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Thomas Bernhard: Das Kalkwerk
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„Das Kalkwerk", so denke ich, wird mir länger in Erinnerung bleiben als „Beton“. Verwandt sind beide Romane ja doch. In „Beton“ versucht der Protagonist eine Arbeit über Felix Mendelssohn-Bartholdy zu schreiben, ihm gelingt es aber nicht, weil er dauernd gestört wird. In „Das Kalkwerk“ geht es um Konrad, der schon jahrzentelang versucht, eine Studie über „Das Gehör“ zu Papier zu bringen, aber es nicht schafft. Mit seiner Frau hat er sich in ein Kalkwerk zurückgezogen, um dort seine Studie zu schreiben, aber, er wird es nicht schaffen. Seine Frau, die Konrad, ist verkrüppelt und sitzt tagsüber in ihrem Krankenstuhl. Konrad benutzt sie für seine Experimente, er quält sie damit und geht sehr egoistisch mit ihr um. Schon ins Kalkwerk wollte sie nicht.
Verschroben, wahnsinnig oder verrückt – Konrad bewältig ungeheure Geistesanstrengungen und ist schon nervlich überanstrengt. Die Studie ist zwar im Kopf formuliert, aber nicht mehr. Im Kalkwerk, so hofft er, ungestört zu sein, um die Niederschrift zu vollbringen, doch wird er aufgrund von Störungen davon abgehalten, entweder klopft jemand unten an der Tür, oder seine Frau klingelt, weil sie etwas will, oder der Höller hackt Holz.
Natürlich fragt sich der Leser, was das soll. Einerseits bugsiert sich Konrad sinnlos in seine Einsamkeit, und zweitens wird „ Dissertationsdilettantismus“ kritisiert. Konrad hat 200 Disertationen, in denen es um das Gehör geht, durchstudiert und findet keinerlei selbsständige Denkprozesse. Es heißt so schön: „professorale Wiederkäuer“. Vielleicht geht es im Roman darum, dass die Wissenschaft der Warheit nicht nahe genug kommen kann. Darum sagt Konrad über die die Verfasser der Dissertationen, sie hätten keine Ahnung. Es wäre interessant zu wissen, ob Bernhard an die Suche nach Wahrheit gedacht hatte, als er den schrieb. Aus dieser Perspektive gesehen, ist der Roman natürlich sehr grotesk, denn eine sog. Absolute Wahrheit gibt es nicht.
Ein herrlicher Satz ist dieser, besonders wenn man die verfehlten Dissertationen im Hinterkopf behält:
Zitat von "Th. Bernhard"Die Gesellschaft schütz sich ununterbrochen voir den Geistesblitzen, indem sie sich ununterbrochen vor sogenannten Geisteskranken schützt
Konrad verbarrikadiert sich in dem Kalkwerk, als sei es ein Irrenhaus.
Ein sehr nachdenklicher Satz ist dieser:
Zitat von "Th. Bernhard"Es wäre natürlich nichts leichter, soll Konrad gesagt haben, als einfach wirklich wahnsinnig zu werden, aber die Studie ist mir wichtiger als der Wahnsinn.
Wie in einer Neurose dreht Konrad sich im Kreis und wird mit seinem Problem nicht fertig. Er kann nicht aus sich selbst herausbrechen, sich nicht ändern, er muss sich geradewegs gequält fühlen von dem Druck, seine Studie zu beenden. Das ist auch schon eine Art von Wahnsinn. Erschütternd ist,wie Konrad seine Frau quält. Hier tritt wirklich Wahnsinn zu Tage. So etwas gibt es in der Realität nicht. Natürlich gibt es Sadisten, die andere Menschen quälen, aber nicht so, wie es Konrad mit seiner Frau tut. Es wird von Experimenten gesprochen, schon dieses Wort ist in diesem Zusammenhang erschreckend, weil die Frau Gegenstand des Experimentes ist. Konrad sagt seiner Frau stundenlang Sätze und Wörter ins Ohr, die sie nachsprechen soll, z.B muss sie das weiche und harte I unterscheiden, macht aber alles falsch. Dadurch werden Konrads Experimente erschwert.
Der Roman ist ja nur interessant, weil Bernhard ein meisterhaftes humoristisches Stück daraus schafft. Thomas Bernhard wendet hier, wie auch in anderen Romanen, seine geniale Wiederholungstechnik an. Genauer gesagt, sind es keine Wierholungen, sondern differenzierte Variationen des einen Themas. So ähnlich eben, wie eine Verarbeitung eines Motivs in einer Sinfonie (Thomas Bernhard war ja sehr musikalisch). Trotz bedrückender Atmosphäre also, gelingt Bernhard der Humor, denn er treibt es mit seinen Wiederholungen auf die Spitze, dass man irgendwann doch lachen muss, weil sie sich schon überdrehen.
Seine Frau wird übrigens ziemlich abgewertet: sie kapiere nichts, sei sei deformiert u.ä., Konrad hat auch kein Verständnis für sie, dass sie täglich ihr Kleid wechseln möchte (für Konrad ja sehr anstrengend, wiel sie aufgrund ihrer Krankheit sich nicht selbst ankleiden kann). Für Konrad wird sie zur Last und verkompliziert auch seine Versuche. Was soll mir jetzt noch anderes einfallen als purer Sadismus, wenn er seiner Frau aus Kropotkin vorliest, obwohl sie den Kropotkin nicht mag. Sie kann sich gar nicht konzentrieren, und wenn Konrad mündliche Inhaltsangaben verlangt, kann sie nichts wiedergeben. Sie hört auch absichtlich nicht zu. Deswegen verteilt Konrad Strafen. Wenn Konrad ihr aber aus dem „Ofterdingen“ vorliest, kann sie bis ins Detail den Inhalt mündlich vortragen. So wird bei den Experimenten von Frau und Mann sehr hohe Diziplin verlangt, die aufgrund dieser unerhörten Anstrengung sowieso nicht erfüllbar sind. Lustig fand ich nun dieses:
Zitat von "Th. Bernhard"Die meiste Zeit konzentrierten beide sich mit der größten Intensität auf die urbantschitsche Methode, das bedeute auch von ihrer Seite wochenlange ununterbhrochene Diziplin, keinerlei Auflehnung. Manchemal ertrage sie es aber plötzlich nicht mehr, in ihrem Seesel zu sitzen, und sie war nahe dran, die Beherrschung zu verlieren.
Diese natürliche Reaktion, der Verlust von Geduld, was aber nicht gestattet ist, wirkt eben komisch. Eine Studie des Gehörs und Konrad erntet von seiner Frau nur noch Schweigen (also Stille), wenn er Kropotkin vorliest. Auch das ist komisch. Ein großer Wurf ist, so meine ich, die Umdrehung der Machtverhältnisse, die durch einen Traum literarisch vorbereitet werden. Konrad träumt nämlich, seine Frau kann sich plötzlich bewegen, sie kommt in sein Zimmer, wirft ihm, Konrad, vor, in aller Heimlichkeit seine Studie aufgeschrieben zu haben, die Frau holt aus, schlägt mit einer Faust auf die Studie, wirft sie schließlich in den Kamin. Einfach herrlich, diese Umdrehung der Machtverhältnisse, so empfinde ich auch ein schallendes Gelächter, wenn die Frau in der Realität ihrem Ehemann sadistisch zurückschlägt, ihn in besonderen Momenten stört und befiehlt, aus dem Keller Most zu holen. Wenn er beginnt, Kropotkin vorzulesen "hol Most!" usw. Sie will ihn bewusst ärgern, versteht sich. Irgendwo ist in im Kalkwerk der Irrsinn zu Hause
Das ganze läuft ja daraus hinaus, Konrad habe nie den richtigen Augenblick erwischt, sich hinzusetzen, um die Studie niederzuschreiben.
Zitat von "Th. Bernhard"... die meisten, das sei ihm allerdings kein Trost, nützten die günstigen einzigen Augenblicke niemals in ihrem Leben aus.
Liebe Grüße
mombour