Batya Gur: Du sollst nicht begehren

  • Dies ist der 3. Krimi aus der Michael Ochajon-Reihe


    Michael Ochajon muss sich mit einem Verbrechen in der abgeschlossenen Welt eines Kibbuz beschäftigen. Dieses Milieu ist sehr speziell und dem Ermittler zunächst ebenso fremd wie (vermutlich) dem Leser - aber Batya Gur schafft es auch in diesem Krimi wieder, Hintergrundwissen und Fakten so reichlich zur Verfügung zu stellen, dass man sich am Ende schon fast heimisch glaubt.


    Zu Beginn wird man erstmal in die Welt des Kibbuz eingeführt, viele Charaktere werden vorgestellt, und sehr schnell wird klar, dass es sich hier um ein abgeschlossenes, elitäres Gesellschaftskonzept handelt. Fremde sind nicht gern gesehen, die Kibbuzim sind eine eingeschworene Gemeinschaft mit ganz eigenen Sitten und Traditionen; sie begreifen sich selbst als die “Zierde des Staates” und verabschieden sich nur langsam und ungern von Vorstellungen und Prinzipien, die sich zwar während der Gründungsphase des Staates Israel bewährt haben, in modernen Zeiten aber offensichtlich nicht mehr praktikabel sind.


    Sehr wichtig ist die Treue zur Gemeinschaft, und so ist es kein Wunder, dass der Abgeordnete Aheron, der als Kleinkind in den Kibbuz kam und diesen später wieder verlassen hat, um “draußen” Karriere zu machen, nicht nur freundlich empfangen wird, als er zu einem Fest wieder erscheint. Bei dieser Gelegenheit trifft er auch seine Ziehschwester Osnat wieder, wie er ein Waisenkind, die allerdings versucht hat, innerhalb des Kibbuz einen Aufstieg vom Paria zum akzeptierten Gemeinschaftsmitglied zu machen - und dies mit ihrer Stellung als Kibbuzsekretärin auch geschafft hat. In ihrem Amt versucht sie nun, festgefügte Regeln über den Aufbau der Gemeinschaft, die Erziehung der Kinder und die Versorgung der Alten zu ändern, und stößt damit nicht nur auf Gegenliebe.


    Als Osnat wenig später ermordet aufgefunden wird, ist dies ein einmaliger Fall in der Geschichte der Kibbuzim. Durch ihre Affäre mit Aheron wird der Mord einer Spezialeinheit übergeben, die Leitung übernimmt Michael Ochajon, der sich sowohl mit seinen neuen Kollegen als auch mit dem Kreis der Verdächtigen sehr schwer tut. Die Mitbewohner Osnats können zunächst nicht glauben, dass so etwas wie ein Mord in ihrer kleinen, heilen Welt überhaupt möglich ist; Panik und Unsicherheit greifen um sich, und Ochajon befürchtet sehr bald, dass diese erste Tragödie nicht die letzte gewesen sein könnte. Womit er recht hat; doch bis er den Fall gelöst hat, muss er tief eintauchen in den Konflikt zwischen Modernisierern und Traditionalisten, zwischen denjenigen, die den Kibbuz als einmalige, abgeschottete Welt erhalten möchten und denjenigen, die sich ihrer Vorurteile entledigen und sich der Welt außerhalb öffnen wollen. Im Zuge dessen treten Lebenslügen, Neid, Hass und unüberbrückbare Konflikte zu Tage.


    Dies ist wieder mal ein typischer Ochajon-Krimi: Für sein Genre mit 500 Seiten erstaunlich lang, bis zur ersten Leiche muss man erstmal 120 Seiten schaffen. Dem Leser wird abverlangt - wie immer in Batya Gurs Krimis - tief in das beschriebene Milieu einzutauchen, viel an scheinbar irrelevanter Nebeninformation aufzunehmen. Die Hauptfiguren und ihre Beziehungen zueinander werden detailliert geschildert, man kann mit jeder einzelnen von ihnen mitfühlen. Und wie so oft wird die Motivation für viele Geschehnisse und Handlungen erst aus der Geschichte verständlich, und die persönlichen Schicksale der Kibbuzbewohner sind ein wichtiger Bestandteil der Ermittlungsarbeit.


    Viel Action sollte man in diesem Krimi nicht erwarten, dafür nimmt Gur sich einfach zu viel Zeit für ihre Beschreibungen. Mancher mag diesen Erzählstil als langatmig empfinden, ich mag diese Genauigkeit und Gründlichkeit, mit der sie den Leser die Geschehnisse verfolgen lässt. Man kann sich in die Figuren hineinversetzen, und am Ende sind so auch die teilweise sehr intuitiv gefassten Entscheidungen Ochajons gut nachvollziehbar. Und man erfährt viel über die Anfänge des Staates Israel, über die Konflikte der verschiedenen Gruppen, die seine Bevölkerung ausmachen, und über die spezifische Welt des Kibbuz. Sehr hilfreich ist auch das Glossar am Ende des Buches, in diesem Genre auch nicht gerade üblich.


    Wertung: 4ratten


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