Florian Coulmas - Hiroshima. Geschichte und Nachgeschichte

  • Florian Coulmas

    Hiroshima. Geschichte und Nachgeschichte

    Erstveröffentlichung: 2010

    Verlag: C.H. Beck

    Taschenbuch, 127 Seiten


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    Florian Coulmas (*1949) ist ein deutscher Sprachsoziologe und Japanologe, hat viele Jahre in Japan gelebt und war von Oktober 2004 bis September 2014 Direktor des Deutschen Instituts für Japanstudien in Tokio.


    In seinem Buch "Hiroshima" – aus der übrigens auch sonst tollen Reihe C.H. Beck Wissen – setzt Coulmas sich mit dem Atombombenabwurf auf Hiroshima am 6. August 1945 und in der Folge auch mit dem zweiten Atombombenabwurf drei Tage später auf die Stadt Nagasaki auseinander.


    Er schildert zunächst die Ereignisse des Zweiten Weltkriegs, den Kriegseintritt Japans, die Bombardierung von Pearl Harbor 1941 und die Kriegserklärung der USA gegen Japan bis zur Entscheidung, die Atombombe gegen Japan einzusetzen. Dabei geht er auf die politischen und militärischen Hintergründe ein, die zu dieser Entscheidung führten, und wie der Abwurf der Bombe nicht nur das Ende des Zweiten Weltkriegs markiert, sondern auch den Beginn des atomaren Zeitalters, das die globale Sicherheitspolitik bis heute prägt. Und er macht keinen Hehl aus seiner Meinung, dass zumindest der Abwurf der zweiten Atombombe auf Nagasaki mit mehr als 50.000 zivilen Opfern nicht notwendig war, um den Krieg zu beenden, und heute – so im übrigen auch die unter Historikern weit verbreitete Ansicht – als Kriegsverbrechen gilt.


    Coulmas vergleicht die unterschiedliche Aufarbeitung des Geschehens seither in Japan, den USA und weltweit, vom damaligen Medienecho in den Tagen unmittelbar nach den Bombenabwürfen, als noch gar nicht genau klar war, was da eigentlich passiert ist, bis zur heutigen Darstellung in Geschichts- und Schulbüchern, der Literatur, den Medien sowie Museen und Erinnerungsorten. Dabei wird deutlich, wie unterschiedlich vor allem in Japan und den USA an die Ereignisse erinnert wird.


    In Japan wird Hiroshima als Symbol des nationalen Leids betrachtet. Die Erinnerung an den Abwurf ist geprägt von Trauer und der Mahnung zum Frieden. Die Überlebenden, die sog. Hibakusha, spielen eine zentrale Rolle in der japanischen Erinnerungskultur, da sie als Zeugen des Grauens über die Folgen der nuklearen Katastrophe berichten. Das Leid der Zivilbevölkerung und die Langzeitfolgen der Strahlung stehen im Vordergrund. Die jährlichen Gedenkveranstaltungen, vor allem am 6. August in Hiroshima und am 9. August in Nagasaki, sind von einer pazifistischen Grundhaltung getragen.


    In den USA hingegen wird der Atombombenabwurf oft als notwendiges militärisches Übel gesehen, das den Zweiten Weltkrieg beendet und viele amerikanische Soldatenleben gerettet hat und somit als gerechtfertigt erscheint. In den USA wird stärker betont, dass die Bombenabwürfe Japan zur Kapitulation gezwungen und somit den Krieg beendet hätten, was heutzutage aber ebenfalls umstritten ist, da Japan im Sommer 1945 praktisch schon am Boden lag und auch ohne die Atombombenabwürfe kapituliert hätte.


    Diese Gegenüberstellung der unterschiedlichen Perspektiven Japans und der USA hat mir besonders an dem Buch gefallen. Während in Japan die Atombombenabwürfe als Mahnung für den Frieden verstanden werden, dominieren in den USA strategische Rechtfertigungen. Diese Diskrepanz beeinflusst auch das Verhältnis beider Länder zueinander und deren Umgang mit der Geschichte bis heute. Und erst im Jahr 2016, also über 70 Jahre später, war Barack Obama der erste US-Präsident, der nach Hiroshima fuhr und vor Ort der Opfer gedachte, aber eine Entschuldigung für die Bombenabwürfe brachte auch er nicht hervor.


    Unterm Strich ein sehr interessantes Buch, das einen ausführlichen und differenzierten Einblick in das Thema bietet, trotz seines schmalen Umfangs.


    4ratten