I - Telemachie: 2. Nestor

Es gibt 2 Antworten in diesem Thema, welches 2.293 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Breña.

  • Im zweiten Kapitel ändert sich der Tonfall, der Fokus liegt auf Stephan, dessen Gedanken mit Fremdworten gespickt sind und sich deutlich von Buck Mulligans abheben. Wieder nimmt der Leser nur als Beobachter an den Gesprächen und Gedanken teil, diesmal hatte ich aufgrund der fragmentarischen Sätze aber manches Mal Schwierigkeiten zu folgen. Manchmal entzieht sich mir der Sinn des Geschriebenen weitestgehend, aber das Geschriebene selbst entschädigt mich ausreichend. Schon den zweiten Absatz habe ich mehrfach gelesen:


    Zitat von S. 31

    Zusammengefabelt von den Töchtern der Erinnerung. Und doch war sie irgendwie, wenn nicht so, wie Erinnerung sie zusammenfabelte. Ein Satz der Ungeduld dann, Rauschen von Blakes Riesenschwingen. Ich höre den Zusammenbruch allen Raumes, zerschmettertes Glas und zusammengestürztes Mauerwerk, und Zeit ist nur eine fahle, erlöschende Flamme. Was bleibt uns dann?


    Die Stimmung, die Joyce hier heraufbeschwört, gefällt mir, auch wenn ich nicht weiß, worum es genau geht. ;) Sie könnte die Schlacht sein, um die es in den vorherigen Zeilen geht und die Stephan mit seinen Schülern bespricht. Sie könnte aber auch seine verstorbene Mutter sein, zu der seine Gedanken immer wieder zurückkehren. Die Töchter der Erinnerung in der griechischen Mytholgie, Mnemosyne, sind die Musen. Und ich bin mir nicht sicher, ob Joyce auf Wiliam Blake anspielt. Eigentlich auch egal, denn inhaltlich bringt mich das nicht weiter, aber diese Beschreibung der Vergänglichkeit finde ich dennoch grandios.


    Ich spiele mit dem Gedanken, mir die aktuellere Übersetzung von Hans Wollschläger zuzulegen. Im Netz habe ich Textpassagen gefunden, die eindeutig weniger angestaubt zu lesen sind als die Übersetzung von Georg Goyert von 1956, die ich habe. Außerdem habe ich mir den Ausschnitt aus einer Lesung Wollschlägers angehört, der auf Wikipedia zu finden ist. Köstlich!


    Die beiden Personen, die neben Stephan in diesem Kapitel auftreten, sind auch sehr aussagekräftig. Zum einen ist da der Schüler Cyril Sargent, in dem Stephan sich selbst wiedererkennt. Zum anderen der Schulleiter Deasy, der wohl eine Entsprechung in Joyce' Biografie hat, und der sich mit seinen wirtschaftlichen und antisemitischen Überlegungen für mich ins Aus geschossen hat.


    Einmal angefangen, könnte ich mir zahlreiche Kleinigkeiten rauspicken, ohne annähernd alle zu erfassen, aber das ist mir zu mühsam. Ich lese lieber weiter und lasse mich überraschen, was mich im nächsten Kapitel erwartet.


    Viele Grüße
    Breña

    "Natürlich kann man sein ohne zu lesen, ohne Bücher, aber ich nicht, ich nicht." J. L. Borges

  • Ich habe mir nun tatsächlich die neuere Übersetzung von Wollschläger gegönnt. Vergleich gefällig? Ich nehme die oben bereits zitierte Textstelle:


    Zusammengefabelt von den Töchtern der Erinnerung. Und doch war sie irgendwie, wenn nicht so, wie Erinnerung sie zusammenfabelte. Ein Satz der Ungeduld dann, Rauschen von Blakes Riesenschwingen. Ich höre den Zusammenbruch allen Raumes, zerschmettertes Glas und zusammengestürztes Mauerwerk, und Zeit ist nur eine fahle, erlöschende Flamme. Was bleibt uns dann?


    Gefabelt von den Töchtern der Erinnerung. Und doch irgendwie da, wenn auch nicht so, wie die Erinnerung es fabelte. Ein Satz dann, der Ungeduld, dumpf schlagend Blakes Schwingen des Exzesses. Ich höre den Untergang allen Raums, zerschmettertes Glas und stürzendes Mauerwerk, und die Zeit eine einzige bleifahle letzte Flamme. Was bleibt uns dann noch?


    Mit der neueren Übersetzung ist meine Motivation wieder gestiegen. Bis zum Bloomsday möchte ich den Ulysses bewältigt haben. ;)

    "Natürlich kann man sein ohne zu lesen, ohne Bücher, aber ich nicht, ich nicht." J. L. Borges