Ursula Meier-Nobs - Die Musche - Tochter des Scharfrichters

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    Klappentext:
    Bern und Freiburg im Breisgau an der Schwelle zum 18. Jahrhundert. Noch wird im Namen der Gerechtigkeit und Ordnung verbrannt, gevierteilt, gehängt, gefoltert. Das Amt des Henkers vererbt sich vom Vater auf den Sohn. Aus der Sicht der Musche, der Scharfrichterstochter Josiane, wird die Zwiespältigkeit dieses Standes aufgezeigt, der vor allem von der Ächtung und Ausgrenzung durch die Gesellschaft gekennzeichnet ist. Josiane gewährt dem Leser Einblick in die Verhältnisse und Regeln eines Henkerhauses, läßt ihn teilhaben am Entscheid ihres Bruders, der diese ”Arbeit” ablehnt. Sie erzählt von der Begegnung mit dem buckligen Mathieu, ihrer Trauer um den Geliebten, den Täufer-Anhänger Martin, und vom Leid einer aufgezwungenen Ehe. Die Sorge um ihre Tochter Barbara läßt sie schließlich ihren Stand verleugnen, ungeachtet der sich daraus ergebenden Gefahren und Schwierigkeiten.



    Das Buch ist in der Ich-Form geschrieben, wobei die/der Erzählende wechselt. Beginnend mit Josiane erhält man Einblick in das Leben ihrer Familie, das durch das Handwerk des Scharfrichters viele Abweichungen vom normalen Alltag auferlegt bekommt. Josiane wird wie ihr Bruder kaum diesem Stand entfliehen können. Sie soll, wie ihre Mutter, einen Scharfrichter zum Mann nehmen und Heilkräuterwissen vermarkten. In Gegensatz zu seiner Schwester weigert sich der Bruder und möchte neue Wege gehen.
    Schon früh wird die Figur des Mathieu eingeführt, der eine meiner Lieblingscharaktere war. Durch die folgenden Ereignisse lernt man die Einschränkungen, Vergünstigungen aber auch die Möglichkeit der vorübergehenden Ehrbarkeit des Standes kennen.


    Jost erzählt aus seiner Sicht über seine Arbeit, seine Ehe und offenbart damit endgültig seinen Charakter. Vervollständigt wird das Ganze dann noch aus Sicht von Mathieu und Barbara.


    Ein kurzweiliges Buch aus einem eher ungewöhnlichem Blickpunkt, das mich sehr zu fesseln wusste. Interessant fand ich auch die Geschichte über die Täufer und ihre Ausgrenzung.
    Im Anhang findet man Bildmaterial über die Kleidung und Schwert des Scharfrichters, eine Scharfrichterrechnung, historische Stadtpläne von Bern und Freiburg, ein Glossar, in dem die unbekannteren Begriffe erklärt sind und letztendlich das Quellenverzeichnis, dessen Umfang auf eine ausgedehnte Recherche schließen lässt.


    4ratten

    Einmal editiert, zuletzt von yanni ()

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    Wir sind in Bern, es ist das 18. Jahrhundert. Josiane ist 16. Ihr Vater hat als Henker (oder Scharfrichter) viel zu tun. Das "Handwerk" ist jedoch nicht angesehen und gilt als unrein. Die Familie und die Knechte des Henkers werden von der übrigen Bevölkerung ausgegrenzt, sogar geächtet. Nur eine Berührung allein bringt schon Unglück. Auch wenn das Mädchen damit unangenehmen Belästigungen nicht ausgesetzt ist, empfindet sie die Benachteiligung des Öfteren doch als ungerecht.


    Der Beruf vererbt sich innerhalb der Familie von Vater auf den Sohn. Doch Josianes Bruder David lehnt dies konsequent ab und verlässt das Elternhaus. Statt in "Ihresgleichen" verliebt sich Josiane in Martin. Alles könnte so schön sein. Denn dem jungen Mann ist es einerlei, aus welcher Familie sie stammt. Er ist Wiedertäufer, und darin liegt die Gefahr. Die Wiedertäufer sehen sich der Verfolgung ausgesetzt, und auch Martin bleibt nicht davon verschont: er wird zur Arbeit auf den Galeeren in Italien verurteilt. Nun muss Josiane "umständehalber" Jost, einen jungen Henker, heiraten und zieht mit ihm in seine Heimat nach Freiburg im Breisgau. In ihrer neuen Familie wird sie herzlich aufgenommen, doch Glück findet sie an der Seite ihres derben Ehemannes nicht. Irgendwann wagt sie fernab ihres Standes gemeinsam mit ihrer Tochter Barbara ein neues, freies, unabhängiges Leben und versucht, sich ergebende Gefahren und Probleme - auch mit Hilfe des buckligen Mathieu - zu meistern...


    Hat man sich auf die Geschichte der jungen Frau eingelassen, findet man sich auch mit den schweizerischen sprachlichen Besonderheiten zurecht. Der Schreibstil der Autorin ist ehrlich, schnörkellos und offen. Sie schildert das Leben und Arbeiten eines Henkers und seiner Familie mit all den Höhe und Tiefen. Denn trotz der Verachtung, die diesem Berufsstand von Außen entgegengebracht wird, können sich die Mitglieder im Inneren auch ein beachtliches Maß an Zuneigung und Mitgefühl bewahren.


    Der Geschichte wird aus verschiedenen Ich-Positionen gefolgt. So kommen Josiane, ihr Ehemann Jost, Mathieu und Barbara zu Wort und lassen uns direkt an ihren Gedanken und Gefühlen teilhaben. Der Erzählton ist oft ruhig und vermag nicht immer zu überzeugen. Insbesondere Barbara und ihre Entscheidung bleibt in meinen Augen ein wenig blass. Die bemerkenswerteste Person ist die Hauptfigur Josiane, die trotz aller Schicksalsschläge eine starke Frau wird und ist, die die Hoffnung nicht aufgibt. Ihr Entwicklungsweg und ihre Handlungen werden gut und nachvollziehbar geschildert.


    Ergänzt wird der Roman unter anderem mit Bilder eines Scharfrichtermantels und Richtschwertern. Ein Glossar ist ebenfalls vorhanden. Was mir persönlich gefehlt hat, ist Hintergrundwissen zu den Wiedertäufern, die mir hier zum ersten Mal begegnet sind. So habe ich selbst nachgelesen:


    Die Bewegung der Täufer (die früher Wiedertäufer genannt wurden) entstand im 16. Jahrhundert zunächst in der Schweiz und dann in verschiedenen Teilen Europas und besteht bis heute in den Gemeinschaften der Mennoniten, Hutterer und Amischen fort. Die Anhänger waren radikal-reformatorisch, die ihre Kirche als Bruderschaft ansahen und sich in ihrem Handeln von der Lebensweise und dem Vorbild Jesus Christus geleitet fühlten und für Gewaltlosigkeit eintraten. Zu den wesentlichen Merkmalen gehörte die Forderung nach Glaubensfreiheit, die Trennung von Staat und Kirche und die Gütergemeinschaft. Aus der wortgetreuen Auslegung des Neuen Testamentes leiteten die Täufer ihr Denken und Verhalten her. Eine Kindertaufe wurde abgelehnt, stattdessen wurde die Gläubigertaufe an Menschen vollzogen, die auf Grund ihres Alters in der Lage waren, sich für die Taufe bewusst zu entscheiden und damit aktiv und persönlich ihren Glauben zu manifestieren. Mit dieser Entscheidung jedoch setzten sich die Täufer der Verfolgung aus, die von Verweisung des Landes bis hin zum Tod führen konnte.


    3ratten

    Das Leben ist das schönste Märchen. Hans Christian Andersen