Ray Bradbury. Der Lesethread

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  • Heute habe ich, wie angekündigt, mit einem weiteren Bradbury-Band angefangen. "I Sing the Body Electric!" oder "Das Kind von morgen" oder "The Kilimanjaro Device", man suche sich einen Titel aus.


    Gelesen habe ich "Das Kilimandscharo-Projekt" aus dem Jahre 1965.

    Wieder gibt es einen namenlosen Ich-Erzähler. Dieser kommt mit einem Truck in einen kleinen Ort gefahren und sucht als erstes eine Bar auf. Dort kommt er mit einem ortsansässigen Jäger ins Gespräch. Im Laufe der Unterhaltung stellt sich heraus, dass der Ich-Erzähler auf den Spuren des inzwischen verstorbenen Ernest Hemingway wandelt. Der berühmte Schriftsteller ist vor Jahren von einem Auto überfahren worden. Der Ich-Erzähler will ihn retten, denn Hemingway könnte noch unzählige Geschichten schreiben. Mit seinem Truck, der eigentlich eine Zeitmaschine ist, macht er sich auf den Weg, und begegnet dem alten Mann tatsächlich.


    Man kommt beim Lesen recht schnell auf den Namen Hemingway, obwohl dieser nie direkt genannt wird. Ich habe anschließend ein wenig wikipediert, um aus der Geschichte schlauer zu werden, aber ich glaube nicht, dass mir das gelungen ist. Die Eckdaten aus dem Wikipedia-Artikel bringen nicht mehr Klarheit in die Erzählung. Bradbury erklärt einem nicht, was geschieht und wie, er macht Andeutungen, die einen nicht wirklich weiter bringen.

    Vielleicht muss man ein Fan von Hemingway sein, um Freude an dieser Erzählung zu haben. Ich kenne von ihm nur "Der alte Mann und das Meer" (eine unbedingte Empfehlung, übrigens!). Ich könnte mir vorstellen, dass Bradbury ein großer Fan war.


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    Aeria

  • Aeria

    Viel Freude an hoffentlich wieder guten Kurzgeschichten wünsche ich ! <3

    Ich les bestimmt mit hier, aber tatsächlies mitlesen schaff ich zeitlich momentan nicht. Irgendwann leg ich aber auch wieder los mit einem weiteren Bradbury-Band, ich hab ja noch einiges auf dem SuB.

    Von den Sternen kommen wir, zu den Sternen gehen wir.

    Das Leben ist nur eine Reise in die Fremde.”

    (aus: "Die Stadt der träumenden Bücher")



  • "Die schreckliche Feuersbrunst drüben im Landhaus" / "The Terrible Conflagration up at the Place", 1969


    Eine irische Geschichte! Die Erzählungen, die in Irland spielen, sind alle gaga. Ich weiß nicht, was Bradbury dort für ein Zeug geraucht (eher: getrunken!) hat, aber ich will das auch.


    Es geht um eine Gruppe von Männern, die sich im Pub gegenseitig aufgestachelt haben, um das Gutshaus des Lords in Brand zu stecken. Mit dem Vorhaben vor Augen marschieren sie hin und - niemand hat Streichhölzer eingesteckt. Zudem begrüßt sie ein sehr höflicher und müde wirkender Lord Kilgotten. Sie verkünden ihre Absicht, sein Haus niederzubrennen, und er lädt sie erst einmal zu einem Drink ein. Anschließend bittet er sie, sofern sie es einrichten können, einen Tag zu warten. Denn heute erwarten er und Lady Kilgotten Gäste. Die Möchtegern-Brandstifter sind froh, ihm diesen Gefallen zu tun, schließlich schreit er ja nicht Zeter und Mordio, sondern ist sehr einsichtig. Das Haus, pah! Das kann weg.

    Der Lord überredet sie auch, die wertvollen Gemälde in Sicherheit zu bringen, denn es wäre ein Frevel, sie dem Feuer zu überlassen. Die Männer sind einverstanden und schleppen die Kunstwerke davon.

    Sie haben allerdings nicht mit dem Sumpf gerechnet, der einen Mann alleine passieren lässt, aber zwei, die ein schweres Gemälde schleppen, einsaugen will. Nicht gerechnet haben sie auch mit den Kreuzschmerzen, die sich zwangsläufig ergeben, wenn man einen riesigen Van Dyck durchs Gelände schleppt. Oder mit der Ehefrau, die gar nicht erfreut ist, zwei Renoirs mit halbnackten Französinnen im Wohnzimmer zu haben.

    Die Erzählung endet damit, dass die Gemälde alle wieder an ihre angestammten Plätze kommen, und Lord Kilgotten den Männern einen ausgibt.


    Kein großer Wurf, diese Geschichte, aber sehr witzig. Die Brandstifterbande besteht aus eher schlichten Gemütern, die Lord Kilgotten mühelos um den Finger wickelt. Die merken nicht einmal, wie ihnen geschieht.

    Zum Kichern. Sehr zu empfehlen, wenn man einen schlechten Tag hatte.


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    Aeria

  • "Das Kind von morgen" / "Tommorow's Child", 1948


    1988

    Polly und Peter Horn erwarten ein Baby. Im Jahre 1988 gibt es neben Raumschiffen auch Maschinen, die die Geburt begleiten/steuern/was auch immer. Nun gibt es aber genau dort einen Kurzschluss. Das Baby wird als blaue Pyramide mit Tentakelchen geboren. Der Arzt erklärt den entsetzten Eltern, dass das Kind irgendwie in eine andere Dimension geraten ist.

    Sie nehmen das Kind mit nach Hause und hoffen, dass die Ärzte im Laufe der Zeit eine Möglichkeit finden, den Kleinen in unsere eigene Dimension zurück zu holen. Obwohl sie ihren Sohn lieben, ist es doch ganz und gar nicht einfach, mit der Situation umzugehen. Polly wendet sich dem Alkohol zu.

    Schließlich gesteht der behandelnde Arzt, dass es nicht möglich sei, den Fehler zu korrigieren. Es sei aber möglich, ihn zu wiederholen, und somit die Eltern in die selbe Dimension zu schicken, in der ihr Sohn existiert.


    Ein paar Details hätte ich schon gern gehabt. Was für eine Maschine nimmt einer Frau fast gänzlich die Geburt ab? Was hat Bradbury geraucht, als ihm diese Idee kam?

    Trotzdem mag ich diese Erzählung, weil der Autor hier auf die Figuren eingeht und sie sehr realistisch gestaltet. Die Angst, die Verzweiflung, die (Eltern)Liebe - alles kommt glaubwürdig rüber.

    Trotz der (aus heutiger Sicht) naiven Darstellung der Zukunft, wirkt diese Erzählung nicht altbacken. Sie liefert außerdem ein paar interessante Denkansätze.


    ***

    Aeria

  • "Die Frauen" / "The Woman", 1948


    Ein unsichtbares Meereswesen verzehrt sich nach einem Mann, der schon mehrere Tage hintereinander den Strand besucht. An diesem Tag beschließt es, ihn zu sich ins Meer einzuladen, und ihm alle Wunder der Unterwassewelt zu zeigen. Der Mann kommt an den Strand, diesmal in Begleitung seiner Frau. Die Frau spürt eine Gefahr, die vom Wasser ausgeht, und versucht mit allen Mitteln, ihren Liebsten vom Baden abzuhalten. Es klappt zunächst, aber dann geht er doch ins Wasser, weil er glaubt, eine Ertrinkende zu hören.


    Eine magische Geschichte, die mir gut gefallen hat. Das Meereswesen ist offenbar weiblich und hat sich verliebt. Das "Tauziehen" der beiden Frauen um den Mann ist spannend zu beobachten, wobei man schon früh begreift, dass die Meeresfrau wesentlich mehr Macht hat.

    Bis auf einen kleinen Punkt ist es also eine der interessanteren Erzählungen in diesem Buch (bisher). Der Punkt betrifft die Charakterisierung der Frauen. Die ist schon ziemlich altmodisch, milde ausgedrückt. Heute hätte Bradbury sich das wohl nicht getraut, denn die RadFem hätten ihm sonstwas abgerissen.

    Die Erzählung ist allerdings in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts entstanden, und deshalb akzeptiert man das eben.


    "Das Motel "Zum erleuchteten Huhn" / "The Inspired Chicken Motel", 1969


    Eine Familie reist während der Großen Depression durch Amerika auf der Suche nach Arbeit. Für die beiden Söhne, Douglas und Skip, ist die Reise ein einziges Abenteuer.

    Eines Tages steigen alle in einem der billigsten Motels der Gegend ab, durch die sie gerade kommen. Zum Motel gehört eine Hühnerfarm. Stolz zeigt die Besitzerin der Farm ihren Gästen ein besonderes Ei: Auf der Eierschale kann man einen Satz erkennen. Die Farmersfrau behauptet, eine Henne habe das Ei genauso gelegt. Dort steht "Geht in Frieden, ein Segen erwartet euch." Die Familie ist sehr beeindruckt. Erst am nächsten Tag, als sie schon wieder unterwegs sind, äußern sie Zweifel am Eiersegen.


    Douglas und Skip sind wiederkehrende Namen in Bradburys Geschichten. Douglas ist Ray Bradburys zweiter Vorname, und Skip war, soweit ich weiß, Rays Bruder. Die Stadt Green Town wird nicht erwähnt, aber oft spielen Douglas- und Skip-Erzählungen genau dort. An dieser Stelle kann ich "Löwenzahnwein" empfehlen, einen aus mehr oder weniger zusammenhängenden Geschichten bestehenden Roman. Douglas ist dort die Hauptfigur.

    Zurück zum Erleuchteten Huhn. Diese Geschichte ist an sich nichts besonderes, außer dem Ei gibt es nicht viel Bemerkenswertes. Aber sie ist schön geschrieben, durchdrungen von Hoffnungslosigkeit der Großen Depression und kleinen Lichtblicken. Zwar gibt es nirgendwo Arbeit und die Familie hat so gut wie kein Geld mehr, aber sie sind zusammen, und das ist das Wichtigste.


    ***

    Aeria

  • "In den Wind von Gettysburg" / "Downwind from Gettysburg", 1969


    Obwohl es hier um einen Roboter geht, fand ich diese Erzählung sterbenslangweilig.

    Die Geschichte fängt damit an, dass Lincoln im Theater erschossen wird. Es ist nicht der echte Lincoln, sondern ein Roboter. Der Theaterdirektor stellt den "Mörder" zur Rede. Der Mörder heißt Booth (wer hätte das gedacht?!), hat allerdings einen anderen Vornamen. Er hat die Tat begangen, weil vom Hass auf alles Langlebige und Perfekte zerfressen wird. Der Theaterdirektor vermutet, dass noch mehr dahintersteckt, Geltungsssucht, vielleicht. Er verscheucht Booth aus dem Theater, verspricht ihm, dass niemand je von der Tat erfahren wird.


    Vielleicht muss man Amerikaner:in sein, um eine Lincoln-Geschichte richtig zu würdigen. An mir ist sie spurlos vorübergegangen. Morgen werde ich nur noch wissen, dass es einen seitenlangen Streit gab.

    Was immer Bradbury mit dieser Erzählung sagen wollte, es hat sich mir nicht erschlossen.


    Hoffentlich ist die nächste richtig schön, sonst fange ich noch an, an diesem Buch zu zweifeln.


    ***
    Aeria

  • "Ja, wir treffen uns am Wasser" / "Yes, We'll Gather at the River", 1969


    In dieser Erzählung geht es um eine sterbende Kleinstadt. Es ist der letzte Abend, an dem alles normal ist. Am nächsten Tag soll der neue Highway einige Meilen entfernt eingeweiht werden. Der alte führte mitten durch die Stadt, so dass die Geschäfte voller Kunden waren. Einer der Ladeninhaber, Charlie, ist genauso niedergeschlagen wie alle anderen, denn der "metallene Fluss", der die Stadt mit Leben versorgt hatte, wird in wenigen Stunden versiegen. Er schwelgt in Erinnerungen an die Vergangenheit, erkennt, dass sie nun endgültig vorbei ist. Der Fortschritt lässt sich nicht aufhalten. Die Stadtbewohner akzeptieren das und gehen mit - oder sie gehen unter.


    Geht doch!

    Mir hat diese Geschichte sehr gut gefallen, nicht einmal wegen des Themas, sondern wegen der Beschreibungen. Bradbury zeichnet ein so plastisches Bild der Stadt und deren Bewohner, dass man glaubt sie berühren zu können. Ich habe gerade in das Buch von Hardy Kettlitz reingelinst, er hält die Geschichte für wenig bemerkenswert. Das sehe ich anders. Vielleicht ist das Thema jemandem zu schlicht oder zu langweilig, aber die Erzählweise muss man würdigen, sie ist wirklich schön.

    Hier kommt auf jeden Fall ein Sticker hin.


    ***

    Aeria

  • Die heutige Geschichte habe ich übersprungen, weil sie recht lang ist und ich heute nicht viel Zeit zum Lesen hatte. Habe mir eine der kürzeren vorgenommen und - !!!!!!!!


    "Anruf nachts, R-Gespräch" / "Night Call, Collect", 1949


    Diese Erzählung habe ich als Kind gelesen, zigmal. Ich habe noch irgendwo in einer Kiste die herausgerissenen Blätter aus der Teenie-Zeitschrift. Auf der Rückseite ist, glaube ich, Patrick Swayzes Porträt. Total vergilbt, kaum noch lesbar, aber mir sehr teuer :herz:.

    Es ist natürlich eine Marsgeschichte.


    Ein alter Mann lebt allein auf dem Mars. Vor gut 60 Jahren haben alle außer ihn den Mars verlassen, weil auf der Erde ein Atomkrieg ausgebrochen war (wobei ich mich hier frage, warum sie abgereist sind, schließlich fand der Krieg nicht auf dem Mars statt). Der Alte, Barton, ist inzwischen 80 Jahre alt, und hat die Hoffnung auf ein Raumschiff, das ihn abholt, schon vor langer Zeit aufgegeben. Doch eines Tages klingelt sein Telefon.

    Am Telefon ist - er selbst. Als junger Mann hat Barton versucht, der Einsamkeit zu entkommen, indem er sich selbst - oder viel mehr, seinem späteren Selbst, - Streiche spielte. Er nahm tausende Gespräche auf und programmierte das Telefonnetz so, dass dass die Geräte ständig klingelten, um auf diese Weise Telefonate mit anderen Teilnehmern zu simulieren. In etwas so: "Hier ist Barton." - "Oh, hallo Barton." - "Wollen wir uns zum Essen verabreden?" - "Klar!"

    Mit der Zeit hatte Barton genug davon, und die Telefone schwiegen jahrelang. Doch der ganz besondere Streich stand noch aus, und dieser sollte losgehen, wenn Barton die 80 erreicht. Natürlich ist der alte Mann von seinem jüngeren Ich nicht mehr so begeistert, das ihn verspottet, trietzt und verhöhnt. Gerne würde er das ganze System abschalten, aber er hat längst vergessen, wo alles gespeichert ist.

    Die Telefone klingeln und klingeln, der jüngere Barton setz alles daran, den alten zur Verzweiflung zu bringen. Und plötzlich ist da eine andere Stimme, die eines Raumschiffkapitäns. Barton soll in die 600 Meilen entfernte Stadt New Chicago kommen, dort wartet das Rettungsschiff auf ihn. Barton rast hin, erreicht die Stadt aus letzter Kraft. Im Raumhafen erwartet ihn kein Schiff, sondern Telefone, die ihn abwechselnd mit der Stimme des Raumschiffkapitäns und des jungen Barton auslachen.


    Spannung, ein wenig Gänsehaut, eine Menge Mitgefühl für den alten einsamen Mann und leider zu wenig Mars, das sind die Zutaten, aus denen eine meiner liebsten Erzählungen besteht.

    Nach so vielen Jahrzehnten liebe ich sie immer noch.


    ***

    Aeria

  • "Der kalte und der warme Wind" / "The Cold Wind and the Warm", 1964


    Eine Irland-Geschichte. Doch diesmal eine, die in mir überhaupt keine Spuren hinterlassen hat. Vielleicht lag es an meiner Verfassung, vielleicht an der Tageszeit, jedenfalls habe ich den Text nach den ersten paar Sätzen nur überflogen.

    Die Erzählung beginnt damit, dass eine sehr seltsame Gruppe von Männern in ein edles Hotel eincheckt. Alle sind sehr zart gebaut, wirken feminin, und haben nichts dagegen, alle im selben Zimmer abzusteigen (es ist nur eines frei). Im Laufe des Tages ziehen sie los, die Stadt zu erkunden. An ihre Fersen heften sich sofort die Stammgäste von Finns Kneipe. Die Saufkumpane wollen die verdächtigen Gestalten lieber im Auge behalten. Der Pfarrer ist, nachdem er der Gruppe über den Weg gelaufen ist, fast sprachlos und bekommt Augen so groß wie Untertassen. Sofort eilt er davon, um seine Schäfchen vor diesen Männern zu warnen.

    Die neuen Hotelgäste haben sich derweil den Stadtpark angesehen und finden sich schließlich in Finns Kneipe ein.

    Am Ende reisen sie ab. Die Einheimischen sind sich einig, dass die Gäste sich nicht allzusehr von ihnen unterscheiden.


    Tja. Ich werde diese Erzählung noch einmal lesen müssen. Da ich beim Lesen nur halb bei der Sache war, habe ich so gut wie nichts verstanden. Geschieht wirklich etwas Magisches im Stadtpark? Jemand bezeichnet die Neuankömmlinge als Elfen, ist das bloß eine Metapher? Oder ist der Grund für ihre Andersartigkeit (anders wohl nur in der beschriebenen konservativen Region) eher irdischer Natur?

    Am Ende der Geschichte hatte ich nur ein "ERROR" vor dem inneren Auge...


    "Der Fluch des Neuen" / "The Haunting of the New", 1969


    Der Schriftsteller Charles wird von einer alten Freundin in deren Haus Greenwood eingeladen. Noras Einladung klingt etwas merkwürdig, weshalb Charles alles stehen und liegen lässt und losrast. Er findet sie vor dem Haus auf einer Wiese sitzend vor. Sie scheint ihm recht niedergeschlagen. Er wird gebeten, sich im Haus umzusehen und später darin zu übernachten. Wenn das Haus ihn akzeptiert, will Nora es ihm schenken.

    Greenwood ist ein uraltes, riesiges Haus, und hat schon viele Generationen kommen und gehen sehen. Die exzentrische Nora hat hier jahrelang die wildesten Partys gefeiert. Charles selbst war des Öfteren hier, er kennt das Haus also recht gut. Als er es diesmal besichtigt, ist alles, wie es sein sollte. Die Kunstwerke hängen an den üblichen Stellen, der Teppich ist derselbe.

    Nora erzählt ihm schließlich, dass Greenwood vor 4 Jahren abgebrannt ist. Sie hat es wieder aufbauen lassen und die Einrichtung bis ins kleinste Detail wiederherstellen lassen. Zur Einweihungsparty hat sie fast 100 Leute eingeladen - und niemand wollte bis zum Morgen bleiben. Das Haus war keinem von ihnen geheuer.

    Auch Charles findet in der Nacht keinen Schlaf. Als die Türen sich von selbst öffnen, flüchtet er nach draußen.


    Diese Erzählung hat mir ganz ausgezeichnet gefallen. Die Idee, dass ein Haus im Laufe der Generationen so viele Lügen, Falschheit etc. gespeichert haben könnte, dass es sich von selbst entzündet, um sich zu reinigen, finde ich toll. Ist mal was anderes. Das neue Haus aber ist noch zu jung, um Bewohner zu akzeptieren, deshalb vertreibt es sie. Habe ich schon einmal erwähnt, dass magische Häuser aller Art mein Ding sind?

    Nicht nur die Idee, sondern auch der Schreibstil hat mir hier sehr gut gefallen. Ich empfinde die Geschichte als nostalgisch und ein wenig gruselig. Hoffentlich findet das Haus einen Bewohner, mit dem es harmonisch koexistieren kann.


    ***
    Aeria

  • "Ich singe den Leib, den elektrischen!" / "I Sing the Body Electric!", 1969


    Als die Mutter der Familie stirbt, entscheidet sich der überforderte Vater für eine elektrische Oma, einen Roboter. Die drei Kinder reagieren unterschiedlich auf die Oma. Tim und Ich-Erzähler Tom sind sofort begeistert, Agatha will mit dem Roboter nichts zu tun haben. Das ändert sich erst nach einem Unfall, bei dem die Oma scheinbar stirbt.


    Die Handlung ist eher so lala, mir sind die Roboter-Geschichten von Asimov lieber. Aber die wunderbare Erzählweise entschädigt einen für alles. Diese Kurzgeschichte ist wie eine Kuscheldecke. Sehr schön, poetisch (wieder dieses Wort :blume:).

    *Du bist innen hohl!*

    *Ja, aber in meinem Inneren seid ihr alle - Thomas, Timothy und Agatha.*

    :herz:

    Die Oma ist die Quintessenz all dessen, was einen liebenden Menschen ausmacht. Die Kinder empfinden sie schon bald nicht mehr als Maschine, für sie ist der Roboter ein Teil ihrer Familie und ihrer Kindheit.


    Was mich ein wenig gepiekst hat, ist die Idee, dass es unbedingt eine Oma sein musste, also ein Roboter in Frauengestalt. Die Kinder hätten auch einen Opa geliebt, denn die Maschine wäre sicherlich mit denselben Aufgaben programmiert worden. Aber natürlich muss es eine Frau sein. Es ist ja Frauensache, sich um Kinder, Haushalt etc. zu kümmern...


    "Der Ausgrabungstag" / "The Tombling Day", 1952


    In einer kleinen Stadt muss ein Friedhof der neuen Straße weichen. Die Bewohner wollen die Toten umbetten und ziehen mit Schaufeln los, auch Oma Loblilly. Sie will sich ihren vor 60 Jahren verstorbenen Verlobten noch einmal ansehen, bzw. das, was von ihm geblieben ist.

    Sie lässt den Sarg in ihr Haus bringen und öffnen. Drinnen liegt kein Skelett, sondern ein junger Mann, unversehrt, als würde er bloß schlafen. Die alte Dame beginnt zu wettern, dass er sie betrogen habe, denn er ist jünger als sie und wird es für alle Zeiten bleiben. Wäre sie doch damals zusammen mit ihm gestorben! Als sie mit dem Toten allein ist und endlich ihre Brille auf der Nase hat, erkennt sie, dass sie all die Jahre einem Ideal nachgetrauert hat. Je genauer sie sich den Verstorbenen ansieht, desto mehr Dinge fallen ihr auf, die gar nicht so perfekt sind wie in ihrer Erinnerung. Die Nase, das Haar, das Kinn. Er ist gewöhnlich!

    Als habe der Tote auf diese Erkenntnis gewartet, beginnt er zu altern und zerfällt nahezu ganz.

    Am nächsten Morgen wird Oma Loblilly gutgelaunt und tanzend angetroffen. Sie freut sich darüber, dass sie jünger als die Toten ist.


    Hier geht es wieder ums Älterwerden. Geschrieben wurde die Geschichte 1946, also als Bradbury noch jung war. Er hat sich also schon sehr früh mit diesem Thema auseinandergesetzt. Finde ich ein wenig makaber.

    Mir hat diese Geschichte sehr gut gefallen, natürlich wegen der coolen Oma. Die weiß, was sie will und lässt sich von niemandem etwas sagen. In der Erzählung steckt eine Menge Augenzwinkern.

    Ich werde sie bestimmt noch mindestens einmal lesen.


    ***

    Aeria

  • "Die Freunde von Nicholas Nickleby sind auch meine Freunde" / "Any Friend of Nicholas Nickleby's is a Friend of Mine", 1966


    Die Geschichte spielt in Greentown und ist von der Atmosphäre her dem "Löwenzahnwein" sehr ähnlich. Es gibt wieder einen Spaulding-Jungen, nur dass dieser Ralph heißt und nicht Tom. Ralph lebt bei seinen Großeltern, die auch Zimmer vermieten. Mit einem der neuen Mieter freundet der Junge sich an. Dieser nennt sich Charles Dickens und schreibt täglich an neuen Werken. Er nennt Ralph bald Pip, was diesem sehr gut gefällt. Eines Tages erfährt Ralph/Pip auch die Geschichte hinter dem Namen des Gastes. Der ist ein erfolgloser Schriftsteller, der durchs Land reist, auf der Suche nach Ideen. Der Junge stellt ihm die Bibliothekarin vor, die sich Emily Dickinson nennen lässt, und bald heiraten beide und verlassen die Stadt.


    Der Beginn dieser Erzählung hat mir sehr gut gefallen. Die Hitze des Sommers, die Trägheit sind spürbar. Als dann der neue Gast auftaucht, wird es stellenweise wirr. Ich denke, das war auch so beabsichtigt. Schließlich ist der Held der Geschichte ein 12jähriger, für den ganz andere Dinge wichtig sind als für Erwachsene. Ein Kind steigert sich gerne in ein Abenteuer hinein, blendet alles andere aus.

    Trotzdem bleibe ich, wenn es um Spauldings geht, lieber beim "Löwenzahnwein".


    "Kraftpaket" / "Heavy-Set", 1964


    Leonhard, 30 Jahre alt, lebt bei seiner Mutter, und verbringt fast seine gesamte Freizeit damit, zu trainieren. Er ist groß, muskelbepackt und wird von anderen des Öfteren Samson gerufen. Mit Frauen hat er nichts am Hut, und er umgibt sich gerne mit 18jährigen Jungen. Zu einer Party verkleidet er sich gerne als kleiner Junge.


    Diese Geschichte ist wie eine Momentaufnahme. Wir sehen den jungen Mann nur aus der Sicht seiner Mutter, die sich zunehmend Sorgen um ihn macht. Über ihn selbst, sein Leben und seine Vergangenheit kommt in der Kurzgeschichte gar nichts. Das "Kraftpaket", wie ihn alle nennen, fährt verkleidet zu einer Party, kommt aber bald zurück, weil sich seine jungen Freunde mit ihren Freundinnen schnell abgesetzt haben.


    Ist er vielleicht schwul? In den 60ern des letzten Jahrhunderts war das sicher ein Problem, und Bradbury erwähnt das Wort nicht, deutet es nicht einmal an. Oder hat er einen Ödipuskomplex? Auf jeden Fall ist er anders als seine Freunde.

    Die letzten paar Sätze lassen noch etwas anderes vermuten. An dieser Stelle bekam ich am ganzen Körper eine Gänsehaut. Stille Wasser sind tief, Mannomann. Das, was Bradbury hier andeutet - brrr.

    Auf jeden Fall eine Erzählung, die keine richtige Handlung hat, im Grunde kaum mehr als ein großes Nichts. Dann kommt der Schluss und holt alles raus.


    ***

    Aeria

  • "Der Mann im Rorschach-Hemd" / "The Man in the Rorschach Shirt", 1966


    Ein berühmter Psychiater verschwindet spurlos. Ein Jahrzehnt später entdeckt der Ich-Erzähler ihn zufällig praktisch am anderen Ende der Welt, in einem Bus. Der Mann trägt ein Hemd mit seltsamen Mustern und fragt jede Person im Bus, an der er vorbeikommt, nach ihren Eindrücken. Die Menschen sehen in den Mustern alles Mögliche und Unmögliche, es entspinnen sich angeregte Unterhaltungen, die Atmosphäre wird lockerer, der Umgang miteinander geselliger. Dr. Brockaw berichtet dem Ich-Erzähler, was ihn bewogen hatte wegzugehen. Er hatte nämlich begriffen, dass er all die Jahre während seiner Sitzungen mit Patienten diese falsch verstanden hatte. Weil er unter einer leichten Form von Schwerhörigkeit litt und dies nicht wusste.


    Wahrnehmung ist alles!

    Diese Erzählung hat mir ebenfalls gut gefallen, sie ist leicht und wirkt fast ein wenig verspielt. Bei einigen Aussagen von Dr. Brockaw konnte ich nur nicken, weil ich aus eigener Erfahrung weiß, wie schwierig man es hat, wenn man nicht alles hören kann. Die Lösung, die der Psychiater sich einfallen lässt, um den Menschen in seinem Umfeld zu helfen, fand ich sehr originell. Ein Rorschach-Hemd! Darauf muss man erstmal kommen.


    "Heinrich der Neunte" / "Henry the Ninth", 1969


    Irgendwann in der Zukunft haben die Menschen genug von der Kälte und dem schlechten Wetter und beschließen, die skandinavischen Länder und Großbritannien zu verlassen, um sich irgendwo am Äquator anzusiedeln. Nur Harry weigert sich, England zu verlassen. Sein Freund redet ihm gut zu, hat aber keinen Erfolg.

    Am Ende steht Harry allein da, nur umgeben von der Geschichte des einst großartigen Landes.


    Es ist ein recht kurzer Text, den man bald nach dem Lesen schon wieder vergessen hat. Beim Lesen jedoch stellt man sich Fragen. Wenn alle in wärmere Regionen ziehen, wohin mit den eigentlichen Bewohnern dieser wärmeren Regionen? Es wird immer kälter? Wie jetzt? Wo ist der Klimawandel? Ich könnte das Szenario besser glauben, wenn die Länder aufgegeben werden müssten, weil der Meeresspiegel steigt.

    1969 war das aber wohl noch kein Thema.


    "Die verschwundene Marsstadt" / "The Lost City of Mars", 1967


    Die letzte Geschichte in diesem Band "Das Kind von morgen".


    Eine Gruppe von Personen, Ingenieur, Dichter, Schauspielerin etc., machen sich auf dem Mars auf, die verschwundene Stadt Dia-Sao zu suchen. Alle Marsianer haben die Stadt vor langer Zeit verlassen, fluchtartig, und niemand kennt den Grund. Die Stadt wird tatsächlich entdeckt, sie liegt tief in einem Berg. Jeder der Besucher findet hier etwas, was er oder sie sich mehr als alles andere gewünscht hat. Allerdings überleben nicht alle die Erfüllung ihrer Wünsche.


    Stellenweise etwas verwirrend, ist die Geschichte im großen Ganzen doch ziemlich gut. Vor allem, weil sie auf Bradburyart poetisch klingt, fast wie Gesang. Die Dinge, die die Stadt den Neuankömmlingen präsentiert, wirken wie Feengeschenke, unwiderstehlich und tückisch. Schade, dass die Menschen darauf hereinfallen (aber sonst gäb's ja auch keine Geschichte). Die Moral von der Geschicht' ist wohl: Ohne Fleiß kein Preis. Jemand, der nur den Preis will, ohne etwas dafür zu tun, wird von diesem Preis möglicherweise erschlagen, also Vorsicht.


    Insgesamt ist der Eindruck von diesem Erzählband sehr durchwachsen. Mir haben nur drei oder vier der fast 20 Kurzgeschichten so gut gefallen, dass ich sie noch einmal lesen möchte.


    3ratten


    ***

    Aeria

  • In einem kürzlich erschienenen Interview erwähnte die russische Autorin Anna Starobinets* ihre Lieblingsgeschichte von Ray Bradbury. Ich stürmte natürlich sofort los, um nachzusehen, ob diese Kurzgeschichte in einem meiner zahlreichen Bradbury-Bände enthalten ist.


    "Das Kinderzimmer" (Originaltitel: "The Veldt", 1950)


    Die Familie Hadley lebt in einem hochentwickelten Haus. Alles hier geschieht vollautomatisch: Das Essen wird zubereitet, die Kinder gebadet, die Wäsche gewaschen. Man muss selbst keinen Finger mehr rühren. Die Hadleys haben sich insbesondere das Kinderzimmer einiges kosten lassen. Das Kinderzimmer reagiert auf die Wünsche der beiden Kinder Peter und Wendy (die aber nix mit Peter Pan zu tun haben) und präsentiert ihnen stets die von ihnen gewünschte Welt - ob nun die von Alice im Wunderland oder eine, die sie sich selbst ausdenken. Es empfängt offenbar telepathisch die Gefühle der Kinder und setzt diese in die entsprechenden Umgebungen um. Die erzeugten Welten sind sind sehr realistisch, denn die Wände des Zimmers verschwinden, das Licht verändert sich, die Gerüche werden passend designt. So muss es sich auf Holodeck der Enterprise anfühlen, und vielleicht hatte Roddenberry die Idee von genau dieser Kurzgeschichte.

    Irgendwann stellen die Eltern besorgt fest, dass das Kinderzimmer nur noch die afrikanische Savanne erzeugt, mit äußerst lebendig wirkenden Löwen, die an einem Kadaver nagen, mit einem im Himmel kreisenden Aasvogel. Es ist ihnen nicht geheuer. Ein hinzugezogener Psychologe deutet diese Umgebung als unterdrückte Unzufriedenheit, ja, Aggressionen seitens der Kinder, weil es in jüngster Vergangenheit hin und wieder Verbote seitens der Eltern gegeben habe. Er empfiehlt, das Zimmer für mindestens ein Jahr abzuschalten.

    Diese Entscheidung gefällt Peter und Wendy verständlicherweise gar nicht.


    Es ist eine sehr beklemmende, düstere Geschichte. Trotz der Zukunft mit grenzenlosen technischen Möglichkeiten (z. B. mit der Rakete mal eben nach New York zu düsen), wird schnell klar, dass andere Dinge auf der Strecke bleiben. Wenn man außer atmen, riechen und schmecken nichts mehr selbst machen muss, kann man nur verlieren.

    Wenn ich mir ansehe, wie die aggressiv die jüngere Generation (und nicht nur die) reagiert, wenn man ihr mal das Handy abnimmt, kann ich Bradbury für diesen Blick in die Zukunft nur gratulieren. Nicht schön, aber sehr treffend.


    *hier im Forum wurde schon einmal ein Buch von ihr besprochen



    ***

    Aeria

  • Aeria

    In welchem Band war die Geschichte ?

    Ich hör übrigens zur Zeit ein altes Hörspiel zur Geschichte "Leviathan99" von Bradbury - eine Art "Moby-Dick"-Geschichte im Weltraum. Man merkt sowohl der Story als auch dem Hörspiel das Alter an (und das nicht nur charmant ;) ) , ich glaub es wird nicht eine meiner Lieblingsgeschichten, aber so nebenher kann mans gut hören, ist in so einer SF-Fiction-Hörspiel-Box.

    Von den Sternen kommen wir, zu den Sternen gehen wir.

    Das Leben ist nur eine Reise in die Fremde.”

    (aus: "Die Stadt der träumenden Bücher")



    Einmal editiert, zuletzt von Firiath ()

  • Aeria

    Super, vielen Dank! <3 Das hab ich hier. Motiviert mich vielleicht wieder hier weiterzumachen, mal schaun. Leviathan99 motiviert mich grad nicht, die Idee "Moby Dick" ins Weltall zu versetzen hinkt für mich etwas. Weiß jetzt aber nicht ob es an der Hörspielfassung liegt oder generell an der Geschichte.

    Von den Sternen kommen wir, zu den Sternen gehen wir.

    Das Leben ist nur eine Reise in die Fremde.”

    (aus: "Die Stadt der träumenden Bücher")



  • Der illustrierte Mann war mein allerstes Buch von Ray Bradbury. Auf den ich tatsächlich (große Ausnahme!) durch die Schule gekommen bin - unser Englischlehrer hat uns eine Geschichte von ihm zum Thema short stories lesen lassen. Ich bin ihm dafür heute noch dankbar - R.I.P. ..

  • Firiath

    "Leviathan 99" hab ich mir jetzt mal besorgt. Gucken wir mal, was für'n Tier das ist.


    Vorhin habe ich "We Will Always Have Paris" aus dem Regal gezogen, eine Sammlung mit 22 Kurzgeschichten. Weiß jemand, ob diese Texte irgendwo auf Deutsch zu finden sind? Ich habe nichts gefunden, möglicherweise aber auch übersehen.


    Die Anthologie ist von 2009, alle Geschichten, bis auf eine, scheinen neueren Datums zu sein. Die Seite raybradbury.ru, von der ich die Originaltitel geklaut habe, empfiehlt diesen Band nicht für Bradbury-Einsteiger. Aber das sind wir ja nicht.


    Das Buch enthält:



    "Massinello Pietro", 1964

    "The Visit", 2008

    "The Twilight Greens", 2009
    "The Murder", 2009

    "When the Bough Breaks", 2009

    "We'll Always Have Paris", 2009

    "Ma Perkins Comes To Stay", 2009

    "Doubles", 2009

    "Pater Caninus", 2009

    "Arrival and Departure", 2007

    "Last Laughs", 2009

    "Pieta Summer", 2009

    "Fly Away Home", 2009

    "Un-pillow Talk", 2009

    "Come Away with Me", 2009

    "Apple-core Baltimore", 2009

    "The Reincarnate", 2005

    "Remembrance, Ohio", 2009

    "If Paths Must Cross Again", 2009

    "Miss Appletree And I", 2009

    "A Literary Encounter", 2009

    "America (poem)", 2006


    Mal sehen, ob ich heute schon die erste Geschichte lesen kann.


    ***

    Aeria


    /edit: Formatierung...

  • Das Buch hat Bradbury einem Freund gewidmet, der in Paris begraben liegt. Daher der Titel. Gut, denn ich hatte schon an "Casablanca" gedacht und war verwundert.


    Im Vorwort schreibt Bradbury, dass er hier als Beobachter und Literator in Erscheinung tritt. Die Texte in der Anthologie sind offenbar nicht (alles) Erzählungen, wie man sie erwarten möchte. Es sind eher kleine Notizen, Streiflichter, Beobachtungen.


    Massinello Pietro (1964)

    Diese Erzählung erwähnt Bradbury im Vorwort. Er habe Massinello Pietro gekannt und ihm einmal geholfen.


    In der Geschichte geht es um einen schrulligen Menschen. Er ist nicht mehr jung, seine schwarzen Haare sind gefärbt, um das Grau zu verstecken. Einst war er reich. besaß ein Hotel. Dann verlor er alles. Jetzt besitzt er etliche Tiere, einen Plattenspieler und eine unbändige Lebensfreude. Er möchte alle immerzu glücklich machen. Seinen Nachbarn sind die Kanarienvögel, Papageien, Hunde etc. ein Dorn im Auge. Sie werden von Massinello Pietros Zoo und seinem Plattenspieler oft schon um vier Uhr morgens geweckt. Also hetzten sie die Ordnungshüter auf ihn.


    Bradbury bezeichnet diese Erzählung im Vorwort als seine Lieblingsgeschichte. Ich hoffe, er meint damit nur dieses Buch, denn wenn unter seinen hunderten von Kurzgeschichten ausgerechnet diese seine Lieblingsgeschichte sein soll, dann weiß ich es auch nicht. Mich hat sie nicht beeindruckt.

    Pietro scheint ein eher einfältiger Charakter zu sein. Vielleicht versteht er Unfreundlichkeiten gar nicht, jedenfalls reagiert er auf alles, was auf ihn einstürmt, mit unbändiger guter Laune. Als Leser:in hat man ein wenig Mitleid ihm ihm.

    Die letzten paar Zeilen deuten an, dass er nicht mehr zurückkommt. Ich glaube nicht, dass er weitergezogen ist.


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    Aeria

  • The Visit, 2008


    Diese Geschichte ist kaum 7 Seiten lang. Aber auf diesen wenigen Seiten zeigt uns Bradbury ein ganzes Drama.

    Die Handlung erinnert stark an Will Smith' Film Sieben Leben, der zur gleichen Zeit entstanden ist. Zufall? Oder werde ich, wenn ich danach suche, feststellen, dass sich Drehbuchschreiber oder Produzenten an Bradburys Text orientiert haben?


    Eine Frau bittet einen jungen Mann, Bill, um ein Treffen. Er lehnt erst ab, willigt dann aber doch ein. Im Laufe ihres Gesprächs erfährt man, warum sie ihn aufgesucht hat. Bill hat nämlich das Herz ihres verunglückten Sohnes bekommen. Sie sucht in seinen Zügen nach Ähnlichkeit mit ihrem Sohn und findet natürlich keine. Dann lässt er sie an seiner Brust nach dem Herzschlag lauschen.


    Ich kann nicht entscheiden, ob es an meiner heutigen gedrückten Stimmung oder an der Geschichte liegt, aber ich habe beim Lesen ein paar Tränen vergossen. So kurz die Erzählung auch ist, sie geht unter die Haut. Mit wenigen Worten, fast skizzenhaft, zeichnet er die beiden Figuren, stellt sie mit nur ein paar Strichen glaubwürdig dar. Ich bin begeistert und gerührt. Das war schön :herz:


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    Aeria