Richard Woodman - Die Nathanial Drinkwater Reihe

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  • Ich war in den letzten Wochen nicht faul und habe die Reihe um Nathaniel Drinkwater beendet, die letzten vier von 14 Bänden in direkter Folge. Für mich ist dies die dritte der großen marinehistorischen Reihen, die ich abgeschlossen habe, nach Foresters "Hornblower" und O'Brians "Aubrey/Maturin". Ich werde jetzt nicht anfangen, die Handlung der einzelnen Bände nachzuzeichnen, da geht bei mir schon einiges im Kopf durcheinander, was jetzt in welchem Buch oder sogar in welcher Reihe passiert ist. Ich versuche lieber, die drei großen Reihen zu vergleichen und aufzuzeigen, was mir wo besonders gut gefallen hat.


    Alle drei Reihen sind, soweit ich das beurteilen kann, historisch und nautisch top. Nirgends muß man Sorge haben, dass Figuren sich wie kostümierte Bürger des 20. oder 21. Jahrhunderts verhalten, immer hat man den Eindruck, dass die Autoren absolute Herren der Lage, ob auf See oder an Land, sind. Die Unterschiede liegen eher in der Plot-Entwicklung und in der Psychologie der Figuren. Forester schreibt noch weitgehend in sich abgeschlossene Romane, die mehr im Rückblick zu einer Biographie werden. O'Brians und Woodmans Bücher haben viel mehr internen Zusammenhalt und übergreifende Handlungsstränge. O'Brian starb leider, bevor er seine Reihe abschließen konnte, aber ich habe nicht den Eindruck, dass O'Brian ein definitives Ende im Blick hatte, eher wären seine beiden Freunde über den Rand der Welt in einen immerwährenden Sonnenuntergang gesegelt. Woodman dagegen hatte offensichtlich von Anfang an eine ganze Biographie im Blick: es gibt verschiedenste übergreifende Handlungsstränge, Personen, die über lange Zeit Bedeutung behalten; und es gibt ein definitives Ende, das, wie das wahre Leben, nicht ohne Bitternis ist.


    Auch in der Psychologie unterscheiden sich die drei Reihen deutlich. Forester schrieb, zumindest anfangs, mit deutlich patriotischer Zielsetzung: Hornblower war die heldenhafte Führerfigur, die England im 2. Weltkrieg brauchte, ein einsamer Entscheider, strategisch brilliant und moralisch bis zum Ende nie in Frage gestellt. O'Brians Thema dagegen ist von Anfang an, und auch bis zum Ende, die Freundschaft zwischen Aubrey und Maturin: "Lucky" Jack Aubrey ist ein Stehaufmännchen und ein "sunny-boy", an Land oft ungeschickt und tapsig, auf See aber brilliant, Stephen dagegen ein bisweilen vergrübelter Intellektueller, immer in Gefahr der Opium-Sucht (wie Sherlock Holmes), ein brillianter Arzt und Naturforscher; trotz aller Ernsthaftigkeit und Tiefgründigkeit ist der Grundton der Bücher immer heiter und selbst wenn Jack mal wieder tief in Patsche steckt, ist Retttung nie wirklich fern. Auch vermeidet es O'Brian weitgehend, liebgewonnene Charaktere zu opfern: vermutlich segelt Jack auch heute noch, irgendwo jenseits des Horizonts mit seinem alten Stewart Killick, seinem Steuermann Bonden und seinem Ersten Tom Pullings. Wenn man mäkelig gestimmt ist, könnte man manches als zu "sonnig" kritisieren, aber diese positive Grundstimmung öffnet auch den Raum für unzählige feine Betrachtungen über das Leben, die Liebe, Freundschaft, Natur und vieles mehr. Woodman dagegen stattet seine Hauptfigur mit einer viel nuancierteren Biografie und Psychologie aus. Vom Charakter her eher unauffällig (weder der sunnyboy Jack Aubrey, noch der menschenscheue Einzelgänger Hornblower) verliebt er sich früh in eine Pfarrerstochter und diese eher konventionelle Ehe bildet über weite Strecken der Serie den ruhenden Pol seiner Biografie. Während Jack letztlich aber immer wieder froh ist, auf See zu sein, leidet Drinkwater unter der langen Abwesenheit und grübelt oft über die Entfremdung zwischen ihm, seiner Frau und seinen Kindern. Seine beiden "Seitensprünge" nimmt Drinkwater nicht so sportlich wie Jack, sie quälen ihn bis zum Ende seines Lebens, genauso wie er zeitlebens mit seiner Vorstellung von Schicksal oder Vorbestimmung hadert, die sein Gewissen nie wirklich zur Ruhe kommen lässt; erst buchstäblich in den letzten Sekunden seines Lebens findet er so etwas Frieden. Woodman scheut sich auch nicht, liebgewonnene Figuren zu opfern, hierin zeigt er sicherlich mehr Realismus als O'Brian. Auch lotet Woodman in einigen Figuren Abgründe der Boshaftigkeit aus, die ich bisher in kaum einem Buch so überzeugend dargestellt gefunden habe.


    Wenn man Foresters Hornblower einmal beiseite lässt (dieser läuft als Gründungsvater der modernen nautical fiction außer Konkurrenz), sind Woodmans und O'Brians Serien für mich unangefochten und ohne sich gegenseitig Konkurrenz zu machen, die Gipfel der marinehistorischen Literaur: O'Brian durch seinen unnachahmlichen leichten Ton, Woodman durch seinen bisweilen grimmigen Realismus. Beide verdienen eine uneingeschränkte Leseempfehlung und beide werde ich sicher früher oder später noch einmal lesen, während der Hornblower seinen wohlverdienten Ehrenplatz im Regal behält.

    "What we remember is all the home we need."

    Roberet Holdstock, Avilion


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  • Vielen Dank für diesen ausführlichen Vergleich der einzelnen Reihen!
    Mittlerweile habe ich von allen dreien zumindest den ersten Band in irgendeiner Form - gerade den ersten Drinkwater-Omnibus hatte ich mir auch nur deinetwegen geholt -, bin aber bisher (mal wieder) nicht zum Lesen gekommen. Aber so kann ich zumindest beruhigt in alle mal reinschnuppern, ohne mir Sorgen machen zu müssen, dass ich dann im Anschluss die anderen nicht mehr gefallen, weil sie einander nicht das Wasser reichen können...

    Even when reading is impossible, the presence of books acquired produces such an ecstasy that the buying of more books than one can read is nothing less than the soul reaching towards infinity... - We cherish books even if unread, their mere presence exudes comfort, their ready access reassurance.