Bettina Storks - Die Stimmen über dem Meer

Es gibt 9 Antworten in diesem Thema, welches 2.218 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Valentine.

  • Die Halbfranzösin Morgane erbt von ihrer Tante ein altes Steinhaus in der Bretagne und kehrt so an den Ort zurück, an dem ihre Mutter vor langer Zeit bei einem Badeunfall verunglückte. Eigentlich will sie ihr Erbe verkaufen, aber das Haus, die Landschaft und auch die Menschen berühren ihre Seele. Morgane stellt sich ihrer Vergangenheit und beginnt ein neues Leben, das es ihr nicht leicht macht – aber sie hat auch die bretonische Sturheit geerbt …


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    Der Prolog fesselt und lässt mich mit Fragen, aber auch ganz unterschiedlichen Empfindungen zurück. Eine Frau ertrinkt, ohne dass wir wissen, wie genau sie in diese Situation gekommen ist. Zuletzt ist da auch etwas tröstendes, schwereloses – und sie hört ein ihr vertrautes Lied. Dadurch wurde ich neugierig auf Details rund um den Tod von Morganes Mutter, fragte mich aber auch, ob dieser Roman womöglich einen Hauch Mystik beinhalten würde.


    Mich hat beeindruckt, wie intensiv ich die Landschaft und vor allem das Meer gespürt habe. Da waren nicht nur wunderbare Bilder, sondern auch Sinneseindrücke – beispielsweise konnte ich den Wind spüren, den Geruch der Luft wahrnehmen. Das ist für mich sehr wichtig, ganz besonders wenn eine Geschichte am Meer spielt, und trägt auch zu der dichten Atmosphäre bei.


    Ich habe mich bisher nicht viel mit den Bretonen beschäftigt, aber dieser Roman macht eindeutig Lust auf mehr und bringt einem diesen Landstrich auf unterschiedliche Weise näher. Lebensart, Menschenschlag, Landschaft, Mythen und auch die Küche – das alles hat sich zu einem faszinierenden Eindruck verdichtet, der neugierig auf mehr macht.


    Ich mag die Figuren, gerade weil sie so unterschiedlich gestrickt sind und ihre ganz eigenen Probleme dazu passen. Sie wirken echt, sind facettenreich und lassen es zu, dass man auch einen Blick hinter die Fassade werfen kann. Viele von ihnen waren mir sehr nah und haben damit auch für so einige berührende Szenen gesorgt.


    In die Geschichte werden auch bretonische Mythen eingebunden – das war für mich eine besondere Ebene, die mir viel Freude gemacht hat. Ich konnte da auch viel entdecken! Sogar der Titel des Romans beruht auf einer Legende: Es heißt, dass sich an der Baie de Trépassés, der Bucht der Verstorbenen, die Ertrunkenen versammeln, um noch einmal an Land zu gehen. An Allerseelen laufen ihre Seelen über die Wellenkämme des Meeres und in der ganzen Bucht sollen Stimmen, Rufe und Geflüster erklingen – die Stimmen über dem Meer.


    An diesem Roman gefällt mir aber auch die Vielfalt der Themen, da gab es für mich einige Überraschungen. Es geht eben nicht nur um ein geerbtes Haus oder die Vergangenheit oder darum, wie man mit einer gerade pausierenden Beziehung umgeht. Es ist mehr wie ein Puzzle, die Themen verweben sich und werden ein großes Ganzes. Jeder setzt da natürlich andere Schwerpunkte, ganz nach seinem individuellem Geschmack.


    „Die Stimmen über dem Meer“ war eine eher leise, aber sehr fesselnde und abwechslungsreiche Lektüre, mit der ich mich einfach wohl gefühlt habe. Emotional, mit intensiven und berührenden Eindrücken. Eine Geschichte, die man mit ganz unterschiedlichen Schwerpunkten lesen und auch weiterspinnen kann. Es kann einem allerdings passieren, dass man danach mehr über die Bretonen lesen möchte …

  • Dieses Buch verfolgt mich zur Zeit und schreit "liesmich, liesmich" :breitgrins: und jetzt auch noch deine tolle Rezi, Seychella :smile:


    Da komme ich wohl nicht dran vorbei. :zwinker:

    :lesen: Kai Meyer - Die Bibliothek im Nebel

  • Hach, Seychella, hab ich nicht schon vor langer Zeit gesagt, die Bretagne wär was für Dich? ;)


    Du hast mir großen Appetit auf dieses Buch gemacht! An der Baie de Trépassés waren wir schon - kommt hier auch die Legende von König Gradlon und der Stadt Ys vor? Die Geschichte mit Allerseelen hatte ich nicht mehr im Kopf, die gefällt mir.


    Spielt die Handlung auch dort in der Nähe, oder wo ist sie angesiedelt?

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Jetzt bin ich ja baff, gleich zwei Antworten. :winken:


    Valentine
    Ja, hast du. Volltreffer! ;) Ich war ja nie ein Frankreich-Fan, aber die Bretagne ist wilder, das gefällt mir sehr.
    Die Geschichte spielt überwiegend ein bisschen nördlicher, in Le Conquet. Und etwas über die Legende der Stadt Ys findet sich auch im Buch. Beim Nachforschen habe ich da noch viel mehr entdeckt, sehr faszinierend.


  • Die Geschichte spielt überwiegend ein bisschen nördlicher, in Le Conquet.


    Waaaahhhhh :ohnmacht: Einer meiner absoluten Lieblingsorte. Dort haben wir ein paarmal in einer zauberhaften alten Mühle auf halbem Weg zwischen Le Conquet und der wunderschönen Pointe Saint-Mathieu gewohnt :herz:


    Die Bretonen sind auch ein ganz eigenes Völkchen mit einem ganz anderen kulturellen Erbe als die "eigentlichen" Franzosen. Richtige Kelten halt (und Asterix' Gallier!)

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Waaaahhhhh :ohnmacht: Einer meiner absoluten Lieblingsorte. Dort haben wir ein paarmal in einer zauberhaften alten Mühle auf halbem Weg zwischen Le Conquet und der wunderschönen Pointe Saint-Mathieu gewohnt :herz:


    So wunderschön! :herz: Meine Güte, da darf ich nie hin, sonst klebe ich da doch fest ...



    Die Bretonen sind auch ein ganz eigenes Völkchen mit einem ganz anderen kulturellen Erbe als die "eigentlichen" Franzosen. Richtige Kelten halt (und Asterix' Gallier!)


    Ja, richtige Kelten! :) Ich hab erstmal in meinem Kelten-Atlas gestöbert, sehr spannende Geschichte.
    Ich glaube, einmal war ich literarisch schon mal in der Bretagne - aber kürzer, nicht im ganzen Buch. Und da hatte es mir auch gut gefallen, also ... Wer weiß. Es gibt einfach zu viele spannende Themen ...


  • So wunderschön! :herz: Meine Güte, da darf ich nie hin, sonst klebe ich da doch fest ...


    Dann gründen wir dort eben einen Literaturschock-Außenposten :breitgrins:


    Bretonisch ist auch eine coole Sprache. Rauh, kratzig und irgendwie sympathisch.


    Herr Valentine hat mal ein schönes bretonisches Sagenbuch gelesen, das könnte auch was für Dich sein. Ich schaue mal, wie es heißt, wenn Du willst.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Nun habe ich es auch endlich gelesen ;)


    Morgane ist überrascht, als sie erfährt, dass sie das Haus ihrer Tante in der Bretagne geerbt hat. Sie hatte kaum noch Kontakt zu ihr, nachdem ihre Mutter dort ertrank und ihr deutscher Vater mit der damals zehnjährigen Morgane in seine Heimat zurückkehrte. Da sie mit ihrem Leben gerade aber sowieso nicht besonders zufrieden ist und ihrer Arbeit, Französisch-Deutsch-Übersetzungen, überall nachgehen kann, beschließt sie, das Erbe anzutreten und reist zum ersten Mal nach langer Zeit wieder nach Le Conquet, einem kleinen Hafenstädtchen ganz im Westen der Bretagne.


    Vor Ort erwartet sie gleich die erste Überraschung in Gestalt von Paulette, die in Morganes Haus wohnt und sich weigert auszuziehen. Das Haus selbst ist nicht sonderlich gut in Schuss, so dass Morganes Traum, daraus eine Frühstückspension zu machen, viel Arbeit und finanzielle Belastungen bedeutet. Und jetzt, da sie wieder in der Gegend ist, in der das Unglück passierte, lässt die Frage, unter welchen Umständen ihre Mutter damals zu Tode kam, Morgane einfach nicht los, doch es ist schwierig, Genaueres herauszufinden.


    Morganes unverhofftes Erbe ist kein goldener Schlüssel zum Glück, trotz der herrlichen Lage auf den Klippen der rauhesten, wildesten Ecke der Bretagne. Was wie ein Traumhaus aussieht, entpuppt sich als renovierungsbedürftiger Problemfall, und auch im zwischenmenschlichen Bereich läuft in Morganes alter-neuer Heimat wirklich nicht alles nach Plan. Mehr als einmal ist sie drauf und dran, einfach alles hinzuschmeißen. Nur ihr beträchtlicher Stolz hindert sie daran.


    Wer glaubt, nach einem Drittel oder der Hälfte des Buches schon genau zu wissen glaubt, worauf das Buch hinausläuft, nämlich eine niedlich-nett dahinplätschernde Friede-Freude-Eierkuchen-Romanze, könnte sich eines Besseren belehrt finden. Die Autorin schafft es, süßliche Klischeefallen zu vermeiden, die man anfangs hätte befürchten können, und erzählt die Geschichte einer jungen Frau, die sich einigen Herausforderungen stellt, dabei aber nicht übermenschlich mutig, tatkräftig und klug ist, sondern manchmal auch schlicht und ergreifend überfordert. Schade nur, dass es sprachlich zwischendurch immer mal wieder etwas holprig wird.


    Ein besonderes "Zuckerl" für Bretagne-Fans und solche, die es werden wollen, sind dafür die Verweise auf bretonische Legenden, die immer wieder eingeflochten werden.


    Als leichte, unterhaltsame Urlaubslektüre, vorzugsweise natürlich an der bretonischen Küste, bestens geeignet.


    4ratten

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen