Wolfgang Herrndorf - Arbeit und Struktur - ein Online-Blog

Es gibt 3 Antworten in diesem Thema, welches 1.982 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von stefanie_j_h.

  • Wolfgang Herrndorf wurde 1965 in Hamburg geboren und lebt heute als Schriftsteller in Berlin.


    Er hat erfolgreiche Romane wie "tschick" geschrieben.


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    Nun gibt es einen Online-Blog "Arbeit und Struktur" von ihm:


    http://www.wolfgang-herrndorf.de/archiv/


    Der Grund dafür ist tragisch:


    "Die Histologie verschiebt sich immer weiter, am 25.2. ist es soweit: Prof. Moskopp erklärt, es sei ein Glioblastom. Das ist etwas Gehirneigenes, das bildet keine großen Metastasen, wächst nur sehr schnell, läßt sich nicht endgültig bekämpfen und ist zu hundert Prozent tödlich."


    Man findet dort auch wunderbare Einsichten über Literatur:


    "Ich bin Schriftsteller, und man wird nicht glauben, daß Literatur mich sonst kaltgelassen hätte. Aber was jetzt zurückkehrt beim Lesen, ist das Gefühl, das ich zuletzt in der Kindheit und Pubertät regelmäßig und danach nur noch sehr sporadisch und nur bei wenigen Büchern hatte: daß man teilhat an einem Dasein und an Menschen und am Bewußtsein von Menschen, an etwas, worüber man sonst im Leben etwas zu erfahren nicht viel Gelegenheit hat, selbst, um ehrlich zu sein, in Gesprächen mit Freunden nur selten und noch seltener in Filmen, und daß es einen Unterschied gibt zwischen Kunst und Scheiße. Einen Unterschied zwischen dem existenziellen Trost einer großen Erzählung und dem Müll, von dem ich zuletzt eindeutig zuviel gelesen habe, eine Unterscheidung, die mir nie fremd war, aber unter Gewohnheit und Understatement lange verschüttet."


    Und dann immer wieder diese Tragik:


    Zitat:
    25.11. 12:21


    Letzte Bestrahlung. Die dreiteilige Maske wird mir in einem Plastiktütchen mitgegeben, damit bei Bedarf weitergestrahlt werden kann.


    Abschlußgespräch mit dem Arzt: Kein Schwindel? Keine Schmerzen, keine Nebenwirkungen? Nichts außer leichter Müdigkeit? Bei drei Antiepileptika, auf deren Beipackzetteln jeweils Müdigkeit an erster Stelle steht, vielleicht kein Wunder.


    Und dann noch mal die Statistik, bitte?


    Ja, wie gesagt, da zeigt das Bild so eine Linie, die langsam nach unten geht und dann immer weiter nach unten -


    Ich meine, in meinem Fall jetzt speziell?


    Nach fünf oder sechs Jahren Erfahrung mit dieser Methode, und dann machen Sie ja jetzt mit dem Temodal weiter, und bei Ihrem Alter und Allgemeinzustand, zehn bis zwölf Monate, würde ich sagen. In etwa.



    Der Blog beginnt mit dem folgenden Eintrag und dann lese man von dort weiter:


    Dämmerung
    Ich bin vielleicht zwei Jahre alt und gerade wach geworden. Die grüne Jalousie ist heruntergelassen, und zwischen den Gitterstäben meines Bettes hindurch sehe ich in die Dämmerung in meinem Zimmer, die aus lauter kleinen roten, grünen und blauen Teilchen besteht, wie bei einem Fernseher, wenn man zu nah rangeht, ein stiller Nebel, in den durch ein pfenniggroßes Loch in der Jalousie hindurch bereits der frühe Morgen hineinflutet. Mein Körper hat genau die gleiche Temperatur und Konsistenz wie seine Umgebung, wie die Bettwäsche, ich bin ein Stück Bettwäsche zwischen anderen Stücken Bettwäsche, durch einen sonderbaren Zufall zu Bewußtsein gekommen, und ich wünsche mir, daß es immer so bleibt. Das ist meine erste Erinnerung an diese Welt.


    Angeblich wächst die Sentimentalität mit dem Alter, aber das ist Unsinn. Mein Blick war von Anfang an auf die Vergangenheit gerichtet. Als in Garstedt das Strohdachhaus abbrannte, als meine Mutter mir die Buchstaben erklärte, als ich Wachsmalstifte zur Einschulung bekam und als ich in der Voliere die Fasanenfedern fand, immer dachte ich zurück, und immer wollte ich Stillstand, und fast jeden Morgen hoffte ich, die schöne Dämmerung würde sich noch einmal wiederholen.



    Gruß, Thomas

  • Ich habe vor einiger Zeit einen Artikel über Wolfgang Herrndorf gelesen. Bis dahin kannte ich nur seinen Namen und wußte auch nichts von seiner Krankheit. In den Blog konnte ich nur kurz hineinschauen. Aber was ich gelesen habe, hat einen starken Eindruck hinterlassen.

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • Ich habe schon Teile seines Blogs gelesen und mir seit längerer Zeit vorgenommen, alles komplett nachzulesen. Bisher hatte ich noch keine Gelegenheit dazu, aber was ich bisher gelesen habe fand ich auch sehr beeindruckend.

    ~~better to be hated for who you are, than loved for who you&WCF_AMPERSAND're not~~<br /><br />www.literaturschaf.de