Cesare Pavese - Der Teufel auf den Hügeln - Turiner Romane II

  • Cesare Pavese: Der Teufel auf den Hügeln Turiner Romane II


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    (Ich lese in der älteren Übersetzung von Charlotte Birnbaum)


    Sie waren noch sehr jung, heißt es über Pieretto, Oreste und den Ich-Erzähler, als sie des Nachts sich auf den Straßen Turins die Zeit vertrieben. Pieretto schlief sogar noch weniger. Oreste war derjenige, der am frühesten nach Hause wollte. Er konnte nicht verstehen, was seine Freunde in der Nacht noch anstellen wollten, wenn Kinos und Kneipen geschlossen waren. Pieretto, der am wenigsten schlief, sah manchmal in der Früh die ersten Züge ein – und ausfahren, ging vor dem Bahnhof auf und ab, studierte verschlafene Gesichter von Straßenfegern und Radfahrern. Zwei Bettler schliefen auf Bänken, sie sahen aus, als seien sie erstochen.Oreste hörte gerne zu, wenn seine Freunde erzählten und loslachten, weil sie den Einfall hatten, Mädchen zu wecken, oder auf den Hügeln zu fahren, um das Morgengrauen abzuwarten. Als Pieretto eröffnete, dass sie Bekanntschaft mit einer Frau gemacht hätten, verschlug es Oreste die Sprache:


    Zitat von "Pavese"

    Man geht immer wieder vor ihrem Balkon auf und ab. Die ganze Nacht: sie weiß es, sie bemerkt es. Man braucht sie gar nicht zu kennen, man fühlt es im Blut. Es kommt der Augenblick, da hält sie es nicht mehr aus, sie springt aus dem Bett und sperrt dir die Läden auf. Du lehnst die Leiter an...


    Da es nachts immer hell sei, immer Tag, müsse man jede Nacht etwas unternehmen, meint der Erzähler. Warum schlafen, wenn man jung ist, viel erleben möchte. Über die Alten hieße es, sie schlafen nie, meint Oreste und Pieretto, schlagfertig und witzig, meint, zum schlafen brauche man erst mal eine Frau. Da Oreste vom Dorf kommt, wird er immer am schnellsten müde. Pierettos Weisheit: „Dir geht’s wie den Hofhunden und Hühnern“.


    Dass ich auf den ersten Seiten des Romans auf bestimmte Einzelheiten eingehe hat guten Grund, denn hier werden schon Themen vorbereitet, die sich durch den ganzen Roman ziehen. Über das ziellose Umherschweifen in der Stadt erzählt Pavese auch in manchen seiner Erzählungen. Aus langer Weile, man habe ja nichts zu tun, durchstreifen sie die Nacht, bis in die Hügel hinauf. Als sie den etwas älteren Poli treffen, fahren sie ohne ein Ziel vor Augen, auf den Straßen umher.


    Zitat von "Pavese"

    ...es war offensichtlich, daß wir einfach weiterfahren, bis es Tag würde. Ich schloß die Augen, betrrunken.


    Das Streunen durch die Nacht kennen wir schon aus Paveses Erzählung „Die Stadt“:

    Zitat von "Pavese"


    Ich lernte viele seiner Kameraden kennen, und es verging fast keine Nacht, wo wir nicht bis zum Morgen getrunken hätten.


    In einer anderen Erzählung schreibt er über Schlaflosigkeit:

    Zitat von "Pavese"


    In manchen Nächten habe ich keine Lust, schlafen zu gehen, denn das scheint mir verlorene Zeit. Ich möchte immer wach sein, bereit zu atmen und zu sehen... (*Lajolo, Seite 31)


    Das nächtliche Flanieren, die einsam leergefegten Straßen, all das finden wir bei Pavese sehr oft. Man lässt sich treiben, wohin das führt, weiß niemand. In „Die Stadt“ heißt es:


    Zitat von "Pavese"

    Der Sommer verging; ich tat nichts als warten.


    So ergeht sich das auch in „Der Teufel auf den Hügeln.“ Man langweilt in den Tag hinein. Die Freunde treffen auf andere Menschen, sie führen Gespräche und plötzlich ereignet sich etwas, was nicht berechenbar ist. Sehr dramatisch was dort passiert, doch Pavese bewegt sich weiterhin in knapper Wortwahl. Er füllt dramatische Begebenheiten mit poetischer Spannung. Von dieser Spannung lebt der Text. Die Handlung ist sehr rar. Paveses Kunst besteht eben darin, den scheinbar lanweiligen Sommer vergehen zu lassen, ohne den Leser zu langweilen. Allein schon das, soll ihm ein anderer Autor erst mal nachmachen. Hauptakteuer des Romans sind innere Befindlichkeiten, emotionale Dramati. Die Dramatik geht bis ins Morbide, als ob jemand über einen gähnenden Abgrund steht. Und das eben gefällt mir außerordentlich gut. Was Pavese hier an wunderbaren Sätzen losslässt, genieße ich auch in der älteren Übersetzung von Charlotte Birnbaum noch:


    Zitat von "Pavese"

    Am folgenden Tag waren wir zu jenem Pavillion zurückgegangen, und hier mußte ich lächeln über Pierettos Vorstellung, die Erde rieche nach Koitus und Tod. Sogar das Summen der Insekten betäubte einen. Ebenso die wogende Frische des Efeus, der klagende Schrei eines Rebhuhns..


    Das Morbide, welches wir zu Beginn des Romans schon beobachten konnten, als wir über die Bettler gelesen haben, sie lägen wie erstochen auf den Bänken. Pavese schreibt in seinem Gesamtwerk sehr häufig über das schwierige Verhältnis zu Frauen, auch das bekommen wir „...auf den Hügeln“ zu spüren.


    Zitat von "Pavese"

    Hatte ich ein Mädchen bei mir, und die war zu haben. Sie wäre zu haben gewesen. Na ja – ich konnte nicht. Ich, ich konnte nicht. Ich meinte irgend etwas oder irgendwen zu verletzen.


    Ich denke, entweder mag man Cesare Pavese oder man mag ihn nicht. Wenn man ihn einmal geschmeckt hat, kommt man, denke ich, niemals mehr von ihm los.


    Liebe Grüße
    mombour :tipp:



    * Davide Lajolo: Kadenz des Leidens, Claasen Verlag, Hamburg, 1964

    Einmal editiert, zuletzt von mombour ()