Rezension
(Historische Romane und Studien)
Aus dem Ramsch (mit dem Stempel „Mängelexemplar“):
Antal Szerb, Das Halsband der Königin, dtv München 2005
Fortune de France, 13 Bände von Robert Merle im Aufbau Verlag
Nach wie vor beziehe ich einen Großteil meiner Bücher aus dem Ramsch. Da die Mehrheit der lesenden Bevölkerung sich am Markt und der Werbung orientiert und für teures Geld häufig schlechte Stapelbücher kauft, dagegen qualitativ bessere Bücher, anspruchsvollere und dem ungestörten Unterhaltungsbedürfnis der Leser weniger entgegenkommende häufig sehr bald schon im Ramsch auftauchen, stammen viele meiner besseren Bücher aus demselben.
Eines dieser Bücher ist die Studie von Antal Szerb über die Halsbandaffäre im Ancien Regime kurz vor der Revolution.
Nachdem ich schon vor Jahren mit großem Gewinn Alexis de Toquevilles Buch „L'ancien régime et la révolution. Paris 1856 (dt.: Der alte Staat und die Revolution)“ gelesen habe, als es darum ging die hilflose marxistische Geschichtsphilosophie (als materialistische Verlängerung der hegelschen) zu überwinden, erwies sich Toqueville als jemand, dessen Begriffe von Politik und Geschichte sich als tragfähiger erwiesen als alle Versuche, der Geschichte und der Politik „Gesetzmäßigkeiten“ zu unterstellen. Wer zugibt, dass alles, was sich ereignet hat, auch anders sich hätte ereignen können (wenn dies nicht so wäre, wäre unser Handeln überflüssig) gemäß dem Grundsatz der Kontingenz dessen, was geschieht, den interessiert es vor allem, wie es zu gewaltsamen gesellschaftlichen Veränderungen kommt. Den interessiert der Vorabend der Revolution.
Gegen Ende des Ancien Regime, in den letzten Jahre kurz vor dem Sturm auf die Bastille, ereignet sich etwas, was dazu führt, dass die „Oben“ nicht mehr so können, wie sie wollen und die „in der Mitte“ nicht mehr so wollen wie sie sollen. Wobei es in Frankreich der Konflikt zwischen dem Tiers Etat (J.E.Sieyès: Qu’est-ce que le Tiers-état? –Tout), dem Hochadel und einem schwachen König ist, der zur Verschärfung der gesellschaftlichen und politischen Widersprüche führt.
Im Unterschied zu Stefan Zweig, der in seinem Bestseller „Marie Antoinette“ mehr die stark simplifizierten psychologischen Elemente auf ungemein spannende Weise herausstellt, nimmt Antal Szerb die Geschichte um das berüchtigte Halsband als exemplarisches Beispiel, um an ihr die gesellschaftlichen Veränderungen einer hochexplosiven Zeit zu analysieren. Seine Studie ist klug, kenntnisreich und arbeitet das Wesentliche heraus. Die Charaktere werden nur insoweit entwickelt (Marie Antoinette, der König, Rohan, Jeanne de la Motte usw.) wie sie verdeutlichen, wie eine Anhäufung von Zufällen und unwahrscheinlichen Handlungen den inneren Zusammenhalt einer Gesellschaft unterminieren kann. Allein die Blauäugigkeit des Kardinals Rohan, der sich mit gefälschten Briefen von der Hysterikerin de la Motte und ihrem Anhang instrumentalisieren lässt, um seinem Standesdünkel zu willfahren, wirkt aus heutiger Sicht so unglaubwürdig, dass sich gut erkennen lässt, dass die Revolution derartiges hinwegfegen musste.
Szerbs Buch ist ein Konzentrat, es schildert das Geschehen aufgrund der Kenntnis der Werke von Taine, Carlyle, Wahl, Zweig und anderen ohne dem Fehler einer wissenschaftlichen Erbsenzählerei mit dem ganzen Apparat von Fußnoten und dergleichen zu verfallen. Allerdings hätte eine Literaturliste für den interessierten Leser durchaus eine Bereicherung darstellen können. Schließlich lohnt es immer noch, die Bücher von Taine, de Toqueville und Carlyle heute zu lesen im Unterschied zu den Tanja Kinkels & Co.
Die Faszination an der Geschichte in Form von Romanen verführt Autoren häufig dazu die Geschichte nur noch als Kulisse zu nehmen für simple Pilcher-Stories oder müde Abenteuer im üblich trivialen Muster.
Derartiges kann auch besser ausgeführt werden. Wer etwa an den weiter zurückliegenden historischen Hintergrund der Halsbandaffäre sich in Form von kenntnisreich geschriebenen Romanen erlaben möchte, dem kann ich die 13 Bände von Robert Merles „Fortune de France“-Serie aus dem Aufbau Verlag bestens empfehlen. (Leider ist die Übersetzung im ersten Band noch etwas holperig antikisierend, aber das gibt sich) In diesen Bänden erfahren wir, welcher Kämpfe es bedurfte, bis sich im Widerstand gegen die Hochgestellten des alten Adels, der Fronde, das Königtum und mit ihm der moderne Nationalstaat herausbildete. Am Beispiel der Familie Siorac führt uns Merle mit zunehmender Meisterschaft durch die Geschehnisse um die Bartholomäusnacht, um Henri IV (dessen Bild mir hier klarer wurde als bei Heinrich Mann) und Richelieu.
Résumé:
„Der dritte Stand und das Volk zerstörten die jahrhundertealten Institution (gemeint ist die Monarchie, g.), der Adel und das Königtum lassen es zu. Das zweite Phänomen ist genauso wichtig wie das erste. Die französische Aristokratie und der Adel haben zur Entfesselung der Revolution in vollem Umfang beigetragen. Das ist der Schlüssel und Sinn unserer symbolischen Geschichte.“
(Antal Szerb, Das Halsband der Königin, München 2005, Seite 264)
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EDIT: Betreff etwas angepasst und Amazon-Link eingefügt. LG Seychella