[Dokumentation] Die Frau mit den fünf Elefanten (das Leben der Übersetzerin Swetlana Geier)

Es gibt 7 Antworten in diesem Thema, welches 1.214 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Klassikfreund.

  • Ich hab' endlich Die Frau mit den fünf Elefanten gesehen, auf den ich mich wirklich gefreut habe.
    Leider habe ich den Kinosaal enttäuscht und wütend verlassen.


    Wenige Szenen, die wirklich interessant waren. Die Tätigkeit Swetlana Geiers als Dostojewskij Übersetzerin steht im Hintergrund und wird nur in wenig Szenen thematisiert (die eben, die interessant waren). Der Rest ist die Lebensgeschichte einer alter Frau, nun gut, dafür wäre ich nicht ins Kino gegangen. Das wirklich Schlimme ist dann die Verquickung der Biographie mit der Zeitgeschichte, und Swetlana Geier hat sich da nicht mit Ruhm bekleckert. "Sie habe das so einfach nicht gesehen", dass nämlich der Mann, für den sie als junges Mädel in der Ukraine übersetzt hat, direkt verantwortlich war für die Ermordung von 30.000 Juden, u.a. ihrer Freundin (obwohl diese Ermordungen nicht verheimlicht wurden; "das Maschinengewehrknattern" wäre in der ganzen Stadt zu hören gewesen).
    Auf einmal wird für die angeblich und augenscheinlich so Intellektuelle alles wischiwaschi, soll heißen, Stellung wird keine mehr bezogen, "sie habe das nicht in Verbindung gebracht", "sie habe halt immer nur den Menschen gesehen". :kotz: Und das alles wird nur gezeigt, nicht kritisiert, da leidet die gekrümmte alte arme Frau am Tod ihres Vaters und ihres Sohnes, da reist sie mit ihrer Enkelin, mit der sie eine ach-so-gute Beziehung hat in die Ukraine, was für eine faszinierende Person ist doch diese Kollaborateurin, die freiwillig nach Nazi-Deutschland ging und heute noch meint: "sie habe eine Schuld gegenüber Deutschland zu begleichen" (na wie denn nun? Gegenüber des Nazi-Regimes? Oder dem heutigen Deutschland?).


    Dass man dann unter dem Deckmantel "Dostojewskij. Übersetzen. Übersetzertätigkeit" ein literarisches Publikum ins Kino locken will, das muss man doch verdammen. Und dass diese Frau eine fragwürdige Vergangenheit hat, das kann man auch anders anklingen lassen. Da muss man nicht einem weiteren Kollaborateur eine Plattform bieten und ein Denkmal setzen und sie als faszinierende Frau mit schwerer Vergangenheit verkaufen.


    Und nocheinmal, mit weniger Emotionen:
    - Der Film handelt nicht von Literatur.
    - Der Film zeigt die Lebensgeschichte einer Kollaborateurin, die aber durchweg als faszinierende Frau dargestellt wird.
    - Außer Acht gelassen wird, dass sie sich nicht von dieser Vergangenheit distanziert.
    - Der Film lässt anklingen: Auch wenn nicht alles moralisch integer ist, so ist doch die Frau so derartig faszinierend, da kann man das einfach so hinnehmen.
    - Das eigentlich Faszinierende an dieser Person, ihre Tätigkeit als Übersetzerin, wird nur in wenigen Sequenzen gezeigt.


    Schade! Jetzt habe ich mit mir zu kämpfen, um mir nicht die Übersetzungen, die ja angeblich wirklich gut sein sollen, vergällen zu lassen. :grmpf:
    Und ganz außen vor muss ich auch die Reaktionen des Publikums lassen. Nur Lobhudelei für den Regisseur, da waren sie "ach so berührt vom Schicksal dieser Frau". Ich hätte ein kritischeres und differenzierenderes Publikum erwartet, bei einem solchen Stoff. :sauer:

    Auch ungelebtes Leben<br />geht zu Ende<br />- Erich Fried

    Einmal editiert, zuletzt von Yklamyley ()


  • Ich würde diese Rezi gerne wieder hochbringen. Der Film lief nun gestern im Fernsehen. Wer hat ihn (schon) gesehen und möchte hier Stellung beziehen?


    Ich habe bisher nur die ersten 45 Minuten geschaut. Das reicht sicher nicht für ein abschließendes Urteil, aber ich sehe den Film keinesfalls so negativ wie hier beschrieben.


    Schöne Grüße,
    Thomas


  • Nachdem ich den Film nun im Fernsehen gesehen habe, kann ich mir auch ein Urteil erlauben. Über die unsachliche Rezension von Yklamyley kann ich mich jedoch nur wundern.


    Der Film stellt ausführlich die Lebensgeschichte von Swetlana Geier nach. Ein Schwerpunkt des Filmes ist dabei ein Besuch in ihrer alten Heimat Russlands, die sie zum ersten Mal nach dem Krieg wieder aufsucht. Dort wird auch ihre Kinder- und Jugendzeit beleuchtet. Es wird deutlich, dass die Familie unter Stalins Regime sehr gelitten hat (der Vater wurde verhaftet und starb an den Folgen der Haft), da verwundert es nicht weiter, dass man sich auf die Seite der Deutschen schlägt, zudem ihr durch ihre Deutschkenntnisse ein Stipendium in Aussicht gestellt wird. Der Film wertet nicht, er hält sich mit Kommentaren zurück und überlässt dem Zuschauer ein Urteil. Ich kann nur sagen, wer will hier wirklich "den ersten Stein werfen"?


    Ihre Tätigkeit als Literaturübersetzerin wird ebenfalls, wenn auch zu kurz, dargestellt. Es überrascht die antiquierte Arbeitsweise mit Schreibmaschine. Auch das Korrekturlesen mit einem befreundeten Musiker trägt teilweise komische Züge. Bei dieser langsamen Arbeitsweise kann man sich kaum vorstellen, wie sie die fünf schwergewichtigen Werke (die Elefanten) Dostojewskis fertig stellen konnte.


    Insgesamt eine sehenswerte Dokumentation über das Leben einer Frau, der man ihr Lebensschicksal deutlich ansieht. Die Würde des Menschen und das ist eine Stärke dieser Reportage bleibt jederzeit gewahrt.


    4ratten


    Gruß, Thomas

  • Hallo,


    ich habe euch die Diskussion mal abgetrennt, weil das ja sonst im Kino-Thread untergeht. Ihr dürft gerne auch eigenständige Filmdiskussionen hier eröffnen und müsst nicht alles an einen Thread kleben :winken:


    Liebe Grüße
    nimue

    Rechtsextremismus ist wieder salonfähig gemacht worden, durch CDU/CSU und FDP.

  • Danke nimue!
    Ich habe Klassikfreunds Posting nämlich wirklich glatt übersehen!



    Nachdem ich den Film nun im Fernsehen gesehen habe, kann ich mir auch ein Urteil erlauben. Über die unsachliche Rezension von Yklamyley kann ich mich jedoch nur wundern.


    Äh ja, zumindest bist du verwundert, nicht entrüstet, abgeschreckt, am Boden zerstört, verletzt, beleidigt, in Abgründe ge- und innerlich zerissen. :zwinker:
    Es ist und bleibt eine Meinung, mit einer Rezension zu Filmen würde ich mir auch sehr schwer tun, da das einzige, das ich bewerten kann, die inhaltliche Ebene ist, weil ich eben von allem anderen keine Ahnung habe. Das Medium Film ist mir ein verschlossenes, ebenso wie andere Bereiche künstlerischen Schaffens (Malerei, Bildhauerei, ...) bei denen ich ganz plakativ nur nach gefällt mir und gefällt mir nicht werten kann, was nämlich die handwerkliche Leistung des Schaffenden betrifft. Bei Literatur differenziere ich mehr, aber auch nicht hier im Forum, hier bin ich nur als Leser und nicht als Kritiker, und als solcher werte ich mein Lesevergnügen, nicht das künstlerische Potential des Autors.



    Es wird deutlich, dass die Familie unter Stalins Regime sehr gelitten hat (der Vater wurde verhaftet und starb an den Folgen der Haft), da verwundert es nicht weiter, dass man sich auf die Seite der Deutschen schlägt, zudem ihr durch ihre Deutschkenntnisse ein Stipendium in Aussicht gestellt wird. Der Film wertet nicht, er hält sich mit Kommentaren zurück und überlässt dem Zuschauer ein Urteil. Ich kann nur sagen, wer will hier wirklich "den ersten Stein werfen"?


    Also ich werfe da gerne, selten halt den ersten, Steine! (Wenn das auf Geiers Aktionen bezogen ist) Und mich verwundert diese Haltung, nicht aufgrund meiner eigenen moralischen Überlegenheit, sondern weil es in der Geschichte nicht nur Kollaborateure, Mitläufer und "an den eigenen Vorteil denkende" gegeben hat, sondern auch ein breites Spektrum anderer Verhaltensweisen und vertretbarerer Handlungen. Diesen Leuten sollte man eher filmische Denkmale setzen, leider hat es keiner von ihnen zum Dostojewski - Übersetzer gebracht. Natürlich kann man im Sinne einer allgemeinen Informationsübermittlung die ganzen Leisetreter, Anpasser und Mitschwimmenden (gar nicht zu reden von den noch viel größeren Verbrechern), nicht ausklammern.
    Inwiefern der Film wertet, ist dann die Frage, nur ist nicht "keine Wertung" eben manchmal auch "eine Wertung"? Leise, ruhige Bilder, eine alte gekrümmte Frau (ohh wie arm), ihre ihr treu ergebene Enkelin (ach wie schön), der Besuch der alten Heimat (oh wie rührselig), kochen in der Küche (und so heimelig), etc. pp.
    Und warum muss ich diesen ganzen Film über ihre Lebensgeschichte ansehen, wobei ich eigentlich mit einer Darstellung literarischen Schaffens gerechnet hatte?
    Hätte man nicht einfach ihre Person (*gähn*) sondern ihre Tätigkeit (*Spannung*) in den Vordergrund rücken können?
    Das ist in Wahrheit doch der wichtigste Kritikpunkt: Das, was an dieser Frau eigentlich interessant ist, wird in den Hintergrund geschoben, und erzählt wird ihre Lebensgeschichte, in der sie sich noch nicht mal mit Ruhm bekleckert hat. Fantastisch, so etwas will ich mir nicht nochmal ansehen um meine Erinnerungen, die inzwischen schon über ein halbes Jahr alt sind, aufzufrischen.



    Insgesamt eine sehenswerte Dokumentation über das Leben einer Frau, der man ihr Lebensschicksal deutlich ansieht. Die Würde des Menschen und das ist eine Stärke dieser Reportage bleibt jederzeit gewahrt.


    Eben. Kein Film über Literatur, somit eine Enttäuschung auf der ganzen Linie. Das mit der Würde kann ich dagegen nicht ganz nachvollziehen, denn meiner Ansicht nach verliert man die schon in dem Augenblick, in dem man mit den Nazis kollaboriert und nie ein Wort der Reue äußert. Möglicherweise ist das alles mein rotes Tuch, und möglicherweise wurde genau das in dem Film überhaupt nicht thematisiert. Aber wenn weder Literatur noch die Zeitgeschichte eine Rolle gespielt haben, was bleibt dann noch über?

    Auch ungelebtes Leben<br />geht zu Ende<br />- Erich Fried


  • Eben. Kein Film über Literatur, somit eine Enttäuschung auf der ganzen Linie. Das mit der Würde kann ich dagegen nicht ganz nachvollziehen, denn meiner Ansicht nach verliert man die schon in dem Augenblick, in dem man mit den Nazis kollaboriert und nie ein Wort der Reue äußert. Möglicherweise ist das alles mein rotes Tuch,


    Deine Postings wirken auf mich sehr emotional und auf mich wirkt es wie dein persönliches rotes Tuch. Dein Smiley mit dem Erbrechen finde ich geschmacklos. Ohne diesen Smiley hätte ich vermutlich gar keine Rezension mehr dazu geschrieben. Aber so fühle ich mich provoziert und ich möchte dem Film doch "Gerechtigkeit" zukommen lassen. S. Geier ist keine Kriegsverbrecherin, wie man nach dem Lesen deines ersten Postings den Eindruck bekommen könnte. Sie war noch ein Kind als sie mit den Nazis "kollaborierte", sie musste auch ihr eigenes Überleben sicherstellen. Kann man ihr das vorhalten? Ich sehe da nicht viel Potential.


    Und die Arbeit als Literaturübersetzerin kommt natürlich auch vor - aber es ist schon richtig, das ist kein Film über Literatur.


    Gruß, Thomas