James Wood – Die Kunst der Erzählens. Originalausgabe: 2008, dt. Übersetzung: 2011, 236 Seiten.
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Der amerikanische Harvard-Professor für angewandte Literaturkritik James Wood setzt sich in zehn Kapiteln damit auseinander, was einen guten Roman ausmacht. Dabei untersucht er vor allem Einzelelemente wie die Figurenzeichnung, die Sprache, die Dialoge, die Detailauswahl oder die Erzählhaltung. Im Schlusskapitel geht es dann um die Frage, ob moderne Romane die reale Welt beschreiben und inwieweit sie das überhaupt können.
Im ersten Kapitel geht es um die Frage der Erzählhaltung des Autors. In modernen Romanen trifft man auf den allwissenden Autor, der in der 3. Person Singular über seine Protagonisten erzählt. Diese Allwissenheit ist jedoch nicht vollkommen, die Schilderungen schmiegen sich um die Figur herum und die Art des Denkens und Sprechens verschmelzen zwischen den Worten des Autors und der Figur. Man nennt dies „erlebte Rede“ und ein Kennzeichen ist, dass die Gedanken der Figuren als solche nicht mehr vom Autor gekennzeichnet werden. Es gibt kein „sagte er zu sich selbst“. Es ist erstaunlich, dass der Literaturunterricht der Schule mir solche Erkenntnisse vorenthalten hat, mit um so mehr Gewinn folgt man den Ausführungen Woods.
Im 2. und 3. Kapitel wird der „Erfinder“ des modernen Romans eingeführt, Gustave Flaubert. Wir als heutige Leser, die wir an diesen modernen Stil so gewohnt sind, dass wir ihn gar nicht mehr bewusst wahrnehmen, müssen auf das Neue von Flaubert erst wieder aufmerksam gemacht werden. Verblüffend das gewählte Zitat aus dem Meisterwerk „Die Erziehung der Gefühle“, welches so modern klingt, dass es statt 1869 auch 100 Jahre später in gleicher Weise hätte geschrieben sein können.
Im 4. Kapitel wird ein wesentliches Stilmerkmal moderner Romane erläutert, die Auswahl und Beschreibung von Details. Gerade irrelevante Details sind notwendig um den Roman realistisch wirken zu lassen, was wiederum mit Zitaten eindrucksvoll belegt wird.
Im 5. Kapitel setzt Wood sich mit den fiktiven Figuren auseinander und wie der moderne Roman sie einführt. Er zeigt auf, dass Anfängerromane quasi mit der Beschreibung eines Fotos beginnen, der Autor klammert sich an rein statische Sachen. Maupassant hingegen setzt in der Erzählung „Die Königin Hortense“ wie folgt an: „Er war ein Herr mit rötlichem Backenbart, de stets als erster durch die Türe ging.“ Nur ein einziger Satz zur Figurenzeichnung, der vollkommen hinreichend ist um in diesen Herrn „hineingekommen“ zu sein, so Ford Maddox Ford.
Im 6. Kapitel wird das Bewusstsein beleuchtet, während in Kapitel 7 kurz unterschucht, welchen Wert Romane für Leser haben. Das längere Kapitel 8 widmet sich dann der Sprache, Kapitel 9 den Dialogen. Das zu kurz geratene, aber äußerst interessante Schlusskapitel untersucht, inwieweit ein Roman „real“ sein kann.
Das Buch ist frei von wissenschaftlichem Jargon, dennoch ist so mancher Gedanke, insbesondere wenn sich Wood mit dem Theoretiker Roland Barthes auseinandersetzt, nicht einfach zu verstehen. So manches Mal wünschte ich mir weniger Tempo, mehr Präzision in der Argumentation und manches Fremdwort weniger.
Eine Anleitung für Romanautoren ist dieses Buch sicher nicht, es ist vorwiegend für Leser geschrieben, die verstehen möchten, was wesentliche Elemente eines guten Buches ausmachen. Eine Sache hat Wood jedoch ausgespart. Zu einem guten Buch, gehört auch ein Plot, was gute von schlechten Plots unterscheidet, bleibt somit offen.
Das Buch lässt sich auch als Anregung zur Entdeckung von Werken der Weltliteratur lesen. Die immer wieder eingestreuten Zitate zur Belegung einer seiner Thesen sind so gut gewählt, dass sie oft Lust auf das vollständige Werk machen. So erging es mir mit dem ersten Satz aus Tschechows Erzählung Rothschilds Geige. „Das Städtchen war klein, schlimmer als ein Dorf, und es lebten darin fast nur Leute, von denen so selten welche starben, dass es einen beinahe ärgerte.“ Im Anhang findet man zudem eine chronologische Liste der zitierten und erwähnten Werke, so dass man dort einen weiteren Kanon der Weltliteratur (mit nur wenigen Überraschungen) findet. Zudem wird jeder zitierter Autor in einem Register seitenzahlengenau nachgewiesen.
Das Cover mit der in alle Richtungen fallenden Schrift ist reichlich missraten, aber dies soll in die Bewertung nicht einfließen.
Gruß, Thomas