Sofi Oksanen - Putins Krieg gegen die Frauen

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    Im Krieg in der Ukraine setzt Russland gezielt Gewalt gegen Frauen ein. Das ist eine starke Waffe, denn damit trifft sie nicht nur das Opfer, sondern auch die Angehörigen. Aber wie kann es dazu kommen, dass diese systematische Gewalt nicht nur an der Front gelebt wird, sondern auch von zuhause unterstützt wird, hauptsächlich von Frauen und Müttern der Soldaten?


    Um diese Frage zu beantworten, beginnt Sofi Oksanen mit ihrer eigenen Familiengeschichte. Sie erzählt von ihrer Großtante, die die Erlebnisse während der estnischen Besetzung durch die Sowjetunion stumm gemacht haben. Lange hat sie nicht verstanden, warum das so war, dass manches so furchtbar ist, dass man nie wieder darüber reden will und lieber stumm bleibt, als ein Wort darüber zu verlieren. Aber das Schweigen ist auch Schutz, denn wenn man darüber redet, wird das Erlebte wieder lebendig und verfolgt die Menschen, die man liebt.


    Es war schwer zu lesen, wie die Gewalt gegen die Frauen gerechtfertigt wird. Die Bevölkerung der Ukraine wird in den russischen Medien systematisch entmenschlicht, so wird der Krieg die Gräueltaten gegen sie fast schon leichtgemacht. Trotzdem war es für mich keine Erklärung, dass Frauen und Mütter der Soldaten an der Front sie in ihrem Tun auch noch bestärkten. Diesen Punkt konnte mir die Autorin nicht schlüssig erklären.


    Sofi Oksanen beschreibt, dass der Krieg gegen die Frauen nicht nur an der ukrainischen Front gekämpft wird, sondern auch in Russland selbst. Schritt für Schritt wird den Frauen die Selbstständigkeit aberkannt und ihre Welt immer kleiner gemacht. Gewalt gegen sie ist fast schon selbstverständlich und die Aussage, dass ein Mann seiner Frau durch Schläge seine Liebe zeigt, ist nicht leider nicht zynisch gemeint. Aber wenn schon die Gewalt gegen die Frauen, die man(n) angelblich liebt, selbstverständlich ist, ist der Schritt zu Vergewaltigung und Folter von Frauen, bei denen man beigebracht bekommen hat, sie nicht als menschliche Wesen zu sehen, nur ein kleiner.


    Die Themen, die die Autorin in ihrem Buch anspricht, sind durchweg schwer. Aber sie hat es geschafft, sie im richtigen Ton zu erzählen. Sachlich, ohne dabei unempathisch zu wirken, aber auch ohne anzuklagen. Das hat sie nicht nötig, denn die Tatsachen sprechen für sich. Dass das Buch von mir die volle Punktzahl bekommt, bedeutet hier nicht, dass es mir so gut gefallen hat, ganz im Gegenteil. Aber ich halte es für wichtig, darüber zu sprechen bzw. zu scheiben. Denn wenn man schweigt, stellt man sich auf die Seite der Schuldigen.

    5ratten

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • Aufgrund der tollen Rezension des Buches habe ich es mir auch heruntergeladen und muss sagen, dass es sich unbedingt lohnt, dieses Buch zu lesen.


    Sofi Oksanen hat für ihren Essay intensiv recherchiert, wie der umfangreiche Quellenapparat, aber auch der Text selbst zeigt. Sie bettet die Auseinandersetzung mit der Gewalt gegen Frauen in der Gegenwart und Vergangenheit in einen größeren Kontext ein, indem sie verdeutlicht, dass die Unterdrückung von Frauen zum Machterhalt eines patriarchalischen und kolonialen Systems wie eben in Russland beiträgt. Zusätzlich macht sie (auf erschreckende Weise) darauf aufmerksam, dass Russland darüber hinaus besonders Frauen und ihre politischen Inititiativen als Angriffspunkte nutzt, um westliche Gesellschaften zu stören, im "besten" (auf die Blickrichtung der im Interesse Russlands agierenden Trolle) Falle zu spalten. Diese Zusammenhänge waren mir in diesem Ausmaß nicht bewusst, werden von der Autorin aber nachvollziehbar und plausibel dargestellt.


    Ein weiterer, sehr wichtiger, Aspekt, auf den Sofi Oksanen immer wieder hinweist, ist die Notwendigkeit, unseren Blick von den eigenen Befindlichkeiten mehr auf die unmittelbar durch Putins Russland bedrohten Nationen zu richten, die ja auch schon ihre teilweise bis heute nachwirkenden, schweren Erfahrungen mit dem russischen Kolonialismus gemacht haben: die baltischen Staaten, Finnland und Polen. Diesbezüglich kann man ihren Text auch als Plädoyer für den Zusammenhalt den Westens und dafür, die Augen für die russischen Strategien der Destabilisierung offen zu halten, lesen.


    Ein wichtiges, gut recherchiertes und trotz des schwierigen Themas unbedingt lesenswertes Buch. Danke für den Tipp, Kirsten !

    5ratten