Charlotte Lyne - Das Mädchen aus Bernau

Es gibt 5 Antworten in diesem Thema, welches 1.865 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Svanvithe.

  • Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links


    Brandenburg, Anfang des 14. Jahrhunderts. Die Harzers leben in Bernau, einer kleinen Stadt in Brandenburg. Nach dem Tod ihrer Tante ist die junge Magda die einzige Frau in der Familie und geht gemeinsam mit ihren drei Brüdern Lentz, Utz und Diether, ihrem Großvater der Familientradition des Bierbrauens nach. Ebenfalls zur Familie gehört Endres, der Patensohn des Großvaters, der im gleichen Alter wie die Brüder ist und dem Magda ganz besonders zugetan ist. Obwohl der Alltag nicht immer ganz einfach ist, liebt Magda ihre Heimat und geht davon aus, dort auch ihr Leben zu verbringen. Doch dann kommt alles anders und die kleine Familie zieht nach Cölln-Berlin um. Dort will sich Utz eine neue Zukunft als Kaufmann aufbauen, doch dies erweist sich als schwieriger als gedacht und die Familie scheint von einer Katastrophe in die nächste zu schlittern. Immer wieder ist es Magda, die einen Ausweg findet und die Familie zusammenhält. Unerwartete Unterstützung erhält sie dabei von Thomas, einem Franziskaner-Anwärter.


    Das Buch hat mich unglaublich gefesselt, ich mochte es gar nicht aus der Hand legen. Einerseits wirkte die Situation der Familie Harzer oft hoffnungslos, aber Magda ist eine wunderbare Figur, die nie aufgibt und trotz ihres jugendlichen Alters immer wie eine Löwin für ihre Familie kämpft. Sie muss einem einfach ans Herz wachsen und ich habe sie beim Lesen sehr bewundert!
    Den Männern der Familie, besonders den Brüdern Utz und Diether hingegen hätte ich am liebsten den einen oder anderen Tritt in den Allerwertesten verpasst. Sie geben größtenteils wirklich kein gutes Bild ab, lassen sich übervorteilen, denken in erster Linie nur an sich und wälzen Last und Verantwortung nur zu gerne auf ihre Schwester ab. Auch der Großvater und Lentz sind nicht wirklich eine Hilfe.


    Die Beziehung zwischen Magda und Thomas ist auch keine klischeehafte, rosarote Liebesgeschichte handelt, sondern hier treffen zwei Menschen mit Problemen und Vergangenheit aufeinander, helfen sich gegenseitig und stehen füreinander ein. Das Ende fand ich überraschend und für Romantiker vielleich nicht ganz befriedigend, objektiv gesehen aber eine interessante Wendung und so auch irgendwie passend.


    Sehr gut gelungen finde ich auch die Beschreibungen der damaligen Zeit, erst in Bernau und dann in der sich sprunghaft entwickelnden Stadt Berlin. Hier habe ich mich regelrecht ins 14. Jahrhundert versetzt gefühlt und auch einiges gelernt.


    Insgesamt ein wunderbares Buch, das von mir aus ruhig noch hundert Seiten mehr hätte haben dürfen!


    5ratten

    LG, Dani


    **kein Forums-Support per PN - bei Fragen/Problemen bitte im Hilfebereich melden**

  • Ein wunderbares Buch, das gute Chancen hat, eins meiner Jahreshighlights zu werden!


    Magda und ihre Brüder


    Zunächst habe ich ein bisschen Zeit, Magdas Familie kennen zu lernen, bevor sie sich nach Berlin aufmachen, um dort noch einmal ganz von vorne zu beginnen. Magdas Familie ist ein Sammelsurium von unterschiedlichen und skurrilen Männern, drei Brüder und der etwas knarzige Großvater. Magda hat mir von Anfang an am besten gefallen, sie ist so taff, behauptet sich in ihrer „männerlastigen“ Familie und ist auch nicht auf den Kopf gefallen. Schon ziemlich früh erfahre ich von ihren vorausschauenden Träumen, eine Gabe, die ich sehr faszinierend finde.


    Von Anfang an war ich berauscht von der wunderschönen Sprache, in der Charlotte Lyne erzählt. Sie spiegelt die Stimmung der damaligen Zeit so gut wieder, sie ist poetisch, sie ist dramatisch und auch humorvoll. Charlotte Lyne zelebriert Sprache auf eine ganz besondere Art. Und sie bringt so wunderschöne Sätze hervor, die ich leider nicht alle hier aufschreiben kann, denn das würde den Rahmen sprengen. Aber ich habe es so sehr genossen, einzutauchen und mich treiben zu lassen. Manche Stellen habe ich bewusst langsam gelesen, so wie eine Delikatesse, die man sich auf der Zunge zergehen lässt. Aber das funktionierte nur an wenigen Stellen, denn weil die Handlung so spannend war, wollte ich natürlich unbedingt wissen, wie es weiter geht.

    Charlotte Lyne überrascht mich mit immer neuen Wendungen. Sie geizt nicht mit Dramatik und mutet ihren Harzers einiges zu. Aber zwischendurch kann ich mich immer wieder „erholen“ und mich einlullen lassen von wunderschön beschriebenen Szenen. Die meiste Zeit steht natürlich Magda im Mittelpunkt des Geschehens. Aber in einem weiteren Strang lerne ich Thomas kennen, eine absolut faszinierende Persönlichkeit mit einer zunächst geheimnisvollen Vergangenheit. „Die Liebe war ihnen in den Schoß gefallen“ … wieder so eine wunderbare Beschreibung von Charlotte Lyne. Auch die Liebesgeschichte ist sehr dramatisch und doch auf ihre Art wunderschön. Es gibt ein Happyend, was vielleicht nicht jeder als solches erkennt. Für mich war es perfekt und absolut stimmig!


    Magda werden viele Prüfungen auferlegt, aber sie zerbricht nicht, sondern wird nur stärker. Vor dem fantastisch recherchierten Hintergrund erlebe ich, wie Magda zu einer mutigen jungen Frau heranreift und wie eine Löwin kämpft … für ihre Familie und auch für sich. Die historischen Hintergründe erzählt Charlotte Lyne genauso fesselnd und spannend wie den Rest der Geschichte. Ich habe so viel erfahren, was ich bisher nicht wusste und es wurde mir auf eine wunderbare Art vermittelt.


    Am Ende mochte ich mich gar nicht trennen von diesem wundervollen Buch … Ich bin so beeindruckt von der Erzählkunst, die auf der einen Seite eine wunderbare Leichtigkeit ausstrahlt und gleichzeitig so sehr in die Tiefe geht.


    Dieses Buch ist eine Liebeserklärung an die noch junge Stadt Berlin und an Magda, dieses tapfere und starke Mädchen!


    5ratten :tipp:

  • Inhalt in eigenen Worten


    In ihrem historischen Roman „Das Mädchen aus Bernau“ erzählt Charlotte Lyne die Geschichte einer einfachen Bierbrauer Familie, die vom brandenburgischen Bernau in die aufstrebende Doppelstadt Cölln-Berlin zieht.
    Bereits in Bernau wird die Familie, die aus Großvater sowie seiner Enkeltochter Magda und ihren Brüdern Lentz, Utz und Diether besteht, von einer Reihe von Schicksalsschlägen heimgesucht. Utz, der sich nicht als Bierbrauer geboren fühlt, sondern von einem Leben als wohlhabender Kaufmann in Berlin träumt, nimmt die Organisation des Umzugs der Familie in die aufstrebende Stadt in die Hand. Doch auch dort hält das Leben für die Familie nicht wenige Tiefschläge bereit, sodass Magda und der Großvater wieder beginnen, Bier zu brauen, um damit die Familie zu ernähren. Derweil gehen die Brüder verschiedenen Aktivitäten nach, die Magda immer wieder an den Rand der Verzweiflung bringen. Ein Franziskaner Novize namens Thomas kreuzt immer wieder Magdas Wege und scheint wie ein Schutzengel über den Geschicken der Familie Harzer zu schweben. Doch kann er Magdas Bruder helfen, als dieser in wirklich ernsthaften Schwierigkeiten steckt?



    Meine Meinung


    Mit diesem Roman taucht man in das Leben von Handwerkern und Händlern in Bernau und in Berlin im 14. Jahrhundert ein. Man erlebt die Welt, wie sie sich für die kleineren Leute angefühlt hat, die nicht so wirklich informiert waren über die große Politik von Königen und Papst.


    Die Hauptfigur Magda ist eine sehr rührige junge Frau, für die es selbstverständlich ist, sich bis zur Erschöpfung für den Zusammenhalt ihrer Familie zu verausgaben. Die Brüder lassen sich viel eher von Schicksalsschlägen unterkriegen, lediglich der Großvater erwacht so richtig zu neuem Leben, als seine Kenntnisse und Erfahrungen als Bierbrauer wieder gefragt sind.


    Mir hat sehr gut gefallen, dass die mittelalterliche Stadt so richtig detailliert beschrieben ist, dass man wirklich meint die verschiedenen Düfte zu riechen und der Lärm auf den Marktplätzen zu hören. Es ist sehr interessant, mitzuverfolgen wie die Handwerkerleute versuchen Fuß zu fassen in der Großstadt und in wie viele Fettnäpfchen sie dabei treten.
    Die historischen Hintergründe sind folgerichtig nicht im Zentrum der Geschichte, weil die Handlung aus der Sicht von einfachen Leuten erzählt wird, die selber nicht über die politischen Entwicklungen informiert waren. Sie werden immer mal wieder eingestreut, aber weil mir diese Zeit und die Geschichte Berlins so gar nicht bekannt sind, waren mir die Erklärungen zu den politischen Zusammenhängen etwas zu knapp. Das Glossar im Anhang des Buches sowie der historische Stadtplan von Berlin haben aber einiges wieder nachgeholt.
    Etwas befremdlich finde ich den Text auf der Rückseite des Buches. Wer sich die Spannung nicht verderben möchte, sollte den Text nicht vor der Lektüre des Buches lesen. Er kann leicht zu Enttäuschungen führen, weil er eigentlich nur vom letzten Viertel des Buches handelt. Für mich spiegelt er den Inhalt des Buches nicht wirklich.




    Mein Fazit


    Ich kann dieses Buch Liebhabern von guten historischen Romanen nur ans Herz legen. Gerade weil es nicht so viele Bücher zum 14. Jahrhundert gibt, ist es sehr interessant, diese Zeit mit den sorgfältig gezeichneten Bildern einer aufstrebenden Stadt, zu füllen.
    4ratten

  • Wie historisch bewandert ist die Autorin? Bei Rebecca Gable zb. weiss ich ja was ich bekomme. Klingt ansonsten ja toll - aber meine Messlatte bei historischen Romanen ist halt sehr hoch.

    Viele Grüsse,

    Weratundrina :verlegen:


    Help me, help me ~ Won't someone set me free? ~ There's no right side of the bed ~ With a body like mine and a mind like mine

    ~ IDLES ~


  • Hm, was für eine Antwort erwartest du denn hier? Mir kommen ihre Romane sehr gut recherchiert vor, aber ich bin kein Historiker.


    Zitat

    Ich heiße Charlie Lyne, wurde 1965 geboren und habe in Neapel, Berlin und London Germanistik, Latein, Italienische Literatur und Anglistik studiert. Mit meinem britischen Mann und meinen Kindern lebe ich als Übersetzerin, Lektorin und Autorin in London.


    http://www.charlotte-lyne.com/autorin/

    LG, Dani


    **kein Forums-Support per PN - bei Fragen/Problemen bitte im Hilfebereich melden**

  • "Pass ma uff Keule. Berliner sin nett untananda und ooch zu ihre Jäste", hätte es vielleicht im 14. Jahrhundert gut heißen können, wenn es denn die Berliner Kodderschnauze schon gegeben hätte, die manch empfindliche Ohren und Wesen heute als etwas derb und plautzig wahrnehmen und sich daher eingeschüchtert fühlen. Doch im Gegensatz zum Ruf des Berliners, unfreundlich, rücksichtslos, ruppig und rechthaberisch zu sein, meint der Berliner es meist aber nicht so, wie es vorne rauskommt. Denn im Grunde haben die Berliner immer ein großes Herz, das sie auf der Zunge tragen. Und das trotz ihrer schnoddrigen Art und entwaffnenden Direktheit. Denn die "große Klappe" ist eigentlich nur der Ausdruck ihrer (angeborenen) Ehrlichkeit und Wahrheitsliebe. Statt langatmig und arglistig um den Brei herumzureden, wird einfach gesagt, wie es ist, quasi Tacheles geredet.


    Mit diesem Bild eines Berliners vor Augen, der kein Blatt vor den Mund nimmt und diesen noch unverhältnismäßig weit aufreißen kann, begeben wir uns 1325 mit der Bernauer Familie Harzer mitten hinein in die lebendige Doppelstadt Cölln-Berlin, die aus zwei jungen aufstrebenden Metropolen besteht, die sich zu beiden Seiten der Spree, im heutigen Stadtbezirk Mitte, aus zwei Kaufmannssiedlungen entwickelten. Da die Lage am Spreeübergang und Schnittpunkt bedeutender mittelalterlicher Handelsstraßen günstig war, nahmen beide Städte innerhalb kurzer Zeit einen schnellen Aufschwung und bildeten 1307 eine Union.


    Über 400 Jahre existierten beide Städte in enger Abstimmung und Zusammenarbeit parallel nebeneinander, bevor sie sich 1709/1710 auf Befehl des preußischen Königs Friedrich I. unter Einschluss der weiteren Städte Friedrichswerder, Dorotheenstadt und Friedrichstadt zur Residenzstadt Berlin vereinigten.


    In der Doppelstadt brodelt es. Ludwig der Bayer und Papst Johannes XXII. streiten darum, wem die Kaiserkrone zusteht. Davon bekommen Magda, "Das Mädchen aus Bernau", und ihre drei Brüder Lenz, Utz und Diether sowie der Großvater zunächst nicht viel mit. Sie haben eigene Sorgen. Als Bierbrauer waren sie in Bernau angesehen, nun versuchen sie nach einigen Schicksalschlägen einen Neustart als Händler am Alten Markt. Doch Utz, den es mit aller Macht zu den Kaufleuten zieht, hat sich übers Ohr hauen lassen, und sie bekommen kein Standrecht. Bis auf Magda versinken die sonst so arbeitsamen Männer sämtlichst in Resignation. Erst als sie sich auf ihr Können, das Brauen von Bier besinnen, geht es aufwärts. Und mit Thomas scheint es auch die Liebe Magdas Leben wieder zu geben. Währenddessen wird die Stimmung immer gereizter und zusätzlich durch Nikolaus, den Probst von Bernau, mittels seiner bedrohlichen menschenfeindlichen Predigten angeheizt. So kommt es zum Eklat, die Wut der Bevölkerung entlädt sich, und Nikolaus findet vor den Toren der Marienkirche den Tod.


    Gekonnt verwebt Charlotte Lyne historische Ereignisse mit den handelnden Personen und lässt die Zeit des Geschehens so bildhaft vor dem Auge erstehen, dass man meint, dabei zu sein. Dazu ist zum einen auch die Karte aus dem 14. Jahrhundert, die den Umschlag innen ziert, hilfreich. Viele Straßen, Plätze und Bauwerke gibt es immer noch, so dass man sich mit ein wenig Kenntnis des heutigen Berlins in der Doppelstadt des 14. Jahrhunderts gut zurechtfindet. Zum anderen verschafft einem die Autorin mit ihrer feinfühligen und ausdrucksvollen, fernab von Klischees gewählten Sprache eine vorstellungsintensive Teilnahme nicht nur am Leben der Menschen unter zum Teil widrigen Umständen, sondern ebenso an ihrem Handeln, Denken und Fühlen, so dass man sich zugehörig fühlt und bereits beim Lesen bedauert, sich irgendwann von den lieb gewonnenen Personen verabschieden zu müssen.


    Mir werden sie deshalb alle fehlen: Opa Harzer, dessen Versuch, seine Enkel zu lebenstüchtigen Menschen zu erziehen, nicht in Gänze gelungen, der jedoch immer noch zu Einsichten fähig ist. Diether, den ich trotz seiner Eskapaden schnell ins Herz geschlossen habe. Denn einer, der an sich zweifelt und der Meinung ist, zu nichts zu taugen, weil es es mit Schlägen und Schelte fast täglich belegt bekommt, kann schon dumm und unüberlegt handeln. Doch wenn in so einem Menschen ein guter Kern steckt, der nur freigepellt werden muss, ist er nicht verloren. Nicht vergessen werde ich den "Drachentöter" Hans, der für Freunde auch in die Bresche springt, wenn sie ihm ein X für ein U vormachen wollen, der vorlaute Petter, der wie ein echter Berliner gern mit dem Mund vorneweg ist, aber trotzdem zu seinem Wort steht, und all die anderen, die wie Pech und Schwefel zusammenhalten, füreinander einstehen und Berlin zu etwas Besonderen machen (werden). Sie haben das Zeug dazu, den Mut und die Hingabe, etwas Neues schaffen zu wollen...


    Natürlich werde ich auch Thomas vermissen, dieses kraftstrotzende Mannsbild, das ein Erdrutsch in Mönchskutte ist, das sich schon mal in die Hand beißen lässt und dann trotzdem die Schönheit des Mädchens rühmt und sie küsst. Dessen Augen manchmal wie eine Laute schlagen, und in dessen Wimpern sich ein Funkeln verkriecht.


    Vor allem aber werde ich Sehnsucht nach Magda haben, diesem würzschönsten, krautstämmigen, auf guter Brandenburger Erde gewachsenen Mädchen mit ihrem eindrucksvollem Mut und ihrer beachtlichen unversiegbaren Hoffnung, deren bescheidener Wunsch es ist, dass ihre Familie zusammen ist, dass sie es alle warm beieinander haben und dass über dem Feuer stets ein Topf hängt, in dem dicke Erbsen für den Abend köcheln, und die zupackt und nicht viel Gedöns darum macht, die von Innen strahlt und einfach das Herz auf dem rechten Fleck hat. Eine Berlinerin eben...


    5ratten

    Das Leben ist das schönste Märchen. Hans Christian Andersen