Bertolt Brecht - Flüchtlingsgespräche

Es gibt 9 Antworten in diesem Thema, welches 13.332 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von sandhofer.

  • Hi!


    Ich habe dieses schmale Büchlein von einem Kollegen nach einer Aufräumaktion geschenkt bekommen. Und das habe ich dazu zu sagen:


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    Inhalt:
    Kalle, der Arbeiter, und Ziffel, der Physiker, sind beide während des Zweiten Weltkrieges aus Deutschland und vor dem Faschismus geflüchtet. Sie begegnen sich zufällig in einer Kneipe (vermutlich in Schweden) und fangen ein Gespräch an. Sie merken, dass sie sich in vielem einig sind und es entsteht so etwas wie eine Freundschaft; die beiden treffen sich immer wieder, um miteinander zu reden und Bier zu trinken.


    Meine Meinung:
    «Flüchtlingsgespräche» ist eines der wenigen Bücher, die eigentlich gut sind, mir aber überhaupt nicht gefallen. Drum auch die tiefe Wertung.
    Das fängt schon damit an, dass zwischen Kalle und Ziffel irgendwo Unterschiede bestehen sollten, die über den Beruf hinausgehen. Aber da sitzen sich ein Arbeiter und ein Physiker gegenüber, die sich intellektuell etwa auf gleicher Augenhöhe befinden und ein Zwiegespräch entsteht eigentlich nirgends, weil die beiden auch ziemlich deckungsgleiche Meinungen aufweisen. Ist ja schön und gut, aber wenig spannend. Da hätte man mehr draus machen können, als einen Monolog auf zwei Personen verteilen.


    Was mich aber am meisten gestört hat, ist der unsägliche Zynismus. Ich bin ja sonst nicht von der Sorte, die sowas nicht erträgt oder auch selber mal den einen oder anderen Spruch von sich gibt. Aber was die beiden da verhandeln (und in welchem Ton) ist einfach zu viel des Guten. Ein Beispiel aus Kapitel sechs, in dem es um die Zivilbevölkerung im Krieg geht:
    Ziffel: «Haben Sie gelesen, wie jetzt in Frankreich die Zivilbevölkerung dem totalen Krieg in die Quere gekommen ist? Sie hat alle Pläne der Heeresleitung über den Haufen geworfen, heisst es. Sie hat die militärischen Operationen gehindert, indem die Flüchtlingsströme die Strassen verstopft haben. (...) Die hungrigen Leut haben den Truppen die Essvorräte weggefressen, so dass sich die Zivilbevölkerung geradezu als eine Heuschreckenplage erwiesen hat.»


    Und darauf folgt nicht etwa der Ausdruck des Empörens darüber, dass die Zivilbevölkerung hungrig und auf der Flucht ist, Kalle und Ziffel diskutieren das Problem, wie wenn es dabei um ein abstraktes Problem und nicht um reale Menschen ginge. Und das notabene von zweien, die selber vor dem Krieg geflohen sind! Ich fand solche Passagen furchtbar und mit ihnen fast das ganze Buch. Zu verbittert, zu zynisch das Ganze. Dass man nämlich in nüchternem Ton und eindrücklich, aber ohne zynisch zu werden, über den Wahnsinn des Krieges schreiben kann, hat beispielsweise Erich Maria Remarque mit seinem Buch «Im Westen nichts Neues» bewiesen. So was wäre eher angebracht gewesen und hätte dem ansonsten guten Buch Brechts, das auch einige sehr interessante Gedanken enthält und mir sprachlich sehr zugesagt hat, wesentlich besser getan. Schade drum.


    4 von 10 Punkten



    Lieber Gruss


    Alfa Romea

    Wer anderen folgt, wird nie zuerst ankommen.

  • Nun sind die Flüchtlingsgespräche zwar in Dialogform verfasst und werden auch schon mal auf der Bühne aufgeführt, wenn ich mich nicht täusche, handelt es sich bei diesem Werk Brechts aber weder um Lyrik noch um Drama ...


    Zu verbittert, zu zynisch das Ganze. Dass man nämlich in nüchternem Ton und eindrücklich, aber ohne zynisch zu werden, über den Wahnsinn des Krieges schreiben kann, hat beispielsweise Erich Maria Remarque mit seinem Buch «Im Westen nichts Neues» bewiesen. So was wäre eher angebracht gewesen und hätte dem ansonsten guten Buch Brechts, das auch einige sehr interessante Gedanken enthält und mir sprachlich sehr zugesagt hat, wesentlich besser getan. Schade drum.


    Du vergleichst, finde ich, da Gurken mit Apfelsinen. Remarque schrieb 14 Jahre nach dem Ersten Weltkrieg über seine Erfahrungen an der Front - Brecht mitten im Zweiten Weltkrieg, und dass Flüchtlinge in den Ländern, die sie aufsuchen, nicht unbedingt willkommen geheissen werden, wird Dir auch heute noch jeder Flüchtling bestätigen. Sicher, auch der Erste Weltkrieg war letzten Endes ein sinnloses Abschlachten von Menschen, aber der Zweite übertraf den ersten hierin nicht nur rein zahlenmässig: Hier stand nun eine teuflische Ideologie dahinter, die sich in gewollt neutral und sachlich klingende Rhetorik kleidete. Remarques nüchterner Ton wäre hier nur ein Spiegel dessen gewesen, das die Nazi-Rhetork vorgaukelte. Nur Übertreibung, ein auf die Spitze-Führen dieser Sachlichkeit konnte den Zynismus der Nazis entlarven. Nein, ich finde den Zynismus der beiden Flüchtlinge in Brechts Text ist m.M.n. verständlich und angebracht. Das muss man nicht mögen, klar, aber ich glaube, dass weniger Zynismus die Flüchtlingsgespräche nichtssagend gemacht und damit ruiniert hätte. ;9 $ 0.02 :winken:

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Hallo Alfa_Romea,


    wir lasen das Büchlein vor kanpp zwei Jahren im [url=http://www.klassikerforum.de/index.php/topic,2310.0.html]Klassikerforum[/url] und waren zwar auch etwas "ent-täuscht", aber auf angenehme Weise. Als wirklich zynisch habe ich die beiden Protagonisten auch nicht empfunden, denn dieses Wort hat für mich eine stark misanthrophischen Aspekt und Brecht wendet sich mit den Aussagen der beiden ja nur gegen das Verhalten der Mächtigen und deren Gefolgsleute, die ihr eigenes Hirn abstellen.


    In dem von dir angeführten Zitat weist Ziffel doch gerade daraufhin, wie menschenverachtend das Militär agierte, indem er ganz nüchtern dessen Denkweise darstellt. Gutes politisches Kabarett - soweit es das in ganz seltenen Fällen noch gibt - arbeitet doch genauso!


    HG
    finsbury

  • @Alfa: Schade, das Dir der olle Brecht nicht zugesagt hat. Für mich waren die Flüchtlingsgespräche die Einstiegsdroge zu Brecht. Gerade der Zynismus war es, der mir dabei besonders gefallen hat.


    Noch ein paar meiner Lieblingszitate:


    "Wo nichts am rechten Platz liegt, da ist Unordnung. Wo am rechten Platz nichts liegt, ist Ordnung."
    "Ich habe gehört, es ist hier Landessitte, daß die besseren Dichter an Hunger sterben. Sie wird aber lückenhaft durchgeführt, indem einige auch durch Alkohol umgekommen sind."
    Mein Favorit: "Redens verständlich mit mir, ich bin Wissenschaftler und faß schwer auf." :breitgrins:



    Nun sind die Flüchtlingsgespräche zwar in Dialogform verfasst und werden auch schon mal auf der Bühne aufgeführt, wenn ich mich nicht täusche, handelt es sich bei diesem Werk Brechts aber weder um Lyrik noch um Drama ...


    In der GKBFA sind die Flüchtlingsgespräche unter Prosa eingeordnet. :winken:

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym, 2001

  • Ich habe den Thread mal zu "Weltliteratur & Klassiker" verschoben - ich wusste selber nicht so genau, wohin damit. Hier ist er wohl nicht verkehrt...


    sandhofer:
    Hast schon recht mit deiner Argumentation, dass sich "Flüchtlingsgespräche" und "Im Westen nichts Neues" nicht 1:1 vergleichen lassen, nur weil beide Bücher vom Krieg handeln. Der Vergleich war nicht geschickt gewählt. Was ich damit zum Ausdruck bringen wollte, war, dass man gegen unmenschliche Zustände - gehe es um das quasi industrielle Töten an einer Kriegsfront oder um die Schrecken einer Diktatur für die Menschen, die unter ihr zu leiden haben - auch frei von Zynismus schreiben und die Botschaft trotzdem rüberbringen kann.



    Als wirklich zynisch habe ich die beiden Protagonisten auch nicht empfunden, denn dieses Wort hat für mich eine stark misanthrophischen Aspekt und Brecht wendet sich mit den Aussagen der beiden ja nur gegen das Verhalten der Mächtigen und deren Gefolgsleute, die ihr eigenes Hirn abstellen.


    Das habe ich mir schon auch überlegt. Es hat mich nur sehr gestört, dass nirgends relativiert wurde. Dass es keine Stelle gab, wo die beiden auch mal traurig oder verzweifelt darüber sind, was die Nationalsozialisten angerichtet haben. Stattdessen diskutieren die beiden die Probleme einer Diktatur und eines Krieges, als ob es sie nichts angehen würde, hin und wieder mit solch zynischen Einschüben gespickt. Mag sein, dass die beiden in ihrem Innern schon Schmerz und Wut empfinden über die ganze Situation - aber wieso äussert sich das nie anders als in solch trockenen Gesprächen?


    In diesem Sinne habe ich eben auch mit gewissen Kabarettisten meine liebe Mühe. Das ist halt eine Geschmacksfrage, vor zehn Jahren hätte ich das Buch noch ganz anders (nämlich viel positiver) beurteilt. Ich bin sicher, dass mir der Zynismus damals sehr gut gefallen hätte.


    Lieber Gruss


    Alfa Romea

    Wer anderen folgt, wird nie zuerst ankommen.

  • Was ich damit zum Ausdruck bringen wollte, war, dass man gegen unmenschliche Zustände - gehe es um das quasi industrielle Töten an einer Kriegsfront oder um die Schrecken einer Diktatur für die Menschen, die unter ihr zu leiden haben - auch frei von Zynismus schreiben und die Botschaft trotzdem rüberbringen kann.


    [...]


    Das ist halt eine Geschmacksfrage, vor zehn Jahren hätte ich das Buch noch ganz anders (nämlich viel positiver) beurteilt. Ich bin sicher, dass mir der Zynismus damals sehr gut gefallen hätte.


    Vielleicht auch in 10 Jahren wieder? :winken:

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Wer weiss... ich hoffe es allerdings nicht. Mir gehts jetzt besser als vor zehn Jahren. :smile:


    Mir auch. Aber das eine hat mit dem andern nichts zu tun ... ;) :winken:

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)