Thomas Bernhard - Frost

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  • Thomas Bernhard – Frost. Suhrkamp Verlag, 360 Seiten.


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    Klappentext (Auszug):
    „Eine Famulatur besteht ja nicht nur aus dem Zuschauen bei komplizierten Darmoperationen, aus Bauchfellaufschneiden, Lungenflügelzuklammern und Fußabsägen, sie besteht wirklich nicht nur aus Totenaugenzudrücken und aus Kinderherausziehen in die Welt.“ Mit diesem Satz beginnt der erste Roman von Thomas Bernhard. Frost erschien im Jahr 1963 und bildet den Ausgangspunkt des weltliterarischen Kontinents dieses Autors. Bis zur Veröffentlichung von Frost war Thomas Bernhard nur einem kleineren Kreis vor allem als Lyriker bekannt.


    Ausgabe:
    Die Werkausgabe enthält einen ca. 20seitigen Kommentar. Sie ist in schönes dunkelrotes Leinen gebunden.


    Bewertung:
    Dieser Roman enthält v.a. zwei handelnde Personen: Der Ich-Erzähler erhält den Auftrag, den Kunstmaler Strauch zu beobachten und an dessen Bruder schriftlich Bericht zu erstatten. Dabei ergeben sich abstruse Gespräche, es entwickelt sich ein Kammerstück, an dessen Ende man sich fragt, wie verrückt diese Welt eigentlich ist. Charakterisieren lässt sich das Buch durch einen beispielhaften Ausschnitt: „Eines Tages kommt man nach Hause und weiß, von jetzt an muß man für alles bezahlen, und von diesem Augenblick an ist man alt und tot. Eines Tages ist alles aus, das Leben mag fortdauern, solange es will. Ein für allemal ist man tot und die ganze Schönheit, das was Glück ist und sein kann, der Reichtum und alles hat sich zurückgezogen, für immer.“ Hier merkt man die negative Grundstimmung, die einem als Leser aber in der heutigen bunten Werbewelt als Kontrast ganz gut tut. Schwieriger ist jedoch mit den vielen inhaltlichen Brüchen, mit den teilweise schwer zu verstehenden Passagen umzugehen. So ergibt sich im Laufe der Lektüre das Gefühl, dass der Maler immer mehr die Realität hinter sich lässt. Wer mit Bernhard-Lektüre beginnen will, sollte zu Holzfällen oder noch besser zu seiner Autobiographie greifen.


    3ratten


    Schöne Grüße,
    Thomas

    Einmal editiert, zuletzt von fairy ()

  • Hallo Thomas,


    "Frost" war der erste Roman, den ich von Bernhard gelesen habe. ich habe danach relativ schnell die Finger von seiner Prosa gelassen; weder mit seinen Erzählungen noch mit seinen Romanen werde ich warm, mich nervt die Monologstruktur, die endlosen Selbstgespräche, die sich immer nur um dasselbe drehen. Ich habe sehr lange gebraucht, bis ich den Reiz dieser Wiederholnugsstruktur entdeckt habe und den Ort, wo sie für mein Empfinden hinpasst und all ihre Wucht entfaltet. Das ist im Theater. Bernhard ist für mich einer der grandiosesten zeitgenössischen Bühnenautoren! Die Wiederholung, die Dialoge, die keine sind, sondern die immer nur Variationen von bereits Gesagtem sind, werden von Bernhard hier so unheimlich gut eingesetzt, dass man das Scheitern der Kommunikation in jeder Replik greifen kann. Dieses Scheitern ist dabei nicht einfach immer nur ein Aneinandervorbeireden, sondern oft auch Wahn oder Borniertheit, Begeisterung oder Obsession des Sprechers, gar nichr selten auch ein Mittel zur Erzeugung einer unheimlich bissigen Komik. Man müsste das am Beispiel diskutieren.


    Die Prosa beschränkt sich leider oft auf die obsessive Seite der Wiederholung, die Protagonisten, die ich aus Bernhards Prosa kenne sind weltabgewandte Eigenbrötler, die über "die Welt da draußen" herziehen. Ich habe hier ganz anders als in den Stücken nirgends eine ironische Brechung der dargestellten Frustration finden können. Vielleicht habe ich wirklich noch nicht den richtigen Text erwischt, "Holzfällen" wird oft genannt, wenn es um einen verdaulichen Bernhard geht...


    Ich empfehle immer das nächste Theater, um sich Bernhard zu nähern; am besten aber eine Inszenierung von der Wiener Burg, gibt's auch auf DVD und verliert hier nur wenig von ihrem Charme!


    Herzlich, B.

  • Liebe Bücherfreunde,


    ich muss meinen "Alpen- Godot" doch mal in Schutz nehmen. Frost ist eine düstere, makabere und obskure Erzählung.
    Der Leser folgt dem Ich- Erzähler, einem junger Medizinstudenten, dessen Auftag darin besteht den Bruder des Arztes Strauch zu beobachten und zu verstehen. Sein Bruder, der Maler Strauch, wohnt in einem kleinen, gruseligen Alpendörfchen namens Weng. Der Maler hat mit dem Leben abgeschlossen, er sucht keine Freunde mehr. Er ergeht sich in seinen Gedanken, die dank der Ich- Erzähler- Perspektive wirken, als seien sie an den Leser gerichtet. Der Maler versucht das Wesen des Tods und der Krankheiten zu ergründen. Die Erzählung zeichnet ein sehr pessimistisches und abgewandtes Menschenbild, das immer wieder durch die Machenschaften der hinterrücksen Dorfbewohner gezeigt wird. Die Landschaft wird zu einer Art trostlosem, alpinen Kerker verklärt.
    Genau wie dem Medizinstudenten, ergeht es dem Leser. Man wird vom Begriffsbrimborium des Malers in den Bann gezogen, fängt an die Welt durch diese zu erkennen. Bemerkenswert ist, dass es Passagen gibt, in denen nicht klar ist, wer hier spricht: Ist es die wörtliche Rede des Malers oder die Perspektive des Ich- Erzählers? Am Ende werden die Briefe des Medizinstudenten an den Assistenten gezeigt. Es zeigt sich, wie er nach und nach dem Maler verfallen ist, unfähig weitere Beobachtungen zu machen. Er fährt einfach wieder aus Weng nach Hause zurück. Das Schicksal des Malers bleibt ungewiss. Die Frage ist, warum hat der Assistent nie auf die Korrespondenz geantwortet? Hat sich der Student alles eingebildet?

    Da wurde mir klar, dass entweder ich verrückt war oder die Welt. Und ich tippte auf die Welt. Und natürlich hatte ich recht. (Jack Kerouac)

    Einmal editiert, zuletzt von Kafkaesker Käfer ()