Mareike Fallwickl - Die Wut, die bleibt

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    Eine beiläufige Bemerkung beim Abendbrot löst in Lolas Familie eine Katastrophe aus. Plötzlich steht ihre Mutter auf, geht zum Balkon und stürzt sich hinunter. Als der erste Schock vorbei ist, muss das Leben weitergehen. Aber wie kann es das, wo doch die Lücke, die die Mutter hinterlassen hat, so groß ist?


    Gleich am Anfang hat mich Mareike Fallwickl mit der Beschreibung der Gedanken, die Helene durch den Kopf gehen, abgeholt. Ich konnte viele von ihnen nachvollziehen, trotzdem kamen sie mir auch in ihrer Summe nicht so schlimm vor, dass sie Helenes Entscheidung erklären konnten. So wie am Anfang schafft es die Autorin immer wieder, mir den Einblick in die Seelen der Beteiligten zu geben. In die von Helene, ihrer ältesten Tochter Lola, die beiden kleinen Söhne und ihrer besten Freundin Sarah.


    Nur nicht in die von Johannes, dem Ehemann und Vater. Der zieht sich zurück und lässt seine Familie ebenso alleine, wie es die Mutter getan hat. Lola versucht ihr Bestes, aber sie ist völlig überfordert mit der Situation zuhause und mit ihren eigenen Gefühlen. Sarah springt ein, und sie kann Helenes Arbeit übernehmen, sie aber nicht ersetzen.


    Vielleicht war genau das das Problem: Johannes hat seinen Part als Ernährer als ausreichend betrachtet und dabei übersehen, wie groß der Teil war, den seine Frau übernommen hat. Helenes Leben hat sich mit Lolas Geburt dramatisch verändert. Sie musste ihr Studium aufgeben und ihre Tochter lange alleine durchbringen. Nach der Geburt der beiden Söhne rückten die Träume aus der Jugend in immer weitere Ferne und mit der Geburt des zweiten Sohns war sie für ihren Arbeitgeber nicht mehr tragbar. Dann kam die Pandemie und ihr Leben beschränkte sich auf die wenigen Quadratmeter ihrer Wohnung, von denen Johannes mit seiner Arbeit, bei der er nicht gestört werden wollte, den größten Teil eingenommen und seine Frau mit der Familie im anderen Teil zurückgelassen hat.


    Während Johannes bleibt und keine Gefühle zeigt, geht Lola mit ihrer Wut und Verzweiflung sehr offensiv um. Ihre Geschichte und auch Sarahs werden von der Autorin so intensiv erzählt, wie es der kurze Einblick in Helenes Gedanken vor dem Sprung war. Die Intensität vom Anfang lässt auf keiner Seite nach.


    Mareike Fallwickl erzählt keine leichte Geschichte. Aber es geht bei ihr nie um die Frage der Schuld. Vielmehr zeigt sie, wie aus Gewohnheiten langsam gewachsene Strukturen werden, die oft weit von dem entfernt sind, was man eigentlich wollte und den Weg zurück fast unmöglich machen.

    5ratten


    Liebe Grüße

    Kirsten

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • Helene und Johannes sind verheiratet, haben zwei kleine Söhne, außerdem ist da noch Teenagertochter Lola, die sie mit in die Ehe gebracht hat. Die Corona-Lockdown-Zeit ist langsam zu Ende, die Finanzen scheinen zu stimmen, alles super? Bis Helene beim gemeinsamen Essen aufsteht und vom Balkon springt.


    Das Buch handelt von der Trauer Lolas und von der von Sarah, Helenes bester Freundin. Doch während Sarah immer mehr von Helenes Mutteraufgaben übernimmt, bemerken beide Frauen für sich, wie die gesellschaftlichen Erwartungen sie prägen und dass die Unmöglichkeit sie zufriedenzustellen nicht zur Verzweiflung führen sollte, sondern zu einem Aufbegehren gegen die Verhältnisse. Die Verhältnisse, die es unter andrem Johannes so leicht machen, sein Leben fast wie vorher weiterzuführen. Irgendeine Frau kümmert sich ja schon. Auch wenn ich die Lösungen der Figuren nicht immer gutheißen konnte, verstehe ich die zugrunde liegenden Motive.


    „Die Wut, die bleibt“ passt als Titel sehr gut, denn die Wut über diese Ungerechtigkeiten sollte bleiben und zu einer Reaktion führen und nicht unter Belastung versickern. Das ist das erste Buch, in dem ich bewusst eine Figur auch in Gedanken gendernd wahrnehme. Das ist für mich eine bewusste Entscheidung der Autorin, mit der sie konsequent die zugrunde liegende Haltung widerspiegelt. Auch wenn ich glaube, in einer privilegierten Situation zu sein, was Geschlechtergerechtigkeit angeht (einfach schon durch die Abwesenheit von Kindern und eine ähnliche Finanzsituation wie mein Partner), hat mich das Buch an einigen Stellen aufmerken lassen und bestimmte Situationen werde ich möglicherweise in Zukunft misstrauischer begutachten. Ein Buch, das aufweckt und zwar hoffentlich bevor es zu spät ist.


    Und die anderen Bücher der Autorin sind direkt auf den Merkzettel gewandert.


    4ratten :marypipeshalbeprivatmaus: