Tobias Lehmkuhl - Der doppelte Erich

  • Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links


    Tobias Lehmkuhls Biographie "Der doppelte Erich. Kästner im Dritten Reich" beschäftigt sich vorrangig mit Erich Kästners Leben von 1933 bis 1945, da er, anders als viele seiner KollegInnen aus der Weimarer Zeit, nicht emigrierte, sondern trotz Publikationsverbots in Deutschland blieb. Seine Motive hierfür werden ebenso hinterfragt wie sein Umgang mit der eigenen Rolle unter den Nationalsozialisten nach dem Zweiten Weltkrieg.


    Der Autor hat für sein Buch akribisch recherchiert, wie nicht nur das für ein so kurzes Buch durchaus umfangreiche Nachweis- und Literaturverzeichnis deutlich macht, im gesamten Text werden immer wieder Querverweise nicht nur zu Kästners eigenem Werk gezogen, die die Sichtweise Lehmkuhls verdeutlichen. Ihm gelingt dabei der Spagat zwischen einer sehr ehrlichen Annäherung von Erich Kästner, die oft nicht zu dessen Gunsten ausfällt, und einer trotzdem respektvollen und umfassenden Betrachtung des Autors und seines Werks.


    Wie schon der Titel "Der doppelte Erich" andeutet, der natürlich Bezug auf "Das doppelte Lottchen" nimmt, geht Lehmkuhl davon aus (und belegt das sehr plausibel), dass sich Kästner nahezu zeitlebens nach einem Rollentausch gesehnt hat, und gerade deshalb so viele Zwillinge und Doppelgänger in seinen Werken vorkommen. Dass dies auch mit einem Unbehagen gegenüber seinem Leben im NS-Staat zusammengehangen haben kann erscheint möglich, dass seine ungewöhnlich enge Beziehung zu seiner Mutter, die möglicherweise ausschlaggebend dafür war, dass er in Deutschland geblieben ist, solche Tendenzen verstärkt haben könnte, ebenfalls. Allerdings verdeutlicht der Autor auch, dass Kästner mitnichten mit einem Schreib-, sondern lediglich mit einem Publikationsverbot in Deutschland belegt war, sodass in den ersten Jahren der NS-Herrschaft durchaus noch Bücher von ihm im Ausland erschienen sind und er auch unter verschiedenen Pseudonymen in Deutschland veröffentlichte. Dadurch lebte er ein weitgehend bequemes Leben, insbesondere die außerordentlich hohe Gage für das Drehbuch des UFA-Jubiläumsfilms "Münchhausen" enthob ihn lange Zeit finanzieller Sorgen, und trotz mehrerer Verhöre durch die Gestapo konnte sein Leben nahezu in den gewohnten Bahnen verlaufen, einschließlich Auftritten in der Öffentlichkeit und Auslandsreisen.


    Dass dies schlecht zum Anspruch eines vermeintlichen "Moralisten" passt wird ebenfalls thematisiert, und die von Kästner selbst wiederholt genannte Begründung für seinen Verbleib im "Dritten Reich", nämlich einen Roman über diese Zeit zu schreiben, wird glaubwürdig entkräftet. In diesem Zusammenhang wird auch Kästners Kriegstagebuch, "Das blaue Buch" intensiv beleuchtet, das zwar Ereignisse auflistet, aber wenig Emotionen und auch wenig Widerspruch gegen die NS-Politik enthält, und damit die Sichtweise stützt, dass Kästner sich eigentlich ganz gut mit dem Regime arrangierte. Da er sich nachträglich nicht als Opfer stilisierte wurde ihm das im Nachkriegsdeutschland auch nicht übel genommen, er war damit weniger Kritik ausgesetzt als diejenigen Autoren, die ins Exil gegangen waren und von dort sehr deutlich gegen den Nationalsozialismus argumentiert hatten.


    Ich habe das Buch von Tobias Lehmkuhl sehr gerne gelesen, da es einerseits viele interessante Fakten enthält, und insbesondere die Bezüge zwischen Biographie und Werk manches verständlich machen. Darüber hinaus hat der Autor eine wirklich angenehme Schreibweise, und die Art und Weise, wie er sich Erich Kästner zwar mit einem gewissen Respekt, dabei aber auch sehr ehrlich nähert, macht das Buch definitiv zu einem Gewinn, wenn man etwas über Erich Kästner wissen möchte.


    5ratten