Gernot Gricksch - Morgens in unserem Königreich

Es gibt 2 Antworten in diesem Thema, welches 1.445 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Valentine.

  • Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links


    Rezension

    INHALT

    Der unkomplizierte Hamburger Jung Arne hat immense Schulden und versucht diese durch seine Arbeit in einem Imbiss abzubauen. Sein Traum war es, in Hamburg eine Bar zur eröffnen, doch sein ach so seriöser Geschäftspartner hat ihn nur abgezockt und hintergangen. Sein eingebrachtes Geld ist weg und damit auch Freundin und Zukunft. Und wäre das nicht schon schlimm genug, fordert der russische Kiezkriminelle Oleksander die 20.000 Euro hohe Kreditsumme zurück, die er Arne geliehen hatte. Von nun an kann Arne nicht mehr klar denken, weil Oleksanders Schuldeneintreiber ihn im Nacken sitzen und zudem herauskommt, dass er seinen Arbeitgeber, Imbissbetreiber Udo, bestohlen hat. Als eines Tages zwei Vertreter der Zeugen Jehovas vor seiner Tür stehen, ergreift er den sich bietenden rettenden Strohhalm und findet Unterschlupf bei einem jungen tugendhaften Pärchen, Mathias und Johanna, was die religiöse Gemeinde als Skandal empfindet.

    MEINUNG

    "Morgens in unserem Königreich" ist das zweite Buch von Gernot Gricksch, das ich innerhalb kurzer Zeit gelesen habe und das mich restlos überzeugen konnte.


    In diesem 270 Seiten starken Roman prallen zwei Welten aufeinander, die normale und die religiöse Welt. Wer bisher nichts bzw. nur wenig über die Zeugen Jehovas wusste, wird nach der Lektüre um einige Eckpunkte schlauer sein. Diese religiöse Gemeinschaft lebt ein sehr puristisches Leben ohne Wettkampf, Drogen und mit viel Nähe zu Gott. Man lebt unter sich, abgeschlossen von den bösen und undisziplinierten "Weltenmenschen". Arne, die Hauptperson der Geschichte, ist der diametrale Gegenentwurf zu den Zeugen Jehovas. Er lebt in den Tag hinein, lässt sich von Emotionen treiben und zieht das Unglück und die Kriminalität magisch an. Sein Asyl findet bei der Gemeinde geteiltes Echo, vor allem der Älteste und Einflussreichste wittert baldiges Ungemach. Mathias und Johanna hingegen setzen sich für Arne, den Aussätzigen, ein und versuchen einen besseren Menschen aus ihm zu machen. Doch als Johanna und Arne dann noch zarte Gefühle füreinander hegen und Schlägertypen in der Gemeinde auftauchen, um Arne zu drohen, ist nicht nur Arnes Leben in Gefahr.


    Arne als liebenswerter Chaot und Johanna als mildtätige Kämpferin haben mich mitgerissen. Beide haben so ihre Problem mit dem Leben. Während es für Arne vor allem das Geld ist, ist es für Johanna die Religion und der Lebensentwurf. Ihr Verlobter Mathias ist ihr viel zu nett und zu ergeben und vielleicht sogar homosexuell. Sie weiß nicht, ob sie mit ihm, den sie eigentlich gar nicht liebt, eine Familie gründen und für immer zu Hause bleiben sollte. Hinzu kommt, dass ihr Bruder Karsten ADHS hat und vom eigenen alkoholabhängigen Vater deswegen immer und immer wieder geschlagen wird, während Johannas Mutter nur apathisch daneben sitzt. Doch dann kommt Arne ins Spiel und alles ändert sich.


    Der Autor hat den Spagat zwischen den beiden Welten sehr fabelhaft gemeistert und sogar noch eine emotionale Komponente mit einfließen lassen. Zudem hat er auch die Machenschaften auf dem Hamburger Kiez sehr lebensnah nachgezeichnet.


    Sprachlich konnte mich Gricksch wieder einmal begeistern. Seine Sprache passt sich den handelnden Personen an, wirkt glaubhaft. Mal ist sie, wenn es um Arne geht, witzig bis provozierend und mal ist sie verhalten bis religiös konform, wenn es um die Zeugen Jehovas geht. Dieser Wechsel lässt viel Spielraum für zwischenmenschliche Missverständnisse, aber auch einige heitere Momente.

    FAZIT

    Eine unterhaltsame Geschichte mit Tiefgang, Herz und Authentizität. Hier wird alles geboten, was ein guter Roman braucht.


    Bewertung: 5ratten

    Einmal editiert, zuletzt von jehe ()

  • Inhalt
    Arne ist ein lebenslustiger Windhund, der mit seinem Leben ganz zufrieden ist. Er arbeitet in St.-Pauli in einer Imbissbude, hat eine Freundin und Pläne für ein eigenes Lokal. Doch von einem Moment auf den anderen verliert er alles und die Schläger eines Kredithais sind ihm auf den Fersen. Gerade als er nicht mehr weiter weiß tauchen zwei Zeugen Jehovas auf und er nutzt diese Begegnung um bei ihnen unterzutauchen, bis er weiß, wie es weitergehen soll. Doch Arne sorgt mit seiner unkonventionellen Art für einige Aufregung in der Gemeinde.


    Meine Eindrücke
    Nach dem Lesen des Klappentextes hatte ich mich auf eine lockere Komödie mit vielen lustigen Szenen und Situationskomik eingestellt. Doch das Buch ist so viel mehr. Ich hatte noch nie Kontakt mit den Zeugen Jehovas und wusste so gut wie nichts über ihre Ansichten und ihre Lebensweise. Hier bekam ich Einblick in ihre Welt, die mir anfangs noch freundlich vorkam, doch nach und nach wurde ich nachdenklicher und es wurde immer deutlicher worin die Nachteile und Kritikpunkte bestehen.


    Arne lernt in der Gemeinde Johanna kennen, eine junge Frau, die dort aufgewachsen ist. Ihm fällt sofort auf, wie natürlich und echt sie wirkt im Vergleich zu den meisten Frauen, denen er bisher begegnet ist.
    Anhand ihrer Geschichte erfährt man, wie schwer es ist als Kind oder Jugendlicher in dieser Gemeinschaft aufzuwachsen, oder wie wenig Rechte Frauen dort haben. Johanna ist intelligent, doch das darf sie nicht zeigen, weder früher in der Schule, noch heute in ihrem Alltag und je mehr sie mit Arne in Berührung kommt, umso mehr ist sie fasziniert von seinem freundlichen und weltoffenen Wesen. Und so wie Johanna viel zu wenig über die Welt jenseits der Gläubigkeit weiß, kann Arne wenig mit Spiritualität anfangen. Die beiden diskutieren immer häufiger über das Leben und seinen Sinn und es ist nicht immer nur Johanna, die von diesen Gesprächen profitiert.


    Arne und seine Art zu leben wird nicht beschönigt. Irgendwie bekommt er nichts auf die Reihe, wozu auch sicher seine sorglose Art in den Tag hineinzuleben und seine Unzuverlässigkeit ihren Teil beitragen. Aber er hat das Herz auf dem richtigen Fleck, er ist hilfsbereit und freundlich, auch wenn ihm das nicht beim Lösen seiner Probleme hilft.
    Seine Entscheidung bei den Zeugen Jehovas unterzutauchen geschieht aus reiner Not und mangels Alternativen. Dort lernt er einige freundliche und hilfsbereite Menschen kennen, allen voran Matthias, bei dem er wohnt und er erkennt dabei, wie leer sein bisheriges Leben war und dass er keine richtigen Freunde hat, auf die er im Notfall zählen kann. Aber nicht alle Zeugen Jehovas sind ihm gut gesinnt und er muss sich entscheiden, wie es mit ihm und seinem Leben weitergeht.


    Der Schreibstil des Autors ließ sich angenehm lesen und er hat mich mit seiner Geschichte in eine mir fremde Welt entführt. Er beleuchtet diese Religion von verschiedenen Seiten und verweist am Ende auf die Internetseite zeugenjehovas-ausstieg.de, deren Betreiberin eine große Hilfe bei seiner Recherche war.
    Mal war die Stimmung humorvoll, dann wieder nachdenklich oder auch traurig und dies so überzeugend, dass ich mitgefühlt, mitgelitten und zum Glück auch ab und zu geschmunzelt habe.


    Fazit: Eine unterhaltsame und nachdenklich stimmende Geschichte, die einen interessanten Einblick in die Lebensweise der Zeugen Jehovas gewährt.


    4ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:

  • Arne ist ziemlich am Ende. Von seinem großen Traum, eine eigene Cocktailbar in St. Pauli zu eröffnen, ist nur noch ein Riesenberg Schulden bei den falschen Leuten übrig, seinen Job in einer Imbissbude ist er ebenso los wie seine Freundin, und sein Geldgeber versteht äußerst wenig Spaß gegenüber säumigen Zahlern, wie Arne bald zu spüren bekommt.


    Das Leben der fünfundzwanzigjährigen Johanna fühlt sich schon seit langem falsch an. Sie gehört von Geburt an zu den Zeugen Jehovas und gilt dort als unverheiratete Frau in diesem Alter schon beinahe als alte Jungfer. Ihre Eltern möchten, dass sie Matthias heiratet, einen herzensguten, aber langweiligen jungen Mann, und mit ihm eine Familie gründet. Wenn Johanna ehrlich ist, würde sie lieber ganz anders leben, doch sie traut sich nicht, aus den eng gesteckten Grenzen ihrer Gemeinschaft auszubrechen, würde das doch bedeuten, ihr ganzes bisheriges Dasein über Bord zu werfen.


    Als Arne auf der Flucht vor den Schlägertypen seines Gläubigers ausgerechnet bei Matthias Unterschlupf findet, prallen zwei Welten aufeinander, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten.


    Das könnte leicht zu einer platten, schwarz-weiß gezeichneten Culture-Clash-Komödie werden, aber trotz des leichtfüßigen Tonfalls und der einen oder anderen Übertreibung gelingt Gernot Gricksch ein durchaus nuanciertes Bild einer weltfremd und ständig in Erwartung Armageddons lebenden Glaubensgemeinschaft, in deren Mitte plötzlich der "Weltmensch" Arne auftaucht, der alles verkörpert, womit man eigentlich nichts zu tun haben möchte und die eingefahrene Ordnung ganz schön durcheinanderbringt, während er versucht, sein Leben wieder auf die Reihe zu kriegen.


    Auch Johannas Zwiespalt zwischen ihren Wurzeln und ihren ureigensten Wünschen ist schön herausgearbeitet, verkompliziert noch durch das Bedürfnis, ihrem kleinen Bruder beizustehen, der ein paar Auffälligkeiten hat, und den sie vor dem cholerischen Vater schützen möchte, weil die schwache und dem Vater treu ergebene Mutter es nicht kann. Dabei bleibt die Entwicklung glaubwürdig, es passieren keine hollywoodesken 180-Grad-Wendungen, sondern nachvollziehbare kleine Schritte.


    Es gibt zwar auch einige Schmunzelszenen, aber insgesamt ist das Buch, das sich anfangs wie eine flapsige Komödie liest, ein gelungener Entwicklungsroman zu einem interessanten Grundthema und eine echte Empfehlung.


    4ratten

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen