Ralf Rothmann - Feuer brennt nicht

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  • Ralf Rothmann - Feuer brennt nicht. Suhrkamp 2009, 303 Seiten


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    Kurzbeschreibung
    Berlin, fast zwanzig Jahre nach dem Mauerfall. Kreuzberg ist gesichtslos geworden, in den Szenebezirken lebt man auf zu dünnem Eis ("man hört es leise knacken, wenn sie die Deckel ihrer Laptops schließen"), und so ziehen Alina und Wolf an den grünen Rand der Stadt. Am Müggelsee, wo die Unterschiede zwischen Ost und West noch nicht verwischt sind, dem Ort erstaunlicher Begegnungen mit Menschen aus der untergegangenen Republik, sieht Wolf sich aber zunehmend überfordert von dem alltäglichen Zusammenleben mit Alina, den "Details der Zweisamkeit", der Enge trotz komfortabler Wohnung.
    Als plötzlich Charlotte auftaucht, eine Geliebte aus der Vergangenheit, ergreift er die Flucht in neue, vom offensiven Eros der Professorin befeuerte Sensationen - getarnt als Ausflüge mit seinem Labrador Webster. [... mehr wird von mir nicht verraten ...]


    Rezension
    Dieses Buch lässt mich ausgesprochen zwiespältig zurück. Rothmann gehört ohne Zweifel zu den Autoren, die großartig schreiben können.


    Seien es nun philosophische Gedanken wie diesen hier

    Zitat

    Jetzt, in diesem Moment, schließen unzählige Menschen zum letzten Mal die Lider, und gleichzeitig schlagen unzählige andere sie zum ersten Mal auf, und sieht man einmal ab von allem Persönlichen, könnte man den Eindruck gewinnen, das ganze Dasein, das leidige Werden und Vergehen, sei nichts als ein Blinzeln oder Augenzwinkern auf dem Grund einer allumfassenden Gelassenheit.


    oder szenische, detaillierte Beobachtungen wie diese hier

    Zitat

    Noch mehr Pappelsamen, ohne dass man die Bäume sähe. Auf dem Bahnsteig in Hirschgarten kein Mensch, Spatzen picken Moos aus den Fugen der Betonplatten, deren Relief an Kopfsteinpflaster erinnern soll, und Alina trinkt einen Schluck Wasser aus einer kleinen Plastikflasche. Heimlich beobachtet er ihre Spiegelung in der Wagenscheibe, die verzitterte Silhouette.


    Ebenso gibt es in diesem Buch nicht wenige erotische Szenen. All dies habe ich sehr gerne gelesen. Der rote Faden, der dies alles zusammenhält fehlt jedoch. Der Protagonist Wolf ist fünfzig Jahre alt, Schriftsteller und bleibt im gesamten Roman unheimlich blass, seine sexuellen Vorlieben kennt man nach der Lektüre ziemlich genau, aber was ihn sonst bewegt, tritt nicht deutlich an die Oberfläche. Sein Leben weist eine gewisse Leere und Ziellosigkeit auf, aber wodurch diese verursacht wurde, wird auf dem knappen Raum der 300 Seiten nicht recht entwickelt. Uninteressant fand ich auch die eingewebte Geschichte seines Schriftstellerkollegen Richard Sander.


    Grandios übrigens zweieinhalb Seiten bibliomane Ausführungen (Auslassungen mit eckigen Klammern gekennzeichnet):

    Zitat

    Die erste Zahnkrone im sichtbaren Bereich [...] und plötzlich ersteht man Schuhe für achthundert Euro und beginnt damit, Gesamtausgaben zu kaufen ... Andere Männer träumen in dem Alter von einem Porsche oder einem Schweizer Chronometer mit Tourbillon. Dabei hört man schon von den ersten Bekannten, die krank oder lebensmüde ihre jahrezehntelang zusammengetragenen, nicht nur in materieller Hinsicht kostbaren Bibliotheken veräußern; die Erben lesen eh nicht mehr. [...]
    [...] Ein guter Meter Wieland, und auch Heinrich Böll unter Dach und Fach, eine kompakte Mahnung, ihn sich noch einmal zu Herzen zu nehmen. Aber was genau? Und wann? Der fliederfarbene Proust mit der Goldprägung, Proust im Schuber, und die Dünndruckseiten, in denen man blättert, wispern ihr zärtliches "Zu spät ..."
    Dennoch kauft man weiter, und der Handwerker, der eine Abzugshaube über dem Herd montiert, weist mit dem Schlagbohrer auf die Reihen und Rücken im Wohnzimmer und fragt: "Sind die alle echt?"


    Ebenso großartig die Beschreibung eines Arztbesuches zur Magen- und Darmspiegelung des Protagonisten.


    Zu diesem Schriftsteller werde ich sicherlich wieder greifen, dieser Roman hat mich in Gänze jedoch nicht ganz überzeugt. Ich vergebe mal drei Sterne, empfehle diesen Autor und durchaus auch dieses Buch, sofern man sich mit neuer deutscher Literatur auseinandersetzen mag, aber dennoch.


    3ratten


    Die professionelle Kritik bewertet ihn übrigens besser
    http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/kritik/942163/


    Gruß, Thomas

    Einmal editiert, zuletzt von Klassikfreund ()

  • Hallo,


    dieses Buch war bei MDR figaro Buch der Woche und ich habe es auf meinen Wunschzettel gesetzt, nun bin ich unschlüssig nach deiner Rezi. Ich kann nicht von mir behaupten ich interessiere mich für neue deutsche Literatur und Geschichte, was aber auch nicht heißt, dass ich mich nicht dafür interessiere. Ich habe eben keine Beziehung dazu - meinste du es wäre ein gutes Buch, sich mal mit so einem Thema zu befassen? Die Konstellation erscheint mir schon spannend.


    Viele Grüße
    schokotimmi

  • Danke für die Vorstellung des Buches, von dem ich noch nicht gehört hatte... Falls es, Klassikfreund, Dein erstes von Rothmann war, solltest Du die Entdeckungsreise meines Erachtens fortsetzen. Ich persönlich halte ihn für einen der besten zeitgenössischen deutsprachigen Schriftsteller.


    Empfehlen würde ich zuerst "Milch und Kohle"; Oder die zwei Kurzgeschichtenbände; "Rehe am Meer" und... "Hirsche im Wald".


    Ich weiß nicht, schokotimmi, ob diese Bücher als Einstieg gut sind???

    Gruß, tom leo<br /><br />Lese gerade: <br />Léonid Andreïev - Le gouffre<br />Franz Kafka - Brief an den Vater<br />Ludmila Ulitzkaja - Sonjetschka


  • Hallo,


    dieses Buch war bei MDR figaro Buch der Woche und ich habe es auf meinen Wunschzettel gesetzt, nun bin ich unschlüssig nach deiner Rezi.


    Ach, man kann es mal ausprobieren. Bei diesem Buch halte ich eine Bewertung innerhalb von 3 - 4 Sternen möglich, 5 wäre dann bei mir den möglichen Klassikern vorbehalten, dazu gehört es mit Sicherheit nicht, aber sprachlich ist es besser als Genazino. Genazino erzählt in seinem neuesten Buch aber insgesamt die rundere Geschichte, so dass ich ihn dann doch vorziehe. Bücher mit solch deutlichen erotischen Szenen (ohne in das Nackenbeißerniveau abzugleiten) gibt es natürlich auch nicht zuhauf, 2007 ist Robert Menasse mit seinem Buch Don Juan de la Mancha erschienen, den ich nach wie vor stark bewerte.


    Zitat


    Ich kann nicht von mir behaupten ich interessiere mich für neue deutsche Literatur und Geschichte, was aber auch nicht heißt, dass ich mich nicht dafür interessiere. Ich habe eben keine Beziehung dazu - meinste du es wäre ein gutes Buch, sich mal mit so einem Thema zu befassen? Die Konstellation erscheint mir schon spannend.


    Geschichte der DDR steht im Hintergrund, in erster Linie ist es ein Buch, welches sich mit "Beziehung" befasst.


    Gruß, Thomas

  • Geschichte der DDR steht im Hintergrund, in erster Linie ist es ein Buch, welches sich mit "Beziehung" befasst.


    Ah, das ist interessant, bei Figaro wurde gerade die Konstellation "altes Kreuzberger Pärchen" zieht in den "Ostteil" hervorgehoben. Trotzdem klingt das Buch für mich interessant, auch wenn es scheinbar nicht das ist, was ich im ersten Moment erwartet habe. Ich werd es wohl mal probieren.


    Die anderen Tipps habe ich mir auch angesehen und "Don Juan de la Mancha" klingt auch sehr gut.


    Danke für euren Rat.
    schokotimmi