Margo Lanagan - Tender Morsels/Ligas Welt

Es gibt 6 Antworten in diesem Thema, welches 1.972 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Wendy.

  • Hallo allerseits!


    Ich bin ein bisschen zwiegespalten, wo dieses Buch im Forum hingehört. Es wird als Jugendbuch vermarktet, aber schon nach einigen Seiten fand ich es so heftig, dass ich es eher für ältere Teenager empfehlen würde. Ab 14 frühestens... oder lieber doch älter? Am besten erzähle ich euch mal, warum. :breitgrins:


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    Inhalt:
    Tender Morsels ist eine düstere Geschichte, die in zwei Welten spielt und die Grenzen dazwischen verschwimmen lässt. Die fünfzehnjährige Liga ist an Leib und Seele verletzt: sie ist bereits Mutter zweier Mädchen, eines empfangen durch Inzest, das andere durch Vergewaltigung. Sie flüchtet an ihren Ort des Friedens, eine hübsche Hütte im Wald. Hier wachsen ihre beiden Mädchen auf, in ihrem eigenen kleinen Teil des Himmels. Doch die Grenze zur realen Welt wird über die Jahre dünner, Eindringlinge tauchen auf - und die Mädchen entdecken, dass auch sie die Grenze überschreiten können... Werden diese drei Frauen, die den Frieden des Himmels kannten, in einer Welt überleben, in der Schönheit und Brutalität Hand in Hand gehen?


    Meine Meinung (bisher):
    Tender Morsels öffnet mit Szenen des Grauens. Es ist ein subtiles Grauen, das nie beim Namen genannt wird. Aber wenn man der 13-jährigen Liga einige Seiten lang folgt, beobachtet, wie sehr sie von ihrem Vater gesteuert wird, wie einsam sie leben, außerhalb der Stadt in einer kleinen Hütte, und wie wütend er wird, wenn ihre Monatsblutung ausbleibt, fehlt nicht viel um zu verstehen, was hier vor sich geht. Und ich war entsetzt und beeindruckt zugleich. Wie Margo Lanagan in wirklich schöner Sprache so entsetzliche Dinge beschreibt - oder eher um sie herum beschreibt - ist faszinierend. Man fühlt richtig, wie gefangen Liga in ihrer Welt ist. Alles, was sie tut wurde irgendwann vom Vater diktiert und sie lebt in ständiger Angst, ihn zu verärgern.
    Als sie schwanger wird - mit nur 13 Jahren! - weiß sie zuerst gar nicht, was mit ihr los ist. Sie kocht, putzt, und bleibt brav in der Hütte. Träume und Wünsche hat sie längst verloren und ein Ausweg ist nicht in Sicht...


    Eigentlich habe ich nur den SUB durchwühlt, aber hier bin ich sofort hängen geblieben. Lanagan schreibt mitreißend und die Heldin - obwohl völlig gefangen in ihrer Rolle - ist einem sympathisch. Ich habe mir gewünscht, dass sie aus diesem Teufelskreis ausbricht, dass sie irgendwie ein eigenes Leben leben darf oder zumindest sieht, dass die schrecklichen Dinge, die ihr der Vater antut, nicht einfach hingenommen werden. Aber auch dieses Gefangensein beschreibt Margo Lanagan auf glaubhafte Weise. Von Ligas Standpunkt gibt es wirklich keinen Ausweg.


    Bisher bin ich begeistert, wenn auch etwas verstört. Das Cover hat mich hier definitiv etwas idyllisches erwarten lassen. Eine Neuerzählung von Schneeweißchen und Rosenrot, vielleicht? Ev. kommt das ja noch, aber der Ton der Geschichte ist alles andere als leichtherzig. Mir ist das Buch gestern Abend wirklich unter die Haut gegangen. Bisher absolut empfehlenswert. Die brutalen Szenen werden, wie gesagt, nie explizit oder generell beschrieben. Es lebt von Andeutungen und vom Effekt, den so ein Leben auf Liga hat. Ein zerbrochenes Mädchen, seelisch wie körperlich, dem nicht das kleinste Glück beschert zu sein scheint.


    Margo Lanagan ist jedenfalls auf meiner Merkliste gelandet.


    Edit: Deutschen Titel ergänzt. LG, Wendy

    Jahresziel: 2/52<br />SLW 2018: 1/10<br />Mein Blog

    Einmal editiert, zuletzt von Wendy ()

  • Was mich fasziniert, ist wie viele Cover es zu dem Buch gibt (ich habe jetzt bei amazon 4 verschiedene gesehen, wenn ich mich nicht täusche) und wie jedes Cover etwas anderes aussagt.

    Das Leben besteht aus vielen kleinen Münzen, und wer sie aufzuheben versteht, hat ein Vermögen.<br />Jean Anouilh

  • Ja, das dachte ich auch. Die Autorin ist Australierin, also gibt's da schon mal eine Ausgabe. USA und UK haben jeweils ihre eigenen Covers - und dann ändert sich oft das Cover von Hardcover zu Taschenbuch. Aber du hast recht, sie wirken teilweise extrem unterschiedlich. Ich finde das dunkelgrüne mit dem roten und dem weißen Mädchen aber am schönsten. Da ist auch der Bär düster im Hintergrund versteckt. :breitgrins:

    Jahresziel: 2/52<br />SLW 2018: 1/10<br />Mein Blog

  • Mir gefällt auch das Grüne am besten bzw. gefällt mir das generell ziemlich gut. Ich finde auf dem Blauen sieht es aus, als würden sie mit dem Bär tanzen. Ich bleibe mal dran an dem Thread, dann erfahre ich sicher welches Cover am besten zur Geschichte passt. :zwinker:

    Das Leben besteht aus vielen kleinen Münzen, und wer sie aufzuheben versteht, hat ein Vermögen.<br />Jean Anouilh

  • Inzwischen ist auch endlich mal etwas Gutes passiert. Lange hätte ich nicht mehr durchgehalten.


    Liga hat nun zwei Kinder, Branza und Urdda. Branza hat hellblonde Haare, blaue Augen und weiße Haut, Urdda dafür rabenschwarzes Haar und rötliche Haut und die beiden könnten unterschiedlicher nicht sein. Hier erkenne ich auch zum ersten Mal Elemente des Märchens wieder. Schneeweißchen und Rosenrot war zwar nie mein Lieblingsmärchen, aber ich habe damals den Film (wahrscheinlich einer dieser schönen tschechischen Märchenfilme) 100x gesehen.
    Urdda ist wie ein kleiner Wirbelwind, immer in Bewegung, neugierig auf die ganze Welt. Branza ist ruhig und zurückhaltend und geduldig.


    Inzwischen habe ich auch den Ich-Erzähler aus dem Prolog wieder getroffen. Und ich habe schon eine große Vermutung, welche Rolle er in diesem Märchen einnehmen wird. Nur Bären habe ich noch keine gesehen. Aber zwei Drittel habe ich ja noch vor mir. :breitgrins:

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  • Was für eine Tour de Force!


    Meine (abschließende) Meinung:
    Ich bin mit Märchen aufgewachsen. Als ich als kleines Mädchen Grimms Märchen auf Kassette gehört (und sie meiner gesamten Familie auswendig nacherzählt habe), war "Schneeweißchen und Rosenrot" schon nie mein Lieblingsmärchen. Aber ich verbinde immer noch starke Eindrücke und lebendige Bilder damit. Margo Lanagan stellt dieses Märchen ganz schön auf den Kopf und verleiht ihm einen sehr düsteren Unterton.


    Die Geschichte öffnet mit dunklen Szenen. Liga, ein 13-jähriges Mädchen, lebt mit ihrem dominanten und launischen Vater. Es dauert nicht lange, bis man weiß, warum er sie so abseits des Dorfes in einer kleinen Hütte mehr oder weniger gefangen hält. Liga wird regelmäßig von ihrem eigenen Vater vergewaltigt und muss sogar einige (!) unfreiwillige Abtreibungen über sich ergehen lassen. Als wir sie zu Beginn des Buches kennen lernen, sind ihr Geist und Körper bereits gebrochen, und es ist kein Ausweg in Sicht. Diese extrem düsteren ersten Kapitel haben mich überrascht, gleichzeitig aber auch fasziniert. Es machte keinen Spaß sie zu lesen und ich fühlte mich dabei ganz furchtbar - so sehr habe ich mit dem armen Mädchen mitgefühlt. Andererseits war ich begeistert von Margo Lanagans Talent, solche Emotionen in mir hervorzurufen, ohne jemals geradeaus zu sagen, was passiert. Sie überlässt es lieber der Fantasie ihrer Leser - und wir wissen alle, dass die Bilder, die man sich selbst ausmalt oft die schlimmsten sind.


    Aber es ist nicht alles schlecht in Ligas Leben. Nach Jahren des Terrors und Leidens, erschafft sie sich eine alternative Welt, in der sie mit ihren zwei Töchtern Branza und Urdda friedlich lebt, fern von allen Gefahren. Bis die Grenze zwischen den Welten verschwimmt und Bären in Ligas Heim eindringen. Zudem zeigt sich die jüngere Urdda sehr neugierig darauf, wo die Bären herkommen, und möchte diese andere Welt erkunden.


    Diese Geschichte handelt von drei außergewöhnlichen Frauen, von ihrem Leiden und davon, wie sie schlussendlich, jede auf iher Art, heilen. Es ist ein durchwegs düsteres Buch, zugleich aber auch wunderschön. Lanagans Sprache ist klar und faszinierend. Sie behält viele Momente und Charaktere des Märchens bei, verleiht ihm aber auch ein neues, ganz eigenes Leben.


    Ich liebe, wenn Jugendbuchautorein ihren Lesern zutrauen, für sich selbst zu denken. Margo Lanagan erklärt nicht immer alles ganz genau und das ist auch gar nicht nötig. Ihre Charaktere, die Bilder, die sie hervorruft und ihre Sprache sind genug, um die Geschichte zum Leben zu erwecken. Sie hat auch keine Angst davor, erwachsenere Themen in einem Jugendbuch zu behandeln. Vergewaltigung, das erste Erkunden der eigenen Sexualität, Andeutungen auf Sex mit Tieren und mehr Vergewaltigung... es ist kein fröhliches Buch, wenn man beginnt es zu lesen, aber es wird zu einer wunderschönen Geschichte, wenn man dranbleibt. Das halb-melancholische Ende fand ich perfekt.


    5ratten


    Liebe Grüße,
    Wendy


    P.S.: Hier kann man einen Teil des ersten Kapitels lesen und sich einen Vorgeschmack holen. Es wird aber wirklich besser und weniger grausam.

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  • Ich krame diesen Thread wieder raus, weil mir gerade die deutsche Übersetzung über den Weg gelaufen ist. Offenbar ist das Buch letztes Jahr auch auf Deutsch erschienen unter dem Titel Ligas Welt.


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