Norbert Oellers & Robert Steegers: Weimar. Literatur und Leben zur Zeit Goethes

Es gibt 2 Antworten in diesem Thema, welches 1.022 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von finsbury.

  • Mit einem gesunden Schuss Ironie, der die Mitte zu halten weiss zwischen Heldenverehrung einer- und Heruntermachen andererseits, wird in sechs Kapiteln, deren zentrales die Freundschaft von Goethe und Schiller behandelt, die deutsche (oder auch: Weimarer) Klassik in ihrer Entwicklung vorgestellt. Vom zaghaften Beginn, noch unter Anna Amalia und ohne Goethe, bis zum Moment, wo Goethe – und mit ihm Weimar – sich selber historisch wird, zum Museum seiner selbst mutiert.


    Dreh- und Angelpunkt der Buchs ist dabei, wie der Untertitel ja suggeriert, der Altmeister Goethe. Das vorklassische Leben von Goethe oder Schiller, ihre jeweilige Sturm-und-Drang-Periode, werden komplett ausgeblendet. Auch die Nicht-Literaten – Anna Amalia und ihr Sohn Carl August ausgenommen – kommen nur am Rande vor. Selbst Christiane Vulpius oder Goethes Sohn August spielen allenfalls eine marginale Rolle. Goethes Altersfreund Zelter wie Schillers Jugendfreund Körner sind vor allem als Empfänger von Briefen der beiden Klassiker präsent.


    Der Rahmen ist also eng gehalten; in dieser Enge wird aber das Thema erschöpfend und kenntnisreich abgehandelt. Neben Goethe und Schiller sind natürlich vor allem Wieland und Herder präsent. Letzerer durch seinen Charakter behindert, permanent mit der allgemeinen und seiner besonderen Lage unzufrieden, und so mit der Zeit den Kontakt zum alten Freund Goethe verlierend. Seine Freundschaft mit Jean Paul, ja Jean Pauls Gegenwart überhaupt in Weimar, wird leider von Oellers und Steegers fast gar nicht zur Kenntnis genommen. Wieland seinerseits ist der joviale, im Grunde sich selber genügende Weltmann – ein Relikt aus einer anderen Zeit eigentlich. Er ist ja auch als einziger nicht durch Goethe nach Weimar gezogen worden, war sogar schon vor ihm da, berufen durch Anna Amalia – womit sie den Weimarer Musenhof ins Leben gerufen hat.


    Die jeweils entstandenen klassischen Werke werden in diesem Buch bewusst nicht interpretiert. Sie signalisieren die Meilensteine in der Entwicklung vor allem Goethes und Schillers, ebenso wie die diversen Periodika: Die Horen und der Musenalmanach von Schiller, Wielands Teutscher Merkur, das Journal von Tiefurt des Musenhofs. In diesem Zusammenhang ist positiv zu vermerken, dass die beiden umtriebigsten Männer Weimars, Böttiger und Bertuch, einen geziemenden Raum einnehmen, und – im Gegensatz zum sonst bei Geisteswissenschaftlern üblichen Hang zur Verachtung wirtschaftlichen Erfolgs – auch keineswegs schlecht gemacht werden.


    Das Buch ist explizit “keines für Klassik-Spezialisten” (Vorbemerkung, S. 7 meiner Ausgabe [Stuttgart: Reclam, 2009]). Tatsächlich erfährt, wer z. B. Friedenthals Goethe-Biografie schon kennt, oder Brufords Culture and society in classical Weimar, 1775-1806 von 1962, nichts Neues. (In diesem Zusammenhang finde ich es bedauerlich, dass die Autoren – offenbar in der Meinung, man dürfe so etwas Nicht-Spezialisten nicht zumuten – zwar Anmerkungen, aber keine weiterführende Bibliografie beigefügt haben. Einerseits wird so der Nicht-Spezialist, der Weiteres zum Thema zu lesen wünscht, im Stich gelassen, der Spezialist andererseits kann die Quellen nicht nachprüfen. Denn das von Oellers und Steegers entworfene Bild Weimars haben sie ja nicht erfunden. Im Gegenteil: Es schliesst nahtlos an jenes Bild an, das – auch in Weimar – bis heute gepflegt wird.)


    Das klingt jetzt nach viel Kritik, ist aber natürlich Nörgeln auf hohem Niveau.


    EDIT: Ach ja - Das Bonbon vergessen.

    Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

    Einmal editiert, zuletzt von sandhofer ()

  • Vielen Dank, sandhofer, für die Rezi und dass du mich auf dieses Bonbon aufmerksam gemacht hast. Vor Jahren hatte ich mal ein (damals sehr aufschlussreiches und interessantes) Seminar über (National-)Literatur und Kultur Weimars. Leider kann ich mich nur noch bruchstückenhaft an die behandelten Theman erinnern. Aber dieses Buch klingt interessant und wie gemacht dafür, diesen Faden wieder aufzunehmen.

  • Vielen Dank für den "kritischen" Tipp, sandhofer.
    Oellers war einer meiner Profs während meines Germanistikstudiums in Bonn und müsste zur Zeit der Veröffentlichung mindestens in den Endsiebzigern, wenn nicht in den Achtzigern gewesen sein. Was aber nicht gegen die Qualität des Buches sprechen muss. Dass eine gewisse Ironie das Werk durchziehen soll, deckt sich durchaus mit meiner Wahrnehmung einiger seiner Vorlesungen und Seminare.
    Hab mir das Buch mal in den Einkaufswagen gelegt.