Kevin Major - Caribou

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    REZENSION – Kriegsromane über den 2. Weltkrieg sind schon längst nicht mehr zeitgemäß, dienten diese doch meist auf „Heldensagen“ einstiger Soldaten basierenden Erzählungen in den Nachkriegsjahren zumeist der Geschichtsklitterung und Beruhigung des deutschen Gewissens. Doch der jetzt auf Deutsch veröffentlichte Roman „Caribou“ des kanadischen Schriftstellers Kevin Major (71) ist ein Kriegsroman, den man in der Zeitlosigkeit seiner Botschaft als rühmenswerte Ausnahme dieses literarischen Genres sehen muss. Der Roman hält sich an historische Fakten der Atlantikschlacht im Winter 1942/1943, doch im Vordergrund stehen vor allem die Menschen - Soldaten und Zivilisten sowohl auf deutscher wie auch auf alliierter Seite - mit ihren Gefühlen und Hoffnungen.

    Die „Caribou“ war eine zwischen der kanadischen Küstenprovinz Nova Scotia und Neufundland pendelnde Fähre mit Kapitän Benjamin Taverner (1880-1942). Am 14. Oktober 1942 wurde das Schiff auf der Überfahrt vom deutschen U-Boot U69 unter dem Kommando von Kapitänleutnant Ulrich Gräf (1915-1943) torpediert und versenkt. An Bord der Fähre waren damals 237 Menschen. 137 Menschen verloren ihr Leben, nur 34 Leichen wurden geborgen.

    Torpedierung und Untergang der „Caribou“ machen nicht die Handlung des Romans aus, sondern sind nur der Ausgangspunkt für die weitere Entwicklung menschlicher Tragödien, die der Autor in seinem Roman überaus eindrucksvoll und berührend schildert. Unmittelbar nach dem Untergang der Fähre stellt sich die Frage nach dem Sinn des Krieges und nach Gott: „Wo war denn Gott, als der Torpedo einschlug? … Was ist mit dem Mann, der den Torpedo abschoss? Was geht bloß in seinem Kopf vor?“, fragt eine Überlebende. Es ist derselbe Gott, auf den die Deutschen schon im 1. Weltkrieg bei der Schlacht um Verdun setzten und auf dessen Hilfe nun die Engländer hoffen, die gerade Bomben über Deutschland abwerfen. Auch Kommandant Gräf fragt sich: „Macht das wirklich noch alles Sinn für dich? Ich bin der Mann, der den Torpedo abfeuern ließ – und ich habe den Glauben an einen Sinn längst verloren.“ Gräf ist kein Nazi, aber als Offizier der Kriegsmarine führt er Befehle aus. Doch „ein Kommandant, der seines Dienstgrades würdig ist, empfindet keine Genugtuung im Angesicht menschlicher Opfer“.

    Der Roman „Caribou“ ist entschieden anders als herkömmliche Kriegsromane mit einseitiger Freund-Feind-Aufstellung und klarer Grenzziehung. Darauf verweist auch Germanist Christian Adam in seinem fachkundigen Nachwort ausdrücklich. Mit Adam als „Caribou“-Übersetzer ist dem Pendragon-Verlag ein cleverer Coup gelungen, ist dieser Literaturwissenschaftler mit Spezialgebiet „Literatur des Dritten Reiches und Nachkriegsdeutschlands“ doch ein ausgewiesener Experte gerade dieses Genres. Adam hebt als Besonderheit hervor, dass Kevin Major in seinem Roman durch den ständigen Wechsel zwischen den kämpfenden Seiten dem Leser einen wichtigen Perspektivwechsel ermöglicht. Der Autor gibt den vielen „namenlosen Opfern literarisch ein Gesicht“ und schildert zudem das Denken und Handeln seiner Protagonisten beider Seiten mit großer Empathie. Bei Kevin Major gibt es auf beiden Seiten keine Helden, nur Menschen im emotionalen Gefälle zwischen Glück und Leid, Hoffnungen und Ängsten – auch der Angst vor dem eigenen unsinnigen Tod, dem letztlich auch Ulrich Gräf nicht entkommt. Sein Boot U69 wurde nur wenige Monate nach der Torpedierung der „Caribou“ im Februar 1943 von einem britischen Schiff gerammt und mit 50 Männern an Bord versenkt.