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Die amerikanische Schriftstellerin Joan Didion erzählt in diesem Essay vom Tod ihres Mannes am 30. Dezember 2003. Und von dem Jahr, das folgte.
Der Tod von John Gregory Dunne - Schriftsteller wie Joan Didion selbst - fällt in eine ohnehin sehr schwere Phase in ihrem Leben: Sie und ihr Mann sind gerade vom Krankenhaus Beth Israel North in New York, wo ihre einzige Tochter Quintana im Koma liegt, nach Hause gekommen, als ein Herzinfarkt Dunne niederstreckt. Er ist sofort tot
Quintana kommt zwar nach einiger Zeit wieder zu sich, gerät aber Ende März 2004 erneut in Lebensgefahr, als sie nach einer Hirnblutung erneut ins Koma fällt.
Joan Didion beschreibt ihr Handeln in diesem so schwierigen Jahr, sie beschreibt, wie sie sich nicht von ihrem Mann zu lösen vermag. Das "magische Denken" bezieht sich dabei auf rituelle Handlungen: Wenn sie dies oder jenes tut oder unterlässt (z.B. seine Kleider weggeben), getan oder unterlassen hätte - vielleicht würde John zurückkehren. Denn das Schlimme an einem so plötzlichen Tod ist sein vollkommen unvermittelter Einbruch in das alltägliche Einerlei, das aber nach ihm selbstverständlich nicht wiederkehrt.
Eine nicht geringe Rolle spielt in Didions Essay auch die Reflexion über das Selbstmitleid, das sie bei sich feststellt und zu dem sie sich sehr ambivalent positioniert: Einerseits verweist sie darauf mit wieviel Herablassung sie etwa auf die Publikation von Leftover Life to Kill von Caitlin Thomas - der Witwe von Dylan Thomas - reagiert hat, als es 1957 publiziert wurde, andererseits räumt sie ein, dass es Verluste gibt, die einen mit der ganzen Wucht der Sinnlosigkeit des Lebens konfrontieren.
"The Year of Magical Thinking" wurde von der Kritik begeistert aufgenommen und ist mit Sicherheit ein sehr berührender Text. Jedoch habe ich mich nicht selten während der Lektüre gefragt, ob mir das Ganze nicht zu persönlich ist, um es überhaupt mit der nötigen Distanz lesen zu können: Sehr persönliche Texte sind ja häufig für Außenstehende nur in ihrem dokumentarischen Charakter interessant, nicht als ästhetisches Gebilde.
Joan Didion rutscht tatsächlich oft in die Topoi ab, die man gut kennt, in das Festhalten an den harten Fakten (sie betont, wie absurd für sie die Vorstellung war, sich einer Autopsie zu widersetzen: Sie wollte eine medizinische Aufarbeitung der Gründe für den Tod ihres Mannes), das Zurückziehen ins Schneckenhaus, die Unmöglichkeit, sich auf anderes als auf den Verlust zu konzentrieren usw.
Zugleich - und das macht den Text dann doch interessant - weiß Didion um diese Topoi, sie will nichts Besonderes sein, sondern einen vielleicht nicht einmal exemplarischen, aber ganz sicher auch nicht besonders schrecklichen Fall schildern. Sie zitiert seitenweise aus Abhandlungen (soziologischen oder auch medizinischen), die sich mit dem Sterben und seinen Folgen für die Hinterbliebenen beschäftigen, sie geht auf die Suche nach Darstellungen von Hinterbliebenen in der Literatur - all das um zu zeigen, dass ihr Fall, so besonders hart er durch die zeitliche Nähe der Lebensgefahr der Tochter und des Todes des Ehemannes erscheint, von ihr selbst nicht als besonders herausgehoben betrachtet wird. Diese Unaufgeregtheit und das völlig fehlende Pathos zeichnen den Text sehr positiv aus.
Außerdem sind die Gedanken Didions zur fehlenden Nähe, auch nach einer Ehe von 40 Jahren, sehr faszinierend. Didion streicht heraus, wie sehr sie selbst dachte, ihren Mann gut zu kennen, all seine Reaktionen voraussehen zu können - und dann, in kleinen Schnipseln, die sie nach seinem Tod findet, verliert sie sehr schnell diese Gewissheit. Es geht dabei nicht um dunkle Geheimnisse, die sie entdeckt, sondern um völlig banale Dinge, die ihr zeigen: Der Mann, mit dem ich 40 Jahre lang verheiratet war, war immer noch eine von mir getrennte Person.
Sie schreibt all dies wertfrei, sie missioniert nicht, pfropft nicht auf, ihre Darstellungen verlieren nie den Charakter des ganz Persönlichen, das keinen Anspruch auf Objektivität erhebt, aber ihr selbst ganz viel Verständnis für die Schmerzen anderer Hinterbliebener beschert.
Genau: Da ist noch die Unterscheidung zwischen Schmerz (grief) und Trauer (mourning), "The Year of Magical Thinking" ist eher ein Buch über den Schmerz, wenn er auch wie in Watte verpackt erscheint. Vielleicht ist er deshalb so eindringlich, weil er in seiner mangelhaften Kommunizierbarkeit sichtbar gemacht wird - und vielleicht ist das Buch dort am schlechtesten, wo Didion vor dem Schmerz kapituliert. Zugegebenermaßen tut sie das selten. Übel nehmen kann man ihr diese Momente des Zusammenbruchs nicht, auch nicht, dass sie sie nachträglich nicht herausredigiert hat. Der Text, wie er ist, muss in seiner Unabgeschlossenheit und Unvollkommenheit reichen.