Beiträge von geronemo

    H. A. DeRosso „.44“


    „If they move, kill’em“
    (Pike Bishop am Ende des Vorspanns von „The Wild Bunch“ von Sam Peckinpah


    Eine Lanze für den Western
    Eine etwa längere Auslassung über den Western als literarische Gattung, als Film und als auf dem Buchmarkt in der BRD fehlender am Beispiel von H. A. DeRossos Roman „.44“ von 1953 (das Buch aus dem Ramsch bei Lehmanns in Hannover, es gibt noch keine deutsche Übersetzung. Es lässt sich aber leicht im Original lesen.)


    Zunächst, gleichsam zur Einführung, einen längeren Text aus alten Notizen, den ich in einem früheren Sommer in den Ferien an der Irischen See bei Bettystown, südlich von Drogheda, geschrieben habe unter Beihilfe eines Buches über Handfeuerwaffen von einem ehemaligen englischen Major. (Jeder, der mal was in Richtung Krimi oder Western schreiben wollte, wird meine irischen Recherchen zu schätzen wissen)


    Die wichtigste Entwicklung in der Geschichte der Handfeuerwaffe war 1835 die Patentierung eines Revolvers von Samuel Colt of Hartford, Connecticut. Rechtzeitig zum Beginn der Massenproduktion entwickelte Colt eine tödlich demokratische Waffe. Nennen wir ihn zunächst den Colt Navy Revolver. Der Krieg in Mexico von 1846 ließ Colts schon arg ramponierte Geschäftstätigkeit wieder eifrig nach oben schnellen. Der Colt mit dem Single Action Lock war natürlich noch recht langsam.
    In der großen Ausstellung 1851 in London zog Samuel Colt zum ersten Mal größere Aufmerksamkeit auf sich. Dann kamen neue Kriege, die für die Produktion von Waffen immer anregend wirken: Der Krim-Krieg von 1854-56 und der indische Aufstand von 1857-58. Es kam Adams Dragoon Revolver. Damit konntest du zwar schneller schießen, aber die Zielgenauigkeit gegenüber einem Colt war schlechter. Außerdem schoss er nur 5mal. Das war die britische Antwort auf den Colt. Mit ihm versuchten die Briten den Markt für sich zurück zu erobern.
    Der amerikanische Bürgerkrieg brachte die Praxisprobe für den Colt. Colts Revolver war relativ billig, die Teile waren nachzukaufen, er wurde gewissermaßen die Thin Lizzy und der VW unter den Handfeuerwaffen. Dann kam der Double-Action-Schloß Revolver von William Tranter. Damit konnte man zunächst mit dem Mittelfinger den Hahn spannen und dann mit dem Zeigefinger den Hahn loslassen und den Schuss auslösen.
    (Exkurs im Exkurs über das, was meine Kinder in Irland glotzten, guckst du: Und zwischendrin der neueste Hit aus dem Tellie: Bananas in Pyjamas, was sofort weiterentwickelt wird zu Sukkinis in Bikinis, Apfelsinen in Vitrinen, Himbeeren mit Gewehren, Pampelmusen, die schmusen --Matschbirnis in den Hirnis. Der Song kommt mit in das Buch, in das Waffenbuch, in Papas Buch - na in das Buch. Der Iren Schwarm entfuhr in Richtung Drogheda - nach Pizza in Backofen, Kaffee und Tee und Kuchen und Eis und Strand und und Bananas in Pyjamas. Andauernd singen sie mir dieses bescheuerte Lied vor. Kontrollieren, dass es auch ja mit dem Text stimmt. Ich muss es ihnen auf dem alten Acer-Laptop zeigen. Sie zwingen mich zu Verbesserungen, Veränderungen. Hier geht es um die Wahrheit und um nichts anderes. Und dass das ja drin bleibt. Versprochen.)
    1858 präsentierte Adams einen neuen Revolver mit einem Schloss, das Leutnant Frederick Beaumont von den Royal Engineers entworfen hatte. Mit dem Teil, Beaumont-Adams genannt, kannst du den Hahn auch mit dem Daumen oder dem Handballen zurückziehen. (Ja, das kennt man aus einigen Western) Damit verbindest du die Vorteile des Tranter Revolvers mit denen des Colts.
    Die Amerikaner aber standen weiterhin auf Single-Action-Revolver. Das Kaliber spielte auch eine Rolle. In den Western handelt es sich ja meistens um 45in(11,43mm) oder 44in(11mm). Aber das Nachladen dauerte länger als in den Filmen. Und dann, na es wurde auch langsam Zeit, wurden die Patronen erfunden (Cartridges). Damit kommt der Name Smith&Wesson ins Spiel.
    1857 kam ein Teil, das mit Kupferpatronen geladen werden konnte auf den Markt. (Kaliber aber nur 32in(8.13mm)
    Mit dem Webley Mark 1 Revolver konnten alle verschossenen Patronen auf einen Schlag ausgestoßen werden. Das sind die Teile, die sich aufklappen lassen. Aber Smith and Wesson ließen sich auf einen Riesendeal mit den Russen ein, weswegen andere den wilden Westen übernahmen. Hergestellt wurde "the most famous weapon, firing centre-fire cartridges of 45in(11mm)“. Dabei handelte es sich um das Armeemodell von 1873, bekannt als Peacemaker oder Frontier-Model. Er wird heute noch hergestellt!
    Und dann gab es den berühmten Royal Irish Constabulary Revolver von 1867 in verschiedenen Ausführungen bis zum Ende des 19. Jahrhunderts.
    Webleys belieferte die britische Armee bis nach dem Zweiten Weltkrieg, als der Browning P 35 eingeführt wurde.
    Die modernen Colts haben seitlich herausschwingbare Magazine. Ein schönes Modell, herrlich ausbalanciert, war das Modell Nr. 3 von Smith&Wesson, die damit in den europäischen Markt einstiegen.
    Die Amerikaner bevorzugten einen soliden Rahmen (solid-frame-revolver) gegenüber einem hingend-frame-revolver zum Wegklappen. Schöne Teile hingegen nach wie vor: Der Enfield Revolver Mark II von 1881, Saland and Somerville Revolver und der Thomas Revolver. Damit könnte das Gebiet des Revolvers abgeschlossen werden und der Übergang eingeleitet werden zu den selbstladenden Pistolen. Bei diesen galt es vor allem, die Energie, die beim Rückstoß erfahrbar wurde, zu nutzen, um die Pistole wieder schussfertig zu machen. 1884 tauchten die ersten Selbstlader auf dem Markt auf. Aus der Borchardt wurde die Luger. Bergmanns Knarren und Mausers. Die Deutschen stiegen ins Waffengeschäft ein. 1898 trug Winston Churchill im Sudan eine Mauser vom Modell 1896, das Teil mit dem anschraubbaren Schaft aus "Leichen pflastern seinen Weg" von Corbucci. Mit der Roth-Steyr aus Österreich tauchten die ersten "automatischen" Pistolen auf.
    So haben wir denn heute die unfriedliche Koexistenz von Revolvern und automatischen Pistolen, wobei die Amerikaner mehr den Revolvern, die Europäer mehr den automatischen Pistolen zuneigen.
    Mit Doctor Richard John Gatlings Produkt wollen wir uns hier nicht mehr ausführlicher beschäftigen. Das blieb Corbucci überlassen, der es aus dem Sarg von Django wiedererweckte und dann Peckinpah, der den Wild Bunch, jedem von ihnen, ein furioses Ende mit der Gatlin-Gan ermöglichte, deep south in bloody mexico. Dazu passt als Musik Silvestre Revueltas „La Noche de los Mayas“ oder die Filmmusik von John Fielding mit der schönen Fassung von La Golondrina.
    Eine Menge Erfindergeist ist in die Planung und den Bau dieser Tötungsmaschinen investiert worden - und hat sich wohl auch gut ausbezahlt. Waffen sind geil, und was geil ist, wird auch geil verkauft. So einfach ist das. Da lassen sich der amerikanische Mann und Charlton Heston nicht lumpen.
    Warum diese ausführlichere Recherche über Waffen? Weil sie eine der Voraussetzungen für einen (hardboiled) Krimi oder Western ist. Im Krimi von Männern - und von Western für Frauen habe ich noch nichts gehört - geht es immer auch um Waffen, weite offene Landschaften, Zonen der Gesetzlosigkeit und Freiheit und Pferde und Indianer und Gesetzlose und Revolvermänner….. (Allerdings hat mein alter Kumpel aus der hiesigen Übersetzerliga von Schundromanen, W.C., einen guten sogenannten erotischen Western für eine Bastei-Heftromanserie geschrieben, der unter uns nur als „Fickwestern“ noch Erwähnung findet. Letztlich gehören Frauen in den Western ins Bordell, ins Farmhaus oder als toughe Ladies (Johnny Guitar) auf die Veranda oder die Mainstreet (Schneller als der Tod) zum Showdown). Und deswegen sollte ein zukünftiger Krimi- oder Western Autor sich in dieser Materie (der der Waffen) etwas auskennen.
    Ein Auftragskiller wäre ein Knotenpunkt sozialer Sehnsüchte und Ängste. Ein breakthrough? Ein Killer braucht ein Schema, an das er sich hält. In der Methode kann er durchaus unkonventionell und spontan vorgehen wie Henry. Sein Schema besteht darin, dass er souverän killt. Das fasziniert an ihm, deswegen fühlen feige Typen, die sich nicht getrauen, sich über ihre Situation klar zu werden, sich von Killern angezogen. Das sind noch toughe Typen. Ein Mann muss auch mal......... (A man has to do what a man has to do)
    Letztlich fängt es an wie die "Ein Mann sieht rot"- Masche. Oder dieser amerikanische Film mit Michael Douglas, der seltsam zensurgedämpft daherkam (Falling Down). Dem Bürger reißt's vom spitzen Kopf den Hut, In allen Lüften hallt es wie Geschrei. Aber das muss dann nicht versöhnend abgehappyendet werden, das muss bis in den widerlichen Exzess durchgeführt werden wie bei Henry. Es gibt kein Entkommen. Die moralischen Werte sind fiktive Konstrukte, die nur solange überleben können, wie sie konsensfähig sind. Wenn jeder sich an Django orientiert, wirklich souverän und frei und autonom sein will, dann braucht er Waffen und Möglichkeiten, ohne schwere Kettung ans System zu Geld zu kommen. Das System ist vom Übel. Dahinter gehen wir nicht zurück. Das falsche Leben bleibt ein falsches.
    Soweit der irische Handfeuerwaffenexkurs, bevor wir uns „.44“ langsam, gaaaaanz langsam und auf Umwegen zuwenden


    Benutzte Literatur zum Thema für Interessierte:
    Programm Roloff und Seeßlen, Western Kino, Geschichte und Mythologie des Western-Films, Grundlagen des populären Films 1, rororo Sachbuch 1979
    John H. Lenihan, Showdown, Confronting Modern America In The Western Film, University Of Illinois Press, Urbana and Chicago 1985
    Frank Arnold, Ulrich von Berg, Sam Peckinpah, Ein Outlaw in Hollywood, Ullstein Sachbuch, Reihe populäre Kultur 1987


    Der Western gehört zur Sozialisation meiner Generation und kann und sollte von daher hinreichend legitimiert sein, um als Gegenstand einer Untersuchung sich genauer betrachtet zu werden. Dies besonders heute (2007), da es keine Western in Form von Büchern mehr auf dem deutschen Buchmarkt gibt, und auch Hollywood nur noch gelegentlich sich aufmacht an die Grenzen der Zivilisation.
    Die Tatort-Mentalität muss den Leuten hier doch langsam zum Halse raushängen. Wen öden denn nicht mählich diese krisengeschüttelten, beziehungsverletzten übersensiblen Kommissarinnen in den problemüberfrachteten Krimis an, in denen alle wichtigen sozialen Themen pflichtschuldigst abgearbeitet werden, wobei alle möglichen Helden für eine wunscherfüllende Phantasie auf der Strecke bleiben. Verschont uns mit dem pilcherisierten Realismus der Lady-Krimis, die ans Deckchensticken erinnern. Oder den Krimis um die Leichenwühler, dieser ganze morbide Pathologen-Kram, der jedem, der länger im Krankenhaus lag, zuwider ist. Oder diese CSI-Fuzzelbrüder mit ihren Lupen und DNA- Tests. Ach wo bleiben die unendlichen Weiten des Weltraum, der Wilde Westen und das Land der Zombies?


    In den Buchläden gibt es für die sonderbarsten Gattungen von Büchern Regale: für Krimis, für historische Romane, für Frauenliteratur, für Esoterisches, für Lustiges, für Fantasy und Science-Fiction, für Erotisches – aber nicht für Western. Die Taschenbuchverlage haben inzwischen alle ihre Westernreihen eingestellt. Vorbei die Zeiten, als es noch Romane von Louis L’Amour, Wayne D. Overholster und anderen bei Heyne gab. Nur im Heftromansektor bei Bastei wird noch mit Colts geschossen. Warum die Idiosynkratie des deutschen Buchmarkts gegenüber dem Western? In den USA, da genügt ein Blick ins Internet (http://www.fantasticfiction.co.uk/) gibt es nach wie vor jede Menge Taschenbuchreihen für Western und Autoren, die Western schreiben.
    Anders sieht es hier beim Vertrieb von DVDs aus. Allein die Vermarktung von John Wayne Filmen (The John Wayne Collection) in diesem Jahr, von ausgezeichneten Editionen wie etwa der von „Man nannte ihn Hondo“ (Special Collector’s Edition) zeigen, dass an Western ein nicht nachlassendes Interesse besteht.
    Nur neu gedrehte Western sind Mangelware. Es freut den alten Westernfan nicht unbedingt, dass es jetzt schon einen Western über schwule Cowboys gibt. Bald wohl noch welche mit Migrationshintergrund oder mit Helden mit maximaler Hautpigmentierung, um dem Stil der Ausländerbehörden zu genügen oder mit Lesben und Veganerinnen. Männerphantasien mit homoerotischem Hintergrund gibt’s schon bei Herman Melville (Moby Dick, Billy Budd – wo bleibt der wundervolle Film von Peter Ustinov mit Robert Ryan und Terence Stamp auf DVD?), das sind aber keine Geschichten von Schwulen, auch wenn Ismael gleich am Anfang mit Quiquec ins Bett hupft. Wer mit Berufsschwulen zu tun hatte, der weiß, dass sie sich manchmal kaum noch von militanten Emanzen oder Lesben in ihrem missionarischen Eifer unterscheiden. Das muss nicht sein. Das nervt.
    Der Westen ist, so scheint es, tot. Und so beendeten schon Roloff und Seeßlen ihr Buch über den Western mit den düsteren Worten: „…... und Don Siegel unterzog in „The Shootist“ (1976) den Mythos einer distanzierenden Würdigung, die noch einmal dem Western zurückgab, was ihm in den letzten Jahren abhanden gekommen war: Ruhe. Und vielleicht exakt diese Botschaft ist es, die endgültig dem Genre ein friedvolles Ende beschert, nämlich die, daß der Western tot, die Grenze verschlossen, die Gesellschaft korrupt ist und daß man sich darüber nicht besonders aufregen muß.“ (s.o. Seite 202)
    Da die Beurteilung von historischen und kulturellen Verschiebungen nur durch die subjektive Achse/Perspektive hindurch sinnvoll ist, versetzte ich mich zurück in die 50er Jahre. Nach einer aufregenden Zeit in Buenos Aires, in Encarnacion und Asuncion (Paraguay) am Rio Parana unter dem Kreuz des Südens, verschlug es mich 1955 zurück in ein verregnetes novemberliches Deutschland in eine schäbige Kleingartenkolonie (Abendfrieden) am Mittellandkanal in Hannover sowie in eine triste Schulrealität, der ich mich nur noch durch exzessive Lektüre zu entziehen vermochte. Wobei ich jede Art von Literatur las: Silber Western von G. F. Unger und G. F. Waco oder G. F. Buckett, Hauptsache G.F.) Science-Fiction Heftromanserien (außer Perry Rhodan, wo damals noch K.H.Scheer aktiv war) Marcel Proust, Dostojewski, Rimbaud und Lautréamont und auch Akim, Fulgur, Tarzan- und Micky Maus-Hefte. Die Welt war bunt und ließ sich vielfältig wiedergeben.
    Jeden Sonntag, das war der Highlight der Woche, ging ich dann mit meinem Bruder und einigen Knilchen aus der Kolonie am Kanal entlang in Richtung Friedenau bis nach Vinnhorst in ein altes verrottetes rotes Gemäuer mit dem vielversprechenden Namen „Walhalla“, wo wir zum Preise von 55 Pfennigen mit Western konfrontiert wurden, in denen sich das Elend eines Lebens am Mittellandkanal in einem engen Gartenhäuschen (mit 5 Personen in einer Laube leben zu müssen, mindert die Romantik einer Laube erheblich) öffnete in die unendlichen Weiten der Prairie, durch die einsame Kerle mit schweren Eisen an den Hüften ritten und heldenhafte Abenteuer erlebten, mit denen sich eigenes Schulversagen wunderbar kompensieren ließ. Der Western ist eine Männerdomäne und kaum jemand in meiner Generation wird sich als Jugendlicher den faszinierenden Männerphantasien der Hollywood-Western mit markanten Gestalten wie Kirk Douglas, Burt Lancaster, Gary Cooper, Audie Murphy etwas weniger, Randolf Scott, Robert Ryan und John Wayne entzogen haben können. In einer Welt, die dich von Morgens bis Abends wie ein „geficktes Eichhörnchen“ behandelt, werden Träume vom einsamen Revolvermann, der nur auf sich und seine 45er oder 44er, seine Winchester und sein Pferd gestellt in eine Stadt einreitet, mit stahlgrauen Augen, so dass nach G. F. Unger fast jede Frau „barfuß für ihn betteln gehen würde“ (was ein übler Spruch) und letztlich allein gegen alle die Stadt aufräumt und weiterreitet unvermeidbar.(Später würden wir singen: Dem Morgenrot entgegen, ihr Kampfgenossen all!)
    Diese Einer-gegen-Alle-Story gab es bereits Ende der 30er im Hardboiled Krimi (Rote Ernte, Red Harvest ) von Dashiell Hammett und als Film später mit Bruce Willis als „Last Man Standing“.
    In den 50er Jahren kam es in den USA zu einem Aufschwung des Western, der bis heute nicht wieder erreicht wurde. Der Western verlor seine Naivität (die der Fuzzy Filme etwa).
    Im Unterschied zur BRD, die in dumpfer Restauration unter einem greisen Adenauer dahinwurstelte, überall stank es noch nach alten Nazis, die frech das Sagen hatten, kam es in den USA zu einer reiferen Form des Western: „With the success of High Noon and especially the decline of McCartyism by 1954 as a major influence on Hollywood’s depiction of America, Western became increasingly critical oft he settled frontier community.“ Im Western verwandelte sich die spießige Kleingartenkoloniewelt mit ihren Laubenfesten in eine Welt, in der einsame Rebellen es den Spießern zeigten. Wenn Gary Cooper am Schluss mit dem Stiefelabsatz verächtlich den Sheriffstern zermalmt, dann haben wir das damals sofort verstanden: Aufs Gesetz ist auch geschissen, wenn es nur noch den Besitzenden dient. Höhepunkt dieser Entwicklung ist ein Western, der nach wie vor zu meinen Favoriten zählt: „No Name on the Bullet“ von Jack Arnold (1958) mit Audie Murphy. Murphy kommt als angeheuerter Killer in eine Spießerstadt und sofort greift dort die Angst um sich, weil jeder sich bedroht wähnt von dem Killer, der zynisch und fast sogar amüsiert beobachtet, was in den braven Bürgern alles hoch kommt. „His presence triggers desperate responses that take the form of a drunken challenge or ugly mob violence.” (s.o. Lenihan, S. 135)
    Eine ähnliche Geschichte erzählt auch H. A. DeRossos Roman von 1953 „.44“.
    Dan Harland, ein Berufskiller (a hired gun) mit einem .44 Frontier Colt an der rechten Hüfte jagt einen gewissen Lancaster, stellt ihn und im Showdown stellt sich heraus, dass Lancaster schneller zieht, aber nicht abdrückt, so dass er von Harland erschossen wird, den durch diesen Vorfall das Gewissen etwas zu zwicken beginnt. Er reitet zurück in die Stadt und nimmt sich denjenigen vor, der ihm den Auftrag gegeben hat. Dieser Elliott ist ein windiger Geselle. Da Harland weiß, dass Lancaster aus Edenville kam, fragt er Elliott, wer ihm den Auftag gegeben habe, bekommt aber nichts aus ihm heraus. Im Gegenteil, Elliott warnt ihn „Stay away from Edenville“.
    Als Harland geht, will Elliott ihn von hinten erschießen, was aber misslingt, da Harland damit gerechnet hatte und Elliott umlegt.
    H.A.DeRossa hält sich nicht mit Nebensächlichkeiten auf. Er baut eine Spannung auf, die bis zur letzten Seite anhält. Die Dialoge sind kurz und knapp, die Kommentare präzise und lakonisch, beschrieben wird nur das, was für die Handlungsführung unbedingt nötig ist.
    Harland reitet nach Edenville wo er, bei wem er sich auch immer nach Lancaster erkundigt, auf Ablehnung und Hass stößt. Er bemerkt bald, dass er alle gegen sich hat: den Besitzer des Saloons mit seinem öligen Revolvermann, die Stadtbewohner, die jungen reichen Erben einer Ranch und die Witwe von Lancaster, die auf einer verfallenen Ranch lebt und zu der er sich erotisch hingezogen fühlt. Alle wollen von ihm wissen, ob Lancaster tot ist, aber Harland versteht es, einer klaren Antwort systematisch auszuweichen. Er bringt in Erfahrung, dass Lancaster mit anderen zusammen einen Bahnüberfall durchgezogen hat, wird von einem Detektiv grausam gefoltert, der wissen will, wo die Beute versteckt wurde und gerät von einer üblen Situation in die nächste. Elemente einer Krimihandlung deuten sich an, man will als Leser wissen, was hinter dem ablehnenden Verhalten gegenüber Harland steht und geht und reitet mit ihm auf die Suche nach einer Wahrheit, die immer neue Fassetten annimmt, durch die Landschaft. Es tauchen neue Verdächtige auf und Harland legt einiges an Leuten um, bis das Buch ein heftiges Ende nimmt.
    Sonderbar ist an dem Buch, dass Harlands Verhältnis zu Frauen immer in Gewaltszenen zu enden scheint. Das erinnert ein wenig an die Rolle von Frauen bei Raymond Chandler und, wenn auch nicht ganz so heftig, bei Mickey Spillane. Obwohl Harland sich bemüht, sich korrekt zu verhalten, behandeln ihn alle als den gewissenlosen Revolvermann der er auch ist, der aber auch seinen Stolz hat (er hat nie jemanden in den Rücken geschossen) und er will rausbekommen, warum sich Lancaster von ihm erschießen ließ.
    Der Roman wird angenehm kurz und präzise erzählt. Und genau dieser Kürze, diese lakonische Art macht den Reiz dieses Buches aus. Wir befinden uns fast schon in der Welt des Italo-Western und Harland wirkt wie eine der Figuren, die später Clint Eastwood verkörpern wird.
    In Deutsch, außer einigen schon längst vergriffenen Heften und Büchern in wohl eher schlichter Übersetzung, gibt es nichts von H.A.DeRosso, aber auch seine englischen TBs sind nur schwer zu erhalten. „.44“ gibt es billig bei amazon, aber das war‘s dann auch schon.
    In einer Kurzbeschreibung wird im Netz auf einen vorbildlichen Storyband hingewiesen: gibt:
    Of all the amazing writers published in the popular fiction magazines of the 1940s and '50s, one of the greatest was H.A. DeRosso. Within twenty years he published nearly two hundred Western short stories, all noted for their brilliant style, their realism and their compelling vision of the dark side of the Old West. Now, finally, for the first time in paperback, we have a collection of the best work of this true master of the Western story. “Under the Sun” This collection, edited by Bill Pronzini, presents a cross-section of DeRosso's Western fiction, spanning his entire career. Here are eleven of his best stories and his riveting short novel, "The Bounty Hunter", all powerful and spellbinding, and all filled with the excitement, the passion, and the poetry of Western writing at its peak.


    Mal abgesehen von den ausgelutschten Euphemismen des Waschzettelgeschreibsels der Werbefuzzis, es ist unmöglich (mir zumindest) bisher mehr über die Person dieses Autors zu erfahren.
    Western, gute Western gibt es in amerikanischen Taschenbüchern jede Menge von Loren D. Estleman (ausgezeichnet seine Studie über den Kampf im OK-Coral, aus der man erfährt, was für ein fieser Typ dieser Wyatt Earp war - gab‘s bei Heyne) , Bill Pronzini, Elmore Leonhard (ausgezeichnete Western), Max Brand, Elmar Kenton, Wayne D. Overholser, Larry McMurtry, Cormac Mac Carthy und viele viele andere, die sich in der oben bereits erwähnten web-site finden lassen.
    Was wächst hier bei uns für eine Generation von Jünglingen heran, die nie mehr die Weiten der Prairie oder die der hupfenden Meere (etwa in der ausgezeichneten Aubrey-und-Maturin-Serie von Patrick O’Brian) in den Wunschphantasien eroberten. Auch das Weltall hat als „location“ (was eine üble Worthülse im Neudeutschen) nicht mehr den Reiz der frühen Hohen Zeiten der „Space Operas“. Es wird Zeit, in die sterilen, fern jeder historischen Bezüge dahin dümpelnden Fantasyfluchtwelten neue Elemente einzuführen.
    Das Beste, was in den letzten Jahren im Bereich erweiterter Crap-Art geschrieben wurde ist meines Erachtens Stephen Kings Mammutwerk vom Dunklen Turm. Dessen Hauptfigur ist, das kann King, dem King, nicht hoch genug angerechnet werden, ein Revolvermann, ein gunslinger.
    If they move, kill’em


    © geronemo 07

    Katja Lange-Müller, Die Enten, die Frauen und die Wahrheit, Erzählungen; Fischer Taschenbuch Verlag Frankfurt am Main, Januar 2006, 8,95 €


    Es gibt schlichte Leser, die vor allem nach einfach erzählten Geschichten mit vielen Dialogen, klarem Handlungsaufbau und überschaubarem Personal Ausschau halten. Wenn ein Buch, wie etwa Peter Weiss‘ „Die Ästhetik des Widerstands“ keine Absätze, keine Dialoge und sehr viele Personen und Beschreibungen (etwa des Pergamon-Altars) enthält, dann weiß der einfache, schlichte Leser, der ich manchmal auch bin, dass es hier um mehr geht, als um leichte Unterhaltung. Dumm wäre er nur dann, wenn er aufgrund der bisher angeführten Kriterien, sich der Lektüre einer Ästhetik des Widerstands (auch gegen das identifizierende Lesen) verweigerte, betröge er sich doch selbst um ein erleseneres Lesevergnügen als um dasjenige, das ihm die Lektüre eines Romans von Stephen King etwa bereiten würde. Falsch wäre es auf jeden Fall, die leicht konsumierbare Geschichte gegen den hochkomplizierten Text auszuspielen – beides hat seine Berechtigung und seine Zeit.
    Gute Autorinnen und Autoren sind in der Regel keine schlichten Leser, vielmehr solche, denen die Darstellungsform, das „Wie“ einer Geschichte, der Stil, mindestens genauso wichtig sind wie der Kick, der sich aus einer spannenden Handlungsführung ergibt. Es gibt Zeiten der Niedergeschlagenheit, da benötigt auch der gute Autor heftigere Lesedrogen, und Zeiten der Ausgeglichenheit, da macht er sich gern auf die Suche nach den verlorenen Zeiten auf den uferlosen Flüssen der eigenschaftslosen Innenwelten in der Fiktur.
    Wenn ich höre, wie ein Autor oder eine Autorin von jemandem, den ich schätze, wie etwa Dennis Scheck, gelobt wird für ein neues Buch, dann kaufe ich mir nicht sofort dieses Buch, sondern schleiche mich gleichsam über die Dörfer an die Autorin, in diesem Fall Katja Langen-Müller, heran.
    Ein Verfahren, das nicht genug empfohlen werden kann. Wer bei Kant gleich mit der Kritik der reinen Vernunft anfängt und nicht lieber mit der Allgemeinen Naturgeschichte und Theorie des Himmels droht sich zu überfordern, ebenso ginge es ihm (ihr) wenn er (sie) bei Joyce gleich mit dem Ulysses statt der Dubliner oder bei Marx mit dem Kapital statt dem Manifest anfangen würde. Der Weg über die Dörfer führt oft verlässlicher in die Städte. Man lernt auch deren verschmutzere Outskirts kennen. Wer hingegen von allem immer gleich das Beste haben will, der erinnert an ein kleines verzogenes Kind, dem jede Verzögerung einer Befriedigung gleich ein Anlass zum Knören, Nörgeln und Jammern ist. Derart wird ein angehender Meisterleser nie zu einem wirklichen.
    Nun zu dem Erzählungsband von Katja Lange-Müller. Der Waschmitteltext auf der Rückseite erweist sich bald nach Beginn der Lektüre als Betrug. Dort steht: „Klassische Erzählungen, Storys in der Manier von Hemingway.“ Nichts wäre ungenauer. Welch dämliche Werbefuzzi ist verantwortlich dafür, dass sich der Fischer-Taschenbuch-Verlag dazu hergibt, irreführende Versprechungen hinten auf ein Buch schreiben zu lassen, nur um sich bei schlichteren Lesern anzuschleimen. Die werden dann enttäuscht und finden das Buch womöglich schlechter als sie es je fänden, wenn es ihnen intelligenter angepriesen worden wäre.
    Die Geschichten und Texte des Bandes, nach Themenschwerpunkten zusammengefasst, erweisen sich als wunderbar geschriebene Miniaturen, die einen Aspekt des Alltagslebens, aber auch sonderbare Begebenheiten aufgreifen und sprachlich so darstellen, dass einem Leser, der einen guten Stil zu schätzen weiß, beim Lesen das Herz aufgeht. Nein, einfache oder klassische Storys im Sinne Hemingways (die im Übrigen wie etwa „Die Killer“ alles andere als einfach sind, klassisch schon eher), die fast nur aus Dialogen bestehen, findet der Leser kaum.
    Er erfährt durchaus Wissenswertes über unsere Freunde die Pilze, über verschwiemelte Berliner Kneipen, über den akustischen Terror einer Wohnung im düsteren Berlin, über Enten, Frauen und die Wahrheit und vieles andere mehr. Es sind zumeist Miniaturen ähnlich denen, die sich in Vollendung bei Alfred Polgar finden lassen; kleine Einblicke in eine Welt aus der durchaus subjektiven Sicht von Frau Langen-Müller, wobei sich die Subjektivität dieser Sicht auf die Welt jedoch als eine vortrefflich formulierte erweist, so dass es Sätze oder Absätze gibt, die möchte man fast auswendig lernen, so schön sind sie. Etwa der folgende, in der es um die Leiden einer schwer süchtigen Raucherin in einem Flugzeug geht.
    Setzen wir uns zu der leidenden Dame in die Blechkiste auf dem Weg nach Boston:


    Denn mir war speiübel; wahrscheinlich längst nicht mehr von den etwa zwölf Zigaretten, die ich kurz vor dem Abflug binnen zehn Minuten sturzgeraucht hatte. In meiner linken Armbeuge zwiebelte ein schweißfeuchtes, vermutlich viel zu schwaches Nikotinpflaster all die feinen, gesträubten Härchen; ich biß auf einem Bleistift herum wie ein hungriger Hund auf einem Knochen. Irgendwann verabreichte mir eine der fleischfliegenblauuniformierten Stewardessen einen kaum tröstlichen Schluck pfälzischen Rotweins nebst einem bleichtrockenen Stück Hühnerbrust auf einem Verrat von Spinat, der einzigen Alternative zu dem schwammig ausschauenden Lammbraten mit schwarzer Soße. Und schließlich schoben sie auch noch den – in Zigaretten und Spirituosen wohlsortierten – Duty-free-Wagen durch die Gänge. Natürlich ließ ich mich nicht lumpen, sondern kaufte eine zulässige Höchstmenge Marlboros plus einer Pulle Whiskey. ….


    Und so geht es mählich in eine Katastrophe hinein, weil der Sicherheitsdienst auf der Toilette Spuren bös verderbenden Rauches in der Luft auszumachen glaubt und darob sein volles Security-Programm abfährt.


    Kurz, Texte, die man noch einmal aufmerksamer, bewusster lesen möchte, wenn man nicht so unendlich viel anderes nicht auch noch lesen müsste und möchte, etwa jetzt wirklich den neuen Roman von Frau Langen-Müller: Böse Schafe.


    © geronemo 2007

    Hallo sandhofer und Valentine,
    es ist nicht leicht, gegen den Mainstream der literarischen Geschmacksbildung anzuschreiben. Es bedeutet in der Regel, dass einem die meisten Möglichkeiten für Veröffentlichungen genommen werden.
    An die Stelle einer fundierten Kritik, die auch ins sprachliche Detail gehen sollte, liefert der Betrieb häufig ein hochgradig gestyltes Brimborium aus austauschbaren Etiketten, um Bücher als Stapelbücher oder Bestseller schnell zu verkaufen, die spätestens nach einigen Jahren erheblich an Reiz eingebüßt haben.
    Ich habe mir, spätestens als ich als Wahldichter fürs Abi vor Jahrzehnten Hans Henny Jahnn auswählte, vorgenommen, mir meine literatische Urteilsbildung nicht vom Markt diktieren zu lassen. Dies ging soweit, dass ich grundsätzlich übermäßig erfolgreiche Bücher mied, so dass ich behaupten kann, wohl der einzige Gymnasiallehrer für Deutsch in der BRD gewesen zu sein, der weder "Homo Faber" noch das "Parfüm" je gelesen oder im Unterricht behandelt hat. Auch um die Effi habe ich mich herumgedrückt und stattdessen lieber "Das steinerne Herz" von Arno Schmidt oder den "Regenroman" von Karen Duve oder gar die "Riesenzwerge" von Gisela Elsner vorzunehmen. Wobei letzteres den Schölerinnen und Schölern arg zu schaffen machte.
    Nie gelesen habe ich auch den ausgelutschten "Fänger im Roggen". Auch der plenzdorfsche Werther wurde nicht gelesen. Walser, Martin (im Unterschied zum guten Robert) und Konsorten spare ich ebemfalls aus. Stattdessem lese ich lieber Augusto Roa Bastos, H..A.DeRosso, Hermann Bang, Philip K. Dick, Bodo Dringenberg, Tanja Dückers und so fort.
    Bücher über Pubertierende sollten nur von ausgereiften Menschen geschrieben werden, sonst wird's in der Regel peinlich.
    Wenn das Buch von der Zeh konsequent (so dass für den Leser Distanz möglich wäre) aus der unreifen Perspektive der Protagonistin geschrieben worden wäre, aber so, dass mit der Unreifheit und der sprachlichen Hilflosigkeit nicht auch noch kokettiert würde, dannn wäre es vielleicht gegangen. Obwohl die dümmlich-naive Perspektive schon beim alten Papalagi anödete. Aber so, aus der Perspektive der angemaßten großen Kunst, mit Erschleichung auratischer Erhabenheiten, mit Name-Dropping und Querverweisen haut das nicht hin. Da nutzen auch körbeweise Philosophen nicht.


    Ein weiteres bestsellermäßges Buch, das wenig taugt, werde ich demnächst versuchen hier zu besprechen, nämlich Safranskis Romantik-Schinken, der mich, wie bisher fast alles von Safranski, enttäuscht hat, weil er kaum was über die Romanik aussagt, was nicht schon während des Studiums sich der Sekundärliteratur entnehmen ließ. Nur dass Safranski alles schön populär und eingängig zubereitet, so dass es sich breit verkaufen lässt, marktkonform eben.


    Wo ich noch einmal näher drauf eingehen sollte, ist die Art und Weise, wie die vielen obenstehenden Lobreden auf das Buch begründet werden. Häufig ist es ja so, dass ein Urteil über ein Buch mehr über denjenigen aussagt, der es formuliert als über den Gegenstand, der zum Anlass genommen wurde, um sich zu entäußern. Insofern ist es immer besser, wenn eine Rezension subjektiv ist, aber diese Subjektivität nicht als etwas Selbstverständliches verstanden wird. Subjektivität muss man/frau sich erst mühsam erarbeiten. Was die meisten für ihre Subjektivität halten, ist ein Mittelwert allgemeiner, unhinterfragter Vorstellungen und Meinungen.
    Aber Schluss jetzt.


    geronemo

    Rezension
    (Historische Romane und Studien)


    Aus dem Ramsch (mit dem Stempel „Mängelexemplar“):
    Antal Szerb, Das Halsband der Königin, dtv München 2005
    Fortune de France, 13 Bände von Robert Merle im Aufbau Verlag


    Nach wie vor beziehe ich einen Großteil meiner Bücher aus dem Ramsch. Da die Mehrheit der lesenden Bevölkerung sich am Markt und der Werbung orientiert und für teures Geld häufig schlechte Stapelbücher kauft, dagegen qualitativ bessere Bücher, anspruchsvollere und dem ungestörten Unterhaltungsbedürfnis der Leser weniger entgegenkommende häufig sehr bald schon im Ramsch auftauchen, stammen viele meiner besseren Bücher aus demselben.
    Eines dieser Bücher ist die Studie von Antal Szerb über die Halsbandaffäre im Ancien Regime kurz vor der Revolution.
    Nachdem ich schon vor Jahren mit großem Gewinn Alexis de Toquevilles Buch „L'ancien régime et la révolution. Paris 1856 (dt.: Der alte Staat und die Revolution)“ gelesen habe, als es darum ging die hilflose marxistische Geschichtsphilosophie (als materialistische Verlängerung der hegelschen) zu überwinden, erwies sich Toqueville als jemand, dessen Begriffe von Politik und Geschichte sich als tragfähiger erwiesen als alle Versuche, der Geschichte und der Politik „Gesetzmäßigkeiten“ zu unterstellen. Wer zugibt, dass alles, was sich ereignet hat, auch anders sich hätte ereignen können (wenn dies nicht so wäre, wäre unser Handeln überflüssig) gemäß dem Grundsatz der Kontingenz dessen, was geschieht, den interessiert es vor allem, wie es zu gewaltsamen gesellschaftlichen Veränderungen kommt. Den interessiert der Vorabend der Revolution.
    Gegen Ende des Ancien Regime, in den letzten Jahre kurz vor dem Sturm auf die Bastille, ereignet sich etwas, was dazu führt, dass die „Oben“ nicht mehr so können, wie sie wollen und die „in der Mitte“ nicht mehr so wollen wie sie sollen. Wobei es in Frankreich der Konflikt zwischen dem Tiers Etat (J.E.Sieyès: Qu’est-ce que le Tiers-état? –Tout), dem Hochadel und einem schwachen König ist, der zur Verschärfung der gesellschaftlichen und politischen Widersprüche führt.
    Im Unterschied zu Stefan Zweig, der in seinem Bestseller „Marie Antoinette“ mehr die stark simplifizierten psychologischen Elemente auf ungemein spannende Weise herausstellt, nimmt Antal Szerb die Geschichte um das berüchtigte Halsband als exemplarisches Beispiel, um an ihr die gesellschaftlichen Veränderungen einer hochexplosiven Zeit zu analysieren. Seine Studie ist klug, kenntnisreich und arbeitet das Wesentliche heraus. Die Charaktere werden nur insoweit entwickelt (Marie Antoinette, der König, Rohan, Jeanne de la Motte usw.) wie sie verdeutlichen, wie eine Anhäufung von Zufällen und unwahrscheinlichen Handlungen den inneren Zusammenhalt einer Gesellschaft unterminieren kann. Allein die Blauäugigkeit des Kardinals Rohan, der sich mit gefälschten Briefen von der Hysterikerin de la Motte und ihrem Anhang instrumentalisieren lässt, um seinem Standesdünkel zu willfahren, wirkt aus heutiger Sicht so unglaubwürdig, dass sich gut erkennen lässt, dass die Revolution derartiges hinwegfegen musste.
    Szerbs Buch ist ein Konzentrat, es schildert das Geschehen aufgrund der Kenntnis der Werke von Taine, Carlyle, Wahl, Zweig und anderen ohne dem Fehler einer wissenschaftlichen Erbsenzählerei mit dem ganzen Apparat von Fußnoten und dergleichen zu verfallen. Allerdings hätte eine Literaturliste für den interessierten Leser durchaus eine Bereicherung darstellen können. Schließlich lohnt es immer noch, die Bücher von Taine, de Toqueville und Carlyle heute zu lesen im Unterschied zu den Tanja Kinkels & Co.
    Die Faszination an der Geschichte in Form von Romanen verführt Autoren häufig dazu die Geschichte nur noch als Kulisse zu nehmen für simple Pilcher-Stories oder müde Abenteuer im üblich trivialen Muster.
    Derartiges kann auch besser ausgeführt werden. Wer etwa an den weiter zurückliegenden historischen Hintergrund der Halsbandaffäre sich in Form von kenntnisreich geschriebenen Romanen erlaben möchte, dem kann ich die 13 Bände von Robert Merles „Fortune de France“-Serie aus dem Aufbau Verlag bestens empfehlen. (Leider ist die Übersetzung im ersten Band noch etwas holperig antikisierend, aber das gibt sich) In diesen Bänden erfahren wir, welcher Kämpfe es bedurfte, bis sich im Widerstand gegen die Hochgestellten des alten Adels, der Fronde, das Königtum und mit ihm der moderne Nationalstaat herausbildete. Am Beispiel der Familie Siorac führt uns Merle mit zunehmender Meisterschaft durch die Geschehnisse um die Bartholomäusnacht, um Henri IV (dessen Bild mir hier klarer wurde als bei Heinrich Mann) und Richelieu.


    Résumé:
    „Der dritte Stand und das Volk zerstörten die jahrhundertealten Institution (gemeint ist die Monarchie, g.), der Adel und das Königtum lassen es zu. Das zweite Phänomen ist genauso wichtig wie das erste. Die französische Aristokratie und der Adel haben zur Entfesselung der Revolution in vollem Umfang beigetragen. Das ist der Schlüssel und Sinn unserer symbolischen Geschichte.“
    (Antal Szerb, Das Halsband der Königin, München 2005, Seite 264)


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    EDIT: Betreff etwas angepasst und Amazon-Link eingefügt. LG Seychella

    Nicht einfacher wird es, der Logik des Marktes, den Strategien der Werbefuzzis und denjenigen, die einem den letzten Dreck andrehen wollen, zu entkommen. Deswegen wäre es an der Zeit, die Kultur des Verrisses zu pflegen und zu hegen, um die armen Konsumenten, in diesem Fall die Leser von Büchern, vor den Angriffen der verkaufsfördernden Dummbeutel aller Genres und Verlage zu schützen. Verbraucherschutz gilt also auch für den Buchmarkt.


    Nun ein Verriss:

    Friedrich Schwarz, Der Griff nach dem Gehirn, Wie Neurowissenschaftler unser Leben verändern, rororo science, Reinbek bei Hamburg August 2007, 8.90 €


    Das Buch sollte besser betitelt werden: Der Griff nach dem Geldbeutel des dämlichen Lesers, der auf die Versprechungen von Waschzetteln bei Büchern hereinfällt. Denn das Buch von Schwarz hat durchgehend die Qualität eines Waschzettels. Es reiht Begriffe mit der Vorsilbe Neuro- aus allen Bereichen aneinander, brüht sie auf mit seichtestem Futurologen-Gewäsch, was alles sich ändern werde und vermeidet jeden Gedanken, der weiterdringen würde als bis zu großmundigen Prophezeiungen und Werbesprüchen. Kurz, das Buch kommt über das, was man Neuro-Idiotismus nennen könnte, nicht hinaus.
    Beispiele von blumigen, nichtssagenden und vollmundigen Aussagen, die großartig klingen, aber dabei so leer sind, wie die Versprechen jeder anderen Werbung auch reihen sich immer schneller und immer häufiger aneinander:
    „Ähnlich wie in der Computerindustrie werden immer schneller immer leistungsfähigere Medikamente auf den Markt geworfen und lösen alte Produkte ab.“ Man könnte ergänzen, ähnlich wie im üblichen Werbegeschwurbel auch, werden weiterhin immer mehr noch schwachsinnigere sprachliche Null-Aussagen aneinandergereiht, dass dem Leser irgendwann ob dieses schieren Geblubbers der Atem wegzubleiben droht beim Lesen.
    „In Zukunft werden neue Verhaltensweisen auftauchen, bis zu einem völlig anderen Verhaltensrepertoire, als es die Menschen bisher hatten. Eine Person, die etwas weniger depressiv, etwas weniger ängstlich, etwas bewusster und etwas aufmerksamer ist und ein etwas besseres Gedächtnis hat, wird sich anders verhalten als die Menschen heute“. Das ist doch wohl etwas logisch, oder? Kurz darauf heißt es: „Hier schlägt die Vision von der schönen neuen Welt tatsächlich Purzelbäume.“ Die tatsächlich Purzelbäume schlagende Vision ist mir tatsächlich bisher, bei meinem noch nicht durch Neuroceuticals und Neuro-Enhancement oder Gehirn-Doping aufgepeppten Sprachvermögen noch nicht untergekommen.
    Nicht dass sich Herr Schwarz, von dem wir erfahren, dass er Stabsmitarbeiter eines Hamburger Senators, Pressesprecher verschiedener Unternehmen und bei PR-Agenturen tätig war (wäre er nur dort tätig geblieben), nicht auch kritisch sich zu äußern versucht - er tut es und das klingt dann so: „Wozu länger leben, wenn man die gewonnen Jahre nur noch in einem immer schneller laufenden Hamsterrad verbringt und Glück nur noch mit Hilfe von Pillen erleben kann“. Ja wozu, wo man doch kein Hamster ist. Als Leser eher ein geficktes Eichhörnchen.
    Wenn man seine Recherche, unter Abstellung jedes eigenen Denkvermögens, auf die Aneinanderreihung von Projekten, Instituten, Begriffen und Zitaten aus Zeitschriften und Äußerungen von Wissenschaftlern begrenzt, gar noch Reklame für die Zeitschrift „Gehirn &Geist“ als Product Placement den Lesern unterzujubeln versucht, wenn man in seinem Leben noch nie über die glitzernde, glänzende Oberfläche des PR-Futzis hinausgekommen ist, dann mag es sein, dass man das Buch von Schwarz für ein Werk des Wissenschaftsjournalismus und für Futurologie hält.
    Selbst wahrscheinlich bald im Ramsch auftauchend sollte ein Leser dem Buch sowie dem Griff nach seinem Geldbeutel und Gehirn widerstehen und den Namen Friedhelm Schwarz auf die schwarze Liste derjenigen setzen, die nicht kapiert haben, dass es jenseits von Werbung und Wissenschaftsslang noch andere Möglichkeiten gibt, Wissen zu vermitteln.
    Ich möchte jedem, der an der Entwicklung der Neuro-Wissenschaften wirklich interessiert ist, das Buch von Eric Kandel (Nobelpreisträger) „Auf der Suche nach dem Gedächtnis“ München 2006 empfehlen. Noch teuer, aber es kann nicht mehr lange dauern, dann kommt es als Taschenbuch heraus. In diesem Buch kann er wirklich etwas lernen über die Funktionsweise seines Gehirns und seines Gedächtnisses. Das gilt (selbstredend) gleichermaßen für jede Leserin und jedes lesende Kind, ob mit oder ohne Migrationshintergrund – und auch Tiere mit neuroenhanctem Brain sollten sich nicht abschrecken lassen, wo wir doch alle unaufhaltsam auf dem Weg in eine postindustrielle, postinformationelle Neurosociety sein sollen nach Schwarz.


    © geronemo 07


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    (Wie schrieb einst Karl Kraus: Es reicht nicht keine Gedanken zu haben, man muss auch unfähig sein, sie ausdrücken zu können.)

    Den folgenden, etwas umfangreicheren Artikel habe ich geschrieben nach einer Besprechung des Romans "Spieltrieb" von Julie Zeh. Die Lektüre des Romans hat mich geärgert, und ich habe den Artikel an Ulrich Greiner geschickt, der meinte, ja, man könnte das so sehen, in der Süddeutschen habe Ähnliches gestanden, aber er halte das Buch für bedeutsam. Als nun meine Tochter auch von der Buch zu schwärmen anfing, fasste mich gelinde gesagt das Grauen. Gerade nach der Lektüre eines wirklich gut geschriebenen Romans wie Jan Siebelinks "Im Garten des Vaters" (eine Rezension habe ich in das Forum gestellt) fallen die Schwächen des Spieltriebs ins Auge. Was ich geschrieben habe ist, gewiss auch überzeichnet und zum Teil recht unsachich, ein Verriss. Inzwischen gibt es ein neues Buch von Frau Zeh, das ich mir aber, nach der Lektüre der ersten Seite in der Buchhandlung, nicht kaufen werde.


    "Der Criticus tut sich nicht als Weltenrichter auf. Er haßt, was ihn wurmt. Er liebt, was ihn lockt. Und sagt es."
    Alfred Kerr



    Erweiterte Fassung für die ZEIT (wurde nicht abgedruckt)[/u]



    In dem neuen „Reclam Buch der deutschen Literatur“ von Volker Meid, aus dem auch das obige Zitat von Alfred Kerr stammt, wird der Literaturkritik die Funktion der Vermittlung zwischen Literatur und Leser sowie der Orientierung des letzteren auf dem „höchst unübersichtlichem Markt“ angeraten. Allein um dem im Sinne einer eingebildeten Öffentlichkeit gerecht zu werden, bedürfte es eines gut gepolsterten Größenwahns, einer nicht haltbaren Objektivierung dessen, was als ein primär Subjektives sich nur mit Gewalt versachlichen ließe oder einer Dreistigkeit im Dekretieren dessen, was gut oder weniger gut lesbar sei, dass mir als im Dienst an der Literatur grau gewordenen Liebhaber derselben jene Kritik am bekömmlichsten erscheint, die der je eigenen Verfallenheit oder Abgestoßenheit des sie produzierenden vom Objekt der durch Lektüre zu befriedigenden Begierde gar nicht erst zu entkommen trachtet. Das war noch mal ein Satz, der das Kurzzeitgedächtnis fordert. Die Fetischisierung der einer historischen Lebenswelt geschuldeten Beziehung zwischen Ich und Du, zwischen Autor und Leser vermittelt über symbolische Formen (Ernst Cassirer) im Werk führt zu jener Härte und Kälte, die noch jedem Kanon von Klassikern, die zu Monumenten erstarrten, anhaftet.
    Es geht beim Kritisieren um Leidenschaften wie Hass und Liebe, aber nicht, wie wir sehen werden, um jene sanfte rosarote Lieeeehhbe, die es mit der Zärtlichkeit und Sanftheit hat (pervers wie Kuschelrock), bei der die Säfte aufhören zu fließen, die Gegensätze sich verwischen, so dass ich sie schlicht als fades Gesülze oder romantisches Geseiche bezeichnen möchte.
    Für die Sprache des Kritikers lässt sich daraus die Forderung nach einer persönlichen, das rauhe (das h lasse ich mir nicht von der Reform wegverordnen) Wort der Umgangssprache nicht meidendenden Diktion ableiten, denn nichts ist der Leidenschaft eines Liebhabers abträglicher als jenes vernünftige journalistische Geschwätz mit seiner vorgeblich abgeklärten Nüchternheit, das die Feuilletons so langweilig und die „literaturen“ so zahnlos macht. Die Logik der Schwiegermütter in spe ging noch selten mit derjenigen der Liebhaber kondom. (Ein Wort, bei dem Lektoren zuschlagen) Hinter den Journalisten und Journalistinnen, denen in den Jahren ihrer Praxis jede persönliche Note ausgetrieben wurde, stehen Redakteure, die, im Wissen um die mittlere Geschmackslage der Kulturnation, einer Fiktion, an der sie verbissen festhalten, jede peinliche oder anstößige Äußerung eines Schreibenden raussäubern. Wieweit die Zensur (das Wort stammt wie auch das Wort Rezension von lat. censere: begutachten, schätzen, taxieren) des guten Geschmacks, der verordneten Distanz zu dem, was die Leidenschaften ja durchaus erhitzen soll, bereits wirkt, ist mir klar geworden, bei dem Beispiel, an dem ich im Folgenden das Versagen der gegenwärtigen Literaturkritik erhärten möchte: an meinen Ausfällen der unfeinen Art gegen Julie Zehs von Ulrich Greiner in der ZEIT hochgelobten Roman „Spieltrieb“.
    Dass ein Autor, ohne von dem oder den Kritikern im Rahmen ihrer Möglichkeiten deutlich vernehmbar verdonnert zu werden, einen Roman über den Tod eines Kritikers schreibt, verweist auf die Zahnlosigkeit der Kritiker und die Macht und Arroganz von Autoren, die es nicht mehr nötig haben, um die Gunst der Verlage und Leser zu buhlen. Dem altgedienten Großkritiker mögen einige Fehlurteile unterlaufen sein – was ihn aber von vielen Rezensenten unterscheidet ist die Leidenschaftlichkeit mit der er die Illusion bekämpfte, es ließe sich emotionslos über schleche Literatur schreiben. Eine Literaturkritik, die es kaum noch zu Verrissen bringt, gerät in den Verdacht der Kumpanei mit den Verlagen oder Produzenten.


    Was ich vermisse, sind die Verrisse!


    Die einzelnen Fassungen meiner Attacken, in der ersten Rage über den Stil des Buches der Zeh sicher überzogen, befinden sich noch auf der Festplatte, und es wird mir beim Wiederlesen klar, wie sehr ich im Sinne einer Selbstzensur mich daran gemacht habe, die Aggressivität des ersten Entwurfs nach und nach zu entschärfen. Die Leidenschaft, das, was mich an dem Buch abstieß, was mich so sehr wurmte, dass ich es zeitweise nicht mehr lesen konnte und es in die Ecke feuern wollte, verflüchtigte sich bis hin zu dem, was Sie gerade gelesen haben. Denn die schalen, bekömmlichen Weisheiten sind nichts anderes als der verschnörkelte Rahmen, in dem sich die Wildsau als Schweinchen Schlau veredeln möchte auf dem Weg zum röhrenden Hirsch überm Bett des Ehepaares, dem der gute Fick (Wie bitte?) nur noch Erinnerung ist. Ähnlich gestaltet sich auch das Verhältnis, was ja immerhin mehr ist als eine „Beziehung“ zwischen Kritiker und Leser. In Frieden ruhen sie beieinander.
    Wo das Gerede über gute und schlechte Bücher zu abgeklärt und vernünftig wird, wird es unverünftig und verschleiert mehr als es enthüllt. „Ein anregendes Buch – eine Speise, die hungrig macht“ Diesem Aphorismus der als Erzählerin viel zu wenig geschätzten Marie von Ebner-Eschenbach hätte der junge Brecht in seinem Kampf gegen die kulinarische Kritik von Alfred Kerr gewiss widersprochen.
    Doch nun meine Auslassungen zum Spieltrieb in einer mittleren Fassung. Inzwischen hat mich jemand darauf hingewiesen, dass es auch weniger positive Äußerungen über den Zeh-Roman als die von Ulrich Greiner, die ja bei mir zum Kauf des Buches führten, gäbe. Für das Folgende jedenfalls spielten sie keine Rolle. Hier geht es darum, sich abzureagieren:





    Literatur der Generation Pisa


    Immer wieder, aber mit zunehmendem Alter seltener, fällt der eifrige Leser auf Rezensionen herein, die ihn dazu veranlassen, sich ein neu erschienenes Buch zu kaufen, anstatt auf die Zeit zu setzen, mit deren Vergehen viel momentan hochgerühmtes wieder verschwindet oder als Taschenbuch oder im Ramsch sich zu bewähren hat. Den letzten großen Reinfall verschaffte mir die im Zeitgeist dahindümpelnde ZEIT mit einem Artikel von Ulrich Greiner über den neuen Roman „Spieltrieb“ von Julie Zeh. Bevor ich auf dieses kaum lesbare Schwachwerk näher eingehe, möchte ich lieber über bessere Bücher schreiben und auf drei geschätzte Autoren hinweisen, die zu Unrecht vergessen wurden und deren Bücher kaum noch erhältlich sind.
    Wie viele Bücher gibt es, die es offiziell nicht gibt? Grad lese ich in dem intelligenten Roman „Candit und die Anarchisten“ von Bernd Grashoff, in dem es um die Entführung von FJS (Franz Joseph Strauß) geht. Ein Privatdruck nur für den Freundeskreis der davids drucke, limitierte, nummerierte (mein Buch hat die Nummer 274) Ausgabe. Nicht im Buchhandel! Nicht zitierfähig! Das hat es gegeben im Jahr 1978 in Göttingen. Dem Internet entnehme ich, dass Grashoff in den letzten Jahrzehnten vor allem Hörspiele veröffentlicht hat. In den Literaturgeschichten der BRD taucht er nicht auf. Weder in der „Gegenwartsliteratur seit 1969“ herausgegeben von Klaus Briegleb und Siegrid Weigel noch in Ralf Schnells „Geschichte der deutschsprachigen Literatur seit 1945“ wird er erwähnt. Ebenso ergeht es Wolf Klaussner, dessen Riesenroman immer noch nicht erhältlich ist und Gert Müller-Fehn, dessen Ödipus nur antiquarisch in der Ausgabe des Moorburg Verlages nur mühselig noch zu erstehen ist.
    Derweil unterschreibt der großdeutsche Opferautor in Gemeinschaft mit Bonzen von Unternehmensverbänden, dass er, obwohl bereits Nobelpreisträger, doch auch noch irgendwie, wie das andere Gesocks auch, zum Volk, zum Volk, zum deutschen Volke gehöre. Der Schlag soll das Pack allesamt gerichtlich nicht verwertbar beim, na ja, eben dabei treffen.
    Den Candit hatte ich also beendet, ein vortrefflich geschriebenes Buch.
    Da ich beschlossen habe, mich aufgrund der Weltenlage immer fester und inniger um den letzten noch verbliebenen Verstand zu lesen, wird jetzt stracks weiter gelesen. Zunächst das gute Buch von Yoram Kaniuk („Der letzte Jude“, in dem auch einiges über einen deutschen Großschriftsteller zu erfahren ist). Dann die Julie Zeh, danach der W.G. Sebald („Austerlitz“) (auch ein maßlos überschätztes recht langweiliges Buch) und die neue Biographie über den großen kleinen Friedrich. Das sind die Freuden der Altersteilzeit.
    Friedrich der Kleine wurde geputzt. (Beim Trampen in früher Jugend fuhr ich mal mit zwei Kerlen in einem alten Benz, Leute vom Rummel, die Bier absoffen und bei jedem Wagen, an dem sie vorbeischmirgelten, mit den Fingern schnipsten: GEPUTZT!) Geputzt also die solide Biographie von Kunisch. Ein Unsympath ersten Ranges, dieser Friedrich, aber wie alle schon früh traumatisierten ein Mensch mit etwas, was hierzulande immer als das Faszinosum schlechthin gilt: einem enormen „unerbittlichen“ Willen zur Rücksichtslosigkeit gegenüber den Gefühlen der Mitmenschen.
    Nach dem preußischen Souverän, der wenig souverän starb, nun die Lektüre der laut Ulrich Greiner in der ZEIT angeblich lesenswert erzählenden Julie Zeh. Dies auch der allererste Eindruck nach der Lektüre der ersten Seite, noch bemüht aufrechterhalten, dann aber, weiterlesend, erschlägt einen ein aufgesetzter Stil , eine krampfhaft aufgeblähte Sprache mit der die allwissend sich gebärdende Erzählerin den Leser hilflos und dreist zugleich von einem verquasten Vergleich zum nächsten schleppt, bis die Monotonie dieser ständigen Vergleicherei unerträglich wird.
    Pubertierenden wäre das Geschreibsel über den verquasten Zynismus, Nihilismus sowie die Philosophiererei auf Grundkursniveau nicht zu gönnen. Was aber hier als herrschende Sprachnorm sich geschwätzig, bildungshubernd und pseudophilosophierend, der Mensch dies, die Menschheit das, ausbreitet und die erzählerische Grundlage des Geschreibsels abgibt - als Schülerzeitungserguss wäre das, nach einer Verschlankung um die Hälfte von einem, dem die Sprache nicht mehr eine noch zu ertragende wäre - auch nicht mehr zu retten. Weg damit, so ein Schmarrn hätte nie verlegt werden dürfen.
    Peinlich, wenn eine junge Autorin nicht daran gehindert wird, sich selbst öffentlich als unfähig zu erweisen, eine einfache Story zu erzählen. Noch peinlicher, wenn ein solcher Quark die Bestenliste einer Wochenzeitung anführt. Jeder Roman von Stephen King liest sich im Vergleich mit dem zäh erzählten Machwerk der Zeh wie ein Wunderwerk der Erzählkunst. (etwa Atlantis) Nein, kaum mag man, ich in dem Fall, noch weiterlesen, das Ganze wird zu Quälerei dem, dem die Story nicht alles ist, der beim Lesen selbst nicht fortwährend über verqualmtes Sprachgewürge stolpern möchte. Dieses Buch ist grundschlecht geschrieben. Lektor und Korrektor scheinen bei Schöffling & Co inexistente Figuren zu sein.
    Ein Leserbrief an die Zeit wäre angemessen, um für die Belästigung mit dem Geschreibsel der Zeh, dem Frust ob des Buchkaufs, Kompensation zu erlangen. Was für ein aufdringlich bemühtes Buch – die Autorin/Erzählerin, das merkt man an jeder Zeile, ist ungemein sprachverklemmt. Das weibliche Geschlecht nennt sie in der erotikfreien Entjunferungsszene der Ada (so heißt die Hauptfigur) mit dem Dildo ein kleines Pelztier. Ach wie putzig. Das männliche Geschlecht nennt sie schlichter Schwanz. Also wäre, um eine zehsche Vergleichseinleitung der häufigen Art anzuführen und auch im Vulgärsprachlichen für Ausgeglichenheit zu sorgen, Möse angemessener.
    Aufstoßen auch die seltsam betulich alten und abgestandenen Wörter aus dem Jargon der Eigentlichkeit wie eigentlich, zutiefst, das Anliegen und so fort, mit dem diese Autorin sich spreizt und dem Leser aufgeblasene Wichtigkeiten um die Ohren (mittels der abgedroschensten Redewendungen und Klischees) haut. Aua. Das dümmliche ansonsten darf dabei nicht fehlen. Die Wetterbeschreibungen sollen expressionistisch schrill sein und sind doch nur aufgesetzt fade. „Der Regen sperrte die Menschen ein, während ein gigantisches Reinigungsunternehmen der Welt das Gesicht abmontierte, um darunter gründlich sauber zu machen. (....) die Bürgersteige waren Stege für menschliche Scherenschnitte, für Außenseiter und Aasfresser, für die Angestellten der Niemandslandwirtschaft...“
    Bei Leuten, die so etwas für poetisch halten, ist es ein Fehler, auf Distanz weiterhin wert zu legen, von der sie nichts mehr wissen. Die wollen es direkt und direkt sollten sie es bekommen. Schwulst schreibende Karrierefrauen sind der Graus. Gelegentlich trifft der geplagte Literaturliebhaber heute auf einen Typus von Frau, der die Ada des Romans sich annähert: ehrgeizig, streberleichenhaft, frigide und voller bösartiger Energie, zu einem edlen, hilfreichen und guten Fick nicht mehr in der Lage zur Freude diverser Therapeuten. Wer einmal längere Zeit in einem Zirkel mit Literaturbeflissenen saß, wird sie in der Form der gesalbten Lyrikerin kennen. Sie haben es mehr mit der Zärtlichkeit. Trotz des aufdringlich strapazierten Nihilismus’ mögen sie es „so behutsam, wie es der Fuchs dem kleinen Prinzen beschrieben hatte, um weder ihn noch sich selbst zu erschrecken.“ (Alles Fettgedruckte stammt von Julie Zeh) Schreck lass nach.
    (Exkurs des Nöckergreises aus dem Inneren der Städte: Distanzlosigkeit erscheint das Widerwärtigste an den nach mir sich in die Zukunft würgenden Generationen. Die Dreistigkeit, mit der sie herumstehen in der Stadt, am Bahnhof, in der Straßenbahn, Blech in der Fresse, Arschgeweihe am Arsch und fressen, sich aus Papier stinkend Kurzgebratenes ins Maul schieben und es öffentlich zermalmen, die Dreistigkeit, mit der sie Gespräche mit ihren vergötterten Handys überall lauthals führen, ohne jegliches Gefühl für Peinlichkeit, die Dreistigkeit, mit der sie, die männliche Variante, überall hinrotzen und hinpissen wie die Köter, all das ist nur noch unangenehm, und lässt den Nöckergreis sich in seine Alterssteilzeithöhle verkriechen als Rettung vor der Invasion der Körperfresser. Aber dem Terror der Intimität und Distanzlosigkeit ist wie einem schlechten Vergleich in dem Zeh-Buch nicht zu entkommen.
    Drei Tage Besuch einer Verwandten, die mich anbrüllt und mich mit esoterischen rosenkreuzlerischen Wahrheiten beglücken will, (während ich im Zähen lese) mit C.G. Jungschen Archetypenschschrott und Yin und Yang-Gesülze, brrhhh, man wird ja krank von dem Mist. Die Sensibilität der meisten Menschen in der Öffentlichkeit, aber auch im Kreis der Familie, scheint eine nicht mehr vorhandene.
    Sie erlauben sich alles, sie schämen sich nicht. Noch mal: man muss froh sein, solang sie noch nicht öffentlich sich entleeren (aus Darm und Blase) wie unentwegt aus den durch nichts mehr hinreichend zu stopfenden Mäulern. Deswegen können sie auch nur noch schlecht und verkrampft einem einen blasen wie diese Ada. Ende des Exkurses.)
    Und dann, das ist der Gipfel der Unverschämtheit in dem Roman, das Kokettieren mit Nabokov, Musil, Arno Schmidt und dem Nietzsche in der Ausgabe für Dumme: derart stinkt sich der Kot hinauf ans ihm Inkommensurable und wähnt sich unter seinesgleichen - und ist und bleibt in der großen Ebene voller Aufgeblasenheit stecken. Allein Prätentiösität der üblen Art, unverschämtes Gelaber, als wäre alles gleich, als gäbe es keine Unterschiede mehr zwischen hingesudeltem Geblubbler und souveränem Erzählen, ermöglicht Bücher wie das von der Zeh. Nervig auch die Alexa Henning von Lange, von der ich nicht ums Verrecken was lesen werde, ebenso nicht den Moppel-Ich Wahnsinn einer anderen Bestenliste. Was ist hier los? Eine Kritik, die an Büchern dieser Machart auch nur eine Zeile verschwendet, die nicht auf radikale Verurteilung hinausläuft, ist es nicht wert, veröffentlicht zu werden. Was mach ich jetzt mit dem Buch? Vielleicht hätte ich es aus reiner Bösartigkeit der Verwandten schenken sollen. Aber die ist schon weg.
    Was hat sich ereignet, das ich nicht mitbekommen habe, dass ein "Scheißbuch ersten Ranges" wie das von der Zeh in kurzer Zeit in einer zweiten Auflage herauskommt und überall gelobt wird – als traute sich keiner zu sagen, dass das Buch schlicht schlecht ist. Haben die alle Angst, von der juristisch womöglich besser als literarisch befähigten Autorin verklagt zu werden? Answer me that one.
    Im Folgenden Zitate, die für die durchgehend schlechte erzählerische und sprachliche Struktur des Buches hinreichen mögen. Beim Lesen hat man Angst, sich sprachlich zu infizieren. Ein wenig scheint es schon zu wirken. Als Sammlung von Stilblüten steht der Wälzer auf jeden Fall an der Spitze der Bestenliste für prätentiösen geistlosen Schund.
    Über den Inhalt, die Thematik, lässt sich in Götz Eisenbergs Buch „Amok – Kinder der Kälte, Über die Wurzeln von Wut und Hass “ kürzer und präziser Verständigeres nachlesen. Nein, über die Story des Buches werde ich mich hier nicht auslassen, weil aufgrund fehlender erzählerischer Kompetenz der vielfach mit Preisen gewürdigten Jungautorin alles im sprachlichen Sumpf ihr versackt. Sonderbar klingt das schon wenn die Pennäler in dem Buch wie weilend bei Werthern statt „Klopstock“ ähnlich aufgeladen „Erfurt“ flüstern. Mann, ist das aber ein böse nihilistisches Buch. Dass der böse Junge, der genauso rumlabert wie alle in dem Buch eine Art Araber ist, ein Dümmling sondergleichen, nach dem, was er von sich gibt, soll wohl an Bin Laden gemahnen, gemahnt aber kaum. Und die Lehrer kommen über den Status der Schießbudenfigur nicht hinaus, selbst wenn sie vom Schuldach hüpfen wie „Höfi“.
    Über Ada (allein die Namengebung grenzt an Schändung von Nabokov, der wusste, gegen wen er die Einladung zur Enthauptung schrieb) heißt es von der angeblich alles wissenden Erzählerin auf Seite 108:
    „Weil sie so selten sprach, sahen die wenigen Sätze sich gezwungen, mit gesteigerter Feierlichkeit an der Aufrechterhaltung ihrer äußeren Persönlichkeit mitzuwirken. (Bei sprachlich Hilflosen ist die Mitwirkung der Sätze bei der Aufrechterhaltung der äußeren, aber auch der inneren Persönlichkeit unabdingbar) Vor den Konsequenzen ihres ungewollt doktrinären Sprechens fürchtete Ada sich nicht – sie fühlte sich im reinsten Sinne des Wortes zu allem fähig.“
    Und da auch die Autorin im unreinsten Unsinn des Wortes zu allem fähig sich fühlt, schreibt sie gleichbleibend schlecht und lässt alle ihre farblosen Personen gleichermaßen flach herumphilosophieren.
    Im nächsten Kapitel lesen wir mit Erstaunen:
    „Er (diesmal handelt es sich um Olaf den Farblosen) hatte sie angesehen mit den Augen eines Tiers, das von der Hand seines geliebten Herrn niedergestochen wird, nachdem es ihm treu und vertrauensvoll auf die Schlachtbank gefolgt ist. Das Bild dieses Gesichtsausdrucks wollte lebendig bleiben, es sträubte sich dagegen, in Stücke analysiert zu werden, es sträubte sich gegen eine Beerdigung auf dem Friedhof des Gewesenen und belästigte Ada mehrmals täglich mit seiner Wiederkehr. Es verlangte eine echte Erinnerung zu werden.“Das wäre dann die womöglich doch falsche ewige Wiederkehr des Friedhofes des Geweses von Nichts und Allem oder was. Beliebig lassen sich auch Sätze mit „Vielleicht“ reihen. Vielleicht ist das alles ganz anders gemeint, und ich dummer Beutel kapiere nicht die sprachlichen Saltos der Erfolgsautorin. Vielleicht ist das alles auch keinen Fliegenschiss wert und verschwindet irgendwann ebenso wie es auftauchte. Vielleicht auch nicht.
    Wenn Sie so etwas lesen können, ohne dass es sie von der Story fortreißt in jene Höllenschlünde, in denen die Sprache zu Tode malträtiert wird, wenn Sie es gar für poetisch halten, dann ist Ihnen und mir und Ulrich Greiner nicht mehr zu helfen.
    Bei Bastei, in einem soliden Heftroman für das gemeine Volk der nicht vom Pseudonihilismus der Halbgebildeten angekränkelt ist, etwa für die Reihe „Der Bergdoktor“, würde kein Lektor Sätze wie die folgenden durchgehen lassen.
    „In der dritten Nacht am Fenster waren die klugen Gedanken verbraucht, sie schmeckten schal wie mehrfach aufgebrühte Teebeutel in lauwarmem Wasser. Die Selbsterkenntnis näherte sich auf plumpen Füßen.“Frau, erlöse uns von dem Übel einer heranplumpenden Selbsterkenntnis. Oder was sollen die gefolterten Leser von Folgendem halten?
    „Seine Gedanken stellten die Welt auf den Kopf, lösten Fragen, mit denen Körbe voller Denker sich jahrhundertelang beschäftigt hatten, vergaßen die Antworten wieder und schlurften, eben noch schwungvoll und elegant, als kleine Kinder auf metallenen Rutschpantoffeln einher.“Wie bitte? Die Körbe dieser Philosophen auf metallenen Rutschpantoffeln sind sofort auszuleerende.
    „Pflichtschuldige Sätze zogen wie Untertitel zu einem bilderlosen Film durch Smuteks Kopf. (...) Der Gedanke krallte sich mit tausend Widerhaken in seine Hirnrinde und ließ sich keinen Millimeter mehr bewegen. Die Zeit ist eine Fläche.“ Und die Sprache ist ein Scheißhaufen.
    Und putziger wird’s und putziger: „Schon in den letzten beiden Stunden hielt das berüchtigte Stehaufmännchen Normalität wieder Einzug in ihren Reihen (.....) Das Schwungrad des Lebens drehte sich behäbig, es hatte durch den vergangenen Tag kaum eine Bremsung erfahren.“ Das schlägt dem Fass die Krone ins Gesicht.
    Nun mögen sich hier einige solche beliebig herausgegriffene Sätze als lustige Stilblüten forsch weglesen lassen, aber nagen Sie sich einmal selbst durch über 500 Seiten mit derartigem Absud. Über die Story ist man ja bereits durch den Klappentext hinreichend informiert. Der Rest ist Redundanz und Geschwätz. Man, ja doch, man, das heideggersche dämliche man taucht häufig auf, um allgemeine Weisheiten des Indefinitpronomens von sich zu geben, deren Banalität kaum zu überbieten ist. Man schämt sich halt nicht.Aber hier erst noch mal was Philosophisches: „Sobald die Menschen etwas nicht begreifen konnten, fielen sie dem Aberglauben zum Opfer, als wären Aufklärung, Forschung und Fortschritt oberflächliches Geklimper gewesen, das nur in guten Zeiten (und in schlechten Zeiten?) vom tragischen Geworfensein des Menschen ablenken konnte. Niemand wollte darüber sprechen.“ Vielleicht weil welche darunter waren, die sich schämeten solchen Scheiß den Leuten als erzählende Prosa vorzuwerfen, wie, um beim zähen Stil zu bleiben, die bekannten Perlen vor die noch bekannteren Säue. Spitz klär du die Welt auf, stöhnte schon Jean Paul, nicht Sartre, der andere. Nun zum Schluss eine längere Passage, dann sind die Flaschen leer. Dummheit steckt an. Ich habe gerade beschlossen, mich diesem Sprachbrei zu entwinden, mich gleichsam zu befreien und das Buch wegzuschmeißen, dahin, wohin es gehört, in den Altpapiersack.
    „Die bunte Patchworkdecke lag ordentlich gefaltet auf dem Sessel. (Ein gewöhnlicher Satz, ein unauffälliger Satz, ein Satz der wohltut, gegen den nichts zu sagen ist, bei dem der Leser sich erholt, aber lange wird ihm keine Erholung gegönnt. Einfache klare Sätze sind dem nach hyperbolischer Form ringenden Jungtalent ein Grauen sondergleichen. Es muss unentwegt metaphert und sprachlich geturnt werden.) Smutek beobachtete sie mit der Rührung eines Ziehvaters, der seinem Mündel bei den ersten Reitstunden zuschaut. (Dann wieder zwei unschuldige Sätze über Smuteks Frau und weiter geht’s mit Karacho) (...) und ihr Schritt war unsicher wie bei einer Wanderung auf, ja, auf zu dünnem Eis. (Hier hat der Wie-Vergleiche-Generator ein einziges Mal, ja, wie der hechelnde Alexander Kluge aus dem Off im dämlichen dcpt Füllprogramm für die Bildungsquote derjenigen Sender, die auf Bildung schon längst grundlegend geschissen haben, ja und nochmals ja, gezögert, aber erbarmungslos geht es weiter) Sie plauderte über die Möglichkeit einer Hauskatze (das könnte vom frühen Kohl sein) und eines wärmeren Farbtons für die Wände. Der Nachmittag verging in friedlicher Stimmung, die ganze Wohnung roch nach heißem Tee an kalten Wintertagen. (besser als nach kalten Bauern an heißen Sommertagen) Unschuldig schwieg das Telefon auf seinem Tischchen im Flur. Als Frau Smutek sich am Abend unter ihr farbenfrohes Schachbrett legte und Smutek die Decke rings um den schmalen Leib fest stopfte, waren ihre Augen nicht mehr kalt und salzig wie die einer Teichforelle. Sie sprachen zu ihm. „ Den Monolog der sprechenden Augen der salzigen Teichforelle ersparen wir dem Leser. Schluss, aus.
    Warum kann ich die ZEIT nicht verklagen, dass sie mir den Preis für das unsägliche Grauen beim Lesen des Gehudels wiedererstattet. Eine ZEIT, in der ein solches Machwerk auf der Bestenliste auf Platz 1 herumstinken darf, um die ist es geschehen. Aber bedenken wir bei all dem Grauen der tieferen Weisheit von Julie Zeh, die schrieb:
    „Die Ärzte nennen das Schizophrenie. Sie ist die Philosophin unter den Krankheiten.“ Verdrehen Sie die Wörter solange, bis sie auf die Krankheit unter den Pseudophilosophinnen gestoßen sind. Jedenfalls ist „Der Spieltrieb“ nicht der Mercedes unter den Schul- und Schundromanen. Törleß bedeckt sein Haupt.
    Und nun zum Allerletzten, des Pudels Kern gewissermaßen:
    „Das Leben war von Banalitäten erfüllt, es war aus ihnen erbaut, Banalität war sein Baustoff, Mörtel und Putz.“ Man möchte ergänzen „sein Alpha und Omega“. Gleichsam der Lagavulin unter den abgefüllten Leben.
    Damit das, was ich hier schreibe vom Ruch der Frauenfeindlichkeit etwas befreit werde, der ich mich manchmal auch nicht völlig zu entziehen vermag als alter einsamer (was ja bekanntlich nach Arno Schmidt, der auch herzehtiert wird, von 1 Samen kömmt) fauler Sack, möchte ich Leserinnen und Lesern die Romane und Bücher von Tanja Dückers, Katja Lange-Müller, Julia Franck, Brigitte Kronauer, Brigitte Reimann, Karen Duve, Gisela Elsner, Elfriede Jellinek, Tania Blixen, Paula Fox, George Eliot und die von den vielen anderen geistreichen Frauen empfehlen, deren Bücher es wohl nur ausnahmsweise mal auf die Bestenliste der Zeit schaffen werden.


    © geronemo 2007

    Ich bin gerade hier eingestiegen, kenn mich mit den Modalitäten noch nicht aus und stelle hier einfach einmal meine letzte Buchempfehlung (Rezension) rein:


    Jan Siebelink, Im Garten des Vaters (Knielen op en bed violen); Arche Literatur Verlag Zürich-Hamburg 2007, aus dem Niederländischen übersetzt von Bettina Bach, © 2005 by Jan Siebelink



    Als Jugendlicher schlich ich mit meinem Bruder jeden Sonntag von den Außenbezirken Hannovers, aus der Kleingartenkolonie Abendfrieden in die Innenstadt auf der Suche nach einem Film in einem der über 60 Filmtheater zu jener hohen Zeit des Kinos Ende der 50er Anfang der 60er Jahre. Die besten Filme gab es im Hochhaus Kino, einem Filmkunsttheater über den Dächern der Stadt im Anzeiger Hochhaus am Steintor. Ich erinnere mich an den beeindruckenden französischen Film „Das Loch“, an den verstörenden „Letztes Jahr in Marienbad“ aus dem wir uns das Streichholzspiel merkten, mit dem ich später immer allein gegen eine ganze Klasse gewinnen konnte, was mich in der Achtung der Schüler gewaltig voran brachte. Auch der Film „Der Hund der Herr Bozzi hieß“ hatte einen gewissen Charme, nicht zu vergessen natürlich „Die Ferien des Monsieur Hulot“. War es Zufall, dass dies alles Schwarzweiß-Filme waren, Filme, in denen durch das Fehlen der Farben eine größere Distanz, fast bin ich versucht zu schreiben eine größere künstlerische Aura ermöglicht wurde. Ein Film wie „Das Schweigen“ in Farbe wäre ein Unding. Ebenso „Nacht und Nebel“ oder „Onibaba, die Töterinnen“.
    Einer der beeindruckendsten Filme jener Zeit war ein niederländischer, von dem ich den Titel nicht mehr weiß, in dem es darum geht, dass jemand in einem Dorf hinterm Deich stirbt und die Dörfler, karge und ernste Gestalten mit schwieligen Händen und groben Gesichtern dann bei der Leiche sitzen, essen und trinken und sich Geschichten erzählen. Ein Film mit dunklen, schwarz-weißen Szenen wie aus einem Bild von Breughel.
    Ein Film, an den ich wieder erinnert wurde bei der Lektüre von Jan Siebelinks „Im Garten des Vaters“, wobei mir der Originaltitel, Knielen op en bed violen, viel passender für den kargen und nüchternen Charme dieses Romans zu sein scheint. Der deutsche Titel verschenkt einiges von den floralen Schönheiten des Buches. Und angesichts dieser Schönheiten der sorgsam gehätschelten Pflanzen (schön das Titelbild von Renoir) bedeutet das Knien auf einem Beet nicht etwa Demütiges, vielmehr etwas Gewalttätiges, Vernichtendes. Der dort kniet, der kniet nicht vor etwas, der kniet, als Gärtner, auf den Früchten seiner Arbeit, auf der Schönheit - und dieser verstörende Gedanke wird durch den deutschen Titel leider verschenkt.
    Siebelink erzählt die Lebensgeschichte des Hans Sievez, eine sensiblen, phantasievollen Jungen aus armen Verhältnissen, mit einem religiösen Fanatiker als Vater, der in seiner Wut gegen sich und den Rest der Welt nicht davor zurückschreckt, Kohlköpfe zu zertrümmern, seinen Sohn zu verprügeln und dessen Lieblingskaninchen totzuschlagen. Der Junge lebt in einer Fantasiewelt im Moor aus schwimmenden Inseln und einer Höhle, sieht sich aber gezwungen, nach dem Tod der Mutter sein Dorf im Moor zu verlassen. Wobei er Margje, seine Kindheitsgeliebte zurücklässt.
    Er gelangt in die Stadt, macht eine Lehre als Gärtner und kann sich dabei kaum der Zudringlichkeiten eines religiösen Fanatikers, des Lehrlings Joseph Mieras, erwehren, der ihn körperlich in seiner Zudringlichkeit zwar abstößt, der aber in seiner schleimigen christlichen Klebrigkeit nur schwer loszuwerden ist, der ihn regelrecht bedrängt, bis er ihn irgendwann grob von sich weist. Selten wurde das schleimige, sich mit gutmenschlichen Phrasen anschmierende Wesen christlich-gutmenschlicher Seichtigkeit derart scharfsinnig in einem Charakter wiedergegeben. Man möchte in diesen Schleimknödel hineinschlagen (Hans Sievers wird es schließlich tun) – und weiß dennoch, es hat keinen Zweck, er bietet für einen richtigen Hieb keinen Widerstand, es ist ihm nicht beizukommen. Es ist als wollte man Quecksilber packen und muss feststellen, wie es zerrinnt und sich wieder neu formiert.
    Mit Margje, die in die Stadt gekommen ist, gelingt es ihm unter großen Schwierigkeiten eine kleine Gärtnerei aufzubauen. Sie erwerben ein Grundstück, heiraten und bekommen Kinder. Die kleine Welt der Arbeit in einer Gärtnerei, die schwierige und aufwendige Pflege der kostbaren Farne und Pflanzen, sie über den Winter zu bringen, sie jahrelang zu behüten, diese Welt ist wohl noch nie liebevoller und genauer beschrieben worden.
    Eine Welt, in der Hans Sievers zu einem wahren Meister wird, was sich aber für ihn nicht auszahlt, weil er gegen die Konkurrenz nicht mithalten kann. Die grundsolide und handwerklich in sich stimmige Welt ist jedoch nicht gefeit gegen den Einbruch des Irrationalen einer ausufernden Religiosität und einer von außen kommenden knallharten Konkurrenz, die mit allen Mitteln des Betrugs vorgeht.
    Es scheint zunächst alles ganz gut zu laufen, bis Joseph Mieras, der Schleimknödel, plötzlich wieder auftaucht und Hans langsam in die Kreise einer religiösen antikirchlichen Bruderschaft zieht, die zurückwill zur ursprünglichen Religiosität der Reformationszeit im Sinne eines Thomas Von Kempis. Hans kann sich der Faszination der mystisch angehauchten Sprüche der heruntergekommenen Sektierer nicht entziehen, die ihm für Wucherpreise alte zerlesene Bücher andrehen, mit deren dunkler Sprache sein sich immer mehr verwirrender Verstand sich abmüht, deren Sinn ihm aber letztlich unverständlich bleibt. Zunehmend gerät er auch in Konflikte zu seiner Frau, die bemerkt, wie er sich ihr entfremdet. Auch zum Schaden seines Betriebs wird er in die Kreise der Bruderschaft gezogen, die zum Schluss, als er seinen Betrieb bereits verloren hat und von Sozialhilfe lebt, krank und geschwächt, gegen den Willen der ohnmächtigen Frau sein Sterben mit ihren religiösen Phrasen zu einem widerlich grotesken Schauspiel degradieren. Die schmerzhafte, ungemein intensive Sterbeszene zum Ende des Buches führt aus, wie ein vielversprechendes Leben, mit Hilfe religiösen Wahns noch um die Würde des Sterbens gebracht werden kann.
    Hier kommen wieder Erinnerungen an den Film aus den 50er Jahren hoch, an die Gesichter der Bauern, die etwas den Kartoffelessern auf dem Gemälde von van Gogh ähneln und an eine flache Landschaft am Meer über die ein Wind hinweggeht.
    Sibelink schreibt karg, unprätentiös und mit eine Ernsthaftigkeit und Wucht gegenüber dem Leben einfacher Leute, wie sie mir in der Literatur seit Jahren nicht mehr untergekommen ist. Dadurch wirkt sein Roman zeitlos und es scheint nicht vermessen, ihn als ein Meisterwerk zu bezeichnen.
    Ein Roman jenseits der Moden und Firlefanzereien des Kulturbetriebs, schlicht, einfach und unerbittlich, mit einer Sprache von unerhörter Klarheit und Wucht. Und die Kritik am Wahn der Religionen wird hier nicht beschreiben, sondern hautnah erlebbar.
    Ein notwendiges Buch gegen die zunehmende Inhumanität im Namen der Allerhöchsten aller Himmelreiche.


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