Atiq Rahimi - Erde und Asche

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  • Atiq Rahimi – Erde und Asche


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    Inhaltsangabe:


    Das Buch beschreibt die Gedanken und Gefühle eines afghanischen Großvaters, der zu seinem Sohn reisen muss, um ihm zu sagen, dass seine ganze Familie außer ihm selbst und seinem Enkel umgekommen ist.


    Meine Meinung zum Buch:


    „Erde und Asche“ ist ein sehr starkes und nachhaltiges Buch, an das ich sicher noch eine lange Zeit denken werde.


    Die Erzählung wechselt immer wieder zwischen der Reise des Großvaters zu seinem Sohn bzw. der Beschäftigung mit seinem Enkel und zwischen den Erinnerungen des Großvaters ab. Dies macht auch für mich das Berührende an dem Buch aus, denn ich kenne auch das Gefühl das man hat, wenn etwas Einschneidendes passiert ist: man glaubt, die Zeit müsse still stehen und die Welt dürfe sich nicht mehr drehen – doch der Alltag läuft einfach weiter. Dies erfährt auch Dastagir, der Vater von Murad und Großvater von Yassin: Trotz aller Trauer und Verzweiflung lässt die Mitfahrgelegenheit auf sich warten, der Enkel mag die Äpfel nicht essen und möchte lieber etwas anderes haben, der Alltag muss bewältigt werden, ohne Rücksicht auf die eigenen Gefühle.


    Rahimi beschreibt die Gedanken von Dastagir auf eine Art und Weise, dass man beim Lesen das Gefühl hat, es wären die eigenen Gedanken. Dastagirs Angst, seinem Sohn mit der entsetzlichen Nachricht gegenüberzutreten, kann man sehr genau nachfühlen, und auch seine eigene Verzweiflung und Trauer über den Tod seiner Familie ließ mich beim Lesen nicht unberührt. Auch konnte ich Dastagirs heimliche Erleichterung sehr gut verstehen, die er gleichzeitig mit dem schlechten Gewissen spürt, wenn sich die Reise zu seinem Sohn verzögert und er damit eine Gnadenfrist hat, bevor er Murad gegenüber treten muss.


    Die Sprache ist einfach und ungekünstelt, und gerade das macht die Gedanken und Gefühle so eindrücklich. Das Leid der afghanischen Zivilbevölkerung erscheint mir nach diesem Buch unfassbar. Besonders sprach mich die Widmung des Buches an: "Meinem Vater und allen anderen Vätern gewidmet, die im Krieg weinten."


    Den Schluss des Buches fand ich leider etwas enttäuschend, hier konnte ich Dastagirs Verhalten nicht mehr nachvollziehen. Deshalb ein Punktabzug.
    Trotzdem bin ich sehr froh, diese Geschichte gefunden und gelesen zu haben.


    Meine Bewertung: 4ratten


    Viele Grüße von Annabas :winken:

  • Gerade mal nachgesehen: Ich habe es vor etwa zweieinhalb Jahren gelesen, aber in sehr nachdrücklicher Erinnerung behalten. Gerade weil Rahimi sich auf die Trauer des alten Mannes konzentriert und die Frage, wie man darüber sprechen kann, ist es nicht nur zeitlos, sondern allgemeingültig, denn schließlich sind Schmerz und Ohnmacht im Angesicht des Krieges für alle seine Opfer gleich. Und zugleich beweist dieses Büchlein wieder einmal, daß nicht immer dicke ausufernde Schwarten nötig sind, um Eindruck zu schinden. So kurz wie präzise ist hier alles drin, was diese Geschichte braucht. Meine Bewertung damals, die ich rückblickend nicht zu ändern brauche, waren gleichfalls


    4ratten


    Schönen Gruß,
    Aldawen

  • Rahimi, Atiq – Erde und Asche


    Original: Khâkestar-o-khâk (persisch, 2000)


    Nach der Zerstörung seines afghanischen Dorfes durch einen russischen Angriff und dem Tode seiner Frau, seiner Tochter, eines Sohnes mit seiner Familie, ist der Großvater zusammen mit dem taub gewordenen Enkel auf dem Weg zur Mine, in der sein nunmehr einziger Sohn arbeitet. Wie aber ihm diese Nachrichten zumuten? Oder ist es besser, ihn unbenachrichtigt zu lassen? Oder weiß er Bescheid, ist nun von Hass und Rachegefühlen erfüllt? Wie mit dem eigenen Schmerz umgehen? Zwischen Wachen und Nachdenken, in Gesprächen und Sorgen um den Enkel quält sich der schmerzerfüllte Trauernde. Sie warten irgendwo an einer recht einsamen Brücke, wo der Weg abzweigt zur Mine…


    Voriges Jahr hatte ich zuerst seinen Film "Terre et cendres" gesehen, der auf das Buch gründet und ihm sehr folgt. Er ist ja selber Regisseur und konnte also im Film sich selbst treu bleiben. Damals war ich sehr beeindruckt von diesem Warten, dem quälenden Schmerz, der Begegnung mit einer sicherlich universalen, aber eben auch hier historisch eingebetteten Geschichte. Es ist auch die Frage der Trauerarbeit, der man aus dem Weg geht, bzw. die man aus Angst und Isolation und Schmerz nicht teilen kann.
    Zitat aus einem Interview mit Rahimi: „Da schrieb ich meinen Roman "Erde und Asche" darüber, wie die Zukunft - in der Person des jungen Yassin (=der Enkel) - taub ist, die Gegenwart - in der Figur Murad (=Sohn) - verraten, die Vergangenheit (Großvater) mit ihrem Schmerz und ihrem Leiden unterdrückt.“


    Der Film spielt noch mehr als das Buch mit der Länge und dem Warten: dem sich Hinausziehen des entscheidenden Moments.
    In der Begegnung mit einem recht geheimnisvollen Händler wird ein Weg angedeutet, der unvermeidlich und eventuell heilsam sein könnte.


    Erst später erfuhr ich dann von den Büchern. Inzwischen hat Atiq Rahimi in diesem Jahr also den begehrten Goncourt Literaturpreis gewonnen, was seinem Land hier in Frankreich eine erneute Aufmerksamkeit eingebracht hat. Und während er offiziell komplimentiert wurde, bereitete man gleichzeitig einen Charterflug für Asylanten vor...


    Glatte Empfehlung!!! Von mir gibt's:


    4ratten und :marypipeshalbeprivatmaus:


    Atiq Rahimi (* 26. Februar 1962 in Kabul) ist ein französischer Schriftsteller und Filmregisseur afghanischer Herkunft. An der Universität Kabul begann er ein Literaturstudium und war als Filmkritiker tätig. Während des Bürgerkriegs in Afghanistan suchte Rahimi Zuflucht in Pakistan und floh 1984 nach Frankreich. An der Sorbonne in Paris promovierte er in audio-visueller Kommunikation. Sein erster Roman, Erde und Asche, erschien 2000 und thematisiert den Krieg in Afghanistan; Rahimi hat ihn 2004 auch selbst erfolgreich verfilmt. Sein weiteres Œuvre kreist ebenfalls um die kulturellen und politischen Verhältnisse in Afghanistan, vorrangig um die (Selbst-)Befreiung der Frauen in Afghanistan aus ihrer traditionellen Rolle.


    Rahimi ist afghanischer und französischer Staatsbürger und seit den 2000er-Jahren auch wieder in Afghanistan kulturell aktiv. Für seinen ersten Roman in französischer Sprache Syngué Sabour. Pierre de patience („Der Stein der Geduld“) erhielt Rahimi 2008 den Prix Goncourt.


    Sehr interessantes Interview mit Atiq Rahimi: http://www.gazette.de/Archiv/Gazette-Februar2002/Rahimi.html


    Gebundene Ausgabe: 104 Seiten
    Verlag: Claassen Verlag
    Sprache: Deutsch
    ISBN-10: 3546003144
    ISBN-13: 978-3546003148


    Link zum Film: http://www.amazon.fr/Terre-cendres-Atiq-…29205448&sr=1-2

    Gruß, tom leo<br /><br />Lese gerade: <br />Léonid Andreïev - Le gouffre<br />Franz Kafka - Brief an den Vater<br />Ludmila Ulitzkaja - Sonjetschka

  • Heute habe ich das schmale Büchlein gelesen und es wird mir sicher noch eine Weile im Gedächtnis bleiben. Kurz, aber eindringlich! Euren Aussagen kann ich nichts mehr hinzufügen.


    Einziger Kritikpunkt für mich: Dastagirs Verhalten am Schluss des Buches. Das konnte ich auch nicht mehr nachvollziehen. Von meinem Standpunkt aus sollte er doch froh sein, dass sich sein Sohn nicht in so unnötige Gefahr begeben hat.


    Sehr anrührend fand ich auch den Enkel, der noch nicht verstehen konnte, warum alles "keine Geräusche mehr macht" und dass die Panzer "die Stimmen der Menschen mitgenommen haben" und der sich dann fragt "Warum bin ich dann noch am Leben?"