Judith Holofernes - Die Träume anderer Leute

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    "Guten Tag, guten Tag, ich will mein Leben zurück" sang Judith Holofernes zu Beginn ihrer Karriere mit Wir sind Helden, und der Satz könnte auch ganz gut über dem Abschnitt ihres Lebens stehen, über den sie in ihrem autobiographischen Buch schreibt, nämlich die Zeit nach der Band, nach der Geburt ihrer beiden Kinder und nach der Erkenntnis, dass sie nicht mehr weiß, wie sie alles unter einen Hut kriegen soll - die Kinder, ihre Ehe, ihre Gehversuche als Solokünstlerin und was das Leben noch so alles mit sich bringt. Als sich die Überforderung dann auch noch in Form beängstigender körperlicher Symptome Bahn bricht, ist klar, dass sie irgendwie die Reißleine ziehen und sich darüber klar werden muss, was ihr am wichtigsten ist und worauf sie sich konzentrieren möchte.


    Über diese Thematik hätte man auch ganz prima ein abgehobenes Jammerbuch schreiben können, in dem sich eine privilegierte Frau selber leid tut, doch Judith Holofernes wäre nicht Judith Holofernes, wenn das hier nicht gänzlich anders ausfiele. Es ist kein Mimimi auf hohem Niveau, sondern das, was viele Frauen tagtäglich erleben, nur dass hier die Protagonistin eben Künstlerin ist, die mit ihrer Band Anfang der 2000er Jahre einen Überraschungserfolg feiern konnte. Aber die ewige Müdigkeit, der Terminstress, das Gefühl, weder den Bedürfnissen der Kinder noch des Partners und schon gar nicht den eigenen gerecht zu werden, das alles dürften viele Leserinnen wiedererkennen, und Judith kommt extrem nahbar und bodenständig rüber. "Ungeschminkt" erscheint hier nicht als Marketingmasche, sondern man nimmt ihr jedes Wort ab. Das liegt mit Sicherheit auch an ihrem herrlichen Humor, der mal albern, mal bissig und vor allem immer selbstironisch ist, und an ihren gelungenen Wortspielen, die ich schon in den Songtexten der Helden immer so mochte.


    Vieles lernt sie auf die harte Tour, beginnt zu begreifen, dass sie nicht immer allen alles recht machen kann und es gar nicht nötig (geschweige denn möglich) ist, von allen gemocht zu werden, und sie versteht auch immer mehr, was sie als Künstlerin möchte und was nicht, selbst wenn das zu Lasten des schnellen Erfolgs geht. Das alles schildert sie mit einer wunderbaren Mischung aus Witz, Verletzlichkeit und leiser Ironie, die man (also ich zumindest) einfach mögen muss, offen und ehrlich, aber auch mit Feingefühl und Diskretion. Über ihre Familie gibt sie nur so viel preis, wie für das Verständnis ihres persönlichen Weges notwendig ist, das hat mir auch sehr gefallen.


    Ich hatte schon erwartet, dass mir das Buch gefallen würde, aber das war wirklich Liebe auf den allerersten Satz und ich war beinahe ein bisschen traurig, als ich es ausgelesen hatte. Auf jeden Fall ein, wenn nicht DAS Jahreshighlight für mich und in mein Bücherregal gekommen, um zu bleiben, um noch mal mit den Helden zu sprechen.


    5ratten

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen