Theodor Storm - Pole Poppenspäler und andere Novellen

Es gibt 1 Antwort in diesem Thema, welches 1.104 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Kiba.

  • Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links


    Dieser Band enthält die Novellen "In St. Jürgen", "Viola tricolor", "Pole Poppenspäler" und "Waldwinkel".


    In St. Jürgen
    Der Erzähler sitzt in seinem frühsommerlichen Garten in seiner Heimatstadt und wird von den ankommenden Schwalben an Agnes Hansen, ehemals geliebte Dienstbotin seiner Großmutter, erinnert. Sie verbrachte die letzten Jahre ihres Lebens in dem Stift St. Jürgen, wo sie dem Erzähler irgendwann die Geschichte ihrer unglücklichen Liebe erzählte, die an den Schulden ihres Vaters, der als Vormund ihres Verlobten dessen Erbteil veruntreut hatte, gescheitert war. Zwar wurde ihre Liebe weiterhin erwidert, aber der Verlobte, der sich eigentlich als Handwerksmeister in der Stadt niederlassen wollte, musste sie aus Geldmangel verlassen und kehrte, entgegen seines Versprechens, nie wieder zurück. Der Erzähler ist empört darüber, doch Hansen trägt ihren Verlust gelassen: "es gibt noch andere Dinge als den Tod, die des Menschen Willen zwingen."


    Jahre später trifft er auf der Heimreise in seine Heimat einen alten Mann, natürlich Hansens ehemaligen Verlobten, von dem er die andere Hälfte dieser missglückten Liebe erfährt. Harre hatte seine Agnes nie vergessen, die Macht des Schicksals ließ es aber nicht zu, dass er zu ihr zurückkehrte.


    So haben beide ein zwar nicht unglückliches Leben geführt, in dem aber doch etwas fehlte.


    Eine leicht melancholische Geschichte darüber, dass es manchmal anders kommt als geplant und gewünscht, und dass man daraus das Beste machen muss (und kann). Schön aufgebaut und erzählt mit einer wunderbaren Stimmung. Hat mir gefallen.



    Viola tricolor
    Die zehnjährige Halbwaise Nesi (wieder eine Agnes) erwartet aufgeregt und ängstlich die Rückkehr ihres Vaters und dessen neuer, junger Gattin. Agnes mag ihre neue Stiefmutter, kann sie aber nicht, wie von jener gewünscht, mit "Mutter" ansprechen, denn diese Anrede ist ihrer leiblichen Mutter vorbehalten. "Mama" könnte sie sagen, doch das mag Ines nicht hören, die so gerne dem Mädchen die Mutter ersetzen würde. An der vermeintlichen Zurückstoßung durch die Stieftochter und dem Gedanken, dass sie auch ihrem Mann keinen wahren Ersatz der verstorbenen Frau bieten könne, geht sie fast zugrunde. Erst als sie einsieht, dass die Erinnerung an die Verstorbene nicht verdrängt werden darf, sondern die Vergangenheit ein Teil des Lebens ist, fasst sie neuen Lebenswillen und die Geschichte nimmt ein Happy End.


    Während des Lesens fehlte es mir an Geduld mit den erwachsenen Protagonisten. Wieso erkennt Ines nicht die vorsichtigen Annäherungsversuche der Stieftochter? Wieso muss der Vater ausgerechnet eine viel jüngere Frau heiraten, die ihm so viel an Lebenserfahrung nachsteht? Wieso gelingt es ihm nicht, ihr Agnes' Position zu erklären? Drei eigentlich anständige Menschen, die einander mögen, und trotzdem kommt es fast zur Katastrophe. Wieso reden die bloß nicht miteinander??? Sie können es nicht, können nicht aus ihrer Haut heraus, wird mir jetzt klar. Schön der Titel: "Viola tricolor" ist der botanische Name des wilden Stiefmütterchens.


    Pole Poppenspäler
    Als Jugendlicher erfährt der Ich-Erzähler die Geschichte seines Mentors, des Kunstdrechsler Paul Paulsen, manchmal verachtvoll "Pole Poppenspäler" genannt.
    Paul freundete sich als Junge mit Lisei an, der Tochter von herumziehenden Marionettenspielern, deren erste Vorstellung im Heimatstädtchen er vollkommen fasziniert verfolgt hatte. Besonders die Figur des Kaspers mit seiner beweglichen Nase und dem besonderen Daumen hatte es ihm angetan. Diese Marionette fasst er entgegen eines strengen Verbots bei seinem ersten Besuch bei Lisei an und beschädigt ihren Mechanismus, den sein Vater dann aber reparieren kann. Die Freundschaft zu Lisei nimmt ihr unabweisbares Ende, als die Familie einige Wochen später weiterreist.


    Erst Jahre später trifft er Lisei und ihren Vater (die Mutter ist unterdessen verstorben) wieder. Der Vater wurde gerade des Diebstahls verdächtigt und verhaftet. Am nächsten Tag stellt sich seine Unschuld heraus, aber er kann diese Kränkung nicht verkraften und erkrankt schwer. Nach seiner Genesung nimmt Paul die beiden mit in den Norden, wo er Lisei zum Entsetzen der wohlanständigen Gesellschaft heiratet. Sein Schwiegervater unternimmt noch einen Versuch, seine Marionettenkunst auf der Bühne zu zeigen, wird aber vom Publikum beleidigt und ausgelacht und stirbt bald darauf. Paul bekommt den Spitznamen "Pole Poppenspäler".


    Eine Geschichte über die Engstirnigkeit der "guten Gesellschaft", die keine Künstler - und schon gar keine auswärtigen - unter sich akzeptieren kann. Ganz nett, aber irgendwie hatte ich mehr von dieser Novelle erwartet.


    Waldwinkel
    Ein Botaniker mittlerer Jahre nimmt sich eines auch nach heutiger Rechtssprechung minderjährigen, eltern- und mittellosen Mädchens an und verbringt mit ihr einen Sommer in einem abgelegen im Wald stehenden Gebäude, dem Waldwinkel, im Volksmund "Narrenkasten" genannt. Er verliebt sich sie und möchte sie nach einigem Zögern auch heiraten, aber sie wählt statt seiner den jungen Förster.


    Das Beste an dieser Novelle waren meiner Meinung nach die Naturbeschreibungen. Mit dem eigentlichen Inhalt konnte ich nichts anfangen. Ich mag nichts über einen alternden Mann und eine Siebzehnjährige lesen, schon gar nicht, wenn die Geschichte aus seinem Blickwinkel erzählt wird. Einzig der kommentierende (klatschende) "Chor" der in der Nachbarschaft lebenden Menschen Männer konnte mein Interesse erwecken.


    [hr]


    Diese vier Novellen hinterließen bei mir einen gemischten Eindruck, und damit einen schlechteren als erwartet. Vor einigen Jahren habe ich verschiedene andere Novellen von Storm gelesen (Schimmelreiter, Immensee, Regentrude u. a.), die ich als besser in Erinnerung habe. Wieso ich jetzt etwas enttäuscht bin, kann ich nicht genau sagen. Sprachlich gefielen mir die Erzählungen und gut komponiert waren sie auch, aber ich hätte sie nicht unbedingt lesen müssen. Sie erschienen mir etwas belanglos. Vielleicht war es nur die falsche Zeit für meine Lektüre.
    Ach ja, wenn man meine obigen Aufzeichnungen liest, könnte man meinen, dass mir jede Novelle ein bisschen schlechter gefallen hätte als die davor gelesene und daraus auf Übersättigung schließen. Ich habe sie allerdings in einer anderen Reihenfolge gelesen: 2 - 4 - 1 - 3.


    Insgesamt vergebe ich 3ratten bis 3ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:

    Wir sind irre, also lesen wir!

    Einmal editiert, zuletzt von Saltanah ()

  • Ich habe die letzten Monate ziemlich viele Novellen von Storm gelesen, auch die hier genannten. Die meisten sind recht nettes Lesefutter für zwischendurch. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob die wiederkehrenden Namen (Christian, Agnes usw.) dieselben Personen bezeichnen.

    Bücher sind Magie zum Mitnehmen.