mütter unterrichtet. Angel betrachtet sie als Inspiration und Vorbild, doch Brianna, selbst erst Mitte 20 (und ironischerweise immer noch Jungfrau), zweifelt häufig an sich selbst und ihrem ereignislosen Leben und fragt sich, ob sie jemals noch irgendetwas Interessanteres erleben wird als Auseinandersetzungen mit ihren Schülerinnen im Klassenzimmer.


    Diese vier Hauptfiguren begleiten wir in dieser großartig geschilderten Sozialstudie durch ein ereignisreiches Jahr voller Veränderungen und Herausforderungen. Kirstin Valdez Quade schreibt sehr intensiv, man ist nicht nur wegen des Erzähltempus Präsens ganz nahe dran an den Protagonisten. Sie verleiht allen vieren jeweils eine ganz eigene Stimme, ungeschminkt und unverstellt und gnadenlos ehrlich. Da wird nichts beschönigt oder gar sozialromantisch verkitscht, es ist die pure, oft harte Realität, was wir hier zu lesen bekommen mit vielen der ganz großen Themen des Lebens: Geburt, Tod, Krankheit, Sucht, schlechte Entscheidungen und ihre Folgen, Zukunftsängste, Sexualität, Familiendynamik in diversen Ausprägungen, die Komplexität zwischenmenschlicher Beziehungen. Auch die Suche nach einem Sinn im Leben spielt mindestens bei Amadeo eine Rolle, der spürt, dass ihm etwas im Leben fehlt und es in einer übersteigerten Form der Religiosität sucht (und nicht wirklich findet).


    Allen vier Protagonisten ist gemeinsam, dass sie mit großen Umbrüchen in ihrem Leben fertig werden müssen und sich dabei oft genug nicht auf das vermeintlich Sichere verlassen können, sie müssen neue Wege suchen und Altes loslassen, Schweres akzeptieren und irgendwie Mut und Kraft zum Weitermachen finden. Sie handeln beileibe nicht immer klug oder gut oder vernünftig, manchmal möchte man sie einfach mal kräftig durchschütteln, insbesondere Amadeo hat mich gelegentlich zum Wahnsinn getrieben. Aber in ihrer Unvollkommenheit sind sie alle auch zutiefst menschlich, und genau das hat die Autorin mit einem wachen Blick fürs Detail so wunderbar eingefangen, dass ich das Buch kaum aus der Hand legen konnte.


    Weil das zusammengefasst nicht unbedingt nach etwas klingt, das man nicht schon in diversen Filmen gesehen und so manchem Buch gelesen hat, fällt es mir einigermaßen schwer, wirklich zu vermitteln, wie gut mir dieser Roman gefallen hat - aber Kirstin Valdez Quade ist eine echte Entdeckung und eine begabte Autorin, die es schafft, solche Geschichten weder schnulzig noch moralisierend oder trivial zu erzählen und ich hoffe, dass "The Five Wounds" irgendwann auf deutsch erscheint und hier auch einer größeren Leserschaft zugänglich wird. Für mich war es auf jeden Fall eines meiner Jahreshighlights.


    4ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen