Beiträge von Xirxe

    3ratten :marypipeshalbeprivatmaus:


    Die hochbegabte Südafrikanerin Nombeko, die mit 14 Jahren die Chefin des Latrinenbüros in Soweto wird, per Zufall an ein Vermögen in Form von Rohdiamanten gerät, kurz darauf von einem Weißen überfahren und daraufhin zu mehreren Jahren Frondiensten in dessen Haushalt verurteilt wird und in dieser Zeit beachtlichen Anteil am Bau mehrerer Atombomben aufweisen kann, ist die Hauptfigur dieser Geschichte. Wie sie sich aus ihren immer neuen misslichen Situationen (in die sie völlig unverschuldet gerät), stets wieder befreien kann, ist schräg und noch schräger. Da wird eine Atombombe quer über die Kontinente verschickt, ein Zwillingspaar Holger und Holger getauft und zu republikanischen Extremisten erzogen, ein König und ein Ministerpräsident entführt und Nombeko ist allzeit mit dabei bzw. darin verwickelt. Der Absurditäten ist kein Ende :breitgrins:
    Was im 'Hundertjährigen' noch einen Hauch von Realität hatte, ist in diesem Buch völlig auf die Spitze getrieben. Die Ereignisse überschlagen sich und eines ist unglaublicher als das andere. Mir ist das Alles ein bisschen zu viel des Guten, denn der Rahmen ist durchaus sehr realitätsnah. Die damaligen Geschehnisse nicht nur in Südafrika, nein, auch in USA, Europa usw. werden wahrheitsgetreu wiedergegeben, sodass sich Nombekos Geschichte dazu als besonders absurd darstellt. Etwas weniger wäre hier vielleicht mehr gewesen :zwinker:
    Jonassons Sprache ist wie bei seinem ersten Buch gewohnt ironisch und indirekt, was die Absurditäten noch verstärkt. So traten bei mir ab ca. der Mitte des Buches gewisse 'Abnutzungserscheinungen' auf. Dennoch: Es ist eine amüsante, wirklich unglaubliche Geschichte, die sich lockerleicht an einem Wochenende weglesen lest.

    4ratten :marypipeshalbeprivatmaus:


    Der 12jährige Bobby hat es nicht leicht: Seine Mutter ist von einem Tag auf den andern verschwunden und so lebt er nun alleine mit seinem jähzornigen Vater und dessen klatschsüchtiger Freundin unter einem Dach. Sein einziger Halt ist sein Freund Sunny und die Spuren seiner Mutter zu archivieren: Haare, Kleidungsstücke, Bürsten, alles was er finden kann. Doch dann verschwindet auch noch Sunny und er droht zu verzweifeln, aber die plötzliche Freundschaft zu Rosa, einem Nachbarmädchen und deren Mutter Val gibt ihm neuen Mut. Als sich dann plötzlich jede Menge Schlamassel ankündigt, brechen die drei mit einem gestohlenen Bibliotheksbus zu einer Abenteuerfahrt auf. Und ein Abenteuer wird es...
    Eine richtig schöne herzerwärmende Geschichte, die jedoch ebenso ein nicht gerade kleines Maß an Traurigkeit zu bieten hat. Wie Bobby seine Mutter vermisst, von seinem Vater und Klassenkameraden drangsaliert wird ebenso wie Rosa von größeren Jungs, wie bei der ganzen Unternehmung stets die Ahnung mitschwingt, dass es kein gutes Ende nehmen wird - das ist nicht gerade amüsante Unterhaltung. Doch dem Autor gelingt es immer wieder, diese allzu traurigen Momente mit wenigen Worten in eine heitere Situation zu verwandeln. So war ich beim Lesen hin und her gerissen zwischen traurig und wunderschön - ach, es ist einfach Beides.
    Natürlich kommen auch die Bücher nicht zu kurz, schließlich findet die Reise ja in einem Bibliotheksbus statt. Val, die Rosa viel vorliest, führt auch Bobby ans Lesen heran. Und so beginnt er alles zu verschlingen, was ihm in die Finger fällt und stellt fest, dass viele Abenteuer die er kurz zuvor gelesen hatte, er selbst in ähnlicher Form erlebt. Auch das Ende (das ich natürlich nicht verrate) ereignet sich durch die Inspiration eines Buch.
    Alles in allem: einfach schön!

    4ratten :marypipeshalbeprivatmaus:


    Wenn in Unterleuten, einem kleinen Dorf in Brandenburg, überwiegend Kopien der eigenen Person leben würden, dann, ja dann wäre das Leben dort vermutlich sehr idyllisch und harmonisch. So aber treffen Menschen aufeinander, von denen sich jede/r im Besitz der alleinglückseligmachenden Wahrheit meint, während der Rest nur Stuß verzapft. Darüberhinaus pflegen praktisch Alle ihre Vermutungen und Erwartungen über die Anderen, die im seltensten Fall positiv sind. Jede/r traut jeder/m das Schlechteste zu und fast wie eine Art selbsterfüllender Prophezeiung geschehen Dinge, die die eigene Meinung noch bestätigen. Statt miteinander wird mehr übereinander geredet und so verbreiten sich Mutmaßungen und Argwohn in Windesweile im Dorf. Stadtbewohner (junge Frau, alter Mann) gegen grobschlächtigen Einheimischen - die Frau nennt diesen nur 'das Tier'. Naturschützer gegen Unternehmen - man schreibt Briefe. Kommunist gegen Kapitalist - eine Feindschaft, die keinerlei sachliche Grundlage hat. Ehemann gegen Ehefrau in unterschiedlichen Konstellationen - Erwartungen und Vermutungen werden nicht ausgesprochen, stattdessen schweigt man bis zum bitteren Ende. Als dann im Dorf ein Streit über die Errichtung eines Windparks beginnt, werden diese Beziehungsgeflechte auf's Äußerste strapaziert, wobei die alten Konflikte mit einer ungeheuren Heftigkeit wieder aufbrechen und die NeubürgerInnen direkt miteinbeziehen.
    Obwohl das Buch mehr als 600 Seiten hat, lässt es sich weglesen wie ein Unterhaltungsroman. Die Figuren, die erst recht klischeehaft daherkommen, entwickeln sich ziemlich schnell zu eigenständigen Persönlichkeiten, sodass von der ursprünglichen Schablonenhaftigkeit nicht mehr viel bleibt. Gombrowski beispielsweise, der massige, ungeschlachte und auch brutale Wendegewinner hat eine überaus sensible Seite, von der aber nur die Wenigsten wissen - was ihn dennoch nicht von seinem Verhalten Anderen gegenüber freispricht. Schaller, sein ehemaliger Angestellter und Handlanger ist ähnlich ungeschlacht, wenn auch nicht so schlau wie dieser. Sein Schicksal ist derart unvorstellbar, dass ich mehr Mitgefühl als alles andere für ihn empfand. Und so ist es bei fast allen Figuren in diesem Roman, so eindimensional zu Beginn sie auch daherkommen mögen: Jeder/r von ihnen hat eine Geschichte, die sich zu erzählen lohnt. Von Juli Zeh habe ich kürzlich in einem Interview gelesen, dass Jonathan Franzen einer ihrer Lieblingsschriftsteller ist. "Mit seinem Roman 'Freiheit' kam ich mir wieder vor wie als Kind, als ich mit der Taschenlampe unter der Decke Seite um Seite verschlungen und alles andere vergessen habe. Es gibt nicht viele, die es beherrschen, so realistisch zu erzählen, ohne dass es dröge wird. Franzen schafft es, die Welt in der wir leben, anschaulich zu machen." Liebe Juli Zeh, Sie können das auch! Danke dafür!

    4ratten


    Toxic, bisher erfolgreicher kroatischer Auftragskiller aus New York, erwischt bei seinem letzten Job einen FBI-Agenten. Da nun der Teufel los ist, flieht er auf dem schnellsten Weg und landet als amerikanischer Fernsehprediger in Island. Ehe er es sich versieht, steckt er mittendrin in seiner Rolle als Geistlicher und becirct nicht nur isländische Gläubige…
    Schräg, schräger, am schrägsten ;-). Dass bei einem solchen Titel einen kein ‚normaler‘ Krimi erwartet, leuchtet ein. Aber es ist auch kein Unnormaler sondern gar keiner, vielmehr eher die Beschreibung einer Läuterung eines immens grossen Sünders. Was sich nun vielleicht fade und öde anhören mag, wird jedoch bei einem Autor wie Helgason zu einem skurrilen wie auch witzigen Leseerlebnis.
    Toxic, der vor seiner Laufbahn als Killer Soldat in Kroatien war, ist der Icherzähler mit einem äusserst lockeren wie auch vulgären Tonfall. Er beschreibt Island, das ihm zuvor völlig unbekannt war, aus der Sicht eines Kämpfers (‚Was ist mit diesen Isländern los? Keine Armee. Keine Pistolen. Kein Nix.‘) wie auch eines Grossstadtmenschen (‚Der Dom ist so gross; wie eine Hundehütte Gottes.‘) und erzählt nebenbei noch aus seinen früheren Leben. Wie ihm der Eurovision Song Contest das Leben rettete, wie er aus Versehen seinen Vater erschoss, wie er seine Morde vorbereitete (‚‘Das Opfer ist König‘ ist mein Motto.‘), wie er den Krieg erlebte (‚In unserer Einheit haben wir fünf Leben verloren, sechs Beine, drei Arme und ein paar Finger.‘). Es sind schreckliche Dinge über die er berichtet, aber dies macht er mit einer solch scheinbaren Selbstverständlichkeit und Direktheit in einer derart ungewohnten Sprache, dass man immer wieder lachen muss.
    Trotz der vielen Geschichten aus der Vergangenheit Toxics bleibt die aktuelle Story, der Aufenthalt in Island, spannend. Dazu noch eine Liebesgeschichte und ein überraschender Schluss - einfach gelungen. Die volle 'Rättchen'zahl gibt es nur deshalb nicht, weil es gelegentlich doch ein bisschen sehr schräg war.

    4ratten


    Die Plumbs sind eine Familie wie viele andere auch: Ausser der zufälligen Verwandtschaft hat man nur wenig gemeinsam und so beschränken sich die Zusammentreffen auf die eher seltenen Familienfeiern. Doch was die vier Geschwister verbindet, ist die Vorfreude auf das in Bälde auszuzahlende Erbe (das das Nest genannt wird): An Melodys 40. Geburtstag sollen alle 500.000 $ erhalten, die jede/r von ihnen teils schon seit Jahren fest verplant hat. Doch kurz vor diesem Termin verschuldet Leo, der Lebemann unter den Geschwistern, einen entsetzlichen Unfall und die Mutter der vier verwendet den Großteil des Geldes, um die Schäden so gering wie möglich zu halten. In dieser aussergewöhnlichen Situation finden sich die drei restlichen Geschwister zusammen, um einen Weg zu finden, doch noch an das Erbe zu gelangen. Denn Leo, der für sein verantwortungsloses Verhalten berühmt-berüchtigt ist, soll nicht ungeschoren davon kommen.
    'Das Nest' ist eine wirklich schöne und unterhaltsame Familiengeschichte mit überaus differenziert und liebevoll beschriebenen Charakteren. Schwarz-Weiß-Schemata gibt es praktisch nicht (sieht man von der Mutter ab, die aber nur eine Randfigur darstellt) und sämtliche Personen haben ihre guten wie auch schlechten Seiten, selbst der egoistisch-narzisstische Leo. Die Autorin schildert überzeugend und nachvollziehbar, wie Menschen ihr ganzes Dasein darauf ausrichten, in einer bestimmten Zeit einen bestimmten Geldbetrag in Händen zu halten. Aber als dieses scheinbar bald erreichte Ziel sich buchstäblich in Nichts auflöst, brechen ganze Lebensentwürfe zusammen. Doch statt dass die Welt 'untergeht', kommt sich die Familie näher; es entstehen neue Möglichkeiten und manche/r muss feststellen: Es sind nicht die Schlechtesten :zwinker:
    Ein ebenso lesenswertes, amüsantes wie mutmachendes Buch, das jedoch mal wieder mit einem Klappentext versehen ist, den man auch weglassen könnte. Ja, die Geschwister müssen Geld auftreiben, aber diesen Antrieb empfand ich während des Lesen eher nebensächlich. Und auch das Bild der Autorin hat ein derart historisches Alter, dass die Aussagekraft gegen Null geht. Doch wer liest schon Klappentexte (ausser mir) :breitgrins: ?

    4ratten


    Habe ich schon mal beiläufig erwähnt, wie wenig ich von Klappentexten halte? Egal, ich mache es hier jetzt auch noch mal. Denn liest man diesen sowie diverse Auszüge aus Kritiken, dürfte man sich beim Kauf recht sicher sein, ein richtig lustiges und witziges Buch erworben zu haben. Wenn es aber eines nicht ist, dann witzig. Finde ich zumindest, aber vielleicht liegt es auch an mir...
    Ein Jahr lang schreibt Hendrik Groen (übrigens ein Pseudonym), 83 1/4 Jahre alt, fast jeden Tag einen Tagebucheintrag. Vom Alltäglichen und Besonderen, wobei ersteres deutlich überwiegt, zumindest zu Beginn. Das Leben im Altenheim, in dem Hendrik wohnt (leben wage ich nicht zu schreiben), folgt einem klar reglementierten Ablauf, der sich in erster Linie an den Essenszeiten orientiert. Dazwischen ist schlicht - so gut wie Nichts. Zumindest kam mir das als Aussenstehende so vor, doch auch Hendrik zeigt sich gelangweilt und frustiert. Wenn da nicht sein recht unkonventioneller Freund Evert wäre, dem es so ziemlich egal ist, was der Rest der Welt von ihm denkt, würden die einzigen Höhepunkte in Hendriks restlichem Leben wohl die Bingoabende im Heim bleiben bzw. die immer wiederkehrenden zwangsläufigen Todesfälle. Doch eines Abends, als im Altenheim ungewöhnlicherweise ein wirklich schöner Konzertabend stattfindet, beschließen die Freunde mit vier weiteren BewohnerInnen, eine Gruppe zu gründen, in der jede/r abwechselnd alle zwei Wochen eine Aktivität organisiert - und durchaus nicht immer alterstypisch. Dies wird zu einem vollen Erfolg, doch die Heimleitung wie auch andere BewohnerInnen beäugen das Ganze misstrauisch.
    Was Hendrik Groen hier beschreibt, ist das nackte Grauen. Es ist kein Leben in einem Luxusaltenheim, sondern in einem vom Staat finanzierten, was wohl die Meisten von uns erwartet, die diesen Weg gehen müssen/dürfen/sollen. Die Menschen werden hier versorgt mit Obdach, Essen und Trinken, doch Alles, was darüber hinausgeht - Fehlanzeige. Ohne Eigeninitiative wartet man einfach ab, dass die freie Zeit, von der es mehr als genug gibt, vergeht : Kartenspielen, zum Fenster hinausschauen, lesen. Was für ein trostloses Bild. Doch Hendrik macht deutlich, dass auch die BewohnerInnen selbst zum Teil dafür verantwortlich sind. Sie haben sich in der Bequemlichkeit dieses Alltages eingerichtet und wehe, etwas wagt sie zu stören. Das Essen mal später wegen einer Unternehmung? Um Himmels willen, bloß nicht! Man wird nicht bis vor die Tür gefahren, sondern muss vielleicht sogar noch laufen? Das darf ja bloß nicht wahr sein. Und bei drohendem Regen nach draußen? Auf gar keinen Fall, man könnte sich ja erkälten. So jammert man über die Eintönigkeit des Daseins, beneidet und missgönnt den Unternehmungslustigen ihre Erlebnisse und fängt sofort an zu stöhnen, wenn die eigene Bequemlichkeit unterbrochen wird.
    Doch Hendrik beschreibt nicht nur das Innenleben des Heimes. Er bringt auch das aktuelle Tagesgeschehen ein und die Reaktionen darauf. Und das ist fast noch erschreckender. Denn so wie die körperliche Bequemlichkeit die Oberhand gewonnen hat, ist es auch mit dem geistigen Zustand. Zeitungen werden hauptsächlich gelesen, um etwas über das Königshaus zu erfahren oder den neuesten Klatsch und Tratsch. Wird über Politik doch einmal geredet, dann nur abfällig und ernsthafte Gespräche finden praktisch nie statt. Aber in gewisser Weise ist auch das zu verstehen: Denn sind die Alten einmal Thema in der Politik, geht es nur um Sparen und dass deren Pflege zu viel Geld kostet. Roboter sollen eingeführt werden, alte Gefängnisse etwas aufgehübscht und in Altenheime umgewandelt (entpuppte sich als Scherz, fand aber anfänglich keinen allzu großen Widerspruch) usw. Wie sollte man da nicht über Politik schimpfen? Aber warum kein Widerstand? Es herrscht die pure Resignation.
    So deprimierend sich das anhört und es auch tatsächlich ist, Hendrik Groen (bzw. Peter de Smet) gelingt es dennoch, diese Eindrücke meistens so zu schreiben, dass ich doch immer wieder schmunzeln musste. Brüllend komisch, wie beispielsweise 'Die Rheinpfalz' geschrieben hat, ist es jedoch bestimmt nicht. Es zeigt die in vielen Bereichen sehr unschöne Realtiät des Alterns, aber ebenso, dass nur wenig dazu gehört, daraus eine lebenswerte Phase seines Daseins zu gestalten. Freundschaften, ein bisschen Aktivität, Neugier. Nur Mut!

    4ratten


    Wer sich bei diesem Buch einen spannenden Roman um eine wohlhabende Familie mit Intrigen und/oder womöglich sogar Verbrechen verspricht, wird aller Wahrscheinlichkeit nach ziemlich enttäuscht werden. Edith Wharton beschreibt einen relativ kurzen Zeitraum (1/2 Jahr?) im Leben einer der vermögensten Familien New Yorks, wobei die Handlung jedoch eher beiläufig bleibt. Etwaige Aufreger wie Betrug, obskure Sexveranstaltungen (?) und Affären bleiben eher Nebenschauplätze als dass sie tatsächlich in den Mittelpunkt des Geschehens rücken. Stattdessen sind es die mehr oder weniger alltäglichen Tages-, Handlungs- und Gedankenabläufe, die mit spitzer Feder ziemlich detailliert beschrieben werden sowie die Art und Weise, wie sich die Familie mit den verschiedenen Affären arrangiert: ignorieren oder mit Geld verhindern. Zwar ist klar, dass dies alles doch recht grell gezeichnet wird (Pauline ist beispielsweise gleichzeitig intensiv engagiert in den Kommitees für Geburtenkontrolle wie für uneingeschränkte Mutterschaft, ohne hierin einen Widerspruch zu sehen), doch irgendwie scheint die Realität nicht allzu weit entfernt...
    Nichtsdestotrotz kurz zum Inhalt: Pauline Manford, das (weibliche) Oberhaupt einer reichen Familie New Yorks der Zwanziger, hat einen Terminplan wie eine Vorstandsvorsitzende eines weltumspannenden Unternehmens. Doch statt Vorstandssitzungen, Geschäftsessen und/oder Aktionärstreffen wechseln sich bei Pauline sportliche Ertüchtigungen, Schönheitspflege sowie kulturelle und gesellschaftliche Verabredungen zur Errettung der Welt ab - meist im 15-Minuten-Takt. Dennoch ist sie für ihre beiden Kinder Jim und Nona die geliebte und auch bewunderte Mutter, auch wenn diese überhaupt nicht nach ihr kommen. Jim aus erster Ehe genoß das Leben wie es kam bis er Lita heiratete, eine exzentrische Künstlerin (?), der er völlig verfiel, sodass er sogar einen Bürojob annahm, um dem Bild eines anständigen Ehemannes zu genügen (was jedoch eher im Sinne Paulines als Litas war). Nona indes ist mit ihren 19 Jahren auf der Suche nach dem Sinn: Wozu das ständige Herumjagen von einem Termin zum nächsten? Treffen mit Menschen die man nicht mag, nur weil sie einem einen Kardinal als Gast bescheren können? Macht all das glücklich? Offenbar nur ihre Mutter. Jims Ehefrau ist schon nach kurzer Zeit von allem und allen zu Tode gelangweilt und will die Scheidung; Paulines Ehemann steckt in einem Gefühlschaos, an dem Lita nicht ganz unschuldig ist; Paulines momentaner Guru droht offenbar ein Prozess, in dem ihr Ehemann ermittelt undundund.
    Die Gesellschaft die Edith Wharton 1927 so detailliert beschrieben hat, stammt aus den Zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Doch es sind exakt die gleichen Phänomene, incl. des Verhaltens der Presse, die sich eins zu eins in unseren heutigen Zeiten wiederfinden. Krankheit und Tod werden verdrängt, was zählt ist das eigene Wohlbefinden und gute Aussehen: Wer krank ist oder sogar stirbt, ist selber schuld :breitgrins: Esoterik, Okkultismus und oberflächliche Themen die die Schlagzeilen beherrschen; volle Terminkalender um der eigenen Sinnlosigkeit nicht zu begegnen - das bestimmte damals wie auch heute weite Teile der 'besseren' Gesellschaftsschichten. Obwohl Wharton dieses Buch bereits vor fast 90 Jahren schrieb, wirkt die Sprache noch immer frisch. Spöttisch und etwas affektiert - so, wie es diesem ganzen Roman entspricht. Mich hat dieses Buch fast durchweg amüsiert, wobei es durchaus seine Längen hat. Zum 10. Mal über die Lichtgestalt Lita zu lesen, die einer Vase, Lampe, Glas oder was auch immer ähnelt und von innen leuchtet, ist dann doch genug. Dennoch: Es hat sich gelohnt.

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    5ratten


    Wilhelm Raabe lässt in 'Die Chronik der Sperlingsgasse' einen älteren Mann von seinem Leben und dem der Menschen die ihn in dieser Gasse umgaben, erzählen, während er zeitgleich aktuelle Erlebnisse miteinbezieht. Es ist keine chronologisch verlaufende Geschichte, von der hier berichtet wird, stattdessen lässt sich Wachholder (so sein Name) vom Moment inspirieren, etwa beim Blick aus dem Fenster auf die Sperlingsgasse oder wenn er alte Aufzeichnungen durchsieht.
    Das Geschehen, sowohl vergangen wie auch gegenwärtig, ist nichts Aufsehenerregendes. Es geht um eine unglückliche Jugendliebe, eine dennoch fortdauernde Freundschaft, ein Kind, das Wachholder anvertraut wird und dessen Erwachsenwerden er begleitet. Naturerlebnisse werden beschrieben wie auch Ereignisse bei der Arbeit und in seiner Umgebung. Nun mögen Manche fragen, ob es sich überhaupt lohnt diese Chronik zu lesen. Ich kann nur schreiben: Ja! Denn Raabe gelingt es, in diese so alltäglichen Geschichten das ganze Weltgeschehen miteinfließen zu lassen, ohne dass man sich dessen groß bewusst wird. Für seine Zeitgenossen mag dies offensichtlicher gewesen sein als für uns, mehr als 150 Jahre später. Doch die recht umfangreichen Erläuterungen und insbesondere das schöne Nachwort von Joachim Bark helfen hierbei weiter, wobei ich persönlich Manches aus dem Nachwort noch lieber in den Erläuterungen vorgefunden hätte. Sei's drum, in jedem Fall erhält man durch das Lesen dieses Büchleins einen weitaus tieferen Einblick in die Verhältnisse dieser damaligen Gesellschaft als man das auf den ersten Blick vermuten würde.
    Und nicht ganz unerheblich: Gut geschrieben ist es zudem. Zu Beginn mag es für unsere heutigen Ohren etwas ungewöhnlich klingen, doch ich war bald mit Wachholders bzw. Raabes Erzählstil vertraut und freute mich an seinen bildhaften Beschreibungen ebenso wie an seinen humorvollen und auch selbstironischen Sätzen. Gelegentlich geraten sie vielleicht etwas ausschweifend, sodass ich Manches zweimal lesen musste, doch es ist der Mühe wert.
    Schade, dass dieser Klassiker fast schon vergessen scheint und deshalb ist es umso schöner, dass der Alfred Kröner Verlag dieses Frühwerk in einer kleinen und feinen Ausgabe mit blauem Leineneinband herausgebracht hat. Neben den Erläuterungen und dem Nachwort ist das Ganze noch mit diversen Zeichnungen von Raabe versehen - eine wirklich schöne Ausgabe, die auch noch lesenswert ist ;)

    5ratten


    Georgia, eine triste Kleinstadt im Jahr 1939. Das Leben ist geprägt von Rassismus, Armut und Hoffnungslosigkeit. Die Menschen rackern sich 50, 60 und mehr Stunden die Woche ab, um ihr tägliches Überleben zu sichern. Inmitten dieser Trostlosigkeit treffen wir auf fünf Personen, die unterschiedlicher kaum sein könnten und dennoch eines gemeinsam haben: Es gibt eine Sache, an der sie mit ganzem Herzen hängen und ihr Dasein ausrichten.
    Da ist Mick, ein 13jähriges Mädchen inmitten einer vielköpfigen Familie, deren ganzes Inneres nach Musik strebt. Sie komponiert kleine Stücke und Lieder und träumt von einer erfolgreichen Zukunft als Komponistin, Dirigentin.
    Biff Brannon, ein sensibler Witwer der in einer lieblosen Ehe lebte und sich noch immer sehnsüchtig Kinder wünscht.
    Jake Blount, unbeherrscht und voller Wut über die Ungerechtigkeit, die den meisten Menschen widerfährt. Er versucht sie wachzurütteln, sie zum Widerstand aufzurufen und dagegen zu kämpfen - doch vergeblich. Dies macht ihn noch aggressiver und immer wieder ist er gezwungen, seinen Aufenthaltsort wegen Gewalttätigkeiten zu wechseln, um einer drohenden Verurteilung zu entgehen.
    Und Dr. Copeland, ein farbiger Arzt, der besessen ist von der Idee seinem Volk bessere Lebensbedingungen zu verschaffen. Auch er will wachrütteln und zum Widerstand aufrufen doch scheitert ebenfalls, selbst bei seinen Kindern.
    Diese Vier glauben, in John Singer, einem Taubstummen, den einzigen Menschen gefunden zu haben, der ihr innerstes Anliegen versteht und teilt. Da er sich nicht artikulieren kann, kein Widerspruch kommt, er immer freundlich und höflich ist, interpretieren die Vier sein Verhalten als Zustimmung. Doch sie irren. Auch John Singer ist getrieben von einer Sache, die ihm alles Andere unwichtig erscheinen lässt: die Liebe zu seinem Freund Spiros. Als dieser stirbt, bringt sich John Singer um.
    Mick resigniert, sie verliert ihre Liebe zur Musik. Jake verliert wieder die Beherrschung und muss die Stadt verlassen, Dr. Copeland ist schwer krank und wird von seiner Familie gepflegt. Und Biff Brannon, der noch am ehesten in sich ruht, beginnt einen neuen Tag.
    Neben der gefühlvollen und dennoch sehr anschaulichen Schilderung des Lebens zu dieser Zeit, bedrückt am meisten wie einsam diese Menschen sind, obwohl sie viel gemeinsam haben. Dr. Copeland und Jake Blount verbindet im Grunde ein Ziel: Gerechtigkeit. Doch jeder verfolgt nur seinen Weg ohne die kleinste Abweichung zuzulassen - und jeder steht wieder für sich allein. Mick und Biff Brannon - er liebt Mick wie eine Tochter, wie gern würde er ihr einen Wunsch erfüllen. Doch sie hat eher Angst vor ihm und käme vermutlich im Traume nicht darauf, dass Biff ihren größten Wunsch nach einem Klavier wahr werden lassen könnte. Und auch John Singer - er ist so fixiert auf seinen Freund Spiros, den für ihn Einzigen mit dem er sich richtig (mit Händen) unterhalten kann, dass er überhaupt nicht merkt als er andere Taubstumme trifft, dass er hier sein Bedürfnis nach Kommunikation vermutlich noch viel besser stillen könnte.
    Ein wirklich empfehlenswertes Buch!

    4ratten :marypipeshalbeprivatmaus:


    Geht man nach dem Titel, glaubt man eine mehr oder weniger schnulzige Liebesgeschichte vor sich zu haben - und wird tief enttäuscht sein, wenn man sich genau darauf gefreut hat. Der englische Titel trifft es um Längen besser: Slammed - Aufprall, Kollision, Zusammenstoß. Zudem ist er herrlich doppeldeutig, denn im Buch spielen Poetry Slams eine wesentliche Rolle.
    Layken, die nach dem plötzlichen Tod ihres Vaters mit ihrer Mutter und ihrem kleinen Bruder von Texas nach Michigan ziehen muss, trifft an ihrem neuen Wohnort am ersten Tag auf ihren Nachbarn Will, ein gutaussehender und äusserst symphatischer junger Mann. Es knistert nicht nur, nein es schlägt Funken zwischen den Beiden und nach drei Tagen, in denen sie sich wiederholt treffen, ist zumindest für Layken klar: Sie hat sich Hals über Kopf verliebt. Doch dann macht sie eine Entdeckung, die ihren Höhenflug in den siebten Himmel in einen Absturz ins Bodenlose verwandelt...
    Das könnte nun alles kitschig und rührselig werden, denn die Thematik ist ja gerade prädestiniert dafür. Doch die Erzählweise von Layken, der Icherzählerin, ist völlig frei von Selbstmitleid und Gejammer. Stattdessen berichtet sie mit viel Selbstironie (beispielsweise wie sie gleich zu Beginn Will in den Darth-Vader-Plüschschuhen ihres kleinen Bruders gegenübertritt) und einer trotz aller Schicksalsschläge immer vorhandenen Lebensfreude; das Ganze in einem lockerleichten Ton, der jedoch kein Blabla darstellt. Ich habe beim Lesen mit Layken gelitten, mich gefreut und konnte ihre Gefühlsregungen sehr gut nachempfinden, obwohl ich schon einige Jährchen älter bin als sie. Trotz der teilweise sehr traurigen Thematik (es geht viel um Tod) ist es ein Mutmachbuch - und hier kommen die Poetry Slams ins Spiel. Fasst eure Gefühle in Worte und erzählt sie Anderen - sie werden es euch danken. Denn ist es nicht wunderbar festzustellen, dass man mit seinen Empfindungen nicht allein auf dieser Welt ist?
    Ein wirklich schönes Buch mit einigen wirklich guten Lebens-Ratschlägen von Laykens Mutter (nicht nur) auf der letzten Seite. Nur zwei davon als Beispiel:
    - Denkt immer daran: Grenzen sind dazu da, erweitert zu werden.
    - Zu guter letzt: Bereut nichts. Niemals.

    4ratten


    Ich muss gestehen, meine Kenntnisse über Atze beschränkten sich vor dem Lesen dieses Buches auf
    - Proll
    - vulgär
    - Macho,
    sodass mein Interesse an seinen Auftritten eher gegen Null ging. Die Begeisterung über dieses Buch, das ich von einem wirklich lieben Kollegen geschenkt bekam, war daher auch etwas verhalten - aber wie soll man etwas beurteilen, das man nicht kennt?! Also ran an die Lektüre.
    Und ich muss gestehen, ich habe mich wider Erwarten doch ziemlich gut amüsiert :breitgrins: Ja, Atze ist ein vulgärer Prollmacho (oder so), aber einer mit Herz, Humor ohne Ende (den man natürlich mögen muss) und äußerst viel Selbstironie. Die Geschichte selbst ist recht einfach gestrickt:
    Das völlige Gegenstück zu Atze zieht in die Wohnung unter ihm: weiblich, schwanger, gebildet, achtet auf gesunde Ernährung, stilvoll, Lehrerin an einer Waldorfschule usw. Dennoch verstehen die Beiden sich nach anfänglichen Schwierigkeiten äußerst gut und so ist schon nach kurzem klar: Wann werden sie ein Paar? Die Antwort wird durch Erzählungen weiterer Erlebnisse aus Atzes Vita hinausgezögert ebenso wie durch die Angst, sein tolles Leben (Frauen, Autos, Parties...) aufgeben zu müssen.
    Ja, auf Dauer fangen seine Sprüche an sich zu wiederholen (nicht wirklich, aber es wirkt so), doch wie er mit seiner Anwesenheit diesen Waldorfkindergarten aufmischt oder in einem Düsseldorfer Schnöselladen einen Kinderwagen kauft - ach, das war herrlich! Und die Kreationen seiner Schimpfwörter: buckelige Pottsau oder polierte Sardellendose - toll (man sieht, ich kenne seine Shows nicht :zwinker:).
    So kann ich nur feststellen: Klasse Unterhaltung unter Niveau :breitgrins:

    4ratten :marypipeshalbeprivatmaus:


    Endlich mal wieder eine Komödie im besten Sinne des Wortes. Kein lauter Schenkelklopfer, eher eine 'Schmunzelgeschichte' da man das Grinsen nicht wieder wegbekommt, bevor man das Buch aus der Hand legt.
    Dr. Norman Wilfred, ein berühmter Wissenschaftler, reist auf die kleine griechische Insel Skios, um dort bei der Fred-Toppler-Stiftung (die die zivilisierten Werte fördert, was immer die auch sein mögen) einen Vortrag zu halten - der Höhepunkt der jährlichen Hausparty. Gleichzeitig erreicht auch Oliver Fox die Insel, ein charmanter Hochstapler, der nichts anderes macht, als der zu sein, den sich andere wünschen. Dies führt zwangsläufig zu diversen Ärgernissen, wenn sich offenbart, dass er doch nur - Oliver Fox ist. Auf Skios ist er nun Dr. Norman Wilfred und wird freudig von Nikki, der rechten Hand der Vorsitzenden der Fred-Toppler-Stiftung, in Empfang genommen, ebenso wie von allen anderen Gästen. Währenddessen landet der echte Dr. Norman Wilfred in der Pampa, wenngleich in äußerst luxeriöser Umgebung.
    Wie sich nun ein Missverständnis ans andere reiht, Koffer vertauscht werden und wieder zurück vertauscht, Männer in fremden Schlafzimmern landen und Frauen Nächte im Bad verbringen, drei Frauen hinter einem Mann her sind und hinter einem anderen keine einzige, ist einfach ein köstlicher Spaß. Zudem wirft der Autor einen äußerst genauen wie auch ironischen Blick auf die vermutlich(?) typischen Anwesenden einer solchen Veranstaltung - High Society, der es ums Sehen und Gesehenwerden geht, während gleichzeitig legale, halblegale und illegale Geschäfte getätigt werden. Der Einzige, der tatsächlich versteht, worum es bei dem Vortrag gehen soll, wird schlicht mundtot gemacht und eher als Spielverderber betrachtet.
    Eine wirklich schöne Lektüre, die einem einige äußerst vergnügliche Stunden bereitet.

    4ratten


    Ich muss zugeben, ich bin positiv überrascht von diesem Buch. Nach all dem was ich so gehört bzw. gelesen hatte, erwartete ich extrem seichte Kost mit viel plattem Humor. Na ja, tiefgründig ist es nun wirklich nicht, aber das war sicherlich auch nicht beabsichtigt. Die Story ist ausgesprochen schräg und jede Möglichkeit wird genutzt, einen Gag zu erzielen. Meist gelingt das auch überraschend gut.
    Kim Lange, erfolgreiche Fernsehmoderatorin, wird auf dem Höhepunkt ihrer Karriere von einem Stück einer Weltraumstation erschlagen. Statt im Jenseits findet sie sich in einem Erdloch als Ameise wieder, da sie im Laufe ihres Lebens zuviel mieses Karma ansammelte. Voller Reue und aus Liebe zu ihrer Tochter beschliesst sie, die Reinkarnationsleiter wieder hochzuklettern und zu ihr zurückzukehren. Auf ihrem Weg dorthin begegnet sie u. a. Casanova, auch er ein Wiedergeborener, der sie nach besten Kräften unterstützt.
    Wie schon geschrieben: völlig schräg und zudem genauso albern. Mir gefielen insbesondere Casanovas Kommentare, die als Fussnote dem Fliesstext beigefügt wurden.
    Alles in allem eine unterhaltsame Lektüre.

    4ratten :marypipeshalbeprivatmaus:


    Ich gehöre auch zu denen, die dieses Buch einfach schön fanden - ein richtiges Wohlfühlbuch :zwinker:
    Eine grundsätzlich humorvolle Grundstimmung, die sich von dunkel gestimmten Protagonisten nicht vertreiben lässt (höchstens ganz kurz :zwinker:); Figuren, in denen man sich auch in den schlechten Eigenschaften wiedererkennt - doch nie so sehr, dass es zuviel wäre; eine Beschreibung der Realität, aber ohne in Klischees zu verfallen; Gefühle ohne Kitsch, schöne wie schmerzhafte. Und nicht zuletzt eine Geschichte die zeigt, wie sehr Menschen durch ihre Vergangenheit geprägt werden, im Guten wie im Schlechten. Dass das Alles noch in einer wunderbaren, exakten und bilderreichen Sprache geschildert wird, macht das Lesen letzlich zu einem puren Vergnügen.
    Obwohl es so leicht fällt, sich bei dieser Lektüre wohl zu fühlen, ist das Thema alles andere als seicht: Flüchtlinge - wenn auch in einem anderen Zusammenhang, als der erste Gedanke wahrscheinlich vermuten lässt. Eine junge Mutter verlässt den Vater ihres Kindes, der eine neue Liebe gefunden hat, und zieht zu ihrer eigenbrötlerischen Tante ins Alte Land, wo diese seit Jahre alleine lebt. Beiden ist nicht nach der Gesellschaft der jeweils Anderen zumute, aber die Eine weiß nicht wohin, die Andere kann aus eigener Erfahrung nur zu gut nachempfinden, wie das ist - und hilft. Nach und nach werden die Geschichten der beiden Frauen und ihrer Familie erzählt wie auch die der Nachbarschaft, zu denen nicht nur Bauern gehören, sondern auch zugezogene Städter, (Luxus-)Flüchtlinge auch sie. Vergangenes, das bis in die Gegenwart wirkt, wird wieder hervorgeholt und so manche Widersprüchlichkeiten des Lebens voller Vergnügen beschrieben wie in dem nachfolgenden Beispiel:
    "Carsten wuchsen all die Widersprüche in seinem Leben manchmal ziemlich über den Kopf. Vollholz und Fertigparkett, mittags Kohlrouladen und abends Basenfasten, Urtes harter Futon und Herthas lenorweiche Biberbettwäsche, der Terror mit dem Alten und das schöne, kalte Astra, Schulter an Schulter nach Feierabend auf der Bank vor der Werkstatt, wenn es dann wieder gut lief. Pentatonische Konzerte in der Aula von Urtes Rudolf-Steiner-Schule und Puzzle-Abende mit seinen Eltern, Ravensburger, 5000 Teile, das große Korallenriff. Zu dritt hatten sie das ruckzuck fertig."
    Alles in allem ein Buch, wie man es sich wünscht: Unterhaltung mit Anspruch!

    4ratten


    Stoner, der Protagonist dieses Buches, wirkt auf Aussenstehende zeit seines Lebens wie ein schüchterner und immer schrulliger werdendes Wesen, wobei fast niemand ahnt, zu welch leidenschaftlichen Gefühlen er fähig ist. Anfang des 20. Jahrhunderts aus den ärmsten Verhältnissen kommend, gelingt es ihm dank der Unterstützung seiner Eltern, englische Literatur zu studieren und eine Professorenstelle zu erhalten. Er heiratet die Frau die er liebt, doch diese ist aufgrund ihrer Erziehung nicht zu positiven Gefühlen fähig - es wird eine lieblose Ehe. Dennoch hadert Stoner nicht mit seinem Schicksal, sondern widmet sich voller Hingabe seiner kleinen Tochter Grace, deren Wesen ganz ihrem Vater gleichkommt. Als seine Frau beschließt, Grace seinem Einfluss zu entziehen, widersetzt er sich nicht und nimmt das Unausweichliche hin.
    Immer wieder habe ich mich beim Lesen gefragt, was diesen Menschen so nachgiebig, 'weich' und ohne jeden Ehrgeiz sein lässt, während er andererseits bei anderen wenigen Dingen unnachgiebig auf seinen Prinzipien beharrt, auch wenn sie ihm zum Nachteil gereichen. So gut wie immer verzichtet er darauf seinen Willen durchzusetzen; Wut, Hass oder Ärger sind ihm fast gänzlich fremd, obwohl er dazu vermutlich jeden Grund hätte. Doch er nimmt sein Leben an wie es kommt, sieht die vermeintlichen Beweggründe Anderer hinter ihren Handlungen, auch wenn diese noch so ungerecht und verletztend für ihn sind, denn er ist voller Liebe. Der folgende Absatz, der sich im hinteren Teil des Buches befindet, macht dies vielleicht anschaulich:
    "Auf die eine oder andere Weise hatte er sie (die Liebe) jedem Augenblick seines Lebens gegeben und sie vielleicht am reichlichsten gegeben, wenn ihm dies gar nicht bewusst gewesen war. Diese Leidenschaft war weder eine des Verstandes noch des Fleisches, sondern vielmehr eine Kraft, die beides umschloss, als wären sie zusammen nichts anderes als der Stoff, aus dem die Liebe ist, ihre ganz spezifische Substanz. Angesichts einer Frau, eines Gedichts sagte sie einfach: Sieh her! Ich lebe."
    Ein Buch über einen Menschen voller Liebe, das einen dennoch etwas traurig zurücklässt - hätte ihn etwas weniger Liebe und ein klein bisschen Egoismus nicht mehr glückliche Momente erleben lassen? Ich weiss es nicht, aber etwas mehr von Stoners Wesen täte unserer Welt sicherlich gut!

    Schon interessant, wie unterschiedlich Bücher auf einen wirken. Für mich war 'Cooper' eines der Highlights des letzten Jahres und zählt zu meinen Lieblingsbüchern, deshalb


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    Wir leben in einer Zeit und einem Land, wo es fast schon selbstverständlich zu sein scheint, dass die Menschen ein zufriedenes und teilweise sogar glückliches Leben führen. Wir müssen uns keine Gedanken darüber machen, wie man am nächsten Tag sich und die Familie mit Essen und Trinken versorgt; wo wir Brennmaterial für die nächste Kälteperiode bekommen; wer einem Stoffe oder sogar Kleidungsstücke besorgen kann. Die wichtigsten Bedürfnisse sind in unserer Gesellschaft (und vielen anderen) einfach zu stillen, sodass es nur noch selten zu solchen fast schon existentiellen Situationen für Manche kommt. So verbringen wir Tag für Tag mit der Selbstverständlichkeit und scheinbaren Sicherheit, dass es schon immer so war und immer so sein wird: Dieses Leben in Ruhe und Frieden ohne die ganz großen Ängste und Sorgen. Dass dies überhaupt nicht selbstverständlich und sicher ist, ist Vielen von uns vielleicht gerade in letzter Zeit deutlich geworden. Doch immer noch scheinen diese plötzlich auftretenden Einbrüche im Leben vor allem Andere zu betreffen und von uns glücklicherweise noch weit entfernt zu sein - auch wenn sie näher rücken.
    In dem schmalen Roman 'Cooper' (gerade einmal 124 Seiten) erzählt Eberhard Rathgeb von einer Familie, die ein solch zufriedenes, wenn nicht sogar glückliches Leben lebt. Doch das Unheil steht bereits in Lauerstellung, auch wenn Vater, Mutter und zwei Töchter nichts davon ahnen. Bei strahlendem Sonnenschein fahren sie gemeinsam ins Wochenende und nichts deutet auch nur im Geringsten darauf hin, dass ihnen ein Schicksalsschlag unmittelbar bevorsteht.
    Es ist bewundernswert, wie es dem Autor gelingt, die Lesenden so in die Geschichte hineinzuziehen, dass man bei jedem noch so schlichten Ereignis mit angehaltenem Atem darauf wartet, dass es jetzt, genau jetzt passiert. Und auch wenn sich nichts ereignet und der Besuch einer Tankstelle sich wirklich nur als der Besuch einer Tankstelle herausstellt, wartet man voller Spannung und auch Furcht auf das Unglück, das da kommen wird. Rathgeb erreicht dies, indem er zwischen die eigentliche Geschichte immer wieder kurze Absätze setzt, die deutlich machen, wie wenig es braucht, um aus dem normalen Leben ins völlige Chaos zu stürzen. Und dass der pure Wille allein nicht immer ausreicht, sein Leben so zu leben wie man es möchte.
    Der titelgebende Cooper ist ein späterer Nachbar von Lisa, der Ehefrau und Mutter, der ihr nahebringt, das Leben so zu nehmen wie es kommt. Es scheinen schlichte Wahrheiten zu sein, doch mit ihnen lässt es sich überleben.
    Ein kleiner Roman, der es in sich hat, auch wenn die Sprache auf den ersten Blick etwas sperrig zu sein scheint. Nicht abschrecken lassen, es lohnt sich!!!

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    Ich habe, glaube ich, noch nie ein Buch gelesen bei dem ich so oft darüber nachdachte: Was hat der Autor jetzt erfunden und was ist realistisch? Schon mal vorweg: Für die Menschen in Nordkorea hoffe ich, dass der fiktionale Teil deutlich überwiegt.
    Johnsons Roman, der den Pulitzerpreis erhalten hat, erzählt das Leben des Jungen Jun Do, der in einem Waisenhaus in Nordkorea aufwächst. Es ist ein überaus karges und hartes Leben, geprägt von Wilkür, immer (über)bewacht durch den Geliebten Führer Kim Jong Il. Die Menschen leben in ständiger Not und Angst, ein falsches Wort kann einen ins Arbeitslager bringen. Das Einzige was zählt, ist der absolute Glaube und die Hingabe an den nordkoreanischen Staat und seinen Geliebten Führer. Wer davon abweicht, zählt als Verräter. Doch Jun Do beginnt plötzlich andere Dinge zu entdecken, die für ihn von Bedeutung sind: Freundschaft, Vertrauen, Liebe.
    Was dieses Buch so eindringlich macht, ist die detaillierte Beschreibung des Lebens in Nordkorea. Menschen werden nicht als eigenständige Subjekte angesehen, sondern sind nichts anderes als Objekte, mit denen der Geliebte Führer verfahren kann wie er möchte. Männer bekommen Frauen als Gattinnen zugewiesen, stirbt der Mann, bekommt sie einen Ersatzehemann. Liegen Gefangene im Sterben, wird ihnen zuvor noch ihr Blut für Blutkonserven abgezapft. Braucht man Leute für Ernteeinsätze, werden sie auf den Straßen 'gefangengenommen', auf LKWs verfrachtet und zum Arbeitsort gebracht. Nach ein, zwei Tagen sind sie wieder daheim. Denunzierte werden so lange gefoltert bis sie gestehen und landen dann im Arbeitslager oder werden durch Elektroschockeinsätze ihrer Vergangenheit beraubt. Schöne junge Frauen vom Land werden in die Stadt verschleppt, wo sie als Hostess arbeiten müssen oder einen Ehemann zugewiesen werden. Undundund - es gibt so viele solcher Beispiele und ständig spukte mir die Frage im Kopf herum: Ist das alles tatsächlich möglich? Auch wenn ich weiss, dass der Autor für dieses Buch sehr viel recherchierte (unter anderem auch vor Ort), kann ich mir noch immer nicht vorstellen, dass solch ein Ort tatsächlich existiert, an dem derartige Dinge möglich sind.
    Und doch lässt einen die Lektüre nicht trostlos zurück: Jun Do findet nicht nur Menschen die ihm zur Seite stehen und helfen, er entdeckt Vertrauen - und die Liebe. Und nicht nur er: Auch Andere befallen Zweifel ob der Richtigkeit ihres Handelns, ihres ganzen Lebens. Und ziehen ihre Konsequenzen daraus.
    Ein Buch, das ich nicht so schnell vergessen werde!

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    Mit dem Begriff Rohkost verbindet mit großer Wahrscheinlichkeit der überwiegende Teil der Deutschen: Karotten, Salat und Obst. Zwischendurch ganz nett, aber ansonsten eher langweilig und öde. Satt wird man aber von etwas Anderem.
    Chantal-Fleur Sandjon hat sich nun nicht weniger vorgenommen, als diese ZweiflerInnen und SkeptikerInnen mit ihrem Buch 'Rohvolution' vom Gegenteil zu überzeugen. Und das gelingt ihr auch ziemlich gut.
    Zu Beginn werden gleich Vorurteile und Ängste aus dem Weg geräumt: Von wegen langweilig und zu wenig Nährstoffe. Alles ist drin und ökologisch korrekt zudem. Selbst satt wird man davon.
    Der zweite Teil widmet sich den verschiedenen Vorteilen, die der Genuss von Rohkost so mit sich bringt, wobei dies nicht wenige sind. Vom Jungbrunnen zur Fitnesskost bis zum idealen Diätmittel, und dies sind bei Weitem noch nicht die einzigen Verdienste dieser offensichtlichen Wundernahrung.
    Danach geht es mit dem Praktischen weiter: Beginnend mit allgemeinen Hinweisen zum Essen an sich werden die einzelnen Rohkostarten detailliert beschrieben sowie mögliche Bezugsquellen genannt. Auch Hinweise auf benötigte Gerätschaften und worauf man beim Kauf achten sollte, fehlen nicht.
    Und dann geht's los: Wie steigt man ein? Es gibt ein 'Entgiftungsprogramm' über sieben sowie ein sogenanntes Lifestyle-Programm über 21 Tage mit Ratschlägen für die Zeit danach. Macht man weiter, wird also RohköstlerIn? Oder isst einfach mehr Rohkost aber ansonsten 'normal'?
    Abgerundet wird das Ganze mit Rezepten, die von Smoothies über Salate bis hin zu Käsekuchen reichen. Und die sogar überaus lecker sind - zumindest die Sachen, die ich bisher probiert habe.
    Das Einzige was mich störte, war die gelegentlich etwas zu euphorische Sprache: Superhelden-Nahrung, Karma-Food, sexy Bunny usw. Wen will die Autorin damit überzeugen bzw. anlocken?
    Schön fand ich, dass Frau Sandjon trotz ihrer überschäumenden Begeisterung keinerlei Verbissenheit an den Tag legt. 'Alles kann, nichts muss' beschreibt wohl am besten ihre Auffassung. Ob 100% Rohkost oder nur eine Mahlzeit am Tag oder sogar nur ein Teil davon - jede/r nach seinem/ihrem Geschmack, denn gesund ist es allemal. So können sich wirklich alle angesprochen fühlen.
    Fazit: Für Rohkost-EinsteigerInnen ist 'Rohvolution' sicherlich sein Geld wert; bereits erfahrene RohköstlerInnen werden jedoch vermutlich nicht allzu viel Neues entdecken.

    Den Film kann ich empfehlen. Soweit ich das Buch noch in Erinnerung hatte, bleibt der Film nah an der Handlung und fügt nichts dazu, um den Plot fernsehtauglicher zu machen.

    Danke für den Hinweis - den Film habe ich damals leider verpasst. Aber wenn man sich auf Eines im Fernsehen verlassen kann, dann die Wiederholungen :zwinker: