Ella Zeiss - Der Hunger nach Leben (Wege des Schicksals 1)

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    Der Roman handelt über Noah, einen zu Beginn ca. 10 jährigen Jungen, der 1930 in Großweide einem kleinen Dorf in der Ukraine lebt, welches hauptsächlich von Deutschen (Vertriebenen) gegründet und bewohnt wird.


    In Rückblicken bekommt der Leser zu Beginn durch Erinnerungen des Jungen mit, wie sich seine Lebensumstände in den vergangenen Jahren durch die Vorherrschaft der sowjetischen Staatsform im Dorf verändert hat. Die Familie wurde vom Land, dass sie vorher erfolgreich bewirtschaftet hat, enteignet, darf zwar zu Beginn noch ihr Haus bewohnen, fühlt sich aber zunehmend unterdrückt. Dieses alles schildert der Erzähler aus der Sicht von Noah, währenddessen die Familie versucht zu flüchten. Noah selbst sieht dieser Flucht zwiespältig gegenüber. Wie wohl für ein Kind typisch gibt er zwar die Argumente der Erwachsenen wieder (im Stile von Papa hat gesagt...), fühlt sich selbst aber mit der Situation total überfordert und ist hin- und hergerissen zwischen Abenteuerlust und Verlust- und Abschiedsschmerz.


    Mit der Schilderung der Flucht nehmen die Schicksalsschläge, wie im Subtitel angekündigt, dann auch direkt ihren Lauf. "Natürlich" scheitert die Flucht, Noahs Vater wird zunächst festgenommen und dann als "Staatsfeind" unter besonderer Beobachtung zurück nach Hause beordert, da das System auf wichtige Arbeitskräfte nicht verzichten kann. Wenn es für die Kinder (Noah hat noch zwei jüngere Geschwister) am Bahnhof noch nicht so schlimm erscheinen mag, zurückgewiesen zu werden, bekommen diese die Tragweite spätestens bei der Rückkehr in ihr mittlerweile völlig geplündertes Haus und dem nächsten Schulbesuch bei dem sie geächtet werden, zum ersten Mal deutlich zu spüren.


    Im folgenden hetzt ein Schicksalsschlag den nächsten: Christlicher Glaube, Weihnachten etc. werden verboten (was insbesondere die Kinder stark mitnimmt) die Kolchose kann ihren Pflichtabgaben auf Grund einer Missernte nicht nachkommen, immer mehr Mitbürger werden "Spitzel" des Systems, Noahs Vater (als verhinderter Flüchtling) scheint immer wieder auf dem Kieker... bis er letztendlich wegen fadenscheinigen Vorwürfen endgültig als Staatsfeind verhaftet wird und der zu der Zeit 11 jährige Noah die Familie mitversorgen und vor allem zur Zeit der großen Hungersnot vorm Verhungern bewahren muss. Das Buch endet, wenn Noah ca. 20 Jahre alt ist mit einem recht offenen Ende, sodass der zweite Teil ein Muss ist.


    Der Autorin gelingt es, die wie sie am Ende des Buches betont, Geschichte eines realen Zeitzeugens im vollen Ausmaß des Dramas darzustellen. Ich musste wirklich mehrere Male Tränen unterdrücken und habe sehr mit Noah mitgelitten. Immer wenn man als Leser den Annschein hat, dass es jetzt wirklich nicht mehr schlimmer kommen kann, schlägt das Schicksal für Noah erneut in voller Härte zu. Dabei wirken die Schilderungen auf mich keinesfalls übertrieben und angesichts der geschilderten Verhältnisse und der Zeit durchaus glaubhaft dargestellt.


    Die Geschichte lässt sich insgesamt sehr flüssig lesen, den Realitätsgehalt der geschilderten geschichtlichen Hintergründe kann ich als geschichtlich ehr wenig gebildeter Mensch nicht beurteilen, empfinde sie aber gerade angesichts der gerade aktuellen Krise in der Ukraine als Kopie in der Vergangenheit und somit als gut vorstellbar. Ich hatte jedenfalls kein Problem mich in die Handlung einzudenken und empfand die ganze Zeit ein großes Unrechtsbewusstsein dem sowjetischen System und dem Handeln des Staates und seinen Organen entgegen, die Noah immer wieder auf harte Proben stellen.


    Ich finde, dass die Autorin, die selbst aus Kassachstan stammt, hier einen historischen Background aufruft, den ich bisher in noch keinem anderen Roman gesehen habe und der mich, wohl auch wegen der Aktualität um die Ukraine, sehr interessiert hat.

    Die Geschichte hat mich so sehr in ihren Bann gerissen, dass ich auch den zweiten Teil direkt gekauft und auf dem Kindle angefangen habe.


    Insgesamt von mir also:

    5ratten

  • Ein Roman, der wirklich weh tut (gerade jetzt, wo sich die Geschichte mal wieder wiederholt.....) und von dem ich mich jetzt erstmal erholen muss....


    Der Inhaltsangabe von abigo stimme ich größtenteils zu; und besonders die immer noch schlimmeren Schicksalsschläge - aus Nichtigkeiten heraus - und Ungerechtigkeiten sind nicht nur für Noah, sondern auch für LeserInnen schwer zu ertragen. Wenn man (so wie ich) dann noch bei wikipedia den Holodomor recherchiert, bekommt dieser Roman wirklich noch ein grausameres Gesicht, die Willkür und Missgunst und das Durchgreifen des sowjetischen Staatsapparats betreffend, wenn Menschen ausreisen wollen (was dem Vater von Noah nicht mehr gelang, anderen vor ihm schon). Die Grenzen wurden geschlossen, das Volk ließ man verhungern. Besonders die Bauern und jene, die in auch geringster Form 'widerspenstig' waren und ihr Land nicht den Kolchosen überschreiben wollten. Die zu Kulaken degradiert wurden und eine "Entkulakisierung" stattfand, die an Grausamkeit gegenüber einzelnen Familien wohl wirklich nicht zu überbieten war. Deutsche Namen waren zunehmend unbeliebt (zu Zeiten Katharina der Großen hatte man viele, besonders aus Schwaben, ins Land geholt) und wie es Ende der 30er Jahre aussah, kann man sich denken. Hier endet der erste Teil dieses Romans um die Familie Haffner und Noah, der (dem offenen Ende muss ich widersprechen) letztendlich zur Armee einberufen wird, um im ihm verhassten Regime im WWII zu kämpfen.

    Ich kann mir gut vorstellen, dass Teil 2 nicht minder traurig zu lesen ist wie Teil 1 - wenn ich auch eine Empfehlung ausspreche.

    Literarisch hat mich aber "Sie kam aus Mariupol" noch mehr angesprochen. Dennoch, manche Bücher müssen weh tun - und dieses tut es und verleitet auch dazu, sich mit der Geschichte der Ukraine (gerade jetzt!) noch näher zu beschäftigen und durch eigene Recherchen Lücken aufzufüllen.


    4ratten

    "Bücher sind meine Leuchttürme" (Dorothy E. Stevenson)