Edith Wharton - Dämmerschlaf

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    Inhalt
    New York in den 20ern: Pauline Manfords Leben ist fast perfekt. Ihr Terminplan ist von morgens bis abends voll, sie wird von den Mitgliedern der High Society für ihre Partys bewundert und auch ihre zweite Ehe läuft glänzend. Doch dann wird die Ehefrau ihres Sohnes widerspenstig. Sie möchte sich selbst verwirklichen und ein Filmstar werden. Ein Familienmitglied auf einem Hollywood-Plakat ... das geht gar nicht! Und so bereitet Pauline eine Gegeninitiative vor, die die ganze Familie herausfordert.


    Meine Meinung
    Eigentlich bin ich kein übermäßiger Fan der 20er, aber dieses Buch hat mich geradezu angelacht. Die Gestaltung finde ich wunderschön und außerdem fand ich es interessant, einen Roman über die High Society der damaligen Zeit zu lesen ... geschrieben von einer Dame, die genau aus diesem Milieu kommt und damit bestens Bescheid weiß. Und trotz manch zäher Stelle hat es sich gelohnt.


    Die Darstellung der Upper Class gelingt Edith Wharton unglaublich gut. Diese Oberflächlichkeit und Selbstsucht (die durch scheinbare Nächstenliebe verschleiert wird) steckt so tief in den Menschen, dass sie es selbst gar nicht mehr merken. Pauline engagiert sich für die Geburtenkontrolle und gleichzeitig für die uneingeschränkte Mutterschaft ... dass dies sich widerspricht, fällt ihr gar nicht auf bzw. stört sie nicht. Hauptsache, man ist präsent. Manche Ereignisse sind wirklich zum Schreien, allerdings war ich mir manchmal selbst nicht sicher, ob zum Schreien komisch oder frustrierend.


    Kleine Probleme werden zum Drama, während wirklich Probleme mit dem Argument beiseite geschoben werden, dass man einfach nicht daran glauben solle, dann gibt es die Probleme auch nicht. Dieses Lebensprinzip führt dazu, dass eigentlich niemand wirklich mit jemand anderem redet, alles soll den Schein der Perfektion wahren. So erfährt man als Leser eher selten konkret von den Geheimnissen und Problemen, weil alles durch die Blume oder hinter vorgehaltener Hand vermittelt wird. Ich weiß bis jetzt nicht, was wirklich passiert ist und was ich mir nur so zusammengereimt habe, beruhend auf vagen Spekulationen der Protagonisten. Dieses Nicht-Wissen muss man mögen, sonst wird man an diesem Buch keine Freude haben. Ich persönlich fand diesen Stil sehr gelungen, weil er einfach sehr gut die Stimmung und das Gefühl der Zeit vermittelt.


    Dennoch hatte ich auch meine Schwierigkeiten mit dem Buch. Zwischenzeitlich hat mich die extreme Oberflächlichkeit der Personen und damit auch des Romans gestört. Es gibt eigentlich keine Problemstellung, nur Einbildung und Unvermögen. Mir ist klar, dass das das eigentliche Problem der 20er war, aber in diesem Moment war mir das einfach zu viel Lärm um Nichts.
    Außerdem gab es einige Stellen, die sich für mein Empfinden ziemlich zogen, in denen wirklich gar nichts passiert bzw. vorherige Handlungen sich wiederholen.


    Insgesamt fand ich das Buch aber gut. Das teilweise absurde Verhalten der Charaktere ließ mich immer wieder den Kopf schütteln und meiner Meinung ist der Roman gerade in unserer Zeit wieder hochaktuell. Man entdeckt hier durchaus einige Eigenschaften, sie für unsere Gesellschaft typisch sind: man will sozial erscheinen (ist es aber nur innerhalb der Wohlfühlzone), man liebt Statussymbole und das Bild, das die Öffentlichkeit von einem hat, geht über alles. Eigentlich schade, dass uns dabei der Stil der 20er verloren gegangen ist. :zwinker:


    Fazit: Wer die 20er mag, wird dieses Buch lieben. Wer nicht, kann trotzdem einen Blick wagen.
    3ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:

    "Bücher lesen heißt wandern gehen in ferne Welten, aus den Stuben über die Sterne." (Jean Paul)

  • 4ratten


    Wer sich bei diesem Buch einen spannenden Roman um eine wohlhabende Familie mit Intrigen und/oder womöglich sogar Verbrechen verspricht, wird aller Wahrscheinlichkeit nach ziemlich enttäuscht werden. Edith Wharton beschreibt einen relativ kurzen Zeitraum (1/2 Jahr?) im Leben einer der vermögensten Familien New Yorks, wobei die Handlung jedoch eher beiläufig bleibt. Etwaige Aufreger wie Betrug, obskure Sexveranstaltungen (?) und Affären bleiben eher Nebenschauplätze als dass sie tatsächlich in den Mittelpunkt des Geschehens rücken. Stattdessen sind es die mehr oder weniger alltäglichen Tages-, Handlungs- und Gedankenabläufe, die mit spitzer Feder ziemlich detailliert beschrieben werden sowie die Art und Weise, wie sich die Familie mit den verschiedenen Affären arrangiert: ignorieren oder mit Geld verhindern. Zwar ist klar, dass dies alles doch recht grell gezeichnet wird (Pauline ist beispielsweise gleichzeitig intensiv engagiert in den Kommitees für Geburtenkontrolle wie für uneingeschränkte Mutterschaft, ohne hierin einen Widerspruch zu sehen), doch irgendwie scheint die Realität nicht allzu weit entfernt...
    Nichtsdestotrotz kurz zum Inhalt: Pauline Manford, das (weibliche) Oberhaupt einer reichen Familie New Yorks der Zwanziger, hat einen Terminplan wie eine Vorstandsvorsitzende eines weltumspannenden Unternehmens. Doch statt Vorstandssitzungen, Geschäftsessen und/oder Aktionärstreffen wechseln sich bei Pauline sportliche Ertüchtigungen, Schönheitspflege sowie kulturelle und gesellschaftliche Verabredungen zur Errettung der Welt ab - meist im 15-Minuten-Takt. Dennoch ist sie für ihre beiden Kinder Jim und Nona die geliebte und auch bewunderte Mutter, auch wenn diese überhaupt nicht nach ihr kommen. Jim aus erster Ehe genoß das Leben wie es kam bis er Lita heiratete, eine exzentrische Künstlerin (?), der er völlig verfiel, sodass er sogar einen Bürojob annahm, um dem Bild eines anständigen Ehemannes zu genügen (was jedoch eher im Sinne Paulines als Litas war). Nona indes ist mit ihren 19 Jahren auf der Suche nach dem Sinn: Wozu das ständige Herumjagen von einem Termin zum nächsten? Treffen mit Menschen die man nicht mag, nur weil sie einem einen Kardinal als Gast bescheren können? Macht all das glücklich? Offenbar nur ihre Mutter. Jims Ehefrau ist schon nach kurzer Zeit von allem und allen zu Tode gelangweilt und will die Scheidung; Paulines Ehemann steckt in einem Gefühlschaos, an dem Lita nicht ganz unschuldig ist; Paulines momentaner Guru droht offenbar ein Prozess, in dem ihr Ehemann ermittelt undundund.
    Die Gesellschaft die Edith Wharton 1927 so detailliert beschrieben hat, stammt aus den Zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Doch es sind exakt die gleichen Phänomene, incl. des Verhaltens der Presse, die sich eins zu eins in unseren heutigen Zeiten wiederfinden. Krankheit und Tod werden verdrängt, was zählt ist das eigene Wohlbefinden und gute Aussehen: Wer krank ist oder sogar stirbt, ist selber schuld :breitgrins: Esoterik, Okkultismus und oberflächliche Themen die die Schlagzeilen beherrschen; volle Terminkalender um der eigenen Sinnlosigkeit nicht zu begegnen - das bestimmte damals wie auch heute weite Teile der 'besseren' Gesellschaftsschichten. Obwohl Wharton dieses Buch bereits vor fast 90 Jahren schrieb, wirkt die Sprache noch immer frisch. Spöttisch und etwas affektiert - so, wie es diesem ganzen Roman entspricht. Mich hat dieses Buch fast durchweg amüsiert, wobei es durchaus seine Längen hat. Zum 10. Mal über die Lichtgestalt Lita zu lesen, die einer Vase, Lampe, Glas oder was auch immer ähnelt und von innen leuchtet, ist dann doch genug. Dennoch: Es hat sich gelohnt.

    Je mehr sich unsere Bekanntschaft mit guten Büchern vergrößert, desto geringer wird der Kreis von Menschen, an deren Umgang wir Geschmack finden.    Ludwig Feuerbach (1804 - 1872)