Liv Balstad – Insel im Rücken der Sonne. Neun Jahre auf Spitzbergen

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    Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg lernt die junge Liv bei Freunden Håkon Balstad kennen, der eigentlich schon längst seinen Gouverneursposten auf Svalbard, wie die ganze Inselgruppe korrekterweise heißt, angetreten haben sollte, aber durch widrige Witterungsbedingungen abgehalten wurde. Zum Frühjahr mit dem ersten Schiff fährt er, aber bis dahin ist schon klar, daß Liv ihm folgen und man auf Spitzbergen heiraten wird. Die Bedingungen, die Liv vorfindet sind extrem primitiv. Das liegt nur zum Teil daran, daß das arktische Klima nicht besonders freundlich ist. Aber auch Spitzbergen hat im Krieg Spuren davongetragen, und da es sich vor allem um Bergbausiedlungen handelt, in denen die Männer meist ohne ihre Familien für ein paar Jahre leben, um genug Geld für eine anders geartete Existenz im Süden zu verdienen, macht sich auch niemand besonders viele Gedanken darüber. Dazu kommt, daß Håkon auch noch der Typ des überkorrekten Beamten ist, der um fast jeden Preis dem Staat Ausgaben ersparen will. So muß Liv allerlei Tricks und Drohungen auffahren, um in der baufälligen Baracke wenigstens ein Mindestmaß an Möbeln und Ausstattung zusammenzukratzen, über die Qualität der Gegenstände breitet man besser den Mantel des Schweigens.


    Als Gouverneur kommt Håkon mit vielen Leuten in Kontakt, vor allem auch mit den Russen, die gleichfalls Siedlungen auf der Insel haben. Das Verhältnis ist durchweg gut, man hilft sich gegenseitig, weil man weiß, daß man aufeinander angewiesen ist. Unterschiede gibt es gleichwohl: Bei gemeinsamen Essen stellen die Russen durchaus ihre sprichwörtliche Trinkfestigkeit unter Beweis, was die Norweger doch irritiert. Dafür hat Håkon immer dann ein Problem, wenn jemand seinen Gärfisch nicht mag, der wohl ziemlich durch das ganze Haus gestunken haben muß.


    Liv erzählt recht nüchtern, aber nicht ohne Humor von den Umständen und Lebensbedingungen zu jener Zeit in Longyearbyen. Das betrifft neben so naheliegenden Dingen wie der Haushaltsführung aber auch eine Menge anderer Aspekte, von der Gesundheitsversorgung über das Schulwesen für die Kinder, die es auf der Insel durchaus gibt, bis zum Gefängnis, das nach Fertigstellung des neuen Gouverneurshauses in einem dortigen Zimmer eingerichtet wird. Auch Grubenunglücke sind nicht selten und sorgen immer für weite Betroffenheit. Weniger erfährt man hier über die Jäger, die in den abgelegeneren Regionen Spitzbergens leben und auch überwintern, da sie nur selten in den Ort kommen und Liv entsprechend wenige Kontakte hatte. Sie hat mit dem Bericht schon während ihres Aufenthaltes dort begonnen, veröffentlicht worden ist er bereits 1955, was kurz nach der Rückkehr der Balstads von Svalbard gewesen sein muß. Es ist also vielleicht, das merkt man gerade zum Ende hin, doch einiges an Wehmut dabei, die Insel zu verlassen (auch wenn man sich das angesichts der Lebensbedingungen nur schwer vorstellen kann), aber zumindest noch keine Verklärung durch jahrelangen Abstand, was den Bericht als Zeitzeugnis durchaus interessant macht.


    3ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:


    Schönen Gruß
    Aldawen

  • Liv Balstad hat dieses Buch als Frau des Sysselmanns (Gouverneurs) von Spitzbergen verfasst. Sie beginnt mit ihrem Kennenlernen in Oslo, beschreibt aber vor allem ihr Leben auf der Inselgruppe während der neun Jahre ab 1946.


    Ihr Mann Hakon ist zwar der Amtsinhaber, doch auf ihre tatkräftige Unterstützung angewiesen. Und so besteht ihr Alltag ebenso aus den Tätigkeiten einer Hausfrau und Mutter wie aus Protokollen, Staatsbesuchen oder Gerichtsverhandlungen. Und das alles am Rande der Welt unter herausfordernden Bedingungen, aber auch mit einer herzlichen Gemeinschaft und inmitten faszinierender Natur. Ohne die Gemeinschaft der Bergarbeiter, Jäger und Forscher wäre das Überleben besonders während der Wintermonate unmöglich. Und auch die Nachbarschaft zu einer russischen Siedlung liefert einige Anekdoten. Die meisten Personen außer ihr selbst und Hakon bleiben in den Schilderungen allerdings leider blass.


    Balstad schildert verschiedene Episoden, die natürlich einer Chronologie folgen, aber kaum einen Spannungsbogen haben. Zwischendurch gab es für mich durchaus Längen, aber auch sehr spannende, lustige oder berührende Momente. Ohne belehrend zu sein, vermittelt Balstad Fakten zur Geschichte, Flora und Fauna. Viel Raum nehmen die Lebens- und Arbeitsverhältnisse der Anwohner und Arbeiter ein. Sie lässt jedoch nur sehr ausgewählte persönliche Details einfließen, so dass immer eine gewisse Distanz besteht. Sie zeigt auch, wie herausfordernd das Leben mit gerade mal dem Nötigsten ist und wie bedrückend die dauerhafte Dunkelheit sein kann. Balstad beschreibt das alles mit einem guten Blick, viel Ehrlichkeit und einer Portion Humor. Ihre Erzählungen sind authentisch, weil nicht alles glatt läuft, man aber trotzdem nachvollziehen kann, weshalb sie sich immer wieder bewusst für dieses Leben entscheidet.


    Hakon stellt oft das Wohl anderer über sein eigenes, nicht immer zum Vergnügen seiner Frau (wenn es zum Beispiel um die Wohnverhältnisse geht), doch sie handelt ähnlich altruistisch. Sie holt ihn, teils mit Schimpfen oder Jammern, jedoch auch in die Realität eines Familienvaters zurück. Ein beeindruckendes Beispiel ist eine Überfahrt nach Oslo: Das Ehepaar reist einigermaßen angenehm, wenn auch ohne Komfort. Liv Balstad macht sich jedoch auch ein Bild von den Zuständen der Bergleute im Kohlenraum. Sie überzeugt auch ihren Mann, dies zu tun, was nach der Ankunft zu sofortigem Eingreifen des Gouverneurs führt, um die Reisebedingungen der Arbeiter zu verbessern. Freunde wird er sich damit garantiert nicht gemacht haben.


    Das Engagement der beiden bezieht auch die Tiere mit ein, egal ob domestiziert oder wildlebend. Manches könnte durch Eigennutz erklärt werden, denn Milchkühe waren auf Spitzbergen besonders wertvoll. Der Gouverneur sorgt jedoch auch für den Schutz der Wildtiere, etwa durch die strenge Einhaltung der Jagdvorschriften und die Schaffung von Schutzzonen. Unter den Rahmenbedingungen finde ich das besonders beeindruckend.


    Ein faszinierender Bericht mit leichten Längen.


    4ratten

    "Natürlich kann man sein ohne zu lesen, ohne Bücher, aber ich nicht, ich nicht." J. L. Borges