Chigozie Obioma - Der dunkle Fluss

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    Gebundene Ausgabe: 313 Seiten
    Verlag: Aufbau Verlag; Auflage: 1 (13. Februar 2015)
    Sprache: Deutsch
    ISBN-10: 3351035926
    ISBN-13: 978-3351035921


    Inhaltsangabe:


    Benjamin und seine Brüder leben in der Nähe eines gefährlichen Flusses. Als ihr Vater die Familie verlassen muss, verstoßen sie gegen sein Verbot, sich dem Gewässer zu nähern. Die Fische, die sie dort fangen, sind Vorboten einer Tragödie.


    Autoreninfo:


    Chigozie Obioma, 1986 in Nigeria geboren, studierte Englisch, Literatur und Kreatives Schreiben auf Zypern und an der University of Michigan.


    Meine Meinung:


    Titel: Komm wie du bist und gehe als neuer Mensch...


    Als experimentierfreudige Leserin wollte ich mal etwas völlig Neues ausprobieren und zudem gern etwas Anspruchsvolleres lesen als sonst und entschied mich daher für dieses ungewöhnliche Buch.


    Der Ich- Erzähler Ben führt uns durch die Geschichte. Zunächst lernen wir seine Familie kennen, bestehend aus 6 Geschwistern (inklusive Ben) und dem Elternpaar. Die Familie lebt verhältnismäßig glücklich im Nigeria der 90er Jahre bis der Vater beruflich versetzt wird und die Mutter mit den 6 Sprösslingen allein zurechtkommen muss. Und dann passiert etwas, dass das Leben der Familie total auf den Kopf stellt...


    Chigozie Obioma zeichnet ein sehr interessantes Bild von Nigeria und gibt uns Lesern Einblicke in eine uns völlig fremde Kultur. Ich muss gestehen, dass ich beim Lesen förmlich einen Kulturschock erlitt, denn der raue Umgang in der Familie und die andauernde Angst und Gewalt sorgten bei mir für Bauchweh, denn so etwas möchte man in seiner Kindheit wohl kaum erleben. Auch der Aberglaube spielt hier eine sehr wichtige Rolle.


    Die Ereignisse spielen zu einer Zeit als Ben 9 Jahre alt ist. Aufgrund der Erzählperspektive erfährt man alles über ihn und erhält tiefe Einblicke in seine Gedanken- und Gefühlswelt, was mir sehr gut gefiel.


    Da Ben ein guter Beobachter ist, erleben wir auch seine Umgebung, die Familienmitglieder und die Bewohner der Nachbarschaft sehr intensiv. Erschreckend fand ich vor allem den Charakter Abulu.


    Besonders verzaubert hat mich die Schreibe des Autors, verwendet er doch Beschreibungen, die das Lesen zu einem wahren Genuss machen. Die Eltern werden hier zum Beispiel als Herzkammern des Hauses bezeichnet und die Zukunft als leere Leinwand, auf die man alles projizieren kann.


    Das Familiendrama hat mich sehr gefesselt und tief berührt. Man fragt sich immer wieder was man anstelle der Jungs getan hätte.


    Fazit: Wahrer Lesegenuss, den ich einfach empfehlen muss. Lasst euch dieses Buch nicht entgehen. Deutlich einfacher zu lesen als es auf den ersten Blick erscheinen mag...


    Bewertung: 5ratten


    EDIT: Betreff angepasst. LG, Saltanah

    &WCF_AMPERSAND"Das Buch als Betriebssystem ist noch lange nicht am Ende&WCF_AMPERSAND" (H.M. Enzensberger)

    Einmal editiert, zuletzt von Saltanah ()

  • "Vater war ein Adler. Der mächtige Vogel, der sein Nest hoch über den anderen baute, wo er über seine Jungen wachte wie ein König über seinen Thron. Wäre er nicht aus Akure weggegangen, dann wäre auch nicht all dieses Unheil über unser Zuhause hereingebrochen, so dachten die meisten." (S.29)


    Allein diese wenigen Sätze lassen spüren, was für eine Kraft, was für eine Symbolik in den Worten des jungen nigerianischen Autors Chigozie Obioma steckt. Es geht um die Familie des neunjährigen Ben - im wahrsten Sinne des Wortes ein Benjamin im Kreise seiner drei Brüder Ikenna, Boja und Obeme, die alle älter sind als er - es gibt noch den kleinen David, der fast noch ein Säugling ist und auch ein Schwesterchen -- doch die beiden spielen eine eher marginale Rolle.


    Es geht um das Leben der vier Brüder, nachdem der Vater die Familie verlassen hat - gezwungenermaßen wohlgemerkt, denn er - als Staatsbeamter in einer durchaus gesicherten Position - ist versetzt worden in eine Stadt fernab der Heimat.


    Und so sind die vier Jungs auf sich gestellt und dem dunklen Fluss ausgeliefert, von dem sie sich fernhalten sollen. Sie sollen keine Fischer werden, eine bessere Zukunft soll ihnen bevorstehen. Doch: ach, das Unglück bricht über sie herein - die Mutter, nun allein mit sechs Kindern, vermag sie nicht zu lenken und zusammenzuhalten in dem Sinne, in dem es - vom Vater, ganz klar dem Patriarchen - erstrebt wird. Und so verliert der große Bruder Ikenna, der nun eigentlich für die Jüngeren Verantwortung trägt, seinen Charakter - er ist nicht mehr imstande, den Ton in dem Sinne anzugeben, der gut ist für die Geschwister - und für ihn selber. Er war nämlich eine Python - und verwandelte sich, nachdem der Vater die Jungen auf einem seiner raren Heimatbesuche zum ersten Mal geschlagen hatte, in eine wilde Schlange (S.47). Und der Weg ins Verderben, in den Zerfall der Familie war nicht mehr abzuwenden.


    Ein Buch aus einem anderen, einem mir unbekannten Kulturkreis - voll von Symbolik, fremdartigen Wertvorstellungen und in einer sehr berührenden Sprache geschrieben, die zwar sehr reich, gleichzeitig jedoch sachlich und klar ist - trotz der vielen Vergleiche würde ich sie nicht als blumig im eigentlichen Sinne bezeichnen. Ich bin hier aus Unwissenheit ein wenig vorsichtig und gehe davon aus, dass sich viele der Verweise mir gar nicht erschlossen haben - doch entstand in mir der Eindruck, als verwende der Autor die Familie als Symbol für mehr - für die Gesellschaft, möglicherweise sogar für gewisse sozialpolitische Entwicklungen innerhalb von Westafrika.


    Ein kluges Buch, das dem Leser den Weg in eine fremde Kultur, ja, in eine andere Welt ebnet - von einem Autor, dem seinerseits die Weltgeschichte der Literatur bestens bekannt ist und der dieses Wissen auch immer wieder einfließen lässt in seine Erzählung - und von dem wir hoffentlich noch einiges erwarten dürfen!
    4ratten

  • Ein virtueller Lesekreis brachte mich zu diesem Buch, zu dieser nigerianischen Familientragödie Mitte der neunziger Jahre. Erzählt wird aus der Sicht von Ben, einem der 4 älteren Geschwister, welche die Hauptakteure der Geschichte darstellen.


    Im Rahmen der Familiengeschichte erfährt man viel über Sitten und Gebräuche in Nigeria, über den Bruch zwischen alter Tradition und missioniertem Christentum und einer Hingabe zum "westlichen" Kulturkreis. Eine Tragödie die im beruflich begründetem Weggang des Vater ihren Anfang nimmt und aus Aberglaube, Teenager-Gefühls- und Findungschaos und einer müttlerlichen Ohnmacht genährt und vollendet wird. Man stellt sich beim Lesen Fragen zum familiären Einfluss, zum Einfluss von Mitmenschen aber auch von Religion und Aberglaube und ganz nebenbei erfährt man auch etwas über politische Ereignisse und Gegebenheiten Afrikas.
    Die Sprache ist flüssig und gut verständlich, einzelne afrikanische Passagen passen gut, erhöhen das sprachliche Lesegefühl und verdeutlichen inhaltliche Punkte.
    Einzig der Titel hat in mir höhere Erwartungen über Verbindungen und Symbole erzeugt als in der Handlung tatsächlich vorkommen. Der Fluss an sich, das Fischen und dazu die Verbindung der Jungs waren eher wage und hatten für mich eine weniger bedeutende Rolle als ich mir vorgestellt habe.


    Insgesamt ein gutes Buch, spannend, gefühlvoll und authentisch. Es war eine Bereicherung, für dass ich 4ratten vergebe.

  • Nigeria ist ein Phoenix....
    Chigozie Obioma erzählt die Geschichte einer Familie und eines Landes, seines Landes, Nigeria. Die Familie Agwu lebt nicht nur in Nigeria, sie teilt auch ein Schicksal mit ihrem Heimatland, zerissen zwischen Tradition und Moderne, zwischen alter und neuer Welt. Dazwischen der Omi-Ala, der dunkle Fluss, der diese Welten zugleich trennt aber auch verbindet. Er windet seinen Weg durch die Geschichte und reisst am Ende alles mit sich. Er ist Anfang und Ende, Unheilbringer und Erlöser. In bildhaften Worten beschreibt Obioma die Tragödie der Familie Agwu, bunt und lebendig. Wir nehmen teil an ihrem Leben, das untrennbar mit Nigeria erbunden ist. Und wie ein Phoenix sich aus seiner Asche erhebt, werden auch sie am Ende auferstehen und ein neues Leben beginnen.


    Es ist Obioma gelungen diese beiden Geschichten zu verbinden und auf anschauliche Weise darzustellen, auf eine Art und Weise, die einen von der ersten Seite an fesselt. Mag es auch wie eine mythische Sage daherkommen, so bildet es doch die Realität ab, wie sie auch heute noch in Afrika gelebt wird. Aber lässt uns mit einem Gefühl der Hoffnung zurück, daß es möglich ist, die schönen und guten Traditionen zu bewahren und den Aberglauben zu überwinden.


    4ratten

  • Das ist jetzt mein dritter nigerianischer Roman und idiotischerweise habe ich bei afrikanischer Literatur trotzdem immer noch das „Slum oder Dorf als üblicher Handlungsort“ – Vorurteil, welches sich erneut als falsch erwiesen hat. Die Familie gehört zu Mittelschicht, der Erzähler Ben ist der jüngste von 4 Brüdern zwischen 9 und 14 Jahren, es gibt noch zwei deutlich jüngere Geschwister, die für die Geschichte aber keine Rolle spielen, Als der Vater versetzt wird, zerstört das die heile Familienstruktur und es schließlich gibt Tote.


    Der älteste Bruder soll in der Abwesenheit des Vaters eine Doppelrolle einnehmen: Ersatzvater und Vorbild für seine jüngeren Brüder einerseits, gehorsamer Sohn der Mutter gegenüber andererseits. Die daraus resultierende Überforderung des Teenagers ohne Unterstützung oder eigene Vorbilder in der Verwandtschaft fordert ihren Tribut. Neben dem Hauptthema, dem Zerbrechen der Familie, erfährt man viel über die nigerianische Gesellschaft, wobei der Autor Dinge wie Erziehung, Glauben und vor allem auch Aberglauben, Fußball (Nigeria wurde 1996 Weltmeister), Politik oder die allgegenwärtige Korruption und Gewalt eher nebenbei einfließen lässt und so auch seine europäischen Leser nicht überfordert.


    Der Roman ist auch optisch gut aufgemacht, als Kapitelsymbol dient passenderweise ein Angelhaken, wobei die Kapitelüberschriften oft etwas sehr symbolisches haben und an Sternzeichen oder Tarotkarten erinnern. Gleich im ersten Satz wird das Symbol dann häufig einer Person zugeordnet, die in diesem Kapitel eine wichtige Rolle spielt. Dadurch wirkt die Geschichte bei aller Bildhaftigkeit klar und gut strukturiert. Sprachlich empfand ich das Buch ebenfalls als angenehm zu lesen, einzelne Ausrufe auf Ibo fügten sich gut ein und störten den Lesefluss nicht. Allerdings bin manchmal über einzelne Wörter wie Leviathan oder Nyktophobier gestolpert, die sich für mich sprachlich deutlich vom restlichen Stil abhoben. Vielleicht sind diese Wörter aber auch im Englischen gebräuchlicher, in dem Fall wäre das ein reines Problem der deutschen Übersetzung.


    „Der dunkle Fluss“ ist eine dramatische Familiengeschichte vor ungewohntem Hintergrund. Der Roman eignet sich meiner Meinung nach sehr gut als Einstieg in afrikanische Literatur und ist unabhängig davon auch einfach eine lesenswerte Geschichte.


    4ratten

  • Inhalt (Klappentext):


    Benjamin und seine Brüder leben in der Nähe eines gefährlichen Flusses. Als ihr Vater die Familie verlassen muss, verstoßen sie gegen sein Verbot, sich dem Gewässer zu nähern. Die Fische, die sie dort fangen, sind Vorboten einer Tragödie. Ein faszinierendes Familiendrama und eine sprachmächtige Fabel über das Schicksal Nigerias.


    Meine Meinung:


    Ein großer Roman über die Schönheit und Abgründe Afrikas, heißt es auf der Rückseite des Buches. Tatsächlich wird beides, Schönheit und Abgründe, für den Leser sehr deutlich spürbar. Diese Familiengeschichte lässt den Leser tief eintauchen ins Nigeria der neunziger Jahre, umreißt Lebensgefühl und Zeitumstände dieser Jahre aus der Sicht eines Kindes. Vieles ist hier anders, als der europäische Leser es kennt. Lebensweise und Lebensumstände, Sitten und Bräuche, Glaube und Aberglaube, Aspekte von Familie und Erziehung werden plastisch geschildert, und über allem Alltagsleben liegt eine durch die politischen Umstände der Zeit bedingte Atmosphäre der Unsicherheit und Gewalt, die man als Leser sehr deutlich wahrnimmt.


    Die Geschichte, rückblickend erzählt aus der Sicht des neunjährigen Benjamin, dreht sich vor allem um die Erlebnisse Benjamins und seiner drei älteren Brüder, deren Welt aus den Fugen gerät, als die ordnende Autorität des Vaters (der beruflich in eine andere Stadt versetzt wird) aus ihrem Leben verschwindet. Sie verlieren die Orientierung im Leben, ungünstige Zufälle akkumulieren sich, bis die Geschehnisse in einer Katastrophe eskalieren, die die Zukunft aller vier Brüder nachhaltig beeinflusst oder gar zerstört und der nicht einmal der sanftmütige Ben entkommen kann.


    Die Geschichte kann gelesen werden als Fabel über das Schicksal Nigerias, als Metapher für die unheilvolle Kollision von altem/traditionellem und neuem/nachkolonialem Afrika. Unter einer Oberfläche moderner Bildung ist noch immer der alte Glaube an Mythen und Magie tief verwurzelt. Nachvollziehbar werden die verhängnisvollen Verstrickungen der vier Jungen geschildert, die aus bestimmten tradierten Denkweisen (die in der Figur des verrückten Sehers Abulu personifiziert werden) und den unglücklichen aktuellen Umständen resultieren. Möglicherweise hätte alles ganz anders enden können, wären manche Ereignisse ein klein wenig anders verlaufen, hätte man eine andere Sichtweise auf die Dinge oder wären die Verhältnisse friedlicher.


    Der Schreibstil des Autor enthält viele sehr bildhafte Vergleiche, angefangen vom Fluss und den Fischen, bis hin zu den Vergleichen der Familienmitglieder mit verschiedenen Tierarten, die die Stellung der betreffenden Person in der Welt sehr treffend charakterisieren. In einigen Aspekten ging der Roman dann zwar nicht so tief, wie ich es erwartet hatte, so durchzieht der titelgebende Fluss als Motiv beispielsweise nicht das ganze Buch, sondern ist nur anfänglich von Bedeutung.


    Fazit: ein sehr lesenswerter und empfehlenswerter Roman für jemanden, der sich für Afrika interessiert oder gern mal über den europäischen Tellerrand schauen möchte.


    4ratten

    Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden (R. Luxemburg)

    Was A über B sagt, sagt mehr über A aus als über B.

    Einmal editiert, zuletzt von kaluma ()

  • Ich konnte leider wenig mit dem Buch anfangen. Die Geschichte der Familie ist tragisch, keine Frage. Bis zu einem gewissen Grad kann ich mir sogar vorstellen, dass sich solche Dinge tatsächlich abspielen, allerdings nicht in dieser Häufung innerhalb einer einzigen Familie. Aber Tragik alleine macht ein gutes Buch nicht aus.


    Obwohl die Familie auf den ersten Blick modern erscheint - die Kinder gehen alle regelmäßig zur Schule, der Vater hat einen guten Job und arbeitet weit weg von seiner Heimatstadt - sind sie auf der anderen Seite noch sehr traditionell eingestellt und empfänglich für Aberglauben. Und diese Kombination aus Aberglaube und der Abwesenheit des Vaters, der als Ratgeber und fester Bezugspunkt für seine Kinder fehlt, erweist sich als verhängnisvoll. Ich glaube gar nicht, dass der älteste Sohn in seiner Rolle als großer Bruder überfordert war. Ihm fehlte vielmehr ein Ansprechpartner, weil die Mutter ihrerseits mit ihm überfordert war.


    In die Handlung einzutauchen war nicht schwer, sich festzulesen dagegen unmöglich. Da war zu viel, das angesprochen, aber nicht vertieft wurde, z. B. das Familienleben oder die politische Situation. Mir fehlten Kleinigkeiten aus dem Alltag, die die Handlung rund machen. Da blieben zu viele Kanten. Die Charaktere waren zu oberflächlich und blieben mir einfach fremd. Vielleicht war es auch die afrikanische Mentalität, mit der ich nichts anfangen konnte.


    3ratten

  • Meine Meinung
    Ich stimme Doris voll und ganz zu. Der dunkle Fluss erzählt die Geschichte einer Familie, bei der eine Katastrophe die nächste jagt. Aber über die Familie und deren Umgebung erfährt man nur das Nötigste. Für mich war es zu wenig, um trotz der furchtbaren Erlebnisse Mitgefühl zu empfinden. Dazu kam noch, dass die Schicksalsschläge fast schon abgearbeitet wurden. So kam es mir zumindest vor, denn darüber wurde sehr emotionslos berichtet. Mich hat Der dunkle Fluss nicht überzeugt.
    3ratten

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • Für mich war das Buch mehr als eine Familiengeschichte. Es zeigt auf, dass aufgezwungene Religion ohne einen gewissen Bildungsgrad oft das Gegenteil bewirkt von dem was sie eigentlich will.


    Aberglaube und in den Naturreligionen kulturell tief verwurzelte Traditionen können durch 100 Jahre Missionierung und Ausbeutung nicht verdrängt werden. Da auch kein Diskurs stattfinden kann, weil die Chance auf Bildung so gering ist ist es ein wildes, archaisches und gewalttätiges Nebeneinander.


    Wie bei vielen Naturvölkern werden Geschichte in Tiergeschichten verpackt, Menschen nach tierischen Eigenschaften kategorisiert. Es gab keine Schrift, die die Historie der Völker festhalten konnte, also gab es Zeichnungen - Strichmännchen Zeichnungen im Kinderzimmer - früher eben Höhlenmalereien.


    Die Politik in Nigeria ist ähnlich. Von den Kolonialmächten geprägt setzen sich die durch, die am korruptesten sind, die die meiste Macht haben und oft dem Militär angehören.


    Die Buben fallen dem Aberglauben zum Opfer, Abulu ein psychisch Kranker, der auch durch die Gesellschaft zum Außenseiter und Verrückten abgestempelt wurde ist an allem Unheil schuld. Er wird zum Sündenbock gemacht, er ist quasi der "Sündenfall" der zum Brudermord führt, der auch Auge um Auge gerächt wird.


    Obembe der drittälteste rächt den Tod der beiden und bringt gemeinsam mit Ben den Schuldigen um. Es besteht überhaupt kein Mitleid. Der Mord ist in der Dorfgemeinschaft auch nicht verpönt, die meisten verstehen es. Die Eltern heißen den Mord im Grunde ihres Herzens auch gut. Obembe flüchtet nach Benin und kommt ungeschoren davon. Einzig sein Gewissen plagt ihn, weil sein Bruder Ben für 8 Jahre Gefängnis verurteilt wird.


    Ursprünglich wollten sie nach Kanada, um dort ein besseres Leben zu führen, aber soweit kommt es nicht. Die Idee, dass es woanders besser ist haben viele Flüchtlinge. Sie sehen Bilder von den schönen Straßen, wo Kinder mit Rädern und Skateboards fahren. Wie hart oft die Realität für Neuankömmlinge in einer völlig anderen Kultur und auch Klimazone ist erfahren sie nie.


    Für mich war es eine ungewohnte Umgebung, in die mich das Buch verschlagen hat. Die Beschreibungen der Szenen und der nigerianischen Kleinstadt haben mich richtig reingezogen.