Carson McCullers - Die Ballade vom traurigen Café

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    Inhalt:


    Handlungsort: eine kleine, trostlose Stadt in den Südstaaten der USA, in der die Winter kurz und steng, die Sommer aber grell und heiß sind.
    Im Zentrum der Hauptstraße steht ein sehr altes, verwahrlostes Haus, das früher ein Café war. Von Zeit zu Zeit sieht man eine Person hinter dem einzigen nicht vernagelten Fenster im 1. Stock auftauchen, die von


    Zitat von "S. 6"

    "schrecklicher Unbestimmtheit, bleich und geschlechtslos, mit grauen, schielenden Augen, die so stechend sind, als tauschten sie untereinander einen langen Blick verschwiegenen Grams aus.


    Dieser Beschreibung folgt ein Rückblick zu der Zeit, als es in dem Haus ein Café gab, das die Besitzerin Amelia Evans und ihr Vetter Lymon Willis führten. Ein weiterer Rückblick führt noch weiter zurück zu Amelias Eheleben mit Marvin Macy. Diese Ehe dauerte nur 10 Tage und der enttäuschte Bräutigam verlässt die Stadt daraufhin. Dabei vergisst er nicht, Amelia Rache für ihr herzloses Verhalten zu schwören (so ist ihr z. B. selbst in der Hochzeitsnacht die Arbeit wichtiger als ihr Ehemann).
    Der Satz


    Zitat von "S. 81"

    "Vergesst also Marvin Macy nicht, da er in unserer Geschichte eine schreckliche Rolle spielen wird."


    ist der Auftakt zu einem Schwenk in der Geschichte.


    6 Jahre später kommt Marvin wieder und mit ihm schleicht sich fast unmerklich eine Veränderung in das Stadtleben. Ein unerwarteter Hitzeschwall verdirbt das Schlachtfleisch, die bedrohliche Aura von Marvin verdirbt die Stimmung im Café und dann schneit es erstaunlicherweise auch noch!


    Lyman, der nichts von Marvins und Amelias Vergangenheit weiß, ist von Marvin angezogen und lässt sich von dessen Verachtung nicht abbringen, ihm hinterher zu dackeln. Seit dem ersten Blickkontakt der beiden wird Marvin sein Held. Er lässt ihn in das Café einziehen, ergreift für ihn Partei und vergisst im großen und ganzen alles, was Amelia für ihn getan hat.


    Der Höhepunkt der Geschichte ist ein Boxkampf zwischen Marvin und Amelia, dessen Ausgang für alle Folgen haben wird.


    Meine Meinung:


    Mir hat das Buch gut gefallen. Es ist zwar nur knapp 140 Seiten stark, steckt aber voller lebensnaher Einfälle! Die Novelle ist stilistisch sehr ausgefeilt und verbirgt viel hinter der eigentlichen Erzählung: z. B.: Einsamkeit, Liebe, enttäuschte Liebe und Wut darüber. Rachepläne, Geltungsstreben und der Wunsch nach Nähe. Der Grundton ist melancholisch und spricht damit auch die Wünsche und Befürchtungen des Lesers an. Ich habe es erst aus der Hand legen können, als ich es durchhatte.


    Von Carson McCullers werde ich zukünftig noch einiges lesen!


    4ratten

    Ich werde kein&nbsp;Geld hinterlassen. Ich werde keinen Aufwand und Luxus hinterlassen. Aber ich möchte ein engagiertes Leben hinterlassen.<br />(Martin Luther King)

  • Mitten in einer tristen amerikanischen Kleinstadt steht ein schiefes, verfallendes Haus. Man könnte meinen, es stehe leer, wenn man nicht ab und an ein fratzenhaftes Gesicht am Fenster erspähen würde.


    In der Vergangenheit war das Gebäude jedoch voller Leben. Miss Amelia, eine imposante, resolute Erscheinung, betrieb dort einen Laden, in dem sie alles von selbstgebrauten Heilmitteln bis zu hausgebranntem Whisky verkaufte. Nach einer katastrophalen Kurz-Ehe lebte sie wieder alleine, bis eines Tages ein buckliger Fremder auftauchte, der behauptete, Amelias Vetter zu sein. Zum allgemeinen Erstaunen fand "Vetter Lymon" Aufnahme in Amelias Haushalt und wurde ein regelrechter Publikumsmagnet. Ihm ist es auch zu verdanken, dass Amelia in ihren Geschäftsräumen ein rege frequentiertes Café eröffnete, in dem sich die ganze Stadt gerne traf.


    Dass das nicht ewig so weitergehen konnte, ist völlig klar, wenn man die ersten Seiten der Novelle gelesen hat, in denen der jetzige Zustand des Hauses beschrieben wird. Und dass die Rückkehr von Amelias Exmann, der zwischenzeitlich im Gefängnis gesessen hat, der Wendepunkt in der Geschichte ist, weiß man auch schon recht früh. Doch was sich da zwischen Amelia, Vetter Lymon und dem Ex abgespielt hat, erfährt man erst am Ende der Erzählung.


    Carson McCullers versteht sich meisterhaft darauf, Atmosphäre zu schaffen und die miefige, trostlose Kleinstadt sehr treffend zu porträtieren, von den Wetterverhältnissen bis zu den Tratschereien und wilden Vermutungen der Einwohner. Die unkonventionelle Miss Amelia sticht aus der spießigen Masse hervor mit ihrer hemdsärmeligen, kompromisslosen Art, ihren Heilkünsten und ihren zahlreichen Eigenheiten und ist vielleicht keine grundsympathische, aber eine eindrucksvolle Hauptfigur, die sich von dem plötzlich auftauchenden, ein wenig rätselhaften Lymon unerklärlicherweise um den Finger wickeln lässt.


    Was genau die beiden verbindet, wird nie so ganz klar. Ist es eine Liebesbeziehung, etwas Familiäres, reine Freundschaft oder auch eine Art verquere Geschäftsbeziehung? Als Amelias Exmann Marvin wieder aufkreuzt, wird Lymon auch hier zum Katalysator der Ereignisse, aber was dann geschieht und wie, hat mich doch vor einige Rätsel gestellt. Mir hat sich nicht so recht entschlossen, warum die Situation in der geschilderten Weise eskaliert ist und was die Beweggründe der Figuren waren, so dass ich das Buch mit einem ziemlich großen Fragezeichen weggelegt habe und immer noch nicht sicher bin, worauf die Autorin hier eigentlich hinauswollte.


    Ich habe kürzlich einen Artikel über McCullers gelesen, in dem die "Ballade" als ihr merkwürdigstes Buch bezeichnet wurde, und bin geneigt, mich der Einschätzung anzuschließen. Weil ich ihre Art zu schreiben aber grundsätzlich mag, versuche ich es bestimmt noch mal mit einem ihrer Romane, denn schließlich mochte ich "Das Herz ist ein einsamer Jäger" sehr gerne.


    3ratten

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen