Katja Lange-Müller, Die Enten, die Frauen und die Wahrheit

  • Katja Lange-Müller, Die Enten, die Frauen und die Wahrheit, Erzählungen; Fischer Taschenbuch Verlag Frankfurt am Main, Januar 2006, 8,95 €


    Es gibt schlichte Leser, die vor allem nach einfach erzählten Geschichten mit vielen Dialogen, klarem Handlungsaufbau und überschaubarem Personal Ausschau halten. Wenn ein Buch, wie etwa Peter Weiss‘ „Die Ästhetik des Widerstands“ keine Absätze, keine Dialoge und sehr viele Personen und Beschreibungen (etwa des Pergamon-Altars) enthält, dann weiß der einfache, schlichte Leser, der ich manchmal auch bin, dass es hier um mehr geht, als um leichte Unterhaltung. Dumm wäre er nur dann, wenn er aufgrund der bisher angeführten Kriterien, sich der Lektüre einer Ästhetik des Widerstands (auch gegen das identifizierende Lesen) verweigerte, betröge er sich doch selbst um ein erleseneres Lesevergnügen als um dasjenige, das ihm die Lektüre eines Romans von Stephen King etwa bereiten würde. Falsch wäre es auf jeden Fall, die leicht konsumierbare Geschichte gegen den hochkomplizierten Text auszuspielen – beides hat seine Berechtigung und seine Zeit.
    Gute Autorinnen und Autoren sind in der Regel keine schlichten Leser, vielmehr solche, denen die Darstellungsform, das „Wie“ einer Geschichte, der Stil, mindestens genauso wichtig sind wie der Kick, der sich aus einer spannenden Handlungsführung ergibt. Es gibt Zeiten der Niedergeschlagenheit, da benötigt auch der gute Autor heftigere Lesedrogen, und Zeiten der Ausgeglichenheit, da macht er sich gern auf die Suche nach den verlorenen Zeiten auf den uferlosen Flüssen der eigenschaftslosen Innenwelten in der Fiktur.
    Wenn ich höre, wie ein Autor oder eine Autorin von jemandem, den ich schätze, wie etwa Dennis Scheck, gelobt wird für ein neues Buch, dann kaufe ich mir nicht sofort dieses Buch, sondern schleiche mich gleichsam über die Dörfer an die Autorin, in diesem Fall Katja Langen-Müller, heran.
    Ein Verfahren, das nicht genug empfohlen werden kann. Wer bei Kant gleich mit der Kritik der reinen Vernunft anfängt und nicht lieber mit der Allgemeinen Naturgeschichte und Theorie des Himmels droht sich zu überfordern, ebenso ginge es ihm (ihr) wenn er (sie) bei Joyce gleich mit dem Ulysses statt der Dubliner oder bei Marx mit dem Kapital statt dem Manifest anfangen würde. Der Weg über die Dörfer führt oft verlässlicher in die Städte. Man lernt auch deren verschmutzere Outskirts kennen. Wer hingegen von allem immer gleich das Beste haben will, der erinnert an ein kleines verzogenes Kind, dem jede Verzögerung einer Befriedigung gleich ein Anlass zum Knören, Nörgeln und Jammern ist. Derart wird ein angehender Meisterleser nie zu einem wirklichen.
    Nun zu dem Erzählungsband von Katja Lange-Müller. Der Waschmitteltext auf der Rückseite erweist sich bald nach Beginn der Lektüre als Betrug. Dort steht: „Klassische Erzählungen, Storys in der Manier von Hemingway.“ Nichts wäre ungenauer. Welch dämliche Werbefuzzi ist verantwortlich dafür, dass sich der Fischer-Taschenbuch-Verlag dazu hergibt, irreführende Versprechungen hinten auf ein Buch schreiben zu lassen, nur um sich bei schlichteren Lesern anzuschleimen. Die werden dann enttäuscht und finden das Buch womöglich schlechter als sie es je fänden, wenn es ihnen intelligenter angepriesen worden wäre.
    Die Geschichten und Texte des Bandes, nach Themenschwerpunkten zusammengefasst, erweisen sich als wunderbar geschriebene Miniaturen, die einen Aspekt des Alltagslebens, aber auch sonderbare Begebenheiten aufgreifen und sprachlich so darstellen, dass einem Leser, der einen guten Stil zu schätzen weiß, beim Lesen das Herz aufgeht. Nein, einfache oder klassische Storys im Sinne Hemingways (die im Übrigen wie etwa „Die Killer“ alles andere als einfach sind, klassisch schon eher), die fast nur aus Dialogen bestehen, findet der Leser kaum.
    Er erfährt durchaus Wissenswertes über unsere Freunde die Pilze, über verschwiemelte Berliner Kneipen, über den akustischen Terror einer Wohnung im düsteren Berlin, über Enten, Frauen und die Wahrheit und vieles andere mehr. Es sind zumeist Miniaturen ähnlich denen, die sich in Vollendung bei Alfred Polgar finden lassen; kleine Einblicke in eine Welt aus der durchaus subjektiven Sicht von Frau Langen-Müller, wobei sich die Subjektivität dieser Sicht auf die Welt jedoch als eine vortrefflich formulierte erweist, so dass es Sätze oder Absätze gibt, die möchte man fast auswendig lernen, so schön sind sie. Etwa der folgende, in der es um die Leiden einer schwer süchtigen Raucherin in einem Flugzeug geht.
    Setzen wir uns zu der leidenden Dame in die Blechkiste auf dem Weg nach Boston:


    Denn mir war speiübel; wahrscheinlich längst nicht mehr von den etwa zwölf Zigaretten, die ich kurz vor dem Abflug binnen zehn Minuten sturzgeraucht hatte. In meiner linken Armbeuge zwiebelte ein schweißfeuchtes, vermutlich viel zu schwaches Nikotinpflaster all die feinen, gesträubten Härchen; ich biß auf einem Bleistift herum wie ein hungriger Hund auf einem Knochen. Irgendwann verabreichte mir eine der fleischfliegenblauuniformierten Stewardessen einen kaum tröstlichen Schluck pfälzischen Rotweins nebst einem bleichtrockenen Stück Hühnerbrust auf einem Verrat von Spinat, der einzigen Alternative zu dem schwammig ausschauenden Lammbraten mit schwarzer Soße. Und schließlich schoben sie auch noch den – in Zigaretten und Spirituosen wohlsortierten – Duty-free-Wagen durch die Gänge. Natürlich ließ ich mich nicht lumpen, sondern kaufte eine zulässige Höchstmenge Marlboros plus einer Pulle Whiskey. ….


    Und so geht es mählich in eine Katastrophe hinein, weil der Sicherheitsdienst auf der Toilette Spuren bös verderbenden Rauches in der Luft auszumachen glaubt und darob sein volles Security-Programm abfährt.


    Kurz, Texte, die man noch einmal aufmerksamer, bewusster lesen möchte, wenn man nicht so unendlich viel anderes nicht auch noch lesen müsste und möchte, etwa jetzt wirklich den neuen Roman von Frau Langen-Müller: Böse Schafe.


    © geronemo 2007